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Liebe und solche Sachen

Teil 6

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Ich fühle wie eine Hand nach meinem Arm greift und mich aus dem Gleis reißt. Es ist Felix seine Hand. Ich höre den Zug an mir vorbeifahren, ich spüre die Vibrationen auf dem Boden, mehr kann ich im Moment nicht wahrnehmen. Es dauert ein paar Sekunden, bis ich wieder Herr meiner Lage bin und langsam begreife, was die letzten Minuten passiert ist. Felix kniet neben mir und sieht mich mit großen Augen an, er ist völlig außer Atem. Erst jetzt mach sich ein Gefühl in mir breit, dass ich die letzten Momente scheinbar völlig verdrängt hatte: Angst. Ich will aufstehen, doch meine Beine gehorchen mir nicht. Ich zittere am ganzen Körper und kann nichts dagegen tun. Es ist stärker wie ich.

Felix rutsch zu mir heran und fällt mir in die Arme.

»Man was ist das hier für'n Scheiß. Ich hatte solche Angst um dich. Ich möchte so was nie wieder erleben. Nie.«

Julian sitzt ein paar Meter weiter im Gras und weint. Erst jetzt ist sein Vater an dieser Stelle angekommen. Er nimmt Julian ganz fest in den Arm. Auch er hat wieder Tränen in den Augen. Ich höre Julian seine Stimme:

»Ich hab das nicht gewollt..., ich hätte das nie gemacht..., ich hatte doch solche Angst..., aber ich wusste nicht mehr was ich tun sollte.«

Sein Vater antwortet sehr leise aber ich glaube zu verstehen:

» ... ich will Dich doch nicht verlieren. Sei mir bitte nicht böse, wegen dem, was ich dir vorhin gesagt habe. Du bist doch mein Sohn und ich will doch nur, dass du glücklich wirst, wie auch immer. Bitte verzeih mir.«

Die beiden scheinen uns im Moment gar nicht zu bemerken. Der Vater hält seinen Sohn fest im Arm und beide weinen. Ich gebe Felix ein kleines Zeichen und beschließe, die beiden jetzt erst mal allein zu lassen. Felix versteht mich wortlos und hilft mir beim Aufstehen. Die zwei sind so miteinander vertieft, dass sie gar nicht bemerken, dass wir uns langsam entfernen.

Wir nutzen den Hintereingang von unserem Hotel. Durch diese ganze Aktion ist mein Outfit im Moment nicht mehr ganz so ansehnlich und der Wachmann mustert mich etwas ungläubig.

In unserem Zimmer versinke ich wieder in Felix seinen Armen. Immer noch fühle ich ein leichtes Zittern in mir.

»Was meinst Du Maik, hätte Julian sich...«

»Nein ich glaube nicht, ich hatte aber trotzdem Angst er könnte es tun.«

»He, das war verdammt mutig von Dir.«

»Mutig? Ich hätte mir fast in die Hosen gemacht vor Angst. Wenn Du nicht gewesen wärst... Wer weiß?«

»Ich glaube verliebt sein ist verdammt anstrengend, Maik.«

Meine Kleidung war für diesen Abend nicht mehr zu gebrauchen und eigentlich war ich es auch nicht mehr so recht, aber ich versuchte mich mit erneutem Duschen wieder etwas gesellschaftsfähig zu machen und auf mein aufgeschlagenes Knie, bekam ich von Felix sehr liebevoll ein großes Pflaster geklebt.

Wir hatten uns gerade wieder halbwegs hergerichtet, da klopft es an der Tür und als ich aus dem Badezimmer komme, hatte Felix schon Julians Vater ins Zimmer geschoben.

»Ich hoffe ich störe euch nicht, aber ich wollte wissen, ob es euch gut geht und mich bei Euch bedanken. Es tut mir sehr leid Maik, was ich dir heute Abend gesagt habe. Bitte verzeih mir. Kann ich das wieder gut machen?«

»Ja ich denke schon.«, sage ich: »Versuchen sie ihren Sohn so zu akzeptieren wie er eben ist und helfen sie ihm, er wird es schwer genug haben.«

»Darauf könnt ihr euch verlassen. Ich liebe Julian über alles. Das ist mir heute sehr bewusst geworden. Ich habe ihm das nie so zeigen können, wie er sich das vielleicht von mir gewünscht hat, aber ich hätte es nicht verkraftet, wenn ich ihn heute verloren hätte. Ich glaube, wir müssen uns die nächsten Tage hier völlig neu kennenlernen. Es ist einfach sehr schwer für mich, die neue Situation zu verstehen, da habe ich sicher überreagiert. Ihr habt euer Leben für ihn riskiert, ich weiß nicht wie ich Euch danken soll?«

»Wir haben nur getan, was jeder gute Freund getan hätte, mehr nicht. Wie geht es Julian? Dürfen wir zu ihm?«

»Ich glaube es geht ihm gut, aber es wird nicht notwendig sein, dass ihr zu ihm geht. Er wartet nämlich vor der Tür. Ich wollte nur gern vorher mit Euch alleine sprechen. Es war zwar bis jetzt kein schöner Abend, aber vielleicht können wir uns dann noch ein wenig zusammensetzten. Meine Frau möchte euch auch gern mal kennenlernen.«

»Ja gern, o.k.«

»Also bis dann Jungs. Ich glaube da draußen will jemand ganz dringend zu euch.«

»Na dann nichts wie rein mit dem Helden.«

»Ja, also wir sehen uns noch?«

»Na klar.«

Julians Vater hat kaum das Zimmer verlassen da stürmt auch schon ein kleiner Wirbelwind in den Raum, der sich scheinbar schon wieder so gut erholt hat, dass er erst mal nicht zu bremsen ist.

»Es tut mir so leid. Bitte verzeiht mir. Ich hätte das nie machen dürfen. Glaubt mir, ich hätte es nie tun können, ich hatte doch solche Angst. Es tut mir so leid, dass ihr euch solche Sorgen um mich gemacht habt, aber nach dem Gespräch mit meinem Vater nach dem Abendessen, wusste ich nicht mehr was ich tun soll. Bitte bleiben wir Freunde, ich brauch euch doch so?«

Julian sieht uns mit einem Angst erfülltem Blick an, der zeigt, dass ihm das wirklich sehr wichtig war. Er steht nur wenig entfernt vor uns. Felix hat in diesem Moment scheinbar den gleichen Gedanken wie ich. Wir gehen beide ein Stück auf Julian zu und nehmen den kleinen Kerl in die Arme.

»Was denkst du von uns? Das wir uns erst für dich vom Zug überfahren lassen und dann nichts mehr von dir wissen wollen?«

Es ist bestimmt ein etwas seltsamer Anblick, vorausgesetzt, es könnte uns jetzt jemand so sehen, drei Jungs stehen dicht bei einander, halten sich fest im Arm und ich glaube, dass nicht nur bei mir die Tränendrüsen ziemlich drücken. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl. Drei Jungs, die sich alle erst seit sehr kurzer Zeit kennen und die noch vor kurzem geglaubt hatten, sie seien die einzigen Menschen auf dieser Welt, die mit diesen, ihren Problemen zu kämpfen haben. Sie finden sich tausende Kilometer von ihrer Heimat entfernt und entdecken, dass sie nicht alleine sind. Wir müssen nicht darüber reden, aber wir wissen, dass all die Tränen, die wir einsam in unsere Kissen geweint hatten, all die Zweifel, die wir hatten, und all die Sehnsucht, die wir fühlten, das diese Dinge uns verbinden - für immer. Ich wünsche mir in diesem Moment, dass alle Jungs auf dieser Welt, die einsam sind, es fühlen könnten, dass sie nicht alleine sind.

Erneut klopft es an der Tür und Felix meint:

»Wir sollten Eintrittskarten verkaufen, heute lohnt es sich auf jeden Fall.«

Marie steht vor der Tür und ist auf der Suche nach ihrem Bruder.

»Julian, du sollst noch mal zu Mutti kommen, bevor wir an die Bar gehen.«

Julian verschwindet mit den Worten, dass wir uns ja gleich wiedersehen und ich sage noch, dass er sich doch mit weiteren Überraschungen heute etwas zurückhalten solle, sonst geht mir die Abendgarderobe aus. Er verschwand mit einem Lächeln und sagte noch mal mit einem Zwinkern: »Danke Jungs.«

Marie bleibt in der Tür stehen und fragt etwas schüchtern, ob sie noch kurz hereinkommen darf. Natürlich darf sie und sie stammelt etwas verlegen:

»Nun ich wollte euch nur mal danken, dass ihr so zu meinem Bruder steht und das ihr für ihn euer Leben riskiert habt.«

Sie macht eine kleine Pause und sagt weiter:

»Und Felix ... Ich meine ... Nun, es tut mir leid, ich glaube ich habe mich die letzten Tage etwas blöd verhalten. Ich ... nun ich wusste ja nicht, dass ihr zwei ..., na das ihr eben ein Paar seid.«

Felix lacht.

»Nun da mach dir mal keine Sorgen, denn das wussten wir selber noch nicht und vielleicht hätte ich dir auch gleich sagen sollen, dass es mit mir nicht allzu viel Zweck hat in dieser Beziehung, aber nun hat unser Outing in eurer Familie ja schon stattgefunden, wenn auch etwas anders als vielleicht gedacht.«

»Ja das ist wahr, aber vielleicht können wir ja trotzdem die nächsten Tage noch was gemeinsam unternehmen. Ich meine wir alle zusammen.«

Ich muss jetzt auch lachen und kann mir die Bemerkung nicht verkneifen:

»Gern Marie, dir gehen ja sowie so die Kandidaten aus, oder?«

»Tja, wenn das so weitergeht, muss ich mich wahrscheinlich noch umoperieren lassen, um einen netten Jungen abzukriegen. Selbst mein kleines Brüderchen... , wer hätte das gedacht.«

Kurze Zeit später sitzen wir alle gemeinsam an unserem Stammplatz bei der Poolbar. Wir müssen Julians Mutter noch einmal alles genau erklären und man kann deutlich spüren, wie das die Emotionen aller Beteiligten (und das sind ja eigentlich alle) noch mal zum kochen bringt. Nach dem wir alle Ereignisse noch einmal geschildert haben, ist es für einen Moment still an unserem Tisch. Julians Vater ist der erste, der wieder das Wort ergreift:

»Nun wie haben denn eure Eltern reagiert, als sie erfahren haben, dass ihr einen Schwiegersohn mit nach hause bringt?«

Ich konnte regelrecht fühlen, wie mir die Röte ins Gesicht schoss, und auch Felix schien nicht gerade begeistert von dieser Frage. Es war ja auch etwas seltsam, da sitzen wir nun mit einer bis vor kurzem völlig fremden Familie an einem Tisch und spielen das selbstverständliche Liebespaar und unsere eigenen Eltern wissen noch überhaupt nichts von ihrem... (nun ich hoffe doch) Glück?

»Tja, wir haben uns erst hier im Urlaub kennengelernt und die Herrscher über unser Taschengeld wissen noch nichts von einem Schwiegersohn.« sagt Felix.

Bei diesen Worten bekommt Julian ein Leuchten in die Augen.

»Siehst du Papa und deshalb wollte ich, dass ihr gleich über mich Bescheid wisst. Also wenn ich mal alleine in den Urlaub fahre, dann finde ich bestimmt auch einen netten Jungen.«

»Wenn du dir deinen Urlaub selber erarbeiten wirst, können wir wieder mal darüber reden, dass du alleine fährst und wenn dieser Junge genau so nett ist wie deine Freunde hier, dann könnte ich mich vielleicht sogar an diesen Gedanken gewöhnen.«, kontert Julians Vater.

»Cool,«, fällt Marie ein, »und ich versuche meinem kleinen Bruder seine Freunde auszuspannen. Das sind ja ungeahnte Möglichkeiten, die die Sache mit sich bringt.«

»Wie soll das nur weitergehen,«, lacht Julians Mutter, »wir werden einen Beichtstuhl im Keller einbauen lassen und einen Pfarrer einstellen müssen, was haben wir nur für Kinder.«

»Na die besten, die im Alpenraum zu kriegen waren, ist doch klar.«, grinst Julian.

Julian's Vater wird wieder etwas ernster. Er rückt ein Stück zu seinem Sohn, legt ihm die Hand auf die Schulter und sagt:

»Julian, es tut mir leid was ich heute Abend zu dir gesagt habe und auch bei deinen Freunden habe ich mich schon entschuldigt. Ich kann dir nicht versprechen, dass ich mich nun sehr freue, aber ich werde versuchen, dich zu verstehen. Es ist eben eine völlig neue Situation für mich und in meiner Generation sehen wir die Dinge vielleicht noch ganz anders, als ihr das heute tut. Ich hoffe nur, dass du glücklich wirst und wenn ich so richtig darüber nachdenke, bin ich sehr froh, dass du ehrlich zu uns warst. Ich hoffe nur, dass du uns nie wieder so einen Schreck einjagen wirst wie heute Abend.«

»Ja, das verspreche ich Papa«

»Papa?«, frage ich und sehe Julian sehr ernst an. »Ich wüsste da noch ein paar Leute, denen du das versprechen könntest.«

»Ja ich verspreche es euch allen«, gibt der Kleine reumütig bekannt.

Noch eine ganze Weile unterhalten wir uns alle über den heutigen Abend. Jeder von uns wird diesen Tag sicher niemals vergessen, dessen bin ich mir ganz sicher. Noch eine Runde Getränke von der Bar und unsere Familie aus dem Alpenland verabschiedet sich. Ich und Felix wollen noch eine Weile sitzen bleiben, die laue Abendluft ist angenehm und zum Schlafen sind wir immer noch zu aufgeregt. Ich staune etwas, denn Felix, der die letzten Tage kaum Alkohol angerührt hat, scheint heute der Gin/Tonic sehr gut zu schmecken und auch ich habe mich aus reiner Sympathie für dieses Getränk entschieden. Heute sollte uns das wohl keiner übel nehmen können.

Kurz vor 23.00 Uhr trudeln auch Lisa und Marcel wieder ein. Sie erzählen von ihrem Abend und sind ganz stolz, mal etwas anders erlebt zu haben und fragen, ob es hier denn sehr langweilig war.

Felix und ich schauen uns bei dieser Frage nur an und müssen etwas grinsen und wenn das Erlebte nicht so ernst gewesen wäre, dann hätten wir jetzt wahrscheinlich los gelacht.
Wir versuchen in kurzen Sätzen, das Geschehene zu beschreiben. Die Frage nach dem »warum Julian das machen wollte«, beantworten wir erst mal nur damit, dass er eben Probleme mit seinem Vater hatte. Wir wollten es Julian schließlich selbst überlassen, ob er es den beiden erzählen möchte oder nicht.

Felix war die letzten Minuten ziemlich unruhig. Er sagte, dass ihm der letzte Gin/Tonic wohl nicht so bekommen wäre und dass er ein kleines Stück spazieren gehen will, dann ginge es ihm wieder besser.

»Soll ich nicht lieber mitkommen Felix, wenn es dir nicht gut geht, ist es auch vielleicht besser, wenn wir ins Zimmer verschwinden.«

»Danke Maik, aber wenn ich mich jetzt hinlege, dann wird das nur noch schlimmer, es geht schon, bleibt ihr nur hier sitzen. Ich geh nur ein paar Minuten ums Hotel und dann bin ich wieder fit. Vielleicht sollten wir dann Lisa noch etwas über uns erzählen, was meinst Du?«

»Ja das ist 'ne gute Idee. Soll ich wirklich nicht mitkommen?«

»Geht schon Maik, ich bin nicht lange weg, muss nur meinen Kreislauf ein wenig in Schwung bringen. Bis gleich.«

So verschwindet Felix also und ich hole noch eine Runde Cola für uns drei. Lisa wird natürlich nicht müde mich zu drängeln, was es denn so wichtiges gäbe, was wir ihr noch zu sagen hätten. Ich sage natürlich kein Wort und bestehe darauf, dass Felix erst wieder da sein muss. Marcel, der sich natürlich denken kann um was es geht, grinst mit der Miene eines Wissenden über das ganze Gesicht und auch ihm macht es nun Spaß, Lisas Ungeduld eine wenig für seine Unterhaltung auszunutzen in dem er sagt:

»Nun mein Schatz, was bietest du denn, wenn ich dir ein kleines Stichwort gebe, hm?

»Was ich biete? Wie wäre es, wenn ich dein bestes Stück heute Nacht dran lasse, wenn Du schläfst?«

»Das würdest du ja wohl nicht tun. Schließlich brauchst du das Teil ja irgendwie genauso wie ich, oder?«

Mittlerweile war Felix nun schon über 20 Minuten weg und ich beschließe, dass ich nun doch mal nachsehe, wo er bleibt. Lisa und Marcel können ja hier warten, falls er in der Zwischenzeit wieder auftaucht.
Ich beginnen meinen Rundgang natürlich in unserem Zimmer, aber da ist Felix nicht, schließlich habe ich ja auch den Schlüssel. Wo könnte er nur hingegangen sein?

Er wollte nur mal kurz ums Hotel gehen? Ich gehe an der Rezeption vorbei zum Ausgang und wende mich nach links. Ich gehe ein Stück die Straße entlang und nach fünf Minuten kehre ich um und such in der anderen Richtung. Als nächstes gehe ich hinter dem Hotel zum Strand, vorbei an der Bank auf der wir am ersten Abend gesessen hatten und dann zurück auf die andere Seite. Ich glaube nicht, dass Felix hier entlang gegangen ist. Es ist viel zu dunkel hier. Wo um alles in der Welt ist er nur hin. Ich gehe noch einmal durch die Lobby nach draußen. Unser Hotel steht am Ende einer geraden Straße und man kann einige hundert Meter weit sehen. Es ist aber niemand mehr unterwegs. Noch einmal gehe ich ein Stück in diese Richtung und überlege, wo ich an Felix seiner Stelle hingegangen wäre. Das einzige Haus in dem noch etwas los ist, ist die kleine englische Bar. Ich glaube nicht, dass er dort ist und ein kurzer Blick in den kleinen Raum und diese Vermutung bestätigt sich.

Ich gehe zurück zu Lisa und Marcel. Auch sie sind jetzt sehr besorgt. Felix ist nun schon seit einer Stunde weg, und ich kann es mir nicht anders erklären, als das etwas passiert sein muss. Ich bin so unruhig, dass ich mich nicht setzen kann.

»Verdammt wo ist er nur hin, ich mach mir große Sorgen, ich hätte ihn nicht alleine gehen lassen dürfen.«, sage ich zu den anderen.

»Was meinst Du Maik, ob wir mal bei Julian klopfen? Ich meine vielleicht haben sie sich noch getroffen vorhin und er ist dort? Sonst kennen wir hier doch noch niemanden.«

Das ist natürlich eine gute Idee. Klar bei Julian und Marie könnte er sein. Lisa wollte an der Bar bleiben die mittlerweile schon geschlossen hat und Marcel und ich gehen den Flur entlang zu dem Zimmer, in dem Julian und seine Schwester wohnen. Ich kann mich kaum noch beherrschen und klopfe ziemlich laut an der Tür. Marcel hält mich etwas zurück, ich solle doch nicht das ganze Hotel wach klopfen, aber das ist mir jetzt egal. Julian öffnet die Tür und reibt sich die Augen. Er scheint schon geschlafen zu haben.

»Was macht ihr den hier? Ist noch 'ne Party angesagt von der ich nichts weiß?«

»Nein Julian, wir sind auf der Suche nach Felix. Er ist jetzt schon seit über einer Stunde verschwunden und wir machen uns große Sorgen. Wir dachten vielleicht ist er bei Euch.«

»Nein, ist er nicht. Ich habe ihn seit vorhin nicht mehr gesehen. Hattet ihr Streit?«

»Nein nichts dergleichen, er wollte sich nur eine paar Minuten die Füße vertreten und ist seit dem verschwunden.«

»Hm? Wartet ich helfe Euch mit suchen. Ich zieh mir nur etwas an.«

Ich holte meine Taschenlampe und während Lisa im Hotel die Stellung hält, suchen wir anderen drei noch einmal die Umgebung ab. Ich gehe mit Marcel sogar noch einmal zum Bahndamm. Ich dachte das Felix die Sache heute Abend mit Julian vielleicht doch nicht so gut verkraftet hat und deshalb noch einmal hier her wollte, aber Fehlanzeige.

Es ist schon weit nach 1 Uhr, als wir wieder bei Lisa ankommen. Ich bin total nervös. Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Was kann in diesem fremden Land, in dem überall Schwerbewaffnete rumlaufen, mit Felix alles passiert sein. Ich kann gar nicht darüber nachdenken.

Mir fällt ein, dass wir doch eine Telefonnummer für Notfälle von unserer Reisegesellschaft hatten. Ich hole sie aus meinem Zimmer und gehe damit zur Rezeption. Der Diensthabende versteht mich scheinbar nicht richtig, sein englisch ist schlecht und mit deutsch erreiche ich gar nichts. Zumindest wird ihm klar, dass ich telefonieren will.

Ich bin ungeduldig, es klingelt sechs mal, bevor ich eine müde Stimme am Telefon höre. Ich versuche trotz meiner Aufregung in ruhigen, klaren Sätzen unsere Situation zu schildern, aber das Ergebnis ist niederschmetternd. Vor morgen früh, könnte man da gar nichts machen. Es sei nichts ungewöhnliches, dass ein Junge in seinem Alter über Nacht wegbleibt. Viele werden auch von Einheimischen eingeladen oder könnten der Verlockungen der billigen Prostitution nicht widerstehen. Das ist zu viel für mich, ich bin nahe daran die Frau am anderen Ende anzuschreien, kann mich aber gerade noch beherrschen. Sie erklärt mir noch, ich solle am Morgen sofort im Hauptbüro anrufen, wenn Felix bis dahin noch nicht wieder da ist und ich solle mir keine Sorgen machen. Damit ist das Gespräch beendet.

Ich gehe zurück zu den anderen. Sie sehen mich fragend an, aber ich kann nicht mehr antworten. Es war einfach zu viel heute. Ich lasse mich auf meinen Platz fallen und kann meine Tränen nicht mehr halten. Die Angst die ich heute Abend um Julian hatte ist wieder da. Nur jetzt habe ich Angst um Felix. Diese Angst ist noch viel größer und ich bin viel hilfloser.

Was sagte Felix am Abend: »Ich glaube verliebt sein ist verdammt anstrengend« Er hat recht. die Sorge um ihn schmerzt in mir. Ich könnte laut schreien. Was soll ich nur tun.

Marcel kommt zu mir herüber und legt mir den Arm um die Schulter.

»Mach dir keine Sorgen Maik, das wird sich alles aufklären. Deinem kleinen Schatz ist bestimmt nichts passiert.«

Bei den letzten Worten schreckt Lisa etwas zusammen.

»Wie meinst du das Marcel? 'seinem kleinen Schatz' ?«

Marcel sieht mir erschrocken ins Gesicht aber ich sage nur:

»Genau das wollten wir dir doch heute noch sagen. Wir haben uns ineinander verliebt. Felix ist mein Freund. Ich meine wir sind schwul, Lisa.«

»Nun jetzt ist mir alles klar. Ich habe mich schon gewundert, dass dich das alles so mit nimmt, aber glaube mir Maik, wir machen uns alle große Sorgen. Ihr seid also ein Paar? Nun das wird wohl Marie nicht gefallen.«

»Ach die, die ist schon drüber weg.«, meldet sich Julian zu Wort.

Die nächste Stunde will und will nicht vergehen. Keiner von uns kann ins Bett gehen. Wir diskutieren was wir tun könnten. Bei der Polizei anrufen, in den Krankenhäusern? Der Mann an der Rezeption versteht uns nicht. Er denkt wir brauchen einen Arzt. Es ist zum verzweifeln und ich weiß nicht, wie lange ich das noch durchhalte.

Es ist jetzt halb vier und ich glaube nicht mehr daran, dass Felix einfach so wieder auftaucht. Ich bin mir nun sicher, irgend etwas ist passiert mit ihm. Ich bin nur noch ein nervöses Wrack. Jedes Geräusch in der Umgebung erschrickt mich. Wo bist Du nur?

Plötzlich ruft der Mann an der Rezeption laut meinen Namen:

»Mister, Telefon for you ... Policestation Colombo for you ... «

Polizei? Colombo? Felix? Ich kann die Bausteine nicht mehr zu einem klaren Bild zusammensetzten. Ich habe einfach nur große Angst um den Menschen, den ich über alles liebe. Ich nehme zitternd den Telefonhörer und melde mich. Die anderen stehen bei mir.

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