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Die Söhne des Pharao

Teil 8

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

Amenhotep in Tanis

Als Prinz Amenhotep vor Tanis eintraf, war alles ruhig. Nichts deutete zunächst darauf hin, dass eine große Schlacht stattgefunden hätte. Dann wurde er der beiden großen Heerlager östlich und westlich der Stadt gewahr. Wäre noch ein Feind in der Nähe gewesen, hätten sie nicht dort ihre Lager aufgeschlagen.

Die Nachricht von der Ankunft des Prinzen mit dem Regiment des Amun eilte ihm voraus. Von beiden Regimentern näherten sich Streitwagen und eine größere Abordnung verließ die Stadt. Die Leute an der Straße jubelten ihm zu.

Amenhotep bemerkte in der Abordnung aus Tanis die hochgewachsene Gestalt von Kutari und steuerte auf ihn zu. Kurz vor der Gruppe hielt er seinen Streitwagen an und sprang herunter.

Alle versammelten Würdenträger verneigten sich tief. Die Diener und Sklaven warfen sich zu Boden. Amenhotep bedachte sie mit einem Kopfschütteln, dann lachte er Kutari an.

„Kutari, mein Freund. Wenn der Aufseher der Fragen des Pharao Antworten verlangt, versagen sogar Speer und Axt. Berichte mir, was sich zugetragen hat.“

Kutari kannte den Prinzen gut genug, um den Bericht nicht unnötig hinauszuzögern. Dennoch galt es, der Etikette Genüge zu tun. Er ließ die Diener und Sklaven wieder aufstehen und gab ihnen ein Zeichen, sich weiter zurückzuziehen.

„Hoheit, dies ist der zukünftige Nomarch Neferhetep. Mit seiner Hilfe und der Hilfe der Regimenter des Heru Pa-Djet Hasani ist es gelungen, die Angreifer zur Kapitulation zu zwingen.“

In kurzen Worten schilderte Kutari den Verlauf der Schlacht. Amenhotep lauschte schweigend, dann stellte er ein paar kurze Fragen an den Heru Pa-Djet. Erst als er sich ein Bild von der Schlacht gemacht hatte, wandte er sich anderen Aufgaben zu.

„Ihr seid Neferhotep, der Sohn des in die Ewigkeit eingegangenen Nomarchen Rechmire?“

„Ja, Hoheit. Und dies sind meine Brüder Ramose und Udabi.“

Alle drei verneigten sich noch einmal.

„Udabi? Derjenige, der sieben Tage durch die Wüste gewandert ist, nur um eine Nachricht zu überbringen?“

Udabi wurde blass.

„Ihr wisst davon, Herr?“

„Ich weiß sogar von einem Diener namens Paneb. Prinz Netermest wird sich freuen, wenn er hier eintrifft. Dann kann er auch den letzten seiner Brüder kennenlernen.“

Die drei Brüder warfen sich unsichere Blicke zu. Kutari hatte ihnen zwar erklärt, in welchem Verhältnis Paneb und Chaemwase zu den Prinzen standen, doch es hier so gesagt zu bekommen war etwas anderes. Was bezweckte Prinz Amenhotep mit diesen Äußerungen?

„Ihr braucht nicht so entsetzt zu blicken. Es wird nichts Schlimmes passieren. Kutari, wir sehen uns nachher noch. Ich möchte zunächst mit den Kommandeuren reden und dann die Vorbereitungen für die Verfolgung der Hethiter treffen.“

Kutari verbeugte sich und Amenhotep machte formlos kehrt um sich den Soldaten zuzuwenden. Kutari zog zusammen mit der Delegation des Nomarchen wieder zurück zum Palast.

„Was bedeutet das? Woher weiß Prinz Amenhotep den Namen eines unbedeutenden Dieners? Muss Paneb schon wieder um sein Leben fürchten?“

„Udabi, was hat der Prinz vorhin gesagt? Es wird nichts Schlimmes passieren. Und wenn er das sagt, dann ist das so. Er gehört zu den Leuten, die sich auch Kleinigkeiten merken und dann, wenn sie wichtig werden, darauf zurückkommen.“

Kutari überlegte einen Moment.

„Er weiß zum Beispiel, dass du und Paneb ein Paar seid.“

Udabi machte ein entsetztes Gesicht.

„Was? Aber dann…“

„Nichts aber. Es stört ihn nicht. Er nimmt es so hin, wie es ist. Doch stell dir mal vor, es kommt ein Moment, wo er deine Unterstützung, oder die deiner Brüder braucht. Seid ihr ihm nicht viel wohlgesonnener, wenn ihr euch daran erinnert, wie großmütig und aufgeschlossen er euch gegenüber war?“

„Hm. Eine freundliche Geste für eine andere, vielleicht noch in weiter Ferne.“

„Genau. So macht er sich Freunde und Verbündete.“

Neferhetep und Ramose hatten dem Gespräch gelauscht und nickten nun schweigend.


Prinz Amenhotep suchte Kutari tatsächlich noch später am Tag in seinen Räumen auf.

„Kutari, mein Freund. Es sieht so aus, als hätten wir beide damals doch die richtige Entscheidung getroffen.“

Der Prinz lachte bei Kutaris fragendem Gesicht.

„Lass bitte Rahotep holen. Ich möchte ihm persönlich danken.“

Auf einen kurzen Wink von Kutari hin verschwand Kanefer und kam kurz darauf mit Rahotep wieder. Der junge Leutnant schien sich nicht wohl zu fühlen beim Anblick des Prinzen.

„Rahotep. Wie es scheint, hast du endlich deine Bestimmung gefunden.“

Rahotep wechselte mit Kutari einen verständnislosen Blick und Prinz Amenhotep lachte.

„Er hat seine Soldaten ausgesandt, die Einwohner der umliegenden Ortschaften und auch die Händler aus dem Osten zu befragen. Wir haben einen guten Überblick darüber bekommen, wo sich die Hethiter in etwa verborgen halten.“

Kutari nickte. Rahotep hatte es ihm vorgeschlagen. Der junge Leutnant schien sich tatsächlich für seine Aufgaben von Aufklärung und Ermittlung zu begeistern.

„Er hat es selbst vorgeschlagen. In ihm stecken noch einige unerkannte Talente.“

„Kutari, du weißt, wie ich solche Angelegenheiten handhabe. Ich versuche immer, die Leute dort einzusetzen, wo sie mit ihren Fähigkeiten den größten Nutzen bringen. Rahotep ist bei dir deutlich besser aufgehoben als bei mir, wo er ohnehin nur Streitwagen zerstört.“

Kutari und Amenhotep lachten und Rahotep machte ein säuerliches Gesicht.

„Morgen früh werden wir mit dem ersten Licht des Herrn Re losziehen. Ich werde das Regiment des Amun und beide Infanterieregimenter mitnehmen. Der neue Nomarch wir die Stadt mit seinen eigenen Truppen verteidigen müssen, sollte noch etwas Unerwartetes passieren. Wie weit ist eigentlich die Einbalsamierung des alten Nomarchen fortgeschritten. Die Bestattung sollte doch bald sein. Und dann muss unser göttlicher Herrscher auch noch den neuen Nomarchen bestätigen.“

Kutari seufzte leicht.

„Die Einbalsamierung ist abgeschlossen. Die Bestattung hätte schon stattfinden können, wurde aber wegen des Überfalls verschoben. Sie wird wohl in den nächsten Tagen stattfinden. Was die Bestätigung des neuen Nomarchen betrifft, so habe ich in meinen Unterlagen auch die Urkunde unseres göttlichen Herrschers. Je nach dem, was ich hier vorfinde und wie ich entscheide, soll ich den Willen unseres Herrn verkünden.“

Amenhotep stutzte, dann lachte er.

„Unser göttlicher Herrscher ist uns allen immer einen Schritt voraus. Er setzt großes Vertrauen in dich und deine Urteilsfähigkeit. Ich nehme an, du hast auch eine Urkunde für den Fall, dass der neue Nomarch schuldig gewesen wäre.“

Kutaris Schweigen war Antwort genug.

Netermest in Men-nefer

Das Verschwinden der hethitischen Prinzessin verursachte einige Hektik. Fürst Menemhet tobte vor Zorn. Prinz Netermest konnte ihn gerade noch davon abhalten, die Wachen der Prinzessin ebenfalls einkerkern zu lassen.

„Was ist denn genau passiert?“

„Wenn wir das wüssten! Sie war in einem bewachten Zimmer im Palast untergebracht. Eine der Dienerinnen des Palastes war ihr zugeteilt worden. Es gibt nur einen Zugang und der wurde von Soldaten der Palastwache dauernd bewacht.“

„Wo ist die Dienerin jetzt?“

„Tot. Sie lag in dem Zimmer. Man hat ihr den Hals durchgeschnitten.“

„Und die Wachen? Haben die nichts bemerkt?“

„Hauptmann Sinuhe ist bei den Vernehmungen. Ich schicke ihn zu euch, sobald er fertig ist.“

Hauptmann Sinuhe war ein kleiner, vierschrötiger Mann mittleren Alters mit einem grimmigen Gesicht.

„Ihr wolltet mich sehen, Herr?“

„Ja. Was haben die Vernehmungen ergeben?“

Der Hauptmann grunzte abfällig.

„Nichts. Die Dienerin ist tot, wohl von einem großen Dolch gestorben. Doch niemand hat etwas gehört oder gesehen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, die Wachen haben geschlafen.“

Netermest überlegte einen Moment.

„Ich möchte gerne, dass die Wachen von meinem Arzt untersucht werden. Lass sie sie im Innenhof antreten.“

Hauptmann Sinuhe hob eine Augenbraue, doch er war lange genug Soldat um nicht zu widersprechen.

Als Netermest zusammen mit Nataki und Gemni in den Innenhof kam, war Hauptmann Sinuhe mit den vier Wachposten bereits dort. Nataki zog jeden der Soldaten ins helle Sonnenlicht und sah in seine Augen.

„Dieser hier. Seine Augen reagieren noch nicht schnell genug auf die Sonne. Man hat ihm etwas gegeben.“

Der Hauptmann wollte schon losbrüllen, doch Prinz Netermest hob eine Hand.

„Sag, wie heißt du?“

„Rechmire, Herr.“

„Nun, Rechmire. Der Arzt hat gesagt, man hätte dir etwas gegeben. Hast du etwa heimlich auf der Wache etwas getrunken?“

Rechmire wurde blass, doch er schüttelte den Kopf.

„Es war nur etwas verdünnter Wein, Herr. Und noch nicht einmal besonders guter. Der Diener, der ihn brachte, sagte etwas von einer Gabe durch einen hochgestellten Herrn.“

„Welchen Geschmack hatte der Wein?“

Der Soldat wandte sich an Nataki.

„Er war leicht bitter, Herr.“

„Und dann bist du eingeschlafen.“

Nach einem kurzen Blick auf seinen Hauptmann senkte Rechmire seinen Kopf und schwieg. Hauptmann Sinuhe war sichtlich nicht erfreut.

„Das wird Folgen haben. Ihr wisst alle, dass während der Wache nichts gegessen oder getrunken werden darf.“

Prinz Netermest gab dem Hauptmann ein Zeichen und der zog mit seinen Soldaten wieder ab.

„Also, was haben wir hier? Die Wache wird betäubt und die Dienerin ermordet. Wer kann so etwas durchgeführt haben, ohne erkannt zu werden. Besonders, wenn er die Prinzessin auch noch aus dem Palast herausbringen musste.“

Gemni brummte unwillig, während er noch schrieb.

„Einen Moment, Herr. Wie sollen die Zeichen denn alle gleich aussehen, wenn ich abgelenkt werde.“

Netermest starrte Gemni an, dann lachte er.

„Natürlich. Sie sehen alle gleich aus. Die Dienerschaft im Palast ist so zahlreich, dass niemand alle kennen kann. Was ist einfacher als sich als Diener zu verkleiden und dann an den Wachen vorbei zu gehen.“

Der Prinz sah sich im Innenhof um und entdeckte zwei Wachposten vor einem der Ausgänge.

„He, du da! Sag, werden alle Diener kontrolliert wenn sie hier rein und raus gehen?“

Der Posten starrte Netermest irritiert an, doch dann siegte der militärische Drill.

„Nein, Herr. Da hätten wir den ganzen Tag viel zu tun.“

„Aber ihr kennt die Diener, die im Palast arbeiten?“

Jetzt blickte der Posten zu seinem Kameraden auf der anderen Seite der Tür, doch der tat so, als ob er nichts mitbekommen würde.

„Nein, Herr. Es sind so viele und sie wechseln ja auch andauernd. Selbst der Oberste Verwalter wird wohl nicht alle kennen.“

Netermest sah seine Vermutungen bestätigt. Dann fiel ihm noch etwas ein.

„Wenn ein Bediensteter reisen muss, sagen wir, eine Ware schnell irgendwo hin bringen. Wer veranlasst das?“

Der Posten war froh, dass er diese Frage problemlos beantworten konnte.

„Das macht der Verwalter Paser. Er stellt auch Pässe aus für Reisen jenseits unseres Gaus.“

Netermest nickte dankend. Da hatte er ja schon sein nächstes Opfer gefunden.

Der Verwalter Paser war sich keiner Schuld bewusst.

„Aber Herr, er kam im Auftrag des Nomarchen. Hat er zumindest gesagt. Und wer würde schon das Wort unseres Herrn anzweifeln?“

Netermest verdrehte die Augen.

„Nun denn, Paser. Wohin hat denn der Nomarch angeblich den Diener gesandt und wer war seine Begleitung?“

„Oh, das waren nur zwei weitere Diener und eine Dame, die sie nach Norden begleiten sollten. Für die Dame haben sie extra eine Eselssänfte bekommen.“

Netermest überlegte. Eine Eselssänfte war ein Tragegestell mit Sitz zwischen zwei Eseln. Sehr schnell war dieses Gefährt nicht. Und Norden war wahrscheinlich die einzige Himmelsrichtung, wo er nicht zu suchen brauchte.

„Wo können sie hin sein? Nach Norden sehr wahrscheinlich nicht. Erstens ist der Weg zur Küste weit und führt durch den Ostgau, zweitens hätte er das dem Verwalter nicht so offen erzählt. Nebamun, wohin?“

Doch auch die Begleiter des Prinzen sahen sich ratlos an.

Semsu fuhr zusammen, als Haran ihn leicht anstieß.

„Was ist denn?“

Haran sah entschuldigend zum Prinzen.

„Semsu hat da eine Idee. Ich habe ihm von der Wüste im Osten erzählt und wie die Überschwemmung das Wasser bis in die entlegensten Gebiete bringt. Wenn das Wadi Tumilat so viel Wasser führt, dass man nicht mehr von dem einen an das andere Ufer gelangen kann, sollte man es auch befahren können. Semsu meint, mit einem Binsenboot wäre das ohne weiteres möglich.“

Netermest fuhr herum zu Verwalter Paser, der zusammenschreckte.

„Sag, Paser, ist das Wadi schiffbar?“

„Ja, Herr. Nein, Herr. Also nicht direkt, Herr.“

Nebamun verdrehte die Augen und herrschte den Verwalter an.

„Was denn jetzt? Ja oder nein?“

„Also, es sind Fischer auf dem Wadi in ihren Binsenbooten. Die können während des Hochwassers bis an das östliche Ende zum Grenzkontrollpunkt fahren. Dort ist eine kleine Festung erbaut worden, wegen des Grenzverkehrs in den Sinai und nach Edom.“

Netermest fuhr herum.

„Semsu, wie viele Personen fasst so ein Binsenboot?“

„Oh, wenn sie fischen wollen, wohl bis zu sechs Personen. Wenn ein zusätzliches Segel ausgebracht wird, vielleicht vier.“

„Ein Segel? Wir müssen uns beeilen! Wir brauchen Hauptmann Nefermose und seine Streitwagen. Ein Kurier geht sofort nach Tanis. Amenhotep und Kutari müssen das nördliche Ufer überwachen. Wir ziehen mit unseren Streitwagen am südlichen Ufer entlang. Semsu, kannst du so ein Binsenboot segeln?“

Semsu macht ein nachdenkliches Gesicht, nickte dann aber zögernd.

„Alles fertig machen zur Abreise. Der Haushalt wird auf die Streitwagenkompanie verteilt. Ha, holt Kapitän Sendji. Da kann er auch mal ein kleines Boot führen. Semsu, lass dir von Nebamun zwei Bogenschützen zuteilen. Ihr begebt euch sofort nach Norden und besorgt euch ein Boot mit Segeln. Notfalls wird es beschlagnahmt im Namen unseres göttlichen Herrschers. Wir folgen euch, sobald wir alles sortiert haben. Auf dem Weg…“

Netermest stutzte.

„Sie müssen also doch nach Norden?“

Verwalter Paser fühlte sich angesprochen und nickte heftig.

„Aber ja, Herr. Es gibt mehrere Möglichkeiten, das Land nach Osten hin zu verlassen. Als erste natürlich der Fluss bis hin zum großen Grünen. Dann der Karawanenweg nach Nord-Osten in Richtung Gaza, oder der Karawanenweg nach Süden in Richtung Sinai. Direkt nach Osten führt der Weg über Edom weiter nach Osten zu den Schasu und den Aramäern.“

„Sie müssen aber nach Norden, wenn sie nach Hause wollen. In Gaza können sie sich nicht blicken lassen, das ist eines unserer Verwaltungszentren.“

„Wenn sie sich von der Küste fernhalten, können sie im Land der Aramäer bis nach Kadesch kommen.“

„Wir müssen sie unbedingt einholen. Wir machen es wie besprochen. Eine Nachricht an Prinz Amenhotep, er soll den nördlichen Karawanenweg überwachen. Wir nehmen mit unseren Streitwagen den Weg südlich des Wadi Tumilat und Sendji und Semsu befahren das Wadi bis an den östlichen Grenzposten. Dort sollten wir uns alle wieder treffen.“

Semsu auf dem Wadi Tumilat

Sie waren drei Tage unterwegs, bis sie am Ufer des neu entstandenen Sees auf eine Siedlung mit Fischern gestoßen waren.

In Änderung seines Planes hatte der Prinz der kleinen Gruppe noch den Schreiber Userib mitgegeben. Die beiden Bogenschützen hatte Nebamun aus seiner Kompanie ausgesucht. Dabei hatte er Wert darauf gelegt, dass sie schwimmen konnten. Beide waren mehr als begeistert von diesem Abenteuer.

Als die fünf das Dorf betraten, schwiegen die Leute ringsum und starrten sie neugierig an. Userib ließ halten. Er hatte sich als Schreiber plötzlich in einer leitenden Position wiedergefunden, was ihn noch etwas verunsicherte. Semsu lächelte ihn kurz an, dann glitt sein Blick suchend über die Leute. Bei einem alten Mann blieb sein Blick hängen.

„Ihr bleibt hier. Ich werde erst mal alleine mit ihm sprechen und versuchen, etwas herauszubekommen.“

Es dauerte eine ganze Weile, bis Semsu wiederkam.

„Sie waren tatsächlich hier. Dieser Depp aus Men-nefer hat eines der großen Boote beschlagnahmt und obendrein einen der Fischer gezwungen, sie auf dem Wasser nach Osten zu bringen. Die Leute hier sind zu Recht zornig und misstrauisch.“

„Was machen wir jetzt? Ohne Boot kommen wir nicht weiter.“

Semsu nickte Userib zu.

„Ich weiß, aber die Boote sind die Arbeitsgrundlage der Fischer. Sie würden uns steinigen, wenn wir eines nehmen.“

Userib kramte wortlos in seiner Tasche mit den Schreibutensilien.

„Ah, hier. Mach mal eine Hand auf.“

Gespannt streckte Semsu eine Hand aus und Userib legte etwas hinein. Semsu sah verblüfft auf zwei kleine glänzende Ringe.

„Zwei Silberdeben! Das ist mehr als ein Fischer im ganzen Monat verdient! Woher hast du die?“

„Prinz Netermest hat sie mir gegeben. Er hat wohl geahnt, dass es hier nicht so einfach sein würde.“

Semsu ging wieder hinüber zu dem alten Mann. Selbst auf die Entfernung erkannte man das misstrauische Gesicht, dass er machte, das jedoch in grenzenlose Verblüffung wechselte, als ihm Semsu die zwei Deben gab.

Der alte Mann verschwand und kam kurze Zeit später mit einem weitaus jüngeren Mann wieder. Semsu führte ihn hinüber zu seiner kleinen Gruppe.

„Das ist Herihor, unser Bootsführer. Der Schreiber ist Userib, dann hier Kapitän Sendji von den königlichen Barken aus Theben und die beiden Bogenschützen Merib und Inek.“

Herihor war sichtlich beeindruckt von Userib und Sendji. Er nickte nur schweigend.

„Wir müssen sofort los. Ich möchte sie unbedingt noch einholen, bevor sie das östliche Ende erreichen.“

„Dann folgt mir.“

Am Ufer, versteckt in hohem Schilf, lag ein Boot. Userib hob seine Augenbrauen. Was auch immer er sich vorgestellt hatte, das war es nicht. Das Schiff mit hochgezogenem Bug und Heck maß gute zwanzig meh-nesut. Selbst Semsu staunte.

„Wozu braucht ihr so ein großes Boot?“

Herihor lächelte.

„Es ist zum Sammeln. Wir fahren den See der Länge nach ab und übernehmen von den Fischern ihren Fang. So können sie die doppelte Zeit draußen bleiben. Kommt rüber.“

Sie wateten eine kurze Strecke und kletterten dann ins Boot, während Herihor den Stein an Bord hievte, der als Anker diente.

„Helft mal bitte mit dem Mast.“

In der Mitte des Bootes war ein ausgehöhlter Holzklotz eingelassen. Dort wurde ein grob behauener Palmenstamm eingesetzt und mit mehreren Tauen nach hinten und den Seiten gesichert. Oben am Mast wurde eine Rah angeschlagen und ein grob gewebtes Segel fiel herab.

Kapitän Sendji betrachtete misstrauisch die improvisierte Konstruktion. Doch trotz aller Zweifel waren sie schon kurze Zeit später mit guter Fahrt in Richtung Osten unterwegs. Kapitän Sendji sah fachkundig zu, wie der junge Bootsführer das Segel geschickt ausrichtete und den schräg einfallenden Wind nutzte. Er musste zwar den Druck des Windes auf das Segel durch einen geänderten Kurs ausgleichen, doch sie fuhren immer noch deutlich schneller als mit Ruderern oder gar mit einer gestakten Stange.

„Wie lange werden wir brauchen?“

Herihor sah nach oben und verfolgte den Lauf des Herrn Re, der bald in die Gefilde der Unterwelt versinken würde.

„Ich weiß nicht, wie schnell sie sind und ob sie in der Dunkelheit weiterfahren. Wenn wir weiterfahren würden, wären wir noch vor dem Wiedererscheinen des Herrn Re in Timsah.“

Udabi sah nachdenklich zu den beiden nicht weit entfernten Ufern.

„Gibt es bestimmte Punkte, die für eine Übernachtung angelaufen werden?“

Herihor schüttelte den Kopf.

„Die Fischer bringen ihre Boote am Abend in die jeweiligen Dörfer und fahren dann mit der ersten Morgendämmerung wieder hinaus. Es besteht keine Notwendigkeit ein fremdes Dorf anzulaufen. Es gibt einige, die auch nachts fischen, doch die ankern einfach, legen ihre Netze aus und schlafen ein wenig. Am Morgen fahren sie dann zurück.“

Semsu nickte. Er kannte die verschiedenen Methoden der Fischer in den flachen Gewässern des Deltas, die sich etwas von denen der Fischer auf dem großen Fluss unterschieden.

„Wird der Bootsführer nachts durchfahren?“

„Ich kenne Itami. Er ist sehr vorsichtig und wird sich wohl weigern, während der absoluten Dunkelheit zu fahren.“

Userib seufzte.

„Das wird seinen Fahrgästen aber nicht gefallen. Wie ich die Frau kenne, wird sie darauf bestehen auch nachts zu fahren.“

„Dann wird sich Itami wohl dicht am Ufer halten. Das nördliche Ufer ist flach und weniger bewachsen. Das südliche Ufer hat einige Steilkanten, ein paar Untiefen und ist an vielen Stellen dicht von Schilf bewachsen.“

Semsu sah nach Süden.

„Also werden sie wohl an der Nordseite entlangschleichen. Keine Untiefen und keine Gefahr, im Schilf die Orientierung zu verlieren.“

Herihor nickte.

„Das sehe ich genauso. Ich hätte kein Problem, in der Dunkelheit zu fahren. Wir könnten bis zum Beginn der Morgendämmerung am anderen Ende des Wadis sein und dort drehen. Damit kommen wir von Osten. Sie werden Verfolger wohl eher hinter sich vermuten.“

Userib strahlte.

„Gute Idee. Genauso machen wir es. Bin gespannt, ob wir sie wirklich überraschen können.“

Mit Beginn der Abenddämmerung suchte sich Herihor einen der tief stehenden Sterne am östlichen Himmel aus und steuerte auf ihn zu.

Kapitän Sendji befragte Herihor nach seinem Tun und musterte den jungen Bootsführer erstaunt.

„Warum hast du ausgerechnet diesen Stern genommen? Er steht doch im Nordosten.“

„Er wird im Laufe der Nacht wandern. Am Morgen wird er im Südosten stehen. Wir fahren dadurch zwar einen etwas weiteren Weg, können aber sicher sein, dass wir den Weg nach Osten nicht verlassen.“

Sendji hatte die Berichte gelesen von den Expeditionen nach Punt, die während der Zeit der Regentin stattgefunden hatten. Auch da hatten sich die Schiffsführer, wenn sie das Land außer Sicht verloren hatten, nach den Sternen orientiert. Sendji hatte sich gewundert, wie das funktionieren sollte, aber nun hatte ihm ein junger Mann ein praktisches Beispiel gezeigt.

Als der erste schmale Streifen Helligkeit sich am östlichen Ufer zeigte, konnte man in der Ferne bereits ein Bauwerk erkennen.

„Dort. Das ist die Festung Timsah. Dort endet das Wadi. Die Festung liegt auf einer kleinen Anhöhe und ist auch gleichzeitig der Endpunkt zweier Karawanenwege die nördlich und südlich des Wadis verlaufen. Sie werden hauptsächlich genutzt, wenn dieser Teil hier nicht überschwemmt ist.“

„Es ist niemand auf dem Wasser zu erkennen.“

„Darauf hatte ich gehofft. Wir werden jetzt umdrehen und am nördlichen Ufer entlang zurückfahren. Das geht aber nur ohne Segel. Das Ufer ist flach, da können wir staken.“

Nachdem Herihor das Segel und den improvisierten Mast verstaut hatte, nahm er zwei lange Stangen hervor und drückte eine davon wortlos Semsu in die Hand. Die beiden machten sich daran, das Boot in Fahrt zu bringen. Langsam glitt es nun dicht am Ufer entlang in Richtung Westen. Nach gut einer Stunde kam ein Boot in Sicht, das sich ebenfalls am Ufer entlang in Richtung Osten bewegte.

Userib spähte nervös nach Westen.

„Kannst du was erkennen?“

Semsu schüttelte den Kopf, doch einen Moment später murmelte Herihor

„Das sind sie. Hier ist kein Dorf mehr, das Fischer beherbergt. Soweit östlich können es nur Reisende sein.“

Userib drehte sich zu den beiden Bogenschützen, die sich während der Fahrt schon etwas gelangweilt hatten.

„Wir werden sie ansprechen und auf eine Antwort müssen wir dann schnell reagieren. Ihr schießt auf alles, was irgendwie bewaffnet aussieht.“

Die beiden nickten und Userib sah das andere Boot langsam näherkommen. Was er ausmachen konnte waren zwei Männer, die mit langen Stangen ihr Boot vorantrieben und zwei weitere Personen, die ebenso neugierig zu ihm hinüberblickten, wie er zu ihnen.

„Haltet sie an.“

Herihor hatte nur auf die Anweisung gewartete. Er gab Semsu ein Zeichen und sie änderten die Fahrtrichtung, so dass das größere Boot jetzt dem kleineren direkt vor den Bug lief. Drüben gab es die ersten erstaunten Ausrufe.

Ein Mann in einem schlichten Leinenschurz bückte sich und hob einen Bogen auf. Userib gab seinen Bogenschützen ein Zeichen und sie schossen gleichzeitig. Von zwei Pfeilen getroffen sank der Mann an Deck. Die zweite Person, in ein langes Gewand gekleidet, sah sich hektisch um, dann ließ sie ihr Gewand fallen und sprang ins Wasser.

„Sie will ans Ufer!“

Semsu zögerte keinen Augenblick. Er legte seinen Leinenschurz ab und sprang ebenfalls ins Wasser. Im Gegensatz zu der Person die er verfolgte, war er ein guter Schwimmer. Am Ufer hatte er die Person erreicht, gerade als sie sich im flachen Wasser erhob.

„Stehenbleiben!“

Wie erwartet war es eine Frau und Semsu erkannte, dass sie beim Sprung ins Wasser auch ihre letzte Bekleidung abgelegt hatte. Sie musste einmal sehr schön ausgesehen haben, schoss es ihm durch den Kopf. Doch das war ein müßiger Gedanke, denn die Frau dachte nicht daran, stehenzubleiben.

Semsu sprintete hinter ihr her und bekam sie an einem Handgelenk zu packen. Mit einem fauchenden Geräusch fuhr sie herum und versuchte mit der anderen Hand, Semsu ihre Fingernägel durch das Gesicht zu ziehen. Doch der hatte mit einer ähnlichen Reaktion gerechnet und fing ihre zweite Hand mit einem kurzen Griff ab.

Atemlos stand die Frau nun vor Semsu und sah an ihm herab. Ein Lächeln schlich sich in ihr Gesicht.

„Du bist ein hübscher junger Mann. Was denkst du? Du könntest mich loslassen und wir würden ein wenig Spaß miteinander haben.“

Semsu schüttelte sprachlos den Kopf. Er wusste nicht, was andere Männer an seiner Stelle getan hätten, doch bei ihm war die Aufforderung mehr als Wirkungslos.

„Wohl kaum. Ich habe von Spaß ganz andere Vorstellungen. Wir werden hier ein Wenig verweilen.“

Während er sprach, kamen auch Userib und einer der beiden Bogenschützen an Land. Der Schreiber überlegte nicht lange. Er ließ die Frau an Händen und Füßen fesseln und weiter von Semsu bewachen. Dann machte er sich auf den Weg zurück zu den Booten.

Die beiden Boote waren inzwischen am Ufer soweit hinaufgezogen worden, dass sie nicht mehr von selbst davontreiben konnten. Userib musste sich um den Mann kümmern, den die Bogenschützen verletzt hatten. Er war von zwei Pfeilen getroffen worden, von denen einer in seiner Schulter und der andere in einem Oberarm steckte. Userib hockte sich neben den Mann, der vor Schmerzen stöhnte.

„Du bist derjenige, der die Prinzessin aus dem Gefängnis in Men-nefer befreit hat. Du weißt, dass du dem Tod verfallen bist, mit deiner Tat?“

„Was? Ich sollte sie doch nur begleiten, bis der…“

„Bis wer?“

Der Mann drehte den Kopf weg und schwieg. Aufseufzend griff Userib nach dem Pfeilschaft, der im Oberarm des Mannes steckte und drehte ein wenig daran. Der Mann schrie auf und starrte Userib hasserfüllt an.

„Das ist erst der Anfang. So, wie im Haus der beiden Wahrheiten, werden wir auch hier alles Erdenkliche versuchen, um die Informationen zu bekommen, die wir haben wollen.“

Userib war sich alles andere als sicher, was er machen sollte. Er hasste es, jemandem Schmerzen beizubringen, sei der Anlass auch derart wichtig. Sollte der Mann nicht reden, war seine Fantasie äußerst begrenzt, welche Mittel er noch einsetzen könnte.

Der Mann starrte ihn an, sagte aber nichts. Userib drehte sich um und ließ sich von dem Bogenschützen dessen Dolch geben. Vor den Augen des Mannes prüfte er mit einem Daumen die Schärfe des Dolches.

„Der… der Prinz will sie abholen.“

„Prinz? Welcher Prinz? Und wo will er sie abholen?“

„Na, Prinz Hattuschila natürlich. Er ist eigentlich der rechtmäßige Herrscher von Hatti. Und die Prinzessin Tuaitthesit war ursprünglich ihm versprochen worden.“

„Aha. Und wo ist dieser verhinderte Herrscher nun?“

Der Mann schwieg. Userib seufzte noch einmal theatralisch und fuhr dann mit dem Dolch die Brust des Mannes hinab, eine kleine Blutspur hinterlassend. Mit hervorquellenden Augen starrte der Mann auf die rötliche Linie.

„Das war nur die Markierung. Ich war schon immer neugierig, was sich unter der Haut so alles verbirgt.“

flüsterte Userib dem Mann zu. Dann sah sich um, ob ihn noch jemand gehört hatte. Er hatte keine Lust ins Gefängnis zu wandern, weil er jemanden gedroht hatte, seinen Leib vor dem Eingang in die Ewigkeit zu zerstören.

Doch das schien der Mann gar nicht zu realisieren. Seine Augen flackerten hektisch umher und er sah keinen Ausweg.

„Die Oase. Die Oase Timsah. Dort lagert er heute und morgen, dann zieht er weiter. Er ist immer unterwegs, um nicht gefasst zu werden.“

Userib erhob sich erleichtert und gab den Dolch zurück. Jetzt würden sie nur noch auf die Truppen von Amenhotep oder Netermest warten müssen.

Festung Timsah

Userib erkannte schon weitem die Staubwolke, die die Streitwagen des Prinzen Amenhotep machten. Immer wieder lösten sich einige Wagen vom Hauptkontingent und kontrollierten das Ufer des Wadis. Userib wartete geduldig, bis sie auch zu ihm kamen.

Er war wieder ans Ufer gegangen, hatte kurz mit Semsu gesprochen und sich auf ein längeres Warten eingerichtet. Man hatte ihnen in Men-nefer erklärt, was der Prinz angeordnet hatte und dass sowohl im Süden als auch im Norden sich Truppen am Rande des Wadis entlang streiften. Sie sollten alle kleinen hethitischen Einheiten aufscheuchen und bekämpfen, die sich dort niedergelassen hatten.

Zwei Streitwagen kamen heran und der Wagenlenker des ersten musterte Userib erstaunt. Er erkannte die Umhängetasche eines Schreibers. Was hatte ein Schreiber hier um diese Tageszeit zu suchen?

„Halt, im Namen des Prinzen Amenhotep. Wer seid ihr und was macht ihr hier?“

Userib grinste leicht.

„Mein Name ist Userib. Ich bin Schreiber im Haushalt des Prinzen Netermest. Du kannst deinem Herrn berichten, wir haben die Frau gefunden, die er sucht.“

Der Wagenlenker stutzte. Vom Prinzen Netermest hatte er schon gehört. Doch Prinz Amenhotep suchte nicht nach einer Frau, sondern nach hethitischen Truppen.

Userib sah die Zweifel im Gesicht des Wagenlenkers. Zu seiner Rettung kam aus der Ferne ein weiterer Streitwagen heran. Dessen Wagenlenker stieg in einiger Entfernung ab und kam auf die kleine Gruppe zu. Userib sah, dass er den Offiziersstab eines Hauptmanns trug.

Der erste Wagenlenker redete schnell auf den Hauptmann ein und dieser nickte. Dann kam er auf Userib zu.

„Ich kenne dich. Du bist doch einer der Jungen, die im großen Sandkasten…“

Er unterbrach sich und sah sich sichernd um. Das Geheimnis der taktischen Ausbildung sollte auch weiterhin eines bleiben. Userib nickte bestätigend.

„Ich bin nun Schreiber im Haushalt des Prinzen Netermest. Wir haben die hethitische Dame festgesetzt, die Prinz Amenhotep sucht.“

Der Hauptmann schnappte nach Luft und fuhr herum.

„Inuhari! Fahrt so schnell ihr könnt zum Prinzen. Sag ihm persönlich, dass die Frau, die er sucht, sich hier befindet. Beeil dich!“

Der Wagenlenker mit dem Userib gesprochen hatte, machte ein erstauntes Gesicht, doch seine Befehle waren klar. Rasch wendete er seinen Wagen und er preschte davon.

In der Ferne konnte Userib erkennen, wie sich nach einer geraumen Weile die Staubwolke um die Armee von Prinz Amenhotep etwas legte. Anscheinend hatte man angehalten. Dann sah Userib, dass die Silhouette der Armee sich verändert hatte. Der lange dunkle Streifen am Horizont wurde kürzer. Er wusste, was es bedeutete. Sie kamen auf ihn zu.

Prinz Amenhotep sprang förmlich vom Wagen, als er heran war. Er nickte kurz dem Hauptmann zu und wandte sich dann an Userib.

„Du gehörst zu Netermest?“

Userib verbeugte sich.

„Ja, Herr.“

Mit kurzen Worten erklärte er ihren Auftrag, wie sie ihn durchgeführt hatten und was er herausfinden konnte. Prinz Amenhotep war begeistert.

„Hervorragende Arbeit. Wir haben nicht nur diese Frau, sondern auch den Befehlshaber der hethitischen Einheiten. Wo ist sie?“

Userib deutete auf eine Stelle, wo ein paar Sykomoren ihr karges Dasein fristeten. Nur während der Überschwemmung zeigten sie ein sattes Grün.

Die Prinzessin lag gefesselt am Boden und Semsu saß in einem kleinen Abstand neben ihr. Als Amenhotep sich näherte, sah er, dass die Frau auf ihren Wächter einredete. Sie war immer noch unbekleidet, genau wie Semsu, der nur seinen Lendenschurz trug.

Als Semsu den Prinzen bemerkte, sprang er auf. Auch die ehemalige Prinzessin bemerkte nun ihren Besucher. Sie wurde blass und schwieg.

„So sehen wir uns also wieder. Es ist an der Zeit, ein Ende zu machen.“

Die Hethiterin schwieg weiter.

„Und du gehörst ebenfalls zu Prinz Netermest?“

Semsu verbeugte sich tief.

„Ja, Herr.“

„Das ist gut. Ich glaube nicht, dass andere ihren Reden und ihren Angeboten widerstanden hätten.“

Semsu erstarrte etwas, dann realisierte er, was der Prinz gesagt hatte. Der wusste wohl sehr genau, wen Prinz Netermest um sich versammelt hatte.

„Du wirst sie weiterhin bewachen. Ihr werdet mit einer Eskorte in die Festung Timsah gebracht. Dort wird sie eingesperrt bis zu einer Gerichtsverhandlung. Wir werden dort warten, bis Prinz Netermest eintrifft und uns dann diesem Prinzen Hattuschila annehmen. Wenn er noch in der Oase Timsah ist, werden wir ihn kriegen.“


Die Festung Timsah war, trotz des protzigen Namens, nichts weiter als ein von Mauern umgebener rechteckiger Platz mit einigen kleinen Häusern und Lagern darin. Die Garnison bestand aus einer halben Hundertschaft Infanteristen, die hauptsächlich Zolldienst versahen.

Kommandant der Festung war ein alter Hauptmann, der schon einige Schlachten gesehen hatte und nun seinen letzten Dienstposten besetzte, bevor er seine Abfindung in Form eines kleinen Stücks Land bekam.

Prinz Amenhotep ließ seine Truppen vor der Festung lagern und hielt sich auch weiterhin bei ihnen auf. Lediglich Userib, Kapitän Sendji, Semsu und die beiden Bogenschützen bekamen eine Unterkunft direkt neben dem kleinen Lagerraum, in den man die Hethiterin gesperrt hatte.

Sie hatten sich von Herihor verabschiedet und ein kleiner kupferner Ring wechselte den Besitzer. Herihor sah Userib überrascht an.

„Für mich? Aber ich habe doch gar nichts getan, außer ein wenig Boot zu fahren.“

„Du warst eine große Hilfe. Du und dein ganzes Dorf.“

Die beiden Boote legten ab und machten sich wieder auf den Rückweg. Kapitän Sendji sah ihnen nachdenklich hinterher.

In der Festung wurde es schnell langweilig. In der Hitze des Mittags hatten sich alle in die Schatten der Unterkünfte zurückgezogen, doch kein Windhauch brachte Kühlung.

Gegen Abend gab es im Inneren der Festung laute Geräusche. Userib und Semsu stürzten sofort aus ihrer Unterkunft um den Verbleib der Hethiterin zu kontrollieren. Doch die saß sicher in ihrer Zelle.

Den Lärm hatte die Ankunft von Prinz Netermest verursacht, der mit einem kleinen Gefolge in die Festung gekommen war. Er war vor der Festung auf Prinz Amenhotep getroffen, der ihm berichtet hatte, was geschehen war. Nun hielt ihn nichts mehr.

Neugierig strebte er auf Userib und Semsu zu. Nach einer kurzen Begrüßung stellte er dann die für ihn dringendste Frage.

„Wo ist sie?“

Userib deutete mit einer Hand auf die Tür des Lagerraumes. Netermest wollte sofort hineinstürmen, doch Nebamun hielt ihn zurück.

„Bist du sicher, dass du sie sehen willst?“

Netermest hielt inne.

„Ja, natürlich. Sie ist immerhin noch meine Mutter.“

„Eben. Aber du hast noch einen Vater. Bedenke, was es für ein Bild abgibt, wenn du sofort zu deiner Mutter stürzt, die nun in den Augen aller hier eine Verräterin und Mörderin ist. Du bist auch der Sohn des Pharao, des Mannes, der dieses Land regiert und der seinem Volk gegenüber Gerechtigkeit walten lassen muss.“

Netermest schüttelte leicht den Kopf.

„Aber trotzdem…“

„Ich weiß, es ist schwer, aber stell dir einmal vor, du wärest derjenige, der demnächst über sie zu richten hat.“

Netermest erbleichte.

„Nein. Das kann ich nicht. Das ist…“

Seine Stimme wurde leiser und versiegte dann ganz. Nebamun legte ihm einen Arm um die Schulter.

„Dann erkennst du jetzt, wie schwer es ist und wie einsam man ist, wenn man ganz oben die Entscheidungen treffen muss.“

Netermest nickte und sie verließen die Festung um ebenfalls draußen bei ihren Truppen zu lagern.

Noch am Abend hatte Prinz Amenhotep zu einem kleinen Kriegsrat geladen. Neben ihm und Netermest waren der Heru Pa-Djet Hasani und seine beiden Regimentskommandeure anwesend, ebenso wie Amenhoteps Stellvertreter im Regiment des Amun. Netermest hatte den Standartenträger Pashtu und zwei weitere junge Männer mitgebracht.

„Wir haben erfahren, dass ein hethitischer Prinz, wer immer er auch sein mag, in der Oase Timsah lagert. Wir wissen nicht, wie stark seine Armee ist, aber ich denke nicht, dass sie die Größe eines unserer Regimenter erreicht. Wir werden einige Kundschafter losschicken und sobald diese zurück sind, können wir unsere eigenen Truppen aufstellen. Pashtu, was wissen wir bis jetzt?“

„Wir haben erfahren, dass ein gewisser Prinz Hattuschila der Anführer sein soll. Auf ihn komme ich gleich zurück. Was die Truppen betrifft, sollten wir abwarten, was die Kundschafter herausbekommen. Rehema und Neferhotep hier, werden noch in der Nacht losziehen und versuchen, die Oase Timsah zu erkunden. Bis morgen früh werden wir die Ergebnisse wohl haben.“

Pashtus Blicke ruhten auf Rehema und Neferhotep, wobei er diesen leicht anlächelte.

„Was diesen Prinzen Hattuschila betrifft, bin ich ein wenig ratlos. Er ist keiner der Söhne oder Neffen des jetzigen Herrschers von Hatti. Es hat einen Prinzen mit diesem Namen gegeben, aber der war der Sohn des vorherigen Herrschers. Dieser wurde vom jetzigen Herrscher vor etwa fünfzehn Jahren gestürzt und ermordet. Ebenso wie alle seine Kinder und sonstigen Verwandten. Sollte tatsächlich jemand überlebt haben, würde das der ganzen Aktion der Hethiter hier in Khemet einen ganz anderen Hintergrund geben.“

Prinz Amenhotep nickte langsam.

„Sie würden einen Krieg provozieren, den der jetzige Herrscher der Hethiter eigentlich gar nicht gewollt hatte. Wir wären gegen die Hethiter gezogen, die darauf gar nicht vorbereitet wären. Mit Hilfe der Götter hätten wir sie geschlagen, aber was dann?“

„Am Wahrscheinlichsten wäre ein Aufstand dieses Prinzen gegen den Herrscher, der sich hat überrumpeln lassen. Prinz Hattuschila kommt zurück und mit einer Palastrevolte wird er neuer König. Er kann dann Friedensverhandlungen führen und so sein Reich retten.“

Amenhotep bedachte Pashtu mit einem nachdenklichen Blick.

„Ja, vielleicht. Aber jetzt bleibt uns nur, darauf zu warten, was die Aufklärer zurückbringen. Die nächste Besprechung ist morgen früh im Angesicht des Herrn Re.“

Als fast alle gegangen waren, wandte sich der Prinz noch einmal an Pashtu.

„Ich will, dass Fürst Kutari so schnell wie möglich herkommt. Schicke einen deiner Männer sofort los. Der Fürst soll sich eilends auf den Weg machen.“

Pashtu verbeugte sich schweigend und ging los, einen seiner Kuriere zu beauftragen.

Oase Timsah

Rehema und Neferhotep waren die ganze Nacht unterwegs. Die Oase war eine der größten in der Gegend. Normalerweise war sie Anlaufpunkt der meisten Karawanenstraßen die aus dem Osten kommend weiter nach Men-nefer führten. Rehema wunderte sich, wie die Hethiter es fertig gebracht haben sollten, den Karawanenverkehr für ein paar Tage von der Oase fern zu halten.

Sie näherten sich den ersten Ausläufern der hauptsächlich von Dattelpalmen und Sykomoren bestandenen Oase, als Rehema ein penetranter Gestank entgegenschlug. Es roch nach Eseln. In dieser Konzentration mussten es schon eine Menge Tiere sein, die dort beisammen standen.

„Riechst du das?“

Rehema nickte, als Neferhotep sich zu ihm umdrehte.

„Ich vermute, sie haben einfach die Karawanen angehalten und hier festgesetzt. Wenn sie morgen weiterziehen, können auch die Karawanen weiter.“

„Die Karawanenführer werden wohl kaum den Mund halten. Die Hethiter müssen dann schon weit weg sein oder…“

Rehema erwog die zweite Möglichkeit und sie gefiel ihm kein Bisschen. Es gab nur einen sicheren Weg, die Leute zum Schweigen zu bringen.

„Wir machen einen Bogen nach Osten. Von dort werden sie uns wohl am Wenigsten erwarten. In der Nacht ziehen keine Karawanen.“

Sie arbeiteten sich bis auf die Ostseite herum. Auf dem, selbst im Licht des Mondes deutlich sichtbaren, ausgetretenen Weg war zunächst nichts zu erkennen. Im Schatten der Bäume schlichen sie näher.

„Da. Wachposten. Wir müssen an ihnen vorbei und sehen, wo sie ihre Lager aufgeschlagen haben. Ich glaube nicht, dass hier in der Oase mehr als ein Regiment lagern kann.“

„Wir werden sehen.“

Als sie am Morgen zurückkamen, erstatteten sie zunächst Pashtu Bericht. Der war erfreut über die Nachrichten und auch, dass Neferhotep heil zurückgekehrt war. Er schickte die beiden zum Schlafen und machte sich auf zur Besprechung mit Prinz Amenhotep.

Die Teilnehmer der Besprechung waren, bis auf die beiden Späher, die Gleichen wie am Vortag.

„Es ist so, wie wir vermutet haben. Die Hethiter haben ein provisorisches Lager aufgeschlagen. Dabei haben sie die Karawanen, die sich zu der Zeit in der Oase befunden, oder sich genähert haben, festgesetzt. Was mit den Leuten passiert ist, war nicht festzustellen.“

Prinz Amenhotep grunzte unwillig. So viele Tiere in der Oase konnten ein ganz schönes Chaos erzeugen.

„Die Zählung der hethitischen Truppen war etwas Schwierig, denn ihre einzelnen Einheiten sind anders zusammengesetzt als unsere. Es sind hauptsächlich Infanteristen, etwa vier oder fünf Hundertschaften. Dazu wenige Bogenschützen. Die sind wohl Teil der Besatzung für die zwölf Streitwagen.“

Amenhotep hob die Augenbrauen. Hethitische Kampfwagen. Er würde seine eigenen Bogenschützen umgliedern müssen. Die Kampfwagen waren das Gefährlichste, was die Hethiter aufzubieten hatten. Sie waren größer und schwerer als die eigenen. Auf ihnen befanden sich drei Mann, ein Wagenlenker, ein Infanterist mit Schild und Keule und ein Bogenschütze, der während der Schlacht ungehindert um sich schießen konnte.

„Also gut, wir haben drei Regimenter. Das Regiment des Stiers umgeht die Oase und stellt sich im Osten auf. Weit genug weg, keine Angriffe. Ich will nur nicht, dass sie in Richtung Osten fliehen. Jeder der dort auftaucht, wird gefangen genommen. Das Regiment des Krokodils geht nach Norden. Sobald es sich von dort nähert, werden sie wissen, was los ist. Ich erwarte einen Ausfall nach Westen, aber wir werden sehen.“

Der Heru Pa-Djet und die beiden Regimentskommandeure nickten.

„Gut. Das Regiment des Amun bleibt im Westen. Wir richten uns dort auf den Hauptangriff ein. Ich weiß nur noch nicht genau, was wir im Süden machen. Dort ist zwar das unwegsamste Gelände, doch ich traue den Hethitern nicht.“

Prinz Netermest räusperte sich.

„Wir werden uns im Süden aufstellen.“

„Was? Aber du hast gerade mal zwei Kompanien. Sie werden euch überrollen.“

„Wir werden nicht versuchen, sie aufzuhalten. Wir werden rechtzeitig zurückweichen. Ich will nur versuchen, an ihnen dran zu bleiben. Sie dürfen nicht wieder verschwinden. In der Wüste können wir jahrelang nach ihnen suchen.“

Amenhotep nickte zögernd.

„Na gut. Aber keine Gefechte, sollten sie tatsächlich nach Süden durchbrechen.“

Kutari in Tanis

Am nächsten Morgen, direkt nachdem Prinz Amenhotep die Stadt verlassen hatte, ließ sich Neferhetep bei Kutari melden. Kutari lächelte leicht, als nach seiner Zustimmung der künftige Nomarch von Kanefer offiziell angekündigt wurde.

„Warum so würdevoll? Gibt es etwas, was ihr mir mitteilen wollt?“

„Ja, Herr. Die Vorbereitungen zum Begräbnis meines Vaters sind schon seit einiger Zeit abgeschlossen. Nun hat mir auch mein Bruder Ramose mitgeteilt, dass die Arbeiten an dem Grab des Nomarchen abgeschlossen sind. Ich möchte euch bitten, an der in drei Tagen stattfindenden Zeremonie teilzunehmen.“

Kutari war angenehm überrascht. Das Begräbnis eines Menschen, selbst wenn es ein hoher Würdenträger war, war zunächst Sache seiner Anverwandten. Entsprechend des Ranges des Verstorbenen kamen dazu weitere Trauergäste. Die sogenannten ‚neun Freunde des Verstorbenen‘ gehörten nicht zur Familie, sondern sollten seine Beliebtheit in seinem Umfeld demonstrieren. Sie würden in diesem Falle wahrscheinlich aus den hohen Würdenträgern des Gaus ausgewählt werden.

Kutari wusste, dass der Nomarch kein wirklich reicher Mann gewesen war, dennoch würde der Trauerzug sehr lang sein. Abgesehen von den Dekorationen der Grabstelle würden alle Grabbeigaben von einer Schar von Dienern hinter den Trauernden hergetragen. Das alles, einschließlich des festlichen Banketts nach der Trauerfeier, war sehr kostspielig und Kutari fragte sich, wie der neue Nomarch damit klar kommen würde.

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich noch so lange hier verweilen kann. Die Angelegenheit mit den Hethitern ist noch nicht zu Ende.“

Neferhetep sah auf den Boden, dann wanderte sein Blick ziellos durch die Gegend.

„Neferhetep, was ist los?“

Der junge Mann sah Kutari peinlich berührt an.

„Die Leute. Sie reden. Ob mein Vater vielleicht doch an einem Gift gestorben ist. Ich weiß nicht, was ich machen soll.“

Kutari nickte. Das war zu erwarten gewesen. Gerüchte gab es überall und je skandalöser sie waren, desto hartnäckiger hielten sie sich.

„Ich habe da eine Idee. Verkünde für Morgen Vormittag eine Proklamation auf dem Großen Platz vor dem Palast.“

Neferhetep sah Kutari fragend an, doch der schwieg.

„Wie ihr wünscht, Herr.“

Mit einer weiteren Verbeugung entfernte sich Neferhetep und ging daran, Vorbereitungen für den nächsten Tag zu treffen.

Kutari hatte sich intensiv mit Imiuthetep und Rahotep beraten. Sie würden die ganze Angelegenheit so prunkvoll wie möglich gestalten. Kurz darauf eilten Boten mit den unterschiedlichsten Aufträgen quer durch Tanis.

Schon am nächsten Morgen versammelten sich die ersten Neugierigen, um festzustellen, dass der Platz vor dem Palast teilweise von Soldaten abgesperrt war. Auf der freien Fläche war direkt vor dem Eingang zum Palast ein Podest errichtet worden. Auf ihm standen drei mit Leinen abgedeckte Tische.

Eine leichte Unruhe war plötzlich unter den Zuschauern zu bemerken, als sich hinter ihnen eine kleine Prozession näherte. Sofort machten sie Platz und eine von Priestern getragene Sänfte näherte sich den Tischen. Die meisten Menschen erkannten die Priester, waren sie doch aus dem Tempel der Stadtgöttin, der Schlangengottheit Wadjet.

Wadjet war nicht nur die Stadtgöttin von Tanis, sondern von ganz Unterägypten. Zusammen mit der Geiergöttin Nechbet waren sie die Schutzgöttinnen des göttlichen Herrschers.

Aufseufzend sanken die Zuschauer zu Boden, als die obersten Priester die Statue der Wadjet aus der Sänfte nahmen und offen auf den mittleren Tisch stellten.

Grade wollten sie sich erheben, als die nächste Prozession eintraf vom Tempel der Horus. Auch hier wurde die Statue des Gottes auf einen der beiden flankierenden Tische gestellt.

Die dritte Prozession kam vom Tempel des Seth. Auch diese Gottheit fand ihren Platz. Der jeweilige Hohepriester nahm Aufstellung hinter dem entsprechenden Tisch.

Als nächste erschienen eine Anzahl Soldaten in Türkisfarbenen Leinenschurzen. Sie flankierten den Fürsten Kutari, der, angetan mit all seinem Schmuck und seinen Auszeichnungen, mitten auf dem Platz stehen blieb. Dann drehte er sich um und verbeugte sich kurz vor jedem der Götter.

Als nächstes wurde Neferhetep, begleitet von Hamadi und Sekhet, hereingeführt. Er trug nichts als einen strahlend weißen Leinenschurz und blieb vor Kutari stehen.

Kutari nickte ihm freundlich zu und richtete seine Aufmerksamkeit auf die versammelten Leute. Hori reichte ihm einen Papyrus den er entrollte und seine Stimme dröhnte über den Platz

Höret die Worte unseres göttlichen Herrschers!“

Pflichtschuldigst warfen sich wieder alle zu Boden.

So spricht der Pharao:

Mein geliebter Bruder, der ehrenwerte Rechmire, Nomarch des Ostgaus, ist eingegangen in das Reich des Westens.

Auf das sein Werk und seine Taten nicht verblassen sollen, wird seinem Sohn Neferhetep mit meinem Segen und dem unseres Gottes Amun die Herrschaft über den Ostgau übertragen. Möge seine Herrschaft lange und fruchtbar sein.

Als Zeichen meiner Wertschätzung überlasse ich dem Ostgau zweitausend Rinder und fünftausend Sack Weizen aus den Speichern des großen Hauses.

Möge der neue Nomarch wissen, dass unser Auge wohlgefällig auf ihm ruht.

So spricht der Pharao.“

Die Leute erhoben sich, als Kutari die Verlesung beendete.

Dies waren die Worte unseres göttlichen Herrschers!“

Kutari sah nun Neferhetep an und verneigte sich.

„Ich grüße euch, Neferhetep, Nomarch des Ostgaus.“

„Ich danke euch, Fürst Kutari, Aufseher der Fragen des Pharao.“

Neferhotep wandte sich um und Jubel brach aus unter dem Volk.

Kutari und seine Leibwache marschierten ab, während der neue Nomarch noch jedem der Götter ein Opfer darbrachte. Nach der Zeremonie und dem Ausmarsch der Götter zerstreuten sich auch die Zuschauer.

Neferhetep kam zögernd in die Gemächer von Kutari.

„Was ist los? Hat dir die Proklamation nicht gefallen?“

„Doch, schon. Aber es macht mich schon nachdenklich…“

„Was? Dass ich die Worte unseres Herrschers mithatte? Ich habe auch noch einen zweiten Papyrus mit. Dein Todesurteil.“

Neferhetep wurde blass und schluckte schwer. Erst jetzt wurde ihm so richtig klar, welche Verantwortung man Kutari aufgebürdet hatte. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Kutari auf ihn zutrat.

„Ich habe auch noch eine schlechte Nachricht. Wir müssen Tanis verlassen. Prinz Amenhotep verlangt dringend meine Anwesenheit. Wir werden noch heute aufbrechen.“

„So schnell? Doch, ich verstehe. Ihr habt noch wichtige Aufträge zu erledigen. Ich hoffe, wir sehen uns wieder.“

Oase Timsah

Wie Prinz Amenhotep angeordnet hatte, waren die Truppen um die Oase verteilt worden.

Das Regiment des Stiers hatte den weitesten Weg und war als erstes unterwegs. Danach folgte das Regiment des Krokodils, das sich nördlich der Oase bereits in Schlachtordnung entfaltete. Prinz Amenhotep blieb mit dem Regiment des Amun westlich der Oase. Hier erwartete er den ersten Angriff.

Er glaubte nicht, dass der hethitische Prinz sofort nach Osten fliehen würde. Er musste die Prinzessin unbedingt aufnehmen, denn sie war einer der Angelpunkte in ihrem Plan.

Der einzige Schwachpunkt im Aufmarschplan war Prinz Netermest mit seinen drei Kompanien im Süden. Sie würden einem direkten Angriff keinesfalls standhalten können. Ihnen blieb nur das Zurückweichen.

Von Süden kommend hatten sich Rehema und Neferhotep, bekleidet mit den langen Mänteln von Karawanenführern, ein zweites Mal der Oase genähert. Erstaunt bemerkten sie, dass die Wachposten eingezogen worden waren.

„Sie bereiten sich auf den Abmarsch vor. Sie werden wohl schon Späher in die Richtung geschickt haben, in die sie wollen. Nach Süden also auf jeden Fall nicht.“

Neferhotep nickte und sah nun vor sich das Lager, in dem die Hethiter die ganzen Tragtiere eingepfercht hatten. Die Esel waren unruhig. Man hatte sich wohl nicht die Zeit genommen, sie zu versorgen.

Ganz in der Nähe erklang der tiefe Ton eines Kriegshorns.

„Anscheinend haben sie die gegnerischen Truppen bemerkt. Sie werden weitere Späher ausschicken. Irgendetwas, was wir tun können?“

Rehema nickt lächelnd.

„Die armen Tiere hier sehen verhungert und verdurstet aus. Wir sollten ihnen etwas zu fressen besorgen.“

Neferhotep musterte Rehema erstaunt, aber dann begriff er. Mit wenigen Handgriffen öffneten sie die Umzäunung und die Tiere wurden noch unruhiger. Sie konnten das Wasser riechen und sie waren durstig. Als der erste Esel zu rennen begann, gab es kein Halten mehr. Gut zweihundert Tiere rannten in wildem Galopp auf die Wasserstelle zu. Die hethitischen Soldaten, die sich gerade formiert hatten, sahen sich dem Angriff von wildgewordenen Eseln ausgesetzt und wichen planlos in alle Richtungen aus.

Zu Rehemas heimlicher Freude ließen sich sogar einige der hethitischen Pferde von den Eseln anstecken und rannten ebenfalls los. Sogar ein Gespann mit einem nicht besetzten Streitwagen war darunter. Die haltlosen Pferde preschten durch die Oase und der Wagen fand sein Ende an einem mächtigen Palmenstamm.

„Komm, wir müssen zurück.“

Neferhotep nickte und folgte Rehema wieder nach Süden.

Dem hethitischen Befehlshaber blieb nichts weiter übrig, als seine Truppen aus der Oase herauszuziehen und dort neu zu formieren. Dazu hatte er sich für die Westseite entschieden, die Richtung, in die er ohnehin unterwegs war.

Prinz Amenhotep musterte kritisch die am Rand der Oase aufgestellten hethitischen Truppen. Fast alles Infanteristen. Das sollte nicht so schwer sein. Was er jedoch haben wollte, war der hethitische Oberbefehlshaber. Der würde sich höchst wahrscheinlich auf einem der Streitwagen hinter den Infanteristen befinden.

Für einen Großangriff mit Streitwagen, den die Hethiter so bevorzugten, waren deutlich zu wenig davon vorhanden. Amenhotep vermutete, dass dies wohl die letzten Reserven des Prinzen hier draußen waren.

Amenhotep gab das Zeichen zum Angriff. Die Fußtruppen marschierten auf ganzer Breite los und näherten sich den feindlichen Einheiten. Als die hinter ihnen marschierenden Bogenschützen nahe genug heran waren, blieben sie stehen und verschossen die erste Salve von Pfeilen hoch über die Köpfe der eigenen Soldaten. Die meisten der Pfeile fanden ihre Ziele und etliche der hethitischen Infanteristen sanken zu Boden.

Nun blieb dem dortigen Kommandeur keine Wahl. Wollte er seine Leute nicht zur einfachen Zielscheibe machen, musste er angreifen. Wie erwartete stürmten die Hethiter los und die Infanteristen aus Khemet präsentierten zwei Reihen tief ihre langen Lanzen.

Als das Gefecht in den Nahkampf überging, bemerkte Prinz Amenhotep, wie sich die feindlichen Streitwagen langsam nach Süden absetzten.

„Der Hund will abhauen! Mahet, schick die Streitwagen hinterher!“

Der Adjutant des Prinzen nickte und kurz darauf bewegten sich die eigenen Streitwagen von ihrer Warteposition aus mit hoher Geschwindigkeit hinter den hethitischen her.

Im Süden hatte sich Prinz Netermest mit seinen Infanteristen und Bogenschützen auf einer kleinen Anhöhe positioniert. Die Streitwagen standen hinter ihnen etwas tiefer, so dass sie vom Schlachtfeld aus nicht sofort gesehen werden konnten. Die beiden persönlichen Streitwagen des Prinzen standen oben, direkt hinter den Infanteristen.

„Kann jemand was erkennen?“

Hauptmann Inuari schüttelte den Kopf.

„Nicht genau. Aber wenn sie das Gefecht angenommen haben und nicht ganz blöd sind, werden sie sich jetzt im Nahkampf befinden. Die Infanteristen kämpfen zunächst mit ihren Lanzen und wenn sie sich dann direkt gegenüberstehen mit Äxten, Keulen oder dem Chepesch.“

Netermest nickte. Das hatte er oft genug auf dem Übungsplatz gesehen und auch selbst gemacht.

„Da kommt jemand auf uns zu!“

Meketre hatte die ganze Zeit das Schlachtfeld im Auge behalten. Simut nickte.

„Ich würde sagen, da versucht sich jemand abzusetzen.“

„Das müssen wir auf jeden Fall verhindern. Er darf nicht entkommen!“

Das schien auch gar nicht die Absicht der Hethiter zu sein. Sie hielten direkt auf die auf der Anhöhe stehenden Infanteristen zu. Unterschätzten sie die Bedrohung, oder führten sie einfach die Taktik durch, die sie sonst immer anwendeten? Mit einer Masse von Streitwagen durchzubrechen und dann die feindlichen Truppen von hinten anzugreifen, so dass sie zumindest von den angreifenden Infanteristen abgelenkt wurden.

Nur gab es diesmal keine Masse von Streitwagen die angreifen konnte. Die verbliebenen elf Wagen sahen auf der Ebene fast verloren aus, als sie sich in rasender Fahrt näherten.

Netermest gab Hauptmann Sennefer ein Zeichen. Der Kommandeur der Bogenschützen war für diesen Teil zuständig.

„Sorgfältig zielen! Wenn es geht, zunächst die Fahrer. Vermeidet, die Pferde zu treffen.“

Die Reihen der Infanteristen blieben eisern stehen, als die Streitwagen auf sie zustürmten.

„Jetzt!“

Ein Pfeilhagel kam hinter den Infanteristen hervor und traf etliche der vorderen Wagen. Pferde schrien auf, Wagenlenkern sanken getroffen nach hinten und die führerlosen Wagen scherten aus, einige davon schlugen um.

Vier verbleibende Streitwagen rasten weiter auf die Infanteristen zu, die nun im letzten Moment zur Seite wichen und einen Durchgang freigaben. Die durchrasenden Wagen wurden nun von den Bogenschützen ein zweites Mal beschossen und sahen sich plötzlich mit einer ganzen Schwadron feindlicher Streitwagen konfrontiert. Noch bevor sie reagieren konnten, lagen auch die letzten Besatzungen am Boden.

Laut erklang die Stimme von Hauptmann Inuari.

„Infanterie ausschwärmen. Keine Gefangenen!“

Netermest erschauerte, aber wusste, dass das der Befehl war, den Prinz Amenhotep ausgegeben hatte.

Den nun herangekommen Streitwagen aus dem Regiment des Amun blieb nichts mehr zu tun. Schnell machten sie kehrt, denn die Schlacht am westlichen Rand der Oase war noch nicht vorbei.

Leutnant Paser ging durch Reihen und musterte die erschlagenen Feinde.

„Hier! Ich glaube, das ist er.“

Netermest kam näher und sah auf den Mann am Boden. Er trug einen prachtvoll verzierten Helm und einen ledernen Schuppenpanzer mit goldenen Verzierungen.

„Ja, sieht so aus. Wir müssen aber trotzdem alle genau untersuchen. Ich will nicht, dass wir den falschen präsentieren.“

„Was ist mit den Ausrüstungen?“

„Der Helm und der Schuppenpanzer gehören Prinz Amenhotep. Die Sachen der Soldaten können verteilt werden.“

Kaum ausgesprochen, machten sich die Infanteristen daran, die gegnerischen Soldaten im wahrsten Sinne des Wortes bis auf das die Haut auszuplündern.

Nataki, Nebamun und Paser gingen von einem Leichnam zum anderen um festzustellen, ob die Männer auch wirklich tot waren. Amenhotep hatte, im Gegensatz zu sonst üblichen Gepflogenheiten, befohlen, keine Gefangenen zu machen.

Vor einem der Leichname blieb Nataki einen Moment grübelnd stehen.

„Wo ist der Mann, in dem wir den hethitischen Prinzen sehen?“

„Hier drüben, warum?“

Nataki sah ihn sich kurz an, dann kam er wieder zurück.

„Weil ich vermute, dass dies hier der Prinz ist.“

Netermest hatte die kurze Unterhaltung aus einiger Entfernung mitbekommen.

„Was ist los? Gibt es ein Problem?“

„Nicht direkt. Aber Nataki glaubt, dass dies hier der Prinz ist und nicht der Mann dort drüben.“

Netermest starrte auf den Mann vor sich und ging dann hinüber. Auch ihn besah er sich eine ganze Weile und kam dann mit ausdruckslosem Gesicht zurück.

„Warum glaubst du, dass dieser hier unser Prinz ist?“

Nataki ging in die Hocke und nahm eine Hand auf.

„Hier. Glatte Hände mit geschnittenen Fingernägeln.“

Er ließ die Hand wieder fallen.

„Dann hier. Lange, gepflegte Haare und ein gestutzter Bart. Bis auf den rechten Oberarm keine weiteren Narben. Eine gut versorgte hochstehende Person. Nichts davon dort drüben. Schwielige Hände, struppige Haare, zerzauster Bart, abgebrochene Fingernägel.“

Netermest nickte zustimmend.

„Das ist auch mein Eindruck. Userhet! Fahr hinüber zu Prinz Amenhotep und melde ihm, wir haben den hethitischen Prinzen.“

Festung Timsah

Das letzte, was es noch zu tun galt, widerstrebte Prinz Netermest ein wenig, doch er musste sich dieser Aufgabe stellen.

Er beobachtete die Arbeiter, die am Rande des großen Platzes eine kleine Bühne vorbereiteten und darauf einen großen Stuhl platzierten. Es war ihm ein Rätsel, wo sie den so schnell herbekommen hatten. Er zuckte mit den Schultern und sah sich um. Er musste mit jemandem reden, doch wer würde ihn verstehen?

Fürst Kutari hatte Unterkunft gefunden innerhalb der Festung. Sehr zum Entsetzen des Kommandanten hatte Kutari einen alten Lagerraum leerräumen lassen und war dann mitsamt seinem ganzen Gefolge dort eingezogen. Netermest ging auf das alte Lager zu und bemerkte amüsiert, dass sich trotz der ärmlichen Verhältnisse zwei Wachposten vor der Tür befanden.

„Ich suche den Fürsten. Ist er drinnen?“

Ngozi nickte zustimmend und gab den Weg frei.

Im Inneren des großen Raumes war es kaum kühler als draußen. Auf dem Boden lagen in säuberlichen Reihen etliche Binsenmatten und einige Leute hatten sich hingelegt. Es war nicht gut, sich in der großen Hitze allzu viel zu bewegen. Netermest bemerkte im Vorbeigehen Thotmes, der nur mit einem Lendenschurz bekleidet neben einem sehr schwarzen jungen Mann lag. Thotmes schien aus dieser Perspektive nur aus langen Armen und Beinen zu bestehen und Netermest lächelte. Es war noch gar nicht so lange her, da sah er selbst so ähnlich aus.

Fürst Kutari befand sich ganz am Ende des Raumes. Er saß, an die Rückwand gelehnt auf dem Boden und unterhielt sich mit Hamadi. Beide sahen auf, als Netermest nähertrat.

„Prinz Netermest, welche Ehre, euch in meiner bescheidenen Unterkunft begrüßen zu dürfen.“

Netermest hob erstaunt die Augenbrauen, doch dann lächelt er.

„Ich bin geehrt, ehrenwerter Fürst Kutari, dass ihr mich trotz eurer ungezählten Aufgaben und harten Arbeit empfangen konntet.“

Jetzt lachten beide und Hamadi erhob sich.

„Ich werde alles noch einmal durchgehen. Morgen früh ist es fertig.“

Kutari sah dem davoneilenden Schreiber hinterher und seufzte.

„Komm her, Netermest. Setz dich zu mir altem Mann. Und dann erzähl mir, was dich hergeführt hat.“

Der Prinz setzte sich neben Kutari und schwieg einen Moment. Was sollte er sagen? Würde Kutari ihn verstehen?

Kutari verstand den Prinzen sehr gut. Er ahnte, was ihn hergeführt hatte.

„Es ist wegen morgen, nicht wahr? Die Gerichtsverhandlung.“

Netermest nickte.

„Sie ist trotz allem meine Mutter.“

Kutari dachte einen Moment etwas wehmütig an seine eigene Kindheit zurück. Ohne Eltern, nur im Palast und danach im Tempel.

„Sie mag die Frau sein, die dich geboren hat, doch war sie wirklich deine Mutter? Was macht eine Mutter aus? Hat sie dich umarmt, dich geküsst, dir gesagt, dass sie dich liebt?“

Netermest kramte eine ganze Weile in seinen Erinnerungen und schüttelt dann den Kopf.

„Sie hat dich, so wie es der Brauch ist, genährt, gekleidet und für ein Dach gesorgt. Doch wie war eure Beziehung zueinander? Nein, sag mir nichts. Das sollst du alles mit dir selber klären.“

Netermest saß mit gesenktem Kopf und ließ die Erinnerungen an sich vorbeiziehen.

„Stell dir vor, du hättest Kinder.“

Netermest sah erstaunt zu Kutari auf, doch der zwinkerte ihm zu.

„Stell es dir nur vor. Würdest du so mit ihnen umgehen, wie diese Frau es mit dir getan hat?“

Netermest schüttelte vehement den Kopf.

„Siehst du.“

Nach einer ganzen Weile ausgiebigen Schweigens begann Netermest leise zu Weinen. Das Weinen nahm zu und bald schüttelten ihn regelrechte Krämpfe. Kutari nahm ihn in die Arme und hielt ihn fest. Vorsichtig legte er ihn auf ein Binsenlager und legte sich neben ihn. Sanft umarmte er Netermest, der sich langsam beruhigte.

Hauptmann Imiuthetep kam durch die Reihen nach hinten und sah, dass Kutari sich mit einem weiteren jungen Mann auf eine der Matten gelegt hatte. Er stutzte etwas, dann erkannte er Prinz Netermest. Er wusste, der Prinz hatte es nicht leicht und er ahnte, was ihn hergeführt hatte. Aufseufzend setzte er sich und lehnte sich an die Wand wie die beiden zuvor. Es blieb ihm nur, über die beiden zu wachen.

Der nächste Morgen brachte noch eine Menge Arbeit und so waren alle früh geweckt worden.

Prinz Netermest erwachte von dem Lärm und sah sich etwas orientierungslos um. Dann bemerkte er, dass ihn jemand umarmte und er drehte sich zu ihm.

„Nebamun?“

„Guten Morgen. Du warst auf einmal verschwunden und so habe ich dich gesucht.“

Netermest sah sich um. Direkt neben ihnen erhoben sich jetzt Kutari und Imiuthetep.

„Guten Morgen, Netermest. Du hast die Ruhe gebraucht. Nebamun hat nach dir gesucht und da wir dich nicht wecken wollten, war dies die beste Lösung.“

Netermest nickt Imiuthetep dankbar zu.

„Wir werden euch dann verlassen. Vielen Dank, Kutari, für die Worte die du gefunden hast. So hatte ich es noch nie betrachtet. Vielleicht wollte ich immer eine Familie haben, etwas, was die anderen hatten und ich nicht. Zumindest nicht, wo alle zusammenleben konnten.“

Kutari nickte verständnisvoll.

„Ich habe von Anfang an keine Familie gehabt. Nur den Palast und den Tempel. Aber soll ich dir was sagen? Schau dich um. Ist das nicht Familie genug?“

Netermest sah sich um und erkannte das Gefolge von Kutari. Das, was er seinen ‚Haushalt‘ nannte. Und Netermest musste ihm Recht geben. Er konnte es genauso gut seine ‚Familie‘ nennen.

Draußen vor dem Gebäude fiel der Blick von Netermest wieder auf die Bühne mit dem improvisierten Thron und seine gute Stimmung sank rapide. Egal wie man es betrachtete, heute würde über jemanden gerichtet werden, zu dem er eine tiefere Beziehung hatte. Der Prinz wusste, dass es notwendig war, aber er mochte es immer noch kein Bisschen.

Eine Stunde später waren die Wachen der Festung angetreten und von einigen Truppenteilen aus dem Regiment des Amun, des Prinzen Netermest und auch der Leibwache von Fürst Kutari verstärkt worden.

Es gab nur wenige zivile Zuschauer. Meist Angehörige der Karawanen, die gerade hier Station machten.

Zu Prinz Netermests Erstaunen stand nun nicht nur der Thron auf dem Podest, sondern links und rechts davon ein weiterer, etwas kleinerer Sessel. Plötzlich zuckte Netermest zusammen, als Hori fast lautlos neben ihm auftauchte.

„Es gibt eine Änderung im Programm. Du wirst zusammen mit dem Regenten und Fürst Kutari auf der Bühne Platz nehmen. Der Regent möchte drei Richter haben für diese Veranstaltung.“

„Drei? Das hat es noch nie gegeben.“

„Dann eben jetzt. Ihr werdet zusammen mit Prinz Amenhotep einmarschieren. Er wird auf dem Thron Platz nehmen und du zu seiner rechten. Kutari sitzt links. So werdet ihr auch einmarschieren, über den gesamten Platz, direkt auf den Thron zu. Der Regent setzt sich, dann ihr beide gleichzeitig.“

Netermest sah Hori fragend an.

„Wer hat sich das denn ausgedacht?“

„Äh, der Befehl kam natürlich von Prinz Amenhotep. Kutari hat mich mit der Ausführung beauftragt.“

Netermest schüttelte fassungslos den Kopf.

„Was kommt dann?“

„Wir haben keine Statue der Göttin Maat. Deshalb wird Sekhet als Priester fungieren und mit Kutaris Amtsstab die Anrufung der Gerechtigkeit durchführen. Dann wird die Gefangene vor die Richter geführt und die Anklage wird verlesen.“

„Hoffentlich stehe ich das durch.“

murmelte Netermest. Hori hatte ihn dennoch verstanden.

„Du schaffst das schon.“

Unter Nebamuns wachsamen Blicken gab Hori dem Prinzen einen flüchtigen Kuss. Dann war er auch schon auf dem Weg, weiteren Leuten ihre Anweisungen zu erteilen.

Der Beginn der Gerichtsverhandlung wurde durch drei laute Gongschläge eingeläutet. Wie von Hori vorausgeplant, schritt Prinz Amenhotep quer über den großen Innenhof direkt auf dem Thron zu. Gekleidet war er in einen weißen Leinenschurz, ein großes, goldenes Pektoral mit dem Abbild des Horus und auf dem Kopf trug er die blaue Krone, als Zeichen der Würde als Mitregent des göttlichen Herrschers.

Zwei Schritte hinter ihm folgten Fürst Kutari und Prinz Netermest nebeneinander.

Kutari trug seinen türkisfarbenen Leinenschurz, das goldene Pektoral mit dem Abbild von Chaos und Ordnung und in der Hand seinen Amtsstab.

Prinz Netermest trug seinen ledernen Schurz mit dem Abbild des Gottes Mahes, den ledernen Brustpanzer mit dem Titel eines Sohnes des Landes und den silbernen Stirnreif, ebenfalls mit dem Abbild des Gottes Mahes.

Kutari und Netermest warteten, bis Prinz Amenhotep sich gesetzt hatte, dann gingen auch sie zu ihren Plätzen. Sekhet trat vor den Regenten und verbeugte sich. Er trug zusätzlich zu einem weißen Leinenschurz das gefleckte Fell eines Panthers. Damit war er für diese Zeremonie der Oberste der anwesenden Priester, abgesehen davon, dass gar keine weiteren dort waren.

Als sein Assistent fungierte Imichet, der jetzt zu Kutari ging und den Amtsstab abholte. Feierlich wurde der Stab, mit dem Abbild der Göttin Maat einmal um den Gerichtsplatz getragen. Dann erhielt ihn Sekhet, der eine Lobpreisung auf die Göttin intonierte. Der Amtsstab wurde dann auf einem kleinen Tisch, direkt zu Füßen des Regenten abgelegt.

Auf ein Zeichen von Amenhotep wurde die Gefangene nun in die Mitte des Platzes geführt. Dort sank sie, scheinbar geschwächt, zu Boden. Kutari bemerkte aber sehr wohl ihre hektisch umherblickenden Augen und ihren angespannten Körper.

„Die Anklage möge verlesen werden!“

Dies war der große Auftritt von Hamadi. Er hatte fast zwei Tage damit zugebracht, mit allen Leuten zu reden, die in die Vorfälle verwickelt waren, die nach der Abreise der ehemaligen Prinzessin aus Theben stattgefunden hatten.

Rehema hatte ihm den Schreiber Userib vorgestellt und so konnten sie ihre Aufzeichnungen abgleichen und eine lückenlose Darstellung der Ereignisse rekonstruieren. In den meisten Fällen war es sogar möglich, den direkten und auch indirekten Einfluss der ehemaligen Prinzessin anhand von Zeugenaussagen zu beweisen.

Hamadi begann mit dem Verlesen der Anklageschrift und hoffte nur inständig, dass seine Stimme die ganze Zeit durchhielt.

Prinz Amenhotep lauschte zunächst etwas beiläufig dem Vortrag, denn er bezog sich auf Vorgänge, die noch in Theben stattgefunden hatten. Nun aber kamen Sachen zu Tage, die ihm in diesen Einzelheiten bisher unbekannt gewesen waren.

Über eine Stunde verlas Hamadi jeden einzelnen Punkt und bei jedem Punkt wurde die Angeklagte immer nervöser. Hatte sie wohl noch zu Anfang geglaubt, man könne ihr nichts beweisen, zerstoben mit der Zeit jedoch alle ihre Hoffnungen.

Bei den letzten Punkten horchte sie noch einmal auf.

„… ein Vergehen gegen die göttliche Ordnung ihrer Heimat. Obwohl wir nicht mit den Gesetzen des hethitischen Reiches vertraut sind, ist es offensichtlich, dass eine Verschwörung gegen den jetzigen Herrscher stattgefunden hat. In Zusammenarbeit mit einem Mann namens Hattuschila hat die Angeklagte versucht, einen Krieg zwischen den Hatti und dem Land Khemet zu entfesseln, um den dortigen Herrscher zu stürzen und die Macht an sich zu reißen. Eine Verurteilung wegen der dortigen Verschwörung ist nicht möglich. Doch es liegt ein Fall von Hochverrat vor, da der Versuch unternommen wurde, einen Krieg zwischen unserem Reich und einem Verbündeten zu entfesseln, der keinen anderen Grund hatte, als den eigenen Vorteil zu sichern.“

Prinz Amenhotep nickte Hamadi zu.

„Wir haben die Anklagen gehört. Nun gilt es, die Behauptungen zu beweisen.“

Hamadi seufzte unbemerkt, verbeugte sich dann aber vor dem Regenten.

„Wir beginnen mit dem ersten Zeugen.“

Fast jeder aus dem Haushalt des Kutari und auch aus dem Gefolge von Prinz Netermest wurde als Zeuge befragt. Ungeachtet der hohen Temperaturen ließ Prinz Amenhotep während der Mittagszeit nur eine sehr kurze Pause zu. Danach ging es weiter mit Zeugenbefragungen. Am späten Nachmittag wurden dann die Protokolle weiterer Vernehmungen verlesen.

Hamadi war sichtlich erschöpft, obwohl Hori, Shaketo, Userib und Gemni die meisten der Protokolle verlesen hatten.

Prinz Amenhotep war ebenfalls sichtlich erleichtert, als der Ankläger zu erkennen gab, dass er mit seinem Vortrag zu Ende gekommen war.

„Dann ist nur noch eines zu tun.“

Er wandte sich direkt an die Angeklagte.

„Hast du etwas dazu zu sagen, Frau?“

Als er keine Antwort bekam, nickt er zu sich selber.

„Also gut. Es gab da einen letzten Punkt der Anklage. Der Verrat am König des hethitischen Reiches. Normalerweise kümmert uns das nicht besonders, doch dies hier ist ein besonderer Fall. Und so haben wir diese Bedrohung für unseren Verbündeten ebenfalls beseitigen können.“

Auf sein Zeichen schleppten zwei Soldaten einen abgedeckten Weidenkorb auf die Gerichtsfläche und stellten ihn vor der Angeklagten ab.

„Kannst du dir denken, was sich darin befindet?“

Die ehemalige Prinzessin erschauerte sichtlich. Wenn es das war, was sie vermutete, dann waren all ihre Pläne und Hoffnungen zunichte gemacht. Doch sie musste es wissen, sie konnte nicht das Risiko eingehen, getäuscht zu werden. Sie trat an den Weidenkorb heran und einer der Soldaten nahm den Deckel ab. Sie blickte hinein und mit einem lauten Schrei sank sie ohnmächtig zu Boden. Die Soldaten packten den Korb und trugen ihn wieder hinaus.

Prinz Amenhotep nickte grimmig.

„Das Gericht hat alle Punkte gehört. Es wird ein Urteil fällen. Dazu werden alle drei Richter abstimmen.“

Das verwirrte Gemurmel auf dem Platz ließ den Regenten zunächst verstummen. Dann hob er, deutlich sichtbar, eine faustgroße rote Kugel in die Höhe.

„Die Richter werden abstimmen, in dem sie eine solche Kugel in einen Leinensack werfen, mit dem der Priester der Maat sie aufsuchen wird. Eine weiße Kugel, in der Farbe der Trauer und des Todes, bedeutet Schuldig. Eine rote Kugel, in der Farbe des Blutes, das Leben in unseren Körper bringt, bedeutet Nicht Schuldig. Der Priester mag beginnen.“

Sekhet ging herum und sammelte die drei Kugeln ein. Dann trat er damit vor den Regenten. Langsam entnahm er die Kugel aus dem Leinensack und legte sie auf den Tisch, neben die Abbildung der Göttin Maat.

Prinz Amenhotep sah versonnen auf die drei weißen Kugeln herab.

„Die Angeklagte ist schuldig. Sie wird wegen ihrer Taten, die viel Leid und Tod über unser Land gebracht haben, zum Tode verurteilt. Ihre Götter sind nicht die unseren und so hat sie auch keinen Anteil am ewigen Leben. Ihr Kopf wird neben dem des aufständischen Prinzen nach Hattusa geschickt. Mit einem Schreiben an den dort amtierenden König und einem ausführlichen Protokoll ihrer Taten und dieser Gerichtsverhandlung.“

Als die Richter in der umgekehrten Reihenfolge des Zeremoniells den Gerichtsplatz verließen, kam Prinz Netermest eine verstörende Erkenntnis.

Die drei Richter waren nur deswegen ausgewählt worden, um in den Schreiben an den König der Hethiter darauf hinweisen zu können, dass nicht ein einzelner Mann, ja der künftige Herrscher von Khemet diese Entscheidung getroffen hatte. Aber wenn das geplant war, stand dann auch das Todesurteil von vornherein fest? Was wäre gewesen, wenn dort zwei rote und eine weiße Kugel gelegen hätten?

Netermest wurde sich klar darüber, dass das niemals passiert wäre. Die Gerechtigkeit des Regenten stand unerschütterlich fest. Die Meinung von Kutari über die Taten der Menschen und ihre Wirkungen hätten ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis geführt. Und er selbst? Als er die weiße Kugel gegriffen hatte, wusste er, dass er richtig handelte. Er dachte an alle, die ihm folgten und denen er begegnet war. Wieviel Leid und Elend hatte er sehen müssen. Er war es den Opfern ihrer Taten schuldig gewesen.


Die Rückkehr nach Theben war kein großes Ereignis. Die Niemand schien Notiz von ihnen zu nehmen. Doch Prinz Amenhotep hatte bereits mehrere Berichte über alle Vorgänge an den Tjati und auch an den göttlichen Herrscher gesandt. Auch Kutari und Netermest hatten kurze Nachrichten vorausgeschickt, damit ihre Unterkünfte entsprechend vorbereitet werden konnten.

Der erste, der in Theben eintraf war der ehrenwerte Fürst Kutari. Zu abendlicher Stunde hatte sein Schiff festgemacht und er zog mit seinen Begleitern wieder hinüber in das Stadthaus.

Freudig wurde er von dem Verwalter Teremun und auch allen anderen Bediensteten begrüßt. Besonders Nakhet und Kipa wollten wissen, wie es ihrem ‚kleinen‘ Thotmes ergangen war.

Erstaunt bemerkten sie, dass er seine Kinderlocke gegen eine volle Haarpracht getauscht hatte und stolz berichtete er seinen Eltern von der Beschneidungszeremonie. Seine Mutter begann zu weinen, wusste sie nun, dass ihr Sohn seine Eltern nun verlassen würde.

Prinz Netermest bezog wieder seinen südlichen Palast und beide konnten nun nur noch warten auf weiter Befehle. Es dauerte einige Tage, bis die Aufforderung des Tjati eintraf.

Das Treffen fand in den Räumen des Tjati statt. Lediglich Prinz Amenhotep, Prinz Netermest, Fürst Kutari und der Tjati selbst waren anwesend.

„Dann ist die Angelegenheit ja doch noch zu einem befriedigenden Ende gekommen. Man war im Großen Haus sehr erleichtert, dass es sich um den Plan eines Abtrünnigen gehandelt hat. Die Verhandlungen mit den Hethitern hätten einen schweren Rückschlag erlitten, wenn es sich herausgestellt hätte, dass der König dort von diesen Plänen gewusst hatte.“

Amenhotep sah nachdenklich aus.

„Was wurde denn unternommen wegen der Hethiter? Ich meine, die kleine Schlacht an der Oase Timsah ist ja wohl nicht unbemerkt geblieben.“

Der Tjati nickte.

„Ebenso wie die Schlacht um Tjeku. Was in den einzelnen Gauen vor sich gegangen ist, haben wir zu einer großen Übung der Regimenter erklärt. Der Besuch des Mitregenten in Tjeku war zu Ehren der Einführung des neuen Nomarchen. Die Vorgänge im östlichen Harpunengau waren etwas komplizierter zu erklären. Es sieht so aus, als hätte der Nomarch dort unseren göttlichen Herrscher um viele Waren betrogen, denn man hat in den Räumen des Palastes sogar Deben reinen Goldes gefunden.“

Kutari schüttelte unwillkürlich den Kopf. Das war natürlich Unsinn. Niemals hätte der Nomarch bei seiner angespannten Lage Gold horten können. Abgesehen davon gehörte alles Gold im Lande Khemet zunächst dem göttlichen Herrscher. Der geruhte es dann nach eigenem Ermessen weiter zu verteilen.

Der Tjati sah Prinz Amenhotep einen Moment lang an und als dieser nickte, fuhr er fort.

„Unser göttlicher Herrscher hat angeordnet, dass die Angelegenheit dieser hethitischen Frau abgeschlossen ist und nicht weiter besprochen werden darf. Alle erstellten Unterlagen sind dem geheimen Archiv des Großen Hauses zu übergeben.“

Kutari und auch Netermest hatten etwas Ähnliches erwartet.

„Prinz Netermest kann selbstverständlich weiterhin den südlichen Palast bewohnen. Alle Bedürfnisse seines Haushaltes werden durch das Große Haus gedeckt. Offizielle Auftritte sind allerdings auf ein Mindestmaß zu beschränken. Die zugewiesenen Truppen bleiben vorerst in der Kaserne in Theben.“

Netermest wirkte etwas verblüfft, doch dann nickte er.

„Fürst Kutari ist der Aufenthalt in seinem Stadthaus oder einem seiner beiden Landgüter freigestellt. Der Titel des Aufsehers der Fragen des Pharao ruht vorerst, bis er durch unseren göttlichen Herrscher erneut vergeben wird. Fürst Kutari ist es untersagt, ein öffentliches Amt zu übernehmen, abgesehen von dem eines Richters auf seinem eigenen Grund und Boden. Die zugeteilte Ehrenwache bleibt dem Fürsten erhalten.“

Kutari nickte automatisch. So war es besprochen worden, bevor er das Amt angetreten hatte und er wusste, worauf er sich eingelassen hatte. Es würde kein aufregendes Leben werden, aber er hatte genug zu tun.


Zu Beginn der Jahreszeit Peret, der Aussaat, erreichte Kutari eine Nachricht von Prinz Netermest. Er bat ihn, zum südlichen Palast zu kommen und ihn bei einem Besuch zu begleiten. Er sollte einen persönlichen Begleiter mitbringen.

Kutari wunderte sich etwas, doch er kam dem Wunsch gerne nach. Er hatte seinen Haushalt im Stadthaus beibehalten, denn er wollte bei den bevorstehenden Arbeiten der Vermessung und der Aussaat auf dem Landgut nicht im Weg stehen.

Von Imiuthetep begleitet, machte er sich auf den Weg. Im südlichen Palast herrschte ein wenig Hektik und Kutari bemerkte auch sofort, warum. Es waren weitere Gäste eingetroffen. Udabi und Paneb waren aus Tanis gekommen und zu seinem Erstaunen musste Kutari feststellen, dass Hesire mit seinen beiden Schwestern von seinem Landgut herbestellt worden waren.

Wortlos musterte er die versammelten Personen. Hesire, Kawit und Nechet. Dann Paneb, der mit seinem Zwillingsbruder Chaemwase sprach und dann Netermest. Langsam dämmerte es ihm. Er trat dicht neben Netermest und flüsterte fast unhörbar.

„Der alte Mann?“

Prinz Netermest erschrak vor dieser gotteslästerlichen Formulierung, musste aber nicken. Und so gingen sie hinüber in das Große Haus. Sie wurden in einen kleinen Raum geführt, den Netermest auch sofort wiedererkannte. Hier hatte er bereits eine Begegnung mit dem göttlichen Pharao gehabt.

Der Pharao selbst saß in dem Raum, im Gespräch mit Prinz Amenhotep, der sich erhob, als die neun Besucher eintraten.

Als die meisten Besucher realisierten, wen sie vor sich hatten, warfen sie sich zu Boden, wie das Protokoll es befahl.

Amenhotep lächelte, dann wandte er sich an die Gäste

„Ihr dürft ruhig wieder aufstehen. Hier in diesem Raum gibt es kein Protokoll. In diesem Raum ist nur mein Vater und sonst niemand. Er ist neugierig, was ihm die Götter denn für eine Familie beschert haben.“

Etwas verwirrt erhoben sich die Besucher zögernd vom Boden, blieben aber dort kniend sitzen. Lediglich Kutari und Netermest erhoben sich gänzlich und sahen neugierig zum Pharao hinüber.

„Es ist manchmal nicht einfach zu verstehen, was die Götter einem beschert haben. Ich habe nie bedacht, dass eine geringfügig erscheinende Entscheidung solche Folgen haben könnte. Als ich vor Jahren dem Angebot des hethitischen Königs nachgab und eine Prinzessin von dort im Tausch gegen eine Summe Goldes bekam, war dies eine politische Entscheidung und keine des Herzens.“

Der alte Mann seufzte, als er in seinen Erinnerungen kramte.

„Dennoch war sie eine meiner königlichen Gemahlinnen und somit sind ihre Kinder auch die meinen.“

Sein Blick ruhte auf Netermest, der etwas unruhig von einem Bein auf das andere wechselte. Kutari ahnte, worauf die letzte Bemerkung hinauslaufen würde.

„Die Kinder, die sie geboren hat. Ja. Ihr beide, tretet vor.“

Chaemwase und Paneb erhoben sich zögernd und traten vor den Pharao. Dort sanken sie wieder auf die Knie.

„Sie hat auch euch geboren. Macht euch das nun ebenfalls zu meinen Söhnen? Jeder der euch ansieht, wird das verneinen, aber ich sage, ein jeder sollte die Verantwortung tragen für seine Kinder. Und seien sie es auch nur dem Namen nach.“

Chai und Paneb sahen sich einen Moment lang an, senkten dann aber die Köpfe.

„Und ihr drei? Ihr seid die wahren Kinder des Mannes, dessen Namen nicht mehr genannt werden soll. Ihr seid Bruder und Schwestern zu diesen beiden, die das Opfer von Intrigen, Hass und Verrat geworden sind von einem Vater, der es nicht verdient, so genannt zu werden. Was euch zu Geschwistern dieser beiden macht, die ebenfalls die Bürde des verblichenen Fürsten tragen.“

Hesire nickte unwillkürlich. Lange hatte er mit seinen Schwestern über die Zwillinge gesprochen und sie waren sich einig, diese als ihre Brüder willkommen zu heißen.“

Der Blick des Pharao wanderte über die Anwesenden, während er stumm nickte. Dann blieb der Blick an Kutari und Imiuthetep hängen.

„Und du, Sohn des Amun? Du bist der Sohn meiner ersten wahren Liebe. Ich werde es wohl immer bedauern, nicht dein Vater geworden zu sein. Wie ich sehe, hast auch du, ähnlich wie Netermest, einen Begleiter erwählt. Ich hoffe, ihr werdet glücklicher miteinander als ich mit meiner ersten Liebe.“

Kutari verneigte sich förmlich und dachte zurück an die Aussage des Tjati, dass sowohl seine Mutter als auch sein Vater die erste wahre Liebe des göttlichen Herrschers gewesen waren.

Prinz Amenhotep räusperte sich. Er war nicht erwähnt worden, doch als Mitregent und Sohn der Großen königlichen Gemahlin war seine Stellung von vornherein klar.

„Unser Vater hat zwei Dinge beschlossen, die hier verkündet und danach nicht mehr weiter diskutiert werden. Das erste ist, dass die Ehe mit der königlichen Gemahlin Tuaitthesit durch ihren Tod als beendet betrachtet wird. Sie hat laut den Unterlagen dem göttlichen Herrscher einen Sohn geboren, der den Namen Netermest bekommen hat. Die Zwillinge Chaemwase und Paneb bleiben so, wie es registriert wurde, die Söhne der Amme Nebet und des Mannes ohne Namen.“

Prinz Amenhotep sah nun direkt auf die Zwillinge vor ihm herab.

„Euer Vater hat euch durch seine Taten um euer Erbe gebracht, deshalb wird mein Vater euch dafür entschädigen. Die Besitztümer des Fürsten sind bereits verteilt, so bleibt denn nur noch die Gunst unseres Herrschers, die jedoch weit reichen kann. Chai und Paneb, was würdet ihr gerne machen?“

Paneb sah auf und blickte Prinz Amenhotep an, doch seine Worte waren an den Pharao gerichtet.

„Ich bin ein Waisenknabe gewesen und habe meine Liebe gefunden, mehr verlange ich nicht. Ich möchte nur mit Udabi zusammenbleiben dürfen und ein ruhiges Leben führen.“

Paneb zuckte zusammen, als der Pharao leise lachte. Amenhotep hatte eine solche Antwort vorhergesagt. Deshalb hatte er sich lange mit seinen Ratgebern unterhalten und die Meinung des Tjati hatte den Ausschlag gegeben. Er nickte Amenhotep zu.

„Du wirst mit Udabi zusammenbleiben, keine Sorge. Doch ob es ein ruhiges Leben werden wird, können nur die Götter entscheiden. Der Wille meines Vaters ist es, dass Udabi, Sohn des Rachmose, des gewesenen Nomarchen des Ostgaus, eine verantwortungsvolle Aufgabe erhalten soll. Udabi wird eingesetzt werden als Nomarch in den östlichen Harpunengau. Die dortige Linie ist mit dem Tod des Nomarchen und dessen gesamter Familie erloschen.“

Panebs Gedanken kreisten wie wild. Udabi sollte Nomarch werden? Was wurde dann aus ihm? Als er Amenhotep ansah, lächelte dieser etwas. Wusste er etwas? Doch der Prinz hatte gesagt, er würde mit Udabi zusammenbleiben. Als was? Partner eines Nomarchen?

„Chaemwase, was möchtest du machen?“

Chai sah sich unsicher um. Er war sich nicht sicher, wie sein Wunsch aufgenommen werden würde.

„Ich… ich würde gerne bei Leutnant Rahotep arbeiten.“

Prinz Amenhotep hob ein wenig die Augenbrauen, sagte aber zunächst nichts. Sein Blick ging hinüber zu Kutari und dann zu Netermest.

„Mein Vater hat beschlossen, dass die Abteilung von Leutnant Rahotep und allen Personen aus den Haushalten von Prinz Netermest und Fürst Kutari, die es wünschen, in einer neuen Einheit zusammen dienen sollen. Geführt wird die Einheit von dem Standartenträger Pashtu und Hauptmann Rahotep. Sie werden zukünftig die persönlichen Aufklärer des göttlichen Herrschers sein und tragen den Namen ‚Die Ohren des Seth‘.“

Kutari musste unwillkürlich grinsen, doch dann dachte er mit Wehmut daran, wer ihn alles verlassen würde.

„Hesire. Du und deine Schwestern, ihr habt ein eigenständiges Leben und einen einträglichen Beruf. Was wünscht ihr euch?“

Hesire sah ebenfalls zu Prinz Amenhotep, tunlichst versucht, nicht den Pharao direkt anzusehen.

„Wir ihr gesagt habt, Herr. Wir haben Haus und Einkommen. Lediglich meine Schwester Nechet kommt in das Alter, wo sie verheiratet werden sollte.“

Der Pharao drehte seinen Kopf und sah Nechet an. Dann flüsterte er mit Amenhotep.

„Dann wird deine Schwester im Frauenhaus der großen königlichen Gemahlin untergebracht. Sie wird dort mit den königlichen Prinzessinnen erzogen und es wird sich wohl auch ein Mann für sie finden.“

Hesire sah seine Schwester Kawit an und beide waren sprachlos. Das Frauenhaus der Großen königlichen Gemahlin beherbergte alle ihre Dienerinnen, Begleiterinnen und Freundinnen, ebenso wie ihre Töchter. Mit einer Prinzessin zusammen aufzuwachsen und erzogen zu werden war eine sehr große Ehre. Viele der jungen Mädchen, die dort neben anderen Dingen auch Lesen und Schreiben lernten, würden später hochgestellte Posten übernehmen, so wie beispielsweise die Hohepriesterin der Bastet. Oder sie würden an adlige junge Männer verheiratet. Einige hatten sogar das Glück, einen ausländischen Prinzen zu bekommen.

„Fürst Kutari, die Zeit als Aufseher der Fragen des Pharao ist vorüber. Ihr habt zugestimmt, euch zurückzuziehen und keine öffentlichen Ämter mehr zu bekleiden.“

Kutari verneigte sich leicht.

„So sei es. Ich werde mich auf mein Landgut zurückziehen.“

Prinz Amenhotep grinste ihn an.

„Das würde ich mir noch mal überlegen. Mir ist zu Ohren gekommen, du warst noch nicht ein einziges Mal auf dem Landgut im Süden, dass dir der göttliche Herrscher anlässlich deiner Ernennung übertragen hat. Vielleicht solltest du dort einmal nach dem Rechten sehen?“

Kutari wurde blass. Das hatte er ja vollkommen verdrängt! Nun, ja. Es gab Landbesitzer, die ließen sich jahrelang nicht sehen. Sie nahmen nur die jährlichen Abrechnungen zur Kenntnis und führten in Theben oder Men-nefer ein Leben im Luxus.

Blieb noch Prinz Netermest, der etwas nervös zu seinem Bruder und seinem Vater herübersah.

„Bis auf Kutari und Netermest seid ihr entlassen.“

Der göttliche Herrscher widmete sich ausgiebig einer Dattelfeige und die Besucher verließen den kleinen Raum. Aus einer zweiten Tür trat nun der Tjati ein.

„Setzt euch hier hin. Ich will nicht die ganze Zeit meinen Kopf drehen müssen.“

Netermest und Kutari zögerten etwas, doch Amenhotep und der Tjati lachten leise.

„Der Grund, warum ich alle anderen weggeschickt habe ist einfach. Nichts von dem, was heute hier besprochen wird, darf vorzeitig bekannt werden.“

Alle Anwesenden nickten.

„Gut. Ich habe mich sehr lange mit dem Tjati beraten und es ist wohl so die beste Lösung für das Land und seine Bewohner. Die Verwaltung wird geteilt. Ober- und Unterägypten erhalten eine eigenständige Verwaltung unter einem eigenen Tjati. Ihm unterstehen die jeweiligen Gaue direkt und auch die Befehlsgewalt über die dort stationierten Truppen. Die jeweiligen Tjati sind nur dem Großen Haus Rechenschaft pflichtig.“

Kutari war erstaunt, aber ebenso fasziniert von dieser Lösung so mancher Probleme. Netermest schüttelte irritiert den Kopf.

„Ein zweiter Tjati? Wer soll das denn sein?“

In einem Anfall von Erleuchtung sah Kutari die anderen drei Männer lächeln und drehte sich ebenfalls zu Netermest. Der sah von einem zum anderen, bis es auch ihm dämmerte.

„Oh, nein.“

EPILOG

„Großvater, erzähl uns noch eine Geschichte.“

Der alte Mann schüttelte leicht den Kopf. Lächelnd überblickte er die Schar seiner Enkel.

„Nein, das war genug für heute. Legt euch schlafen. Am besten, ihr geht nach oben, denn die Nächte werden nicht viel kühler, als es der Tag war.“

Die kleine Schar erhob sich und huschte hinüber zu der kurzen Leiter, die auf das Dach führte. Lediglich einer der Jungen blieb zurück.

Thotmes sah ihm erwartungsvoll entgegen. Gemni war nun alt genug, bald seine Kinderlocke zu verlieren und der alte Mann sah Fragen auf seinem Gesicht.

„Großvater, stimmt es wirklich, dass einige der Männer lieber, äh… unter sich blieben?“

Selbst im Halbdunkel des Hauses erkannte man, dass Gemnis Gesichtsfarbe dunkler geworden war. Der Junge scharrte nervös mit einem Fuß über den Boden.

„Ja, es stimmt. Etliche haben geheiratet und Kinder bekommen, doch einige haben weiter als Paare zusammen gelebt. Die Erinnerung an sie ist zuerst verblasst, denn sie hatten keine Nachkommen, die für sie die Totengebete gesprochen haben. Trotzdem hatten sie ein schönes und auch manchmal abenteuerliches Leben.“

„Wenn… wenn ich meine Kinderlocke verloren habe, kann ich dann wählen, mit wem ich zusammen sein will?“

Der alte Thotmes lachte unwillkürlich.

„Das haben deine Eltern zu bestimmen. Aber möchtest du nicht Kinder haben und ihnen eines Tages Geschichten erzählen?“

„Wovon denn? Von einem Leben als Schreiber?“

„Das Leben als Schreiber ist gar nicht so schlecht. Immerhin war ich Oberster Schreiber der Geheimen Kammer des Wesirs von Unterägypten.“

„Ja, aber du hast doch auch die Abenteuer mit dem Herrn Kutari und den anderen erlebt. Sie sind doch wahr, oder?“

Thotmes sah plötzliche Zweifel in den Augen des Jungen aufleuchten. Thotmes seufzte.

„Sie sind wahr, aber sie sind nichts, über das man in der Öffentlichkeit erzählt. Schau her, du kannst dich doch noch an den Besuch des Imur-Meschta erinnern vor zwei Jahren.“

Gemni nickte heftig. Der Oberbefehlshaber der Truppen des göttlichen Herrschers in Unterägypten hatte dem Großvater einen Besuch abgestattet. Gemni war damals enttäuscht, dass es keine große Feier gegeben hatte, doch der Imur-Meschta hatte traurig ausgesehen und ihm war wohl auch nicht nach Feiern zumute gewesen.

„Ich nehme an, du kannst dich nicht mehr an seinen Namen erinnern?“

Gemni schüttelte den Kopf.

„Er heißt Sekani. Er war hier, um mit mir über vergangene Zeiten zu reden. Hori war kurz zuvor gestorben und er und ich sind die einzigen, die noch übrig sind vom Haushalt des Aufsehers der Fragen des Pharao.“

Gemni zog überrascht die Luft ein.

„Aber… aber wo sind denn alle?“

Thotmes überlegte eine Weile.

„Nun, der Herr Kutari hat zusammen mit Imiuthetep das Land verlassen. Sie sind nach Norden. Sie wollten auf die Insel Keftiu und von dort vielleicht sogar noch weiter. In ein Land, wo Leute leben, deren Haar so hell ist, wie der Weizen auf den Feldern.“

Gemni erinnerte sich an die Beschreibung von Kutari und erschauerte bei dem Gedanken, welche Abenteuer sie wohl erlebt haben mochten.

„Hori und Sekani sind in den Dienst des göttlichen Herrschers getreten. Hamadi hat geheiratet und ist in den Süden versetzt worden. Nach Buhen, glaube ich. Kanefer und Manetho sind nach Osten gegangen. In ein Land jenseits von Kadesch.“

„Und die anderen? Die Zwillinge, oder Shaketo?“

„Keine Ahnung, was aus Shaketo geworden ist. Aber die Zwillinge haben ihr Leben gefunden. Ptahor ist einer der Gärtner des Großen Hauses und Metufer hat geheiratet und ist Verwalter eines Landgutes geworden.“

Gemni wollte noch etwas sagen, aber Thotmes unterbrach ihn.

„Was ich vorhin gesagt habe, gilt immer noch. Geh schlafen. Wir können morgen noch weiter reden.“

Als gehorsamer Enkel verneigte sich Gemni kurz und schlich hinter seinen Geschwistern her auf das Dach.

Unten, neben dem Eingang zur Haupthalle saßen Neferhotep und seine Frau Wadi. Sie hatten ebenfalls den Erzählungen von Neferhoteps Vater gelauscht, genauso wie sie Gemnis Fragen mitbekommen hatten.

„Glaubst du, die Erzählungen deines Vaters haben Gemni verwirrt?“

Neferhotep schüttelte den Kopf.

„Nein. Wenn er so fühlt, dann ist das so. Es ist nicht an uns, die Entscheidungen der Götter in Frage zu stellen. Außerdem ist es noch viel zu früh. Er hat noch nicht einmal seine Kinderlocke verloren.“

„Manchmal glaube ich, dein Vater denkt sich das alles nur aus.“

Neferhotep lächelte und schwieg. Er hatte den Mann kennengelernt, nach dem er benannt worden war und ebenfalls dessen Partner Pashtu. Er kannte einige Personen aus den Erzählungen und wusste, er musste schweigen. Denn wer konnte sich noch an den jungen Prinzen erinnern, der damals als Sohn des göttlichen Herrschers geehrt worden war. Eines Tages war er verschwunden und nur wenige Jahre später, als das Reich eine neue Form bekam und Ober- und Unterägypten zwei getrennte Verwaltungen erhielt, wurde ein nahezu Unbekannter zum Wesir von Unterägypten bestimmt.

Der Prinz hatte sogar seinen Namen geändert und nichts deutete mehr auf seine Vergangenheit. Das prächtige Grabmal, in dem er zusammen mit Nebamun bestattet worden war, erzählte eine andere Geschichte als diejenige, die der alte Thotmes erzählte hatte. Nur wenige kannten seine wahre Identität.

Neferhotep erhob sich.

„Was meinst du, Frau. Die Nacht ist warm. Lass uns zum Teich gehen. Ich könnte eine Abkühlung gebrauchen.“

„Eine Abkühlung? Ich kenne deine Abkühlungen. Meinst du, sieben Kinder sind nicht genug?“

Neferhotep lachte leise und folgte seiner Frau zum Teich. Seine Erinnerungen zuckten kurz zurück zu diesem Ort, an dem er zum ersten Mal die körperliche Liebe erfahren hatte. Und es war keine Frau gewesen.

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