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Aus Bastians Tagebuch

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Wenn ich heute noch einmal über all die Begebenheiten nachdenke, die in dieser Geschichte eine Rolle spielen (und die noch gar nicht so lange her sind), kommt es mir fast vor, als wenn ich die Erzählungen von jemand anderen lese. Vieles kommt mir so fremd vor. Vielleicht liegt es daran, weil es einfach ziemlich viele bewegende Ereignisse in einer sehr kurzen Zeit waren und ich nie Gelegenheit hatte, alles was geschehen war richtig zu verarbeiten.

Ich bin Sebastian, 19 Jahre alt -1,82 m groß - schwarze, kurze Haare - braune Augen und ..., naja das mag erst mal reichen zur Ansicht von außen. Ich hatte gerade mit meinem Zivildienst beim Deutschen Roten Kreuz begonnen und arbeitete dort im Rettungsdienst. Es war zwar mehr oder weniger Zufall, dass ich gerade diese Stelle bekam, aber ich habe es nicht bereut. Die Arbeit war sehr abwechslungsreich und interessant. Außerdem habe ich dort auch viele neue Leute kennengelernt. Einer davon war Nils.

Nils war zwei Jahre älter wie ich und wir verstanden uns vom ersten Tag an wirklich super. Er spielte in einem Sportclub Tischtennis und fragt mich, ob ich nicht Lust hätte, ab und zu mal mitzukommen. Natürlich hatte ich Lust. Schon weil ich wusste, dass dort auch eine ganze Menge Jungs in meinem Alter zu treffen waren und das machte mir die Entscheidung ziemlich leicht. Keine zwei Wochen später und ich war Mitglied im Club. Das Tischtennis spielen machte mir wirklich sehr viel Spaß und bei den ersten Wettkämpfen habe ich nicht mal so schlecht abgeschnitten. Natürlich fehlte mir noch ein wenig Training, aber ich war ganz zufrieden mit mir.

Mark war auch ein Neuling im Team. Er war erst vor einem halben Jahr in die Stadt gezogen und da er wie ich, noch nicht viele von den anderen Jungs kannte, haben wir uns schnell angefreundet. Mark erzählte mir, dass er mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder und seiner Mutter in die Stadt gezogen sei, weil seine Eltern sich getrennt hatten.

Mark war wirklich ein süßer Boy, er war 19 wie ich, war etwas größer, hatte kurze blonde Haare, blaue Augen und ein Lächeln, dass Eisberge zum schmelzen bringen würde. Nach dem Training saßen wir noch oft zusammen. Ich konnte ihm stundenlang zuhören, wenn er mit seiner leisen Stimme etwas schüchtern von seiner Vergangenheit und dem Ärger mit seinen Eltern erzählte. Es war ihm anzumerken, wie gut es ihm tat, über all diese Dinge mit jemanden zu reden. Er erzählte mir auch, dass er hier in der Disco ein Mädchen kennengelernt hat und das er wahnsinnig in sie verliebt ist.

Na prima, dachte ich, wäre ja auch zu schön gewesen, wenn dieser liebe Kerl annähernd das selbe für mich empfinden könnte, was ich mittlerweile für ihn empfand. Ja ich war wirklich ein wenig verliebt in Mark und trotzdem, so wie seine Augen blitzten, wenn er von Julia erzählte, konnte ich mich nur für ihn freuen.

Es ist halt wie immer dachte ich, du träumst von jemanden, du hoffst und dann - »peng« ist alles futsch.

Mark traf sich bald öfters mit Julia und kam auch seltener zum Training.

Ich dachte schon, dass unsere Freundschaft für ihn jetzt nicht mehr so wichtig war, aber genau das Gegenteil war der Fall. Er rief mich immer an und berichtete mir, wie es denn mit Julia so läuft und fragte mich um Rat, was ich den in der ein oder anderen Situation tun würde. Er war wirklich sehr glücklich und sagte immer »Das wirst Du ja auch bald alles erleben, glaub mir.«“ Ach Mark, wenn Du wüsstest. Ich war mir nicht sicher, ob ich jemals so etwas erleben werde und ich konnte ihm doch auch nicht sagen, dass ich das mit einem Mädchen auch gar nicht unbedingt erleben will, sondern viel lieber mit einem Jungen. Zu diesem Zeitpunkt glaubte ich noch, er würde das nie verstehen können und ich war auch nur ein einziges mal nah daran es ihm zu gestehen.

Ich war das erste mal bei Mark zu Besuch und bis zum Abendessen hatte wir es uns in seinem Zimmer gemütlich gemacht. Ich war sehr gespannt, denn er hatte die letzte Nacht zusammen mit Julia in einem Zelt verbracht und hatte versprochen, mir alles zu erzählen. Es war die erste Nacht, die sie zusammen waren.

»Nun sag schon Mark, wie war's?«, fragte ich neugierig.

»Ach Bastian es war der reinste Horror.«, meinte er. »Ich war viel zu sehr aufgeregt und hab's total vermasselt.«

Es war schon seltsam, jeder andere hätte wohl sonst wie von einem geilen Erlebnis geprahlt, aber Mark erzählte etwas traurig, dass es eben gar nicht so toll war. Ich wollte ihm gerade sagen, dass es beim nächsten Mal bestimmt schöner wird, da reißt jemand die Tür auf und schreit: »He, kommt ihr endlich essen, ich sterbe vor Hunger.« Der Junge, der vor mir stand, gab mir kurz die Hand und meinte: »Hi, ich bin Tobias.«, und war im selben Moment auch schon wieder verschwunden.

»Mein kleiner Bruder, macht immer Stress.«, lachte Mark. Ich wollte gerade aufstehen, als Mark mich noch zurückhielt »Bastian versprichst Du mir was?«

»Was denn?«, fragte ich überrascht.

»Na, das du niemanden von dem erzählst, was ich dir gerade gesagt habe. Ich erzähl dir das alles nur, weil Du mein bester Freund bist.« Ich hätte ihn jetzt am liebsten in den Arm genommen, aber ich hatte Angst er könnte es falsch (oder eher richtig) verstehen. Wir kannten uns ja erst eine kurze Zeit und das er sagte - »mein bester Freund« - machte mich sehr glücklich.

»Natürlich sage ich keinem was davon, was denkst du von mir?« Er war so offen und ehrlich zu mir, erzählte mir alles und ich wollte ihm schon fast gestehen, was ich schon immer wenigstens einem Menschen sagen wollte, dass ich schwul bin, aber ich hatte Angst und sagte nur leise: »Komm, wir gehen essen.«

Wie oft wollte ich es schon jemanden sagen, aber in meinem Bekanntenkreis war ich wohl der einzige Schwule und wer würde mich schon verstehen können? Wie oft hatte ich mir gewünscht, mit jemanden darüber sprechen zu können, aber immer wenn ich fast soweit war, kamen mir wieder neue Bedenken in den Sinn. Es ist als wenn du eine Tür öffnest, aber du kommst nicht in den nächsten Raum, sondern stehst wieder vor einer Tür.

Aber wer wird das schon verstehen. Es schien mir oft so, als ob ich der einzige Mensch auf der Welt war, der diese Probleme hatte.

Die nächste Zeit verbrachte ich oft bei Mark. Wir spielten zusammen mit seinem Bruder an der Playstation oder machten kleine Tischtennisturniere. Auch Tobias spielte gar nicht so schlecht. Julia war die Woche über im Internat und die Wochenenden ließ ich den beiden ihre Zeit für sich.

Als ich Mark und Tobias wieder einmal besuchte, hatte ich eine Neuigkeit für Mark: »Meine Eltern sind nächstes Wochenende nicht da und ich habe mir gedacht es wird Zeit, dass du auch mal meine anderen Freunde kennenlernst. Also es gibt 'ne kleine Party bei mir.«

»Ne Party, toll.« schrie Tobias: »Darf ich da auch kommen? Bitte!« Ich wollte eben zustimmen, aber Mark wehrte ab.

»Das ist doch keine Party für Babys, du bleibst schön zu Hause bei Mum.« Schlagartig verfinsterte sich der Blick von Tobias. Er widersprach nicht und schaute nur traurig auf den Boden. Ich hatte auch noch nie erlebt, dass Tobias seinen älteren Bruder widersprach. Er schien ihm voll zu vertrauen. Mark stand auf, strich Tobias mit der Hand durch's Haar und sagte »He Kleiner, klar nehme ich dich mit. Was hast Du denn gedacht?« Sofort strahlte Tobias wieder und Mark verließ das Zimmer mit einem breitem Grinsen »Ich hole was zu trinken, Jungs.«

Jetzt war ich mit Tobias alleine im Zimmer und fragte ihn »Du magst deinen Bruder sehr, oder?«

»Klar,«, meinte er, »es ist der beste Bruder den man sich wünschen kann, ich hab ihn sehr gern.« Tobias erzählte mir, dass sie sich nicht immer so gut verstanden hätten, aber seit sie wussten, dass ihre Eltern sich scheiden lassen, hatte sich das geändert und sie halten jetzt fest zusammen. Sie wollten nicht, dass ihre kleine Familie noch mehr zerbricht.

Ich hatte nie gefragt, was denn mit ihrem Vater sei und warum sie ihn nie besuchten, aber ich glaube, sie wollten auch nicht darüber sprechen.

In der nächsten Woche hatte ich ein Praktikum auf einem unserer Rettungswagen zu absolvieren. Es war der Abschluss meiner Ausbildung als Rettungshelfer. Die Arbeit war sehr interessant und ich habe viel gelernt. Ich hatte mich zu Nils einteilen lassen und auch wenn wir mal einen Einsatz hatten, der nicht so schön war, ich also auch mit dem Tod konfrontiert wurde, er fand immer die richtigen Worte.

Außerdem war ich gut gelaunt. Noch vier Tage bis zu meiner Party, meine Eltern waren nicht da und die Arbeit machte Spaß.

Es ist schön, wenn man Menschen helfen kann, vielleicht sogar Leben retten kann. Ich war zwar »nur« der Zivi, aber ich fühlte mich wichtig, wenn ich mit den anderen in den Rettungswagen stieg.

Es war Dienstag Abend. Noch eine halbe Stunde und ich hatte Feierabend. Nils saß am Schreibtisch und machte den Schriftkram als das Telefon klingelte. Es war der fünfte Einsatz heute.

»VKU in der Südstadt«, meinte Nils. »Ein Jugendlicher auf dem Mofa, ist von einem Betrunkenen angefahren worden und ist nicht ansprechbar.« Also schnell in den Rettungswagen, Blaulicht an und los. Während der Fahrt schaute ich noch einmal alles durch, was jetzt eventuell gebraucht wird: Infusionen, Spritzen, Verbandsmaterial und ich kontrollierte das Sauerstoffgerät. Am Unfallort angekommen war schon ziemlich viel los. Der Notarzt war schon da und auch die Polizei traf gerade ein. Es standen so viele Gaffer da, dass ich den Verletzten noch gar nicht sehen konnte. Ich nahm den Notfallkoffer aus der Halterung und wollte gerade aussteigen, als ich Nils hörte: »Lass den Koffer Sebastian, bring die Vakuummatratze mit.« Ich stellte also den Koffer zurück und holte das gewünschte.

Ich musste mich erst durch ein paar Leute drängeln bevor ich zu dem Verletzten kam und so wie ich ihn sah, traute ich meinen Augen nicht. Mir wurden meine Knie weich und ich konnte mich für einen Moment nicht mehr bewegen »Mark«, stammelte ich leise.

»Was ist mit dir los, Sebastian? Kennst du ihn?« fragte Nils. Ich konnte nicht antworten, da lag wirklich Mark, der da am Boden lag und vom Notarzt untersucht wurde.

»Komm Sebastian, er muss schnell in den Rettungswagen«, hörte ich Nils sagen. Von da ab, kann ich mich nicht mehr an alles erinnern. Es ging alles so schnell. Ich weiß nur noch, dass ich Mark im Rettungswagen durch sein Haar streichelte und immer leise »Mark« rief. Er hörte mich nicht. Er war nicht bei Bewusstsein.

In der Rettungsstelle des Krankenhauses bemühte ich mich, dass alles noch schneller geht als sonst und Mark schnell in's Behandlungszimmer kommt.

Ich sagte Nils das ich dableiben möchte. Ich hatte ja sowieso Feierabend.

Es war noch keine drei Monate her, als ich Mark kennenlernte und jetzt, hatte ich riesen Angst um ihn. Ich versuchte meine Gedanken unter Kontrolle zu bekommen, aber es gelang mir nicht.

Erst jetzt fiel mir ein, ob wohl jemand seine Mutter informiert hätte. Die Schwester sagte mir aber, sie sei auf dem Weg hierher.

Als sie zur Tür herein kam, überfiel sie mich gleich mit vielen Fragen. Sie zitterte vor Aufregung und ich war froh, dass in diesem Moment der Stationsarzt erschien, denn ich wusste nicht so recht, was ich ihr hätte sagen sollen.

»Frau Müller, ich kann ihnen im Moment noch nicht viel sagen, wir werden ihren Sohn auf die Intensivstation bringen.«, und schon war er wieder in einem anderen Zimmer verschwunden. Ich erzählte Mark's Mutter was ich von dem Unfall wusste.

Tobias war zu dieser Zeit bei seiner Oma zu Besuch und hatte von dem Unfall noch keine Ahnung.

Kurz nach Mitternacht kam der diensthabende Arzt noch einmal zu uns und sagte, es gäbe nichts neues. Mark liege immer noch im Koma und es wäre besser, wenn wir nach Hause fahren und ein wenig schlafen würden. Wir könnten hier im Moment eh nichts tun. Obwohl wir das beide nicht wollten, ließen wir uns doch überreden.

Am nächsten Morgen glaubte ich erst, ich hätte alles nur geträumt. Leider nein. Da ich am Nachmittag wieder arbeiten musste, fuhr ich gleich noch am Vormittag in's Krankenhaus und man sagte mir, dass sich die Situation noch nicht verändert hätte. Meiner Bitte, Mark sehen zu dürfen, stimmte man nur ungern zu, weil ich nicht zur Familie gehörte und Mark im Moment auch schon Besuch hatte. Ich könnte wenigstens vor das Zimmer und ihn durch die Glasscheibe sehen, seine Mutter wäre auch da.

Ich ging langsam den Flur entlang und hatte wieder die Bilder vom Unfall in meinem Kopf. Vor einem Zimmer stand Mark's Mutter. Wir begrüßten uns nur still und sie zeigte in sein Zimmer. Ich sah Tobias, wie er vor dem Bett kniete, die Hand seines Bruders hielt und weinte. Auch mir schossen jetzt die Tränen in die Augen.

Die nächsten zwei Tage vergingen wie in Zeitlupe. Bei Mark gab es keine Veränderung. Morgen sollte meine Fete stattfinden. Was sollte ich machen? Ich hatte zu allem anderen Lust als zu einer Party, aber all meine Freunde freuten sich darauf. Sie kannten Mark ja nicht.

Am Abend sprach ich mit seiner Mutter und sie meinte dann: »Macht die Party, es wird euch etwas ablenken. Vor allem Tobias. Er hat seit vorgestern kaum ein Wort gesprochen.«

»Tja, wegen Tobias bin ich ja auch hier.«, sagte ich. »Ich wollte mal sehen wie es ihm geht.« Ich ging die Treppe rauf zu seinem Zimmer und klopfte an die Tür. Es antwortete niemand und ich machte langsam die Tür auf.

»Darf ich rein kommen?« Tobias saß auf seinem Bett und hatte seinen Kopf auf seine Hände gestützt.

»Ja, klar«, seufzte er leise. Ich setzte mich neben ihn auf's Bett.

»He, kleiner Krieger, wie geht's dir?«, fragte ich.

»Und dir?«, antwortete er und schaute mich fragend an. Natürlich wussten wir beide wie es dem anderen ging. Ich sagte: »Was meist Du, wollen wir die Party morgen für Mark machen? Wir müssen ja nicht feiern wie verrückt, aber ich möchte meinen Freunden auf jeden Fall von Mark erzählen und ich denke Mark würde das auch wollen. Kommst Du?« Er zögerte.

»Ich hatte mich wirklich sehr darauf gefreut, aber jetzt? Ich würde Euch nur die Stimmung verderben.«, sagte er. »Auch ich habe Angst um Mark. Bitte hilf mir morgen ein wenig. Zusammen fällt es uns bestimmt leichter.« Ich legte ihm bei diesen Worten meine Hand auf seine Schulter. Ich sah, dass er unschlüssig war, aber nach einer Weile sagte er doch »OK, wenn Du meinst.«, und er versuchte sogar ein wenig zu lächeln.

Das Lächeln hat er von seinem Bruder dachte ich.

Am nächsten Abend war die kleine Fete ganz gut angelaufen. Ich hatte Tobias mit Arbeit ein gedeckt. Er hatte Getränke zu besorgen und dies und das zu erledigen und das hat ihn wohl auch etwas abgelenkt. Es waren ja auch alles neue Gesichter für ihn und so dachte er wohl nicht die ganze Zeit an seinen Bruder. Manchmal hörte ich Tobias sogar lachen. Ein paar Leute fehlten noch und ab und zu klingelte das Telefon und es meldete jemand sein verspätetes Kommen. Ich hatte auch versucht Julia zu erreichen, aber ihre Eltern sagten mir, sie müsste über's Wochenende im Internat bleiben.

Ich wusste nicht, wie sie die Sache aufgenommen hatte. Wir hatten uns bis dahin überhaupt erst zweimal gesehen und ich traute mich auch nicht richtig sie danach zu fragen. Was hätte ich ihr sagen sollen?

Maik, ein Schulfreund rief nach mir: »Eine Frau Müller ist am Telefon und will mit Dir sprechen.« Mark's Mutter? Vielleicht geht es Mark besser und er ist aus dem Koma aufgewacht, dachte ich. Wenn ich das Tobias erzählen könnte, wäre das ja super.

»Ja, Sebastian hier.« Sie sprach sehr leise und im Hintergrund hörte ich meine Gäste reden und natürlich lief auch Musik. So schnell, konnte ich gar nicht realisieren, was ich da eben gehört hatte. Ich legte den Hörer wieder auf und ging Richtung Küche. Ich hörte Tobias wieder lachen.

»Kommst Du mal.«, sagte ich zu ihm.

»Ja, was ist denn.« Wir waren allein in der Küche.

»Deine Mutter hat eben angerufen, sie war im Krankenhaus. Man hat Mark heute Nachmittag noch einmal operiert.« Tobias schaute mich ratlos an.

»Und, geht es ihm besser, ist er wach?«, fragte er ungeduldig. Ich konnte nichts mehr sagen, meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich brach in Tränen aus und nahm Tobias in den Arm. Es war als wenn ich erst jetzt die Worte verstand, die ich gerade am Telefon gehört hatte. Es war wie ein Stich in mein Herz, mit einer glühenden Nadel und die nächsten Worte wollten mir nur schwer gelingen.

»Nein Tobias, Mark ist vor einer Stunde gestorben.« Ich spürte wie Tobias anfing zu zittern. Er kämpfte mit sich. Ich drückte ihn fest an mich heran und wir weinten einfach nur. Ich wollte ihn so gerne trösten, aber wie ich auch nach Worten suchte, ich fand keine.

Etwas später brachte ich Tobias in mein Zimmer. Es war sowieso ausgemacht, dass er bei mir übernachten sollte und ich wollte im Wohnzimmer auf dem Sofa schlafen. Ich versuchte allen anderen die Situation zu erklären und sagte, dass ich jetzt lieber allein wäre. Meine Freunde waren wirklich sehr besorgt und verstanden mich.

Ich ging noch einmal in mein Zimmer. Tobias lag in meinem Bett und weinte.

»He Tobi, kommst du klar«, fragte ich und setzte mich vorsichtig auf das Bett.

»Ich brauch ihn doch so, was soll ich nur machen«, weinte er. Ich streichelt ihn durch seine Haare und er sagte noch etwas leiser: »Bitte Sebastian, lass mich heute Nacht nicht alleine hier. Bleib bei mir. Bitte.«

»OK.«, antwortete ich.

Zehn Minuten später lagen wir nun beide in meinem Bett, eng aneinander gekuschelt, den anderen fest im Arm und weinten. Wie oft hatte ich mir in meinen Träumen gewünscht, einmal so mit einem Jungen im Bett zu liegen. Und jetzt? Jetzt ist alles anders, ich bin einfach nur tief traurig und würde viel dafür geben, dass diese Geschichte anders verlaufen wäre. Ich würde alles dafür geben.

Ich konnte lange nicht einschlafen, dachte an Mark, dachte an die Stunden die wir zusammen verbracht hatten, dachte an seine Offenheit mir gegenüber und an sein Lächeln, dass ich nun nie mehr sehen sollte. Ich war wütend auf mich selbst, dass ich gerade heute nicht bei ihm war.

Warum nur gerade Mark? Warum er?

Ich fühlte mich schlecht, weil ich ihm nie die ganze Wahrheit über mich erzählt hatte und ich war mir jetzt sicher, er hätte es verstanden. Bestimmt.

Die nächsten Wochen war ich fast jede freie Minute mit Tobias zusammen. Er blieb auch oft über Nacht bei mir und hatte sogar sein eigens Gästebett in mein Zimmer bekommen. Seine Mutter war froh, dass ich es geschafft hatte, Tobias von seinem großen Verlust ein wenig abzulenken und wenn ich Mark auch nicht ersetzen konnte, war ich doch gern mit Tobias zusammen. Sehr gern sogar und ich hatte schon ein schlechtes Gewissen dabei. Ich glaubte, dass Tobias wirklich eine Art Bruderersatz bei mir suchte. Er nahm mich gern in den Arm suchte meine Nähe und erzählte mir sehr viel aus seinem tiefsten Inneren. Warum ich ein schlechtes Gewissen dabei hatte? Nun für mich war es mittlerweile mehr als nur gute Freundschaft, ich liebte es mit ihm zusammen zu sein, ihm nah zu sein. Ich hatte aber auch Angst seine Gefühle die mit dem Tod seines Bruders in Verbindung standen dafür zu missbrauchen.

Mir fiel auf, dass ich mich in ihn verliebt hatte, ohne je darauf zu achten, dass er eigentlich total süß aussah. Was mir früher bei anderen Jungs so total wichtig war, beachtete ich bei ihm am Anfang gar nicht. Ich mochte seine Art, sein Wesen unabhängig von seinem Aussehen. Trotzdem war er sehr »niedlich« - ca 1,75m - kurze dunkelblonde Haare - blaugraue Augen und das selbe, liebe Lächeln wie sein Bruder.

Eines Abends als er wieder mal bei mir übernachtete, war er ganz seltsam. Tobias sollte am nächsten morgen auf eine Klassenfahrt gehen und ich sollte ihn gleich früh zum Bahnhof fahren, da seine Mutter arbeiten musste. Er sagte den ganzen Abend kaum etwas und ich hatte das Gefühl, dass er unbedingt etwas loswerden wollte. Wir hatte uns schon beide hingelegt und uns eine 'Gute Nacht' gewünscht, als er plötzlich an mein Bett kam.

»Darf ich dich was fragen, Sebastian?«

»Na immer. Schieß los.« Ich merkte, dass ihm die Worte nicht leicht von den Lippen kamen und das er innerlich sehr aufgeregt war.

» Ich meine... Na ja... Ähm...«

»Komm, sag schon was ist?«, machte ich ihm Mut.

»Na ja, ich meine... findest Du es sehr schlimm, wenn ein Junge einen Jungen liebt?« Die Frage verblüffte mich zwar etwas, aber ich musste da ja nicht lange nachdenken und sagte »Wenn sich Zwei lieben, ist das immer etwas sehr schönes was wunderbares, ganz egal ob es zwei Jungen oder zwei Mädchen sind oder eben ein Junge und ein Mädchen.« Jetzt schien er etwas mutiger zu werden.

»Und wenn ich einen Jungen liebe, was wäre dann?« Er schaute mich dabei total unsicher an.

»Dann wird es Zeit mein kleiner Tobi, dass du mir den Glückspilz mal vorstellst.« Ich hatte mich aufgesetzt und ihm die letzten Worte mehr oder weniger ins Ohr geflüstert.

»Das brauch ich nicht, du kennst ihn gut. Er weiß aber noch nichts davon.«, sagte er.

»So?«, fragte ich verdutzt.

»Wer ist es denn?« Er setzte wieder dieses unheimlich süße Lächeln auf, in dem aber auch etwas Unsicherheit zu erkennen war.

»Du bist es Basti. Ich liebe DICH.« Er kam dabei näher an mich heran und schaute mir tief in die Augen.

Wow, natürlich hatte ich gehofft, dass dieses Gespräch so ausgeht, aber er hat mich doch ganz schön auf die Folter gespannt und dafür wollte ich ihn nun noch ein wenig zappeln lassen und sagte erst mal nichts.

»Und jetzt?«, fragte er schon fast ängstlich.

»Willst du noch mein Freund sein, nachdem du das weißt?« Ich musste ein wenig grinsen sagte aber sehr ernst: »Nun Tobi, nachdem ich das weiß, wirst du wohl nie wieder hier in meinem Zimmer auf dem Gästebett schlafen.« Er wollte etwas antworten aber ich hielt ihn mit einem Finger den Mund zu und sagte weiter: »Wenn du hier bei mir schläfst, dann nur noch in meinem Bett.« Auch darauf wollte er etwas antworten, aber er kam nicht mehr dazu. Ich war schneller, nahm ihn ganz fest in den Arm und gab ihm einen langen, zärtlichen Kuss.

»Ich hab dich doch auch lieb, du Dummkopf.«

»Basti, ich hab mich noch nie bei jemanden so wohlgefühlt, ich möchte dich ganz nah bei mir spüren.«

»Ich Dich auch«, und wir verloren uns wieder in einem endlosen Kuss.

Während wir uns küssten, streichelten wir uns, ohne eine Stelle des anderen auszulassen und zogen uns dabei ganz langsam aus. Bald lagen wir beide nackt in meinem Bett. Ganz nah bei einander. Seine Hände zauberten ein wundervolles Gefühl auf jede Stelle meines Körpers die sie berührten. Zuerst noch etwas unsicher, aber bald verlor er jede Hemmung. Die Wärme und Geborgenheit, die er mir gab, nahmen mir fast die Besinnung. Meine Hände fühlten jeden Zentimeter seiner warmen, weichen Haut, wie in einem Feuer, in dem man sich nicht verbrennt. Ich fühlte seine Erregung und ich genoss es, die Stellen an seinem Körper zu berühren, von denen ich bis dahin immer nur geträumt hatte, sie bei einem anderen Jungen zu berühren. Ich fühlte seinen Körper und hörte sein leises stöhnen. Wir sprachen nicht mehr, wir mussten nicht mehr sprechen, wir waren eins.

Alles was ich mir so oft vorgestellt hatte, war nichts gegen dieses Gefühl und ich wünschte, dass es nie aufhören sollte.

Schade, dass er am nächsten Morgen erst mal für zwei Wochen weg muss, dachte ich. Ich konnte es kaum erwarten, bis er wieder da war.

Aber das ist schon eine ganz andere Geschichte.

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