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Chaos und Ordnung

Teil 4

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Der nächste Morgen verlief ruhig und entspannt. Kutari beobachtete Kanefer dabei, wie er Manetho die Grundlagen der Bedienung eines hohen Gastes beibrachte. Sie hatten sich Teremun als Opfer ausgesucht und dieser saß zusammen mit Thotmes an einem kleinen Tisch mit einer Auswahl an Speisen.

Manetho trug einen makellosen weißen Leinenschurz, ebenso wie Kanefer. Beide standen nebeneinander vor den ‚hohen Gästen‘ und hielten jeder einen Korb mit frischen Früchten in den Händen, die sie darboten. Thotmes ging ganz in seiner Rolle auf.

„Wie?“, meckerte er, „keine süßen Kuchen?“

Manetho wollte etwas sagen, doch Kanefer stieß ihn an.

„Sofort, junger Herr.“

Dann bewegten sich beide synchron. Korb an den Körper heranziehen, Verbeugen, drei Schritte rückwärts, verbeugen, Drehung nach rechts und Abgang. Bloß nicht zu schnell, denn das sah nach ungebührlicher Hast aus. Aber auch schnell genug, um Eifer anzuzeigen.

„Sehr gut. Das sieht schon sehr gut aus.“

Teremun war anscheinend zufrieden. Nur Thotmes verzog sein Gesicht, weil seine Zeit als ‚junger Herr‘ jetzt vorbei war.

Aus einem weiteren Korb neben der Tür nahm Kanefer etwas heraus und warf es Thotmes zu, der es geschickt auffing.

„Hier Thot, dein Kuchen.“

Freudig biss der Junge in das süße Gebäck.

Kutari nickte wohlwollend, aber misstrauisch. Irgendwie kam ihm das alles etwas zu friedlich vor, heute Morgen.

Gestern Abend hatte Hori noch kurz berichtet, wie es ihm ergangen war. Die Hütte, zu der er musste, lag in einem etwas ärmeren Viertel, direkt am Flussufer. Hier lebten vor allem Fischer und Seeleute. Rehema hatte ihn bis zu einer Querstraße vor seinem Ziel begleitet und war dann zurückgeblieben. Als Hori sich nach ein paar Schritten umblickte, war Rehema schon verschwunden.

Die Botschaft selbst abzuliefern, war relativ einfach gewesen. Hori ging bis zu der besagten Hütte und rüttelte an der verriegelten Tür.

„Niemand da“, kam eine tiefe Stimme aus der Dunkelheit irgendwo neben dem Gebäude.

„Ich wollte auch nur fragen, wann ich wieder arbeiten kann.“

Die Stimme schwieg und Hori befürchtete schon, der Mann sei gegangen, doch dann ertönte die Stimme wieder.

„Am letzten Tag der Dekade, zur gleichen Zeit wie immer.“

Ohne zu antworten verließ Hori die Hütte und ging den gleichen Weg zurück, den er gekommen war.

Jetzt wandte sich Kutari an Rehema, der immer noch etwas überrascht war von der plötzlichen Umarmung durch seinen Herrn.

„Ich habe mich in den Schatten und teilweise auf den Dächern bewegt. Es waren zwei Männer dort. Der eine, mit dem Hori gesprochen hat, lag auf dem Dach der Hütte. Ein anderer stand auf der gegenüberliegenden Seite der Straße und beobachtete die Hütte. Während Hori sprach, konnte er von dem zweiten Mann im Licht der Fackel vor der Hütte genau gesehen werden. Dann machte der zweite Mann dem ersten ein Zeichen, worauf dieser dann antwortete.“

Kutari sah sich Rehema jetzt etwas genauer an. Der junge Mann, von dem er wusste, dass er nach Sekani der zweitjüngste war, macht einen freundlichen Eindruck. Der schlanken, sportlichen Gestalt nach schien er viel zu Laufen, was bei seinem früheren Beruf nicht zu verdenken war. Seine Haut war etwas heller als die der meisten Bewohner Khemets und sein Gesicht mit den grauen Augen war länglicher und nicht so rundlich.

„Woher stammst du, Rehema?

„Aus Balat in der Oase Dachla.“

„Nun, ich hatte angenommen, dass man als Jagdgehilfe mehr in der Steppe jagd, als in der Stadt. Du hast sehr erstaunliche Fähigkeiten.“

Man konnte trotz der Dunkelheit sehen, wie sich Rehemas Wangen röteten.

„Danke Herr.“

Mehr sagte er nicht und Kutari beließ es dabei - vorerst.

In der Nacht war Kutari wieder durch einen Besucher aus seinem Halbschlaf gerissen worden. Kanefer hatte sich erneut an ihn gekuschelt und war sofort eingeschlafen. Irgendwie brachte er es nicht übers Herz, den Jungen wegzuschicken. Denn eigentlich hatte der ja jemanden nebenan, an den er sich… nein, sie hatten Kanefer ja klar gemacht, vorsichtig mit Manetho zu sein, damit die Verletzungen ungestört verheilen können.

Am Morgen war Kanefer dann wieder verschwunden, ebenso wie Manetho. Als Kutari zum Frühstück kam, waren die beiden schon mitten in ihrer Ausbildung. Kutari überlegte, ob es nicht doch etwas zu früh war, um mit Manetho zu arbeiten, doch anscheinend war er durch seine Verletzungen nicht so stark eingeschränkt und er schien auch keine Schmerzen zu haben.

Kutari wurde abgelenkt, als Hamadi in der Tür erschien und Kanefer und Manetho zunickte. Dann winkte er auch Thotmes, der freudig aufsprang und zur Tür eilte.

Neugierig folgte Kutari den Jungen. Im Garten hatte Hori einen Platz mit mehreren Binsenmatten vorbereitet zu dem Hamadi jetzt die anderen führte. Kutari erkannte, das Sekani und die Zwillinge bereits dort waren und da wusste er, worum es sich handelte.

Hamadi ließ die Jungen alle auf den Matten Platz nehmen und begann mit einer einfachen Einführung. Er zeigte Papyrusblätter, Schriftrollen, Tafeln mit weichem Lehm, gebrannte Tonscherben und auch ein Stück gegerbtes Leder. Dann zeigte er harte Steingriffel und wie sie auf dem Ton und den Scherben eingesetzt wurden. Danach kam die Binse an die Reihe, die für das Schreiben mit Tusche eingesetzt wurde. Hori demonstrierte gerade das Anspitzen des etwa handlangen Binsenrohres, als lautes Klappern vor dem Tor ertönte.

Kutari seufzte innerlich. Es wäre ja auch zu schön gewesen.

Vor dem Tor war ein Streitwagen vorgefahren und der Lenker trat auf Kutari zu.

„Eine Nachricht Herr, von Prinz Amenhotep. Es ist dringend, Herr. Er hat mir aufgetragen, Euch sofort mitzunehmen.“

Kutari blinzelte verwirrt. Was, bei allen Göttern der Unterwelt, war denn so dringend?

Kutari erklärte Ngozi, der gerade auf Wache stand, die Situation. Dann stieg er hinter dem Wagenlenker auf den Streitwagen und hielt sich fest. Während der Fahrt durch die Straßen der Stadt betete Kutari zu sämtlichen Göttern die er kannte und als sie die Stadt hinter sich gelassen hatten, betete er auch zu allen, die er nicht namentlich kannte.

Als sie endlich das Übungsgelände der Armee erreicht hatten, war Kutari schweißgebadet und das lag nicht am heißen Atem des Herrn Re.


Kutari war dankbar vom Streitwagen gestiegen, der sofort kehrt machte und davonpreschte. Mitten auf dem Übungsplatz erspähte Kutari nun zwei einsame Gestalten und erkannte in der einen deutlich Prinz Amenhotep. Als er näher kam, sah er, dass die andere Person ein junger Mann in einem ledernen Brustpanzer der Wagenlenker war.

In ausreichender Entfernung blieb Kutari stehen, um den Prinzen formell zu begrüßen, doch der winkte bereits energisch und bedeutete ihm, näher zu kommen. Aus Haltung und Bewegungen erkannte Kutari, dass der Prinz deutlich verärgert war. Der junge Mann neben ihm machte einen eher zerknirschten Gesichtsausdruck.

„Kutari. Es ist gut. Komm einfach her und hör mir zu.“

Kutari gehorchte und sagte lieber erst einmal nichts.

„Dieser Schwachkopf hier neben mir ist Rahotep. Er ist, nein, er war, bis eben Wagenlenker in meinem Regiment.“

Ein fast tödlicher Blick traf den jungen Mann, der nun auch sichtlich zusammenzuckte.

„Der einzige Grund, warum er noch nicht den Krokodilen Gesellschaft leistet ist, dass sein Vater, der ehrwürdige Dunmarit, Vorsteher der königlichen Schatzhäuser ist.“

Kutari ließ sich nichts anmerken, doch jetzt wurde es heikel. Der Vorsteher der königlichen Schatzhäuser war einer der höchsten und einflussreichsten Beamten am Hofe des Pharaos. Er verwaltete das gesamte Vermögen. Sollte sein Sohn etwas verrissen haben, so war es nicht einfach, ihn angemessen zu bestrafen oder zu verwenden, wenn nicht ein Schatten der Missbilligung auch auf seinen Vater fallen sollte.

„Dieser hmmm… große Krieger hier, hat es geschafft, zwei unserer besten Streitwagen zu zertrümmern und dabei eines meiner besten Pferde dermaßen zu verletzen, dass wir es töten mussten.“

Immer noch war der Prinz in Rage und Kutari konnte nun auch verstehen, warum. Pferde waren eines der wertvollsten Güter im Lande Khemet. Die meisten bezog man aus den Ländern östlich des Sinai, denn es war bisher nicht gelungen eine wirklich erfolgreiche Zucht aufzuziehen. Ausgebildete Pferde, die einen Streitwagen zogen, waren nicht nur rein finanziell sondern auch aus militärischer Sicht äußerst wertvoll.

„Ich habe erst gedacht, ich werde ihn den Krokodilen vorwerfen, aber ich möchte die armen Tiere nicht vergiften. Dann kam mir unsere Garnison im Sinai in den Sinn…“

Rahotep erbleichte sichtlich, als der Sinai erwähnt wurde, die heißeste Gegend in denen jemals ägyptische Soldaten stationiert worden waren.

„… dann vielleicht eher die Fußtruppen. Da kann er nicht viel kaputt machen. Doch dann wurde mir bewusst, dass sein Vater vielleicht etwas eingeschnappt sein könnte, wenn ich seinen Jüngsten zu Fuß von Oase zu Oase scheuche.“

Interessanter Weise wurde das Gesicht des jungen Mannes etwas abweisend als sein Vater erwähnt wurde.

Prinz Amenhotep legte plötzlich eine Hand auf Kutaris Schulter und schob ihn in Richtung der Kaserne.

„Und du rührst dich nicht von der Stelle“, fauchte er Rahotep an.

Dann führte der Prinz Kutari außer Hörweite von Rahotep und seufzte leise.

„Ich weiß nicht, was ich mit ihm machen soll. Sein Vater hat darauf gedrängt, dass er Soldat werden sollte, natürlich in einer der angesehensten Einheiten unserer Armee, sprich, in meinem Regiment. Und selbstverständlich als Wagenlenker. Der Junge hat nicht mehr Ahnung vom Lenken eines Streitwagens als ein Flusspferd und wahrlich noch weniger Begabung dafür.“

Kutari sah den Prinzen erstaunt an. Es war also tatsächlich ein politisches Problem.

„Ich habe nur noch zwei eigenständige Einheiten die zu meinem Regiment gehören. Das eine sind die Bogenschützen und nun rate einmal, wie gut er mit dem Bogen ist.“

„Und die andere Einheit?“, fragte Kutari scheinheilig, obwohl er die Antwort bereits kannte.

„Oh, das ist die Leibwache des vierthöchsten Beamten des Reiches.“

„Was soll ich denn mit noch einem Offizier? Was kann er denn überhaupt, außer den Befehlen seines Vaters zu gehorchen?“

„Also, was die Sache mit dem Offizier betrifft, habe ich schon eine Idee. Wir stocken die Leibwache auf die doppelte Stärke auf. Zwei Gruppen mit zehn Mann, einem Feldwebel und einem Leutnant. Halt, warte. Ich ernenne Imiuthetep zum Hauptmann, damit der Knabe auf keine dummen Gedanken kommt.“

„Wo soll ich denn damit hin?“

„Wie? Ach so. Die bleiben erst einmal hier in der Kaserne. Müssen ja auch noch zusammen üben und so.“

„Und seine Fähigkeiten?“

Prinz Amenhotep sah betreten zu Boden.

„Ich glaube, er schreibt Gedichte. Er hat eine komplette Ausbildung als Schreiber, Vermesser und Baumeister.“

„Was?! Er sieht doch gar nicht so alt aus.“

„Kutari. Er ist achtzehn. Sein Vater hat ihn mit sechs zur Schreiberschule geprügelt. Mit zwölf war er Landvermesser. Der Junge ist hier völlig fehl am Platz, doch der Alte will ja, dass wir einen Mann aus ihm machen.“

Kutari horchte auf.

„Irgendwelche pikanten Details?“

„Man kann dir nicht viel verheimlichen, was? Er sollte verheiratet werden, mit der Tochter einer hochgestellten Gefährtin der Großen Königlichen Gemahlin. Sie hat ihn dann wohl erwischt, mit seiner Schlange in einem anderen Garten. Oder, um genauer zu sein, mit seiner Schlange bei einer anderen Schlange.“

Kutari hob seine Augenbrauen. Daher wehte der Wind.

„Und deshalb meinst du, er ist bei mir besser aufgehoben?“

„Zumindest wird darüber nicht getratscht bei dir.“

Kutari zögerte. Der Prinz grinste ihn an und führte ihn zurück zu Rahotep, der unter dem ledernen Brustpanzer angefangen hatte zu schwitzen.

„Rahotep. Ich nehme an, Ihr seid noch nicht vorgestellt worden, aber dies ist Kutari, Sohn des Amun und Aufseher über die Fragen des Pharao.“

Rahotep sah Kutari mit einem fast entsetzten Blick an, dann übernahmen seine Reflexe. Ungeachtet der Tatsache, dass Prinz Amenhotep neben ihnen stand, brach der junge Leutnant in die Knie und verbeugte sich tief auf dem Boden.

Sowohl Kutari als auch Prinz Amenhotep sahen überrascht nach unten. Der Prinz murmelte: „So tief lassen einen also eingeprügelte Verhaltensweisen sinken.“

Rahotep hatte ihn trotzdem gehört und sein Gesicht lief vor Scham rot an.

Kutari war sowohl von der Reaktion des jungen Mannes als auch vom Kommentar des Prinzen überrascht.

„Steh auf Rahotep. Ich möchte mit dir reden, nicht mit dem Boden.“

Unsicher erhob sich Rahotep und sah weiterhin zu Boden.

„Sieh mich an. Es zeugt von Höflichkeit, sich in die Augen zu sehen, wenn man miteinander spricht.“

Der Kopf ruckte hoch und blaue Augen funkelten Kutari an.

Jetzt erst erkannte Kutari, dass sich unter der ganzen Bräune eine hellere Haut verbarg, als er angenommen hatte. Auch die Haare waren nicht schwarz, sondern von einem sehr dunklen rot, dunkler noch als das Kupfer aus den Minen.

Rahotep hatte Kutaris Blicke bemerkt und er schien etwas verärgert.

„Meine Mutter stammt aus Keftiu. Ich bin nicht mal ein echtes Kind dieses Landes.“

Amenhotep zischte unwillig, aber Kutari nickte bloß.

„Prinz Amenhotep hat mir den Vorschlag gemacht, dich in meine Leibwache zu übernehmen. Nenne du mir einen Grund, warum ich das tun sollte.“

Rahotep starrte Kutari an. Alleine, dass er den Prinzen ohne weitere Titel in dessen Anwesenheit erwähnt hatte, sprach dafür, dass sie ein freundschaftliches Verhältnis haben mussten. Er hatte gerüchteweise etwas über diese Leibwache gehört, die in einem Auswahlverfahren direkt vom Prinzen ausgesucht worden war.

Es schwirrten sogar schon Gerüchte von einer großen Schlacht mit vielen Toten, aber das war wohl bei der kleinen Truppe etwas übertrieben.

Und warum er dort sein wollte? Wollte er das überhaupt? Er hatte das Getue seines Vaters so satt. Soldat sollte er werden. Hart und stark. Wozu? Er hatte Schreiben und Lesen gelernt. Die heiligen Zeichen, die schnelle Schrift und die Keile der Hethiter und die der Babylonier. Er konnte die Äcker der Bauern vermessen, Land abstecken, Häuser konstruieren und den Bau von Tempeln überwachen. Doch was sollte er hier? Zwischen all den Soldaten, dem Tod und den Schrecken eines Krieges? Das alles, weil sie einmal nicht aufgepasst hatten und diese blöde Gans unangemeldet hereingeplatzt war. Rahotep schüttelte unwillig den Kopf.

„Einen Grund? Ich kann euch keinen nennen, Herr. Ich tauge zu nichts von dem, was Ihr von mir verlangt.“

Kutari sah Rahotep schweigend an, während Prinz Amenhotep ihn mit verkniffenem Mund musterte.

„Wenn das so ist, dann ist deine Zeit als Soldat vielleicht doch beendet. Ausziehen!“

Rahotep sah den Prinzen verblüfft an.

„Du hast mich gehört. Ausziehen. Alles. Nichts wird dich an dein Dasein als Soldat mehr erinnern.“

Zögernd begann Rahotep seine gesamte Ausrüstung abzulegen. Vom Brustharnisch bis zu den Sandalen legte er alles fein säuberlich auf einen Haufen.

Nachdenklich musterte Kutari den vollkommen nackten jungen Mann vor sich. Tatsächlich war die Haut dort, wo er meistens einen Leinenschurz trug, erheblich heller und nun brannte die Sonne erbarmungslos auf ihn herab. Prinz Amenhotep wies auf das in der Entfernung gerade noch sichtbare Gebäude der Kaserne.

„Geh hinüber, wasch dich, besorg dir einen Leinenschurz und warte dort. Wir werden inzwischen über dein Schicksal beraten.“

Ohne zu Zögern marschierte Rahotep los und Kutari sah der nackten Gestalt nachdenklich hinterher.

„Er ist ehrlich, körperlich anscheinend in guter Form und befolgt jeden Befehl, den man ihm gibt. Warum willst du ihn loswerden?“

„Ja. Er ist ehrlich. Manchmal glaube ich, er ist ein wenig naiv, aber dann wiederum… In guter Form ist er auf jeden Fall. Er schwimmt wie ein Fisch und ist kräftig. Er hat schon viele Ringkämpfe gewonnen, obwohl er nicht danach aussieht. Und das Befolgen von Befehlen muss nicht immer eine Tugend sein. Man muss vorsichtig sein, was man als Befehl äußert. Einiges könnte sich rächen.“

Kutari sah noch immer der verschwindenden Gestalt hinterher. Er war deutlich unentschlossen, doch dann legte der Prinz ihm eine Hand auf die Schulter.

„Ich kenne dich, Kutari. Was wirst du mit ihm anfangen?“

„Du hast davon gesprochen, du willst eine zweite Truppe. Such mir 200 Soldaten, wie beim letzten Mal. Doch ich möchte diesmal die Prüfungen durch die Leute meiner eigenen Truppe durchführen lassen. Und durch ihn.“

Der Prinz musterte Kutari erstaunt.

„Also doch wieder Soldat. Mehr als Leutnant gebe ich ihm aber nicht.“

„Das ist auch nicht notwendig. Seine Truppe wird sehr klein werden. Und wenn sie gut sind, ist das mehr als genug.“

Prinz Amenhotep streckte einen Arm nach oben und vom Rand des Übungsplatzes preschten zwei Streitwagen heran.

Amenhotep sah Kutari fragend an.

„Also, wir erweitern deine Leibwache um einige Männer und er wird dort als Offizier dienen. Kann ich das auch so seinem Vater erzählen?“

Kutari nickte.

„Ja. Es wird so sein wie du gesagt hast. Ist es möglich, dass wir die Auswahl der Männer bereits heute Nachmittag machen? Möglicherweise werde ich sie schon bald benötigen. Und Rahotep möchte ich so schnell wie möglich noch vor der Auswahl bei mir im Haus haben.“

„Ha, erst unentschlossen und dann eilig. Aber das lässt sich machen. Der Streitwagen wird dich wieder nach Hause bringen. Ich schicke Rahotep hinterher, sobald er fertig ist.“

Kutari stieg ergeben auf den wartenden Streitwagen und hoffte doch wenigstens auf einen schmerzlosen Unfalltod.


Nach einem leichten Mittagessen hatten sich alle in die Schatten ihrer Räume oder der großen Halle zurückgezogen. Kutari döste dort auf einem Stapel von Kissen, als Manetho ihn weckte.

„Ihr habt einen Besucher, Herr. Er wartet in der Vorhalle.“

„Führ ihn herein.“

Wie Kutari vermutet hatte, erschien Rahotep. Der junge Mann trug nun den türkisfarbenen Leinenschurz, der das Kennzeichen von Kutaris Leibwache war, ansonsten nur noch ein paar Schilfsandalen. Das tiefrote Haar war frisch geschnitten und deutlich kürzer als vorher. In der rechten Hand hielt er einen etwa anderthalb Ellen langen, hölzernen Stab, mit einem kupfernen Ring an jedem Ende, das Zeichen seiner Würde als Offizier.

Etwas erstaunt sah sich Rahotep im Inneren des Hauses um. Er wusste nicht genau, was er erwartet hatte, doch der Titel eines Aufsehers der Fragen des Pharaos hatte in ihm eigentlich ein Bild von Prunk hervorgerufen. Einen Reichtum, der die Macht mitteilte, die diesem Titel innewohnte. Er wurde unversehens aus seinen Gedanken gerissen, als Kutari ihn ansprach.

„Nun, es entspricht wohl nicht alles deinen Erwartungen?“

Kutari hatte die Blicke gesehen, mit denen Rahotep sich umgesehen hatte. Kein Wunder, er war zwischen Reichtum und Macht aufgewachsen.

Rahotep hingegen hatte die Bemerkung aufgeschreckt. Seine Neugier hatte seinen neuen Herren beleidigt und seine erneute Einsetzung in den Rang eines Leutnants und sein Verbleiben in der Armee würde er nur dem Wohlwollen dieses Herrn verdanken, das hatte Prinz Amenhotep ihm deutlich zu verstehen gegeben.

„Oh nein, Herr. Ich meine, doch, Herr. Ich war nur etwas… überrascht. Ein hoher Herr von Eurem Ansehen sollte… äh, ich meinte…“

Entsetzt über sich selber, schloss Rahotep schnell den Mund und starrte zu Boden. Plötzlich spürte er, wie jemand nahe an ihn herantrat, eine Hand sanft unter sein Kinn fasste und seinen Kopf anhob. Er sah genau in Kutaris blaue Augen.

„Erste Regel für dieses Haus. Wenn jemand mit mir redet, sieht er mir in die Augen. Ich will dein Gesicht sehen, wenn du redest und nicht nur deine Worte hören.“

Kutari trat wieder zurück und winkte mit der Hand.

„Folge mir nach Draußen. Wir werden uns ein wenig unterhalten.“

Rahotep folgte Kutari, der ihm eine kurze Erklärung zu dem Anwesen und seinen Bewohnern, einschließlich der Dienerschaft, gab. Als sie den Teich erreichten, sah Kutari, dass die Zwillinge beim Anpflanzen von Tamarisken waren, um dem Platz vor dem Teich die geplante Form zu geben. Ebenso bemerkte Kutari, dass Rahotep etwas abgelenkt war. Immer wieder schielte er hinüber zu den Zwillingen, die, nur mit einem Lendentuch bekleidet, die Löcher für die Pflanzen aushoben.

Kutari lächelte leicht, denn irgendwie hatte er so etwas nach der ominösen Bemerkung von Prinz Amenhotep über Schlangen und Gärten vermutet. Aber das ging ihn nichts an.

„Der Teich wird als Reinigungsbad genutzt. Er steht für alle, und ich meine auch alle, Mitglieder des Haushalts zur Verfügung.“

Rahotep hatte hier zum ersten Mal ein Gefühl, das schon andere Mitglieder des Haushaltes vor ihm hatten: hier war so einiges anders, als er bisher gelernt und erfahren hatte.

Auf dem kleinen Übungsplatz waren die Soldaten gerade wieder bei den Ringkämpfen. Amüsiert sah Kutari, dass Leutnant Imiuthetep von Sekani nach nur wenigen Augenblicken auf den Boden gepinnt wurde, ebenso wie er kurz darauf Amani besiegte.

Rahotep sah ebenfalls interessiert zu, dann fiel ihm etwas auf. Es gab keine älteren Soldaten. Alle waren etwa um die zwanzig, der kleine flinke Ringer vielleicht sogar jünger. Vergeblich suchte er einen Offizier.

Kutari winkte Imiuthetep zu sich, der noch etwas schwer atmend und schweißglänzend zu ihnen herüberkam.

„Rahotep, dies ist Leutnant Imiuthetep, der Kommandant meiner Leibwache. Und dies, mein Freund, ist Leutnant Rahotep. Er wird ab heute ebenfalls zur Leibwache gehören, aber mit einem anderen Auftrag als deine mutigen Krieger.“

Erstaunt musterte Imiuthetep den Neuzugang. Er schien zunächst etwas verärgert, doch dann grinste er breit.

„Willkommen bei den Schakalen der Maat.“

Kutari und Rahotep sahen den Leutnant erstaunt an, bis dieser seine abgelegte Kleidung holte. Wortlos gab er Rahotep den Gürtel mit der silbernen Schnalle.

„Was siehst du?“

„Seth und Maat. Ich habe schon von dieser ungewöhnlichen Kombination gehört.“

„Siehst du. Und wir sind als Krieger die Schakale des Seth, die der Göttin der Wahrheit dienen. Chaos und Ordnung, so wie unser göttlicher Pharao, lang möge er leben, es befohlen hat.“

Automatisch verbeugten sich alle ein wenig bei der Lobpreisung des Herrschers und Kutari überlegte, ob die Soldaten vielleicht eine eigene Standarte haben könnten, während Rahotep ein ganz anderes Problem zu bewältigen versuchte.

Es hatte ihn zutiefst erstaunt, dass Kutari ihm den gutaussehenden Mann, der eben noch im Staub des Übungsplatzes gelegen hatte, als kommandierenden Offizier vorstellte. Rahoteps Vorstellungen von einem Offizier hatten sich bis jetzt an den stolzen, meist adligen, jungen Wagenlenkern orientiert, die alle unter ihnen stehenden als minderwertig betrachteten oder mit hochnäsiger Nichtachtung behandelten.

Dieser hier hingegen, hatte an den Ringkämpfen seiner Truppe teilgenommen und war besiegt worden, ohne dass er darüber erzürnt gewesen wäre. Rahotep nahm an, dass der Leutnant auch an den anderen Waffenübungen seiner Einheit teilnahm. Er blickte kurz die Reihe der Soldaten entlang, die immer noch in ihre Lendentücher gekleidet, ihre Sachen aufnahmen und in Richtung des Teichs gingen. Sie waren tatsächlich irgendwie gleich, gleich groß zum Beispiel, denn den muskulösen Nubier trennten nur etwa zwei Finger breit von dem flinken Jungen, der die Ringkämpfe gewonnen hatte. Aber es war auch etwas anderes. Sie benahmen sich, als wären sie schon Jahre zusammen, doch Rahotep wusste, dass diese Einheit erst seit ein paar Tagen existierte.

Er seufzte schwer. Niemals würde er es schaffen, so zu sein wie dieser Leutnant. Seine Fähigkeiten im Waffenhandwerk waren zu gering und niemals würde er sich gegen eine solche Horde durchsetzen können.

Kutari wanderte nun schweigend wieder zurück zum Teich, wo die Soldaten auch ihre restliche Bekleidung abgelegt hatten und im Wasser tobten. Rahotep sah zu wie sie spielten, sich jagten wie die Kinder und gegenseitig untertauchten. Und Leutnant Imiuthetep mitten unter ihnen.

Ein einziger Soldat stand, nur mit einem Lendentuch bekleidet, am Ufer. Rahotep sah, dass er einen Verband um den Brustkorb trug und er vermutete, dass er deshalb nicht ins Wasser durfte. Doch nun kam Leutnant Imiuthetep heraus und sprach kurz mit diesem Soldaten. Freudig legte der sein Lendentuch ab und watete ins flache Wasser. Zwei seiner Kameraden kamen heran und fingen an, ihn vorsichtig abzuwaschen, ohne dass der Verband nass wurde.

„Das ist also die Truppe, der auch du nun angehörst.“

Rahotep wandte sich zu Kutari und sah ihn traurig an.

„Ich werde wohl nie zu ihnen gehören.“

„Du gehörst bereits zu ihnen. Und sie zu dir. Du hast jetzt ebenfalls die Verantwortung für diese Männer. Es ist an dir zu entscheiden, wie du damit umgehen willst.“

Rahotep nickte und sah sehnsüchtig hinüber zum Teich. Er liebte das Wasser, doch gleichzeitig machte ihm der Gedanke an die Männer und die Verantwortung die damit kam, Angst.

Leutnant Imiuthetep hatte sich bei der kurzen Vorstellung ein kurzes, erstes Bild von dem Neuen gemacht, das er jetzt langsam revidierte. Zuerst war er verärgert gewesen, dass man einen zweiten Offizier schickte, ohne etwas vorher zu sagen. Dann kam der Satz von Kutari über den anderen Auftrag. Es würde also höchst wahrscheinlich zwei Gruppen mit verschieden Aufträgen geben. Gut, damit konnte er leben, wenn ihm keiner in seinen Bereich hineinredete.

Als sie dann alle im Teich waren und er Rehema ebenfalls hineingelockt hatte, sah er den Neuen - wie hieß er noch? – ach ja, Rahotep, am Ufer stehen. Diesen sehnsüchtigen und gleichzeitig verloren Gesichtsausdruck hatte er schon einmal gesehen. Ein kleiner Junge hatte an einem Marktstand vor einem Händler mit Datteln gestanden und diesen Gesichtsausdruck gehabt. Imiuthetep sah das Verlangen und doch gleichzeitig das Bewusstsein, sich die Früchte nicht leisten zu können. Er glaubte zu wissen, welches Problem Rahotep hatte. Er ließ die anderen herumschließen und flüsterte.

„Leute, wir haben einen neuen Offizier.“

Die anderen hatten den Neuen in seinem türkisfarbenen Leinenschurz ebenfalls bemerkt, waren aber inzwischen lange genug Soldat, um keine neugierigen Fragen zu stellen.

„Wir werden ihn entsprechend willkommen heißen. Nur ein wenig im Wasser spielen. Nicht untertauchen, nicht festhalten und auch keine“, er fasste Sekani ins Auge, „unerwünschten Berührungen im Wasser. Er ist immer noch Offizier. Verstanden?“

Alle nickten, nur Sekani machte einen Schmollmund.

„Ngozi, Psusennes, ihr holt ihn ins Wasser. Und dass nichts von seiner Kleidung nass wird.“

Imiuthetep überhörte das Kichern von Sekani und sah neugierig zum Ufer. Das war fast genauso einfach wie der kleine Junge mit den Datteln. Imiuthetep war damals einfach zu dem Händler getreten, hatte freundlich mit dem Amtsstab gegrüßt und sich eine Frucht genommen. Der Händler hatte nicht gewagt zu widersprechen und der kleine Junge starrte Imiuthetep freudig und auch etwas ängstlich an, als der ihm die Dattel in die Hand drückte.

Kutari hatte gesehen, dass Imiuthetep mit seinen Leuten gesprochen hatte und ahnte was kommen sollte.

Der in Gedanken versunkene Rahotep erschrak etwas, als plötzlich vor ihm zwei tropfnasse Gestalten erschienen und ihn angrinsten.

„Verzeiht, Herr, aber wir haben einen Auftrag.“

Nur wenige Herzschläge später stand Rahotep splitternackt neben dem Teich und wurde von dem großen Nubier kurzerhand von hinten umarmt und mit einem gemeinsamen Sprung ins Wasser befördert. Innerhalb kürzester Zeit war eine wilde Jagd im Gange, mit kleinen Balgereien und viel Getauche. Imiuthetep bemerkte nicht ohne Anerkennung, wie Rahotep sich gegen weit mehr als die Hälfte der Männer gut durchsetzen konnte.

Viel zu früh für das Gefühl aller Beteiligten erschien Feldwebel Chepren mit Manetho im Schlepptau, der einen Stapel Leinentücher trug. Mit einer Stimme, die nur ein Feldwebel richtig meistern konnte, beendete er das Bad.

“Alle raus! Zeit für die nächste Waffenübung!“

Rahotep bemerkte erstaunt, dass nicht einer murrte oder meckerte. Langsam strebten alle zu den Stufen. Oben verteilte ein junger Mann, anscheinend ein Diener, Leinentücher zum Abtrocknen. Als Rahotep trocken war, zog er sich wieder an und bemerkte aus den Augenwinkeln heraus, wie die anderen Soldaten ihre Tücher wieder an den Diener zurückgaben und nicht wie er, einfach achtlos hatten fallen lassen. Nach kurzem Zögern sammelte er sein Tuch ein und gab es dem nur wenige Schritte entfernten Jungen. Als dieser sich danach umdrehte, sah Rahotep dessen Rücken und erstarrte. Seine Augen wurden groß und er suchte Kutari in der Menge.

Kutari hatte Rahotep die ganze Zeit beobachtet. Er hatte sein Erschrecken gesehen, als Ngozi und Psusennes vor ihm aufgetaucht waren und die leichte Peinlichkeit, als Ngozi ihn umarmte. Im Wasser war Rahotep anscheinend ein ganz anderer Mensch. Flink und elegant, geschickt und verspielt. Hier war er mehr er selbst gewesen, als irgendwo anders. Nach dem Bad bemerkte Kutari mit Wohlwollen, wie Rahotep nach kurzem Zögern sein Tuch aufnahm und es Manetho gab. Leutnant Imiuthetep hatte seinen Soldaten klargemacht, dass die Dienerschaft des Hauses nicht für sie da war und dass alles, was für die Soldaten getan wurde, freiwillig war.

Als Kutari dann die Reaktion bemerkte, die der Anblick von Manethos Rücken hervorgerufen hatte, trat er schnell näher.

„Was ist mit dem Jungen passiert? Ich habe schon gesehen, dass Sklaven ausgepeitscht wurden, aber so etwas?“

„Zwei Dinge. Erstens, Manetho ist kein Sklave, sondern ein freier Bürger, zweitens ist das einer der Gründe warum du hier bist.“


Kutari hatte sich mit Imiuthetep und Rahotep in den Schatten der großen Halle zurückgezogen, auch wenn es dort nicht wirklich kühler war als draußen.

In einem kurzen Abriss erzählte er Rahotep die Geschichte seiner Ernennung und die Geschichte der misshandelten Jungen.

Rahotep konnte kaum glauben, was er da hörte. Obwohl er schon öfter einige Geschichten über Intrigen und gesetzlose Machenschaften am Hofe des göttlichen Pharaos gehört und auch erlebt hatte, war diese doch eine der brutalsten und anscheinend eine, die bis in die höchsten Kreise reichte.

„Und da kommst du ins Spiel.“

Rahotep sah Kutari völlig ratlos an.

„Ich, wieso? Ich habe keine Ahnung von einer Bande von… von Zuhältern und Verschwörern.“

„Das habe ich auch nicht gesagt. Ich hatte nur nach dem gestrigen Abend eine Idee. Ich habe zwar eine Leibwache, aber die macht genau das, was der Name sagt, für meine Sicherheit sorgen. Gestern Abend habe ich einen meiner Schreiber auf eine Mission geschickt, die sehr wohl schlimm für ihn hätte ausgehen können. Er ist nicht vorbereitet oder ausgebildet zu kämpfen, zu schleichen und zu spionieren.“

„Ihr wollt Spione, Herr?“

„Nein, was ich will, ist eine kleine Gruppe von Leuten, die in der Lage ist, Informationen zu sammeln ohne dabei zu Schaden zu kommen und diese Informationen dann auch richtig zu deuten.“

Imiuthetep und Rahotep sahen sich an und gingen dann jeder seinen Gedanken nach.

„Imiuthetep, so Leid es mir tut, aber ich möchte, dass du zwei deiner Männer an Rahotep abgibst. Und zwar Sekani und Rehema.“

Imiuthetep sah etwas verärgert zu Kutari, aber dann nickte er. Nach einer Weile begann er sogar zu lächeln.

„Ja, das macht Sinn. Einen zum Beschatten und einen für den lautlosen Kampf.“

Rahotep sah verwirrt zu Kutari als dieser nickte.

„So in etwa. Wir müssen sehen, was wir noch bekommen. Wir werden auf dem Übungsplatz des Regiments erwartet. Prinz Amenhotep hat mir zugesagt, dass ich noch weitere Leute bekomme. Ihr zwei werdet mich begleiten und dann nehmen wir noch Feldwebel Chepren mit. Diesmal wird die Auswahl wohl etwas anders aussehen.


Als sie auf dem Übungsplatz ankamen, hatte Prinz Amenhotep bereits wie versprochen 200 Soldaten ausgesucht. Schnell hatte sich der Grund für diese Auswahl herumgesprochen und die Spannung unter den Soldaten war gestiegen.

Feldwebel Chepren sollte die erste Auswahl unter den Soldaten treffen. Ihm war erklärt worden, worum es ging und er war der Ansicht, dass diesmal andere Fähigkeiten im Vordergrund stehen sollten als bei der Auswahl zum Leibwächter. Schießen konnte schließlich jeder – oder fast jeder, aber es dauerte lange, ein Handwerk zu erlernen.

Seine erste Frage galt dem Beruf. Als er alle Bauern hatte raustreten lassen, war die Truppe schon halbiert. Wenn das so weiterging, würde er nicht mehr viel zur Auswahl haben, deshalb konzentrierte er sich wieder auf die militärischen Fähigkeiten. Nach dem Bogenschießen und dem Umgang mit dem Chepesch waren es plötzlich nur noch dreißig Männer. Langsam ging er die Reihe durch und musterte jeden einzeln. Kam es ihm so vor oder wurden die immer jünger?

„Du da! Wie alt bist du?“

„Siebzehn, Feldwebel!“

„Was hast du gelernt?“

„Pfeilmacher, Feldwebel!“

Chepren stutzte. ‚Dann wollen wir doch mal sehen‘. Er ging hinüber zu seiner Ausrüstung und holte drei Pfeile aus seinem Köcher.

„Dann erzähl mal was zu diesen drei.“

Der Junge besah sich die Pfeile von allen Seiten. Den ersten gab er nach wenigen Augenblicken zurück.

„Ein einfacher Kriegspfeil der Armee. Mit Gänsefedern geschäftet, die Spitze mit Widerhaken für bessere Einwirkung.“

Beim zweiten Pfeil drehte er ihn erst unentschlossen in der Hand, bis dann ein Leuchten der Erkenntnis über sein Gesicht zog.

„Ein sehr alter Pfeil. Eine Obsidianspitze auf einem Holz, das ich nicht kenne. Mit Falkenfedern geschäftet.“

Beim dritten Pfeil begannen die Augen zu leuchten.

„Ein Pfeil der Hethiter, mit einer Eisenspitze und Federn der Wildgänse.“

Feldwebel Chepren nahm seine Pfeile wieder entgegen und war etwas unentschlossen, doch dann deutete er auf eine Gruppe von drei Männern, die etwas abseits standen und zu warten schienen.

„Geh hinüber und stell dich vor. Erzähl ihnen, welche Aufgabe ich dir gestellt habe und wie du sie gelöst hast. Sie werden entscheiden ob du bleiben darfst.“

Der nächste in der Reihe war ein Nubier, ebenso schwarz wie Ngozi, wenn auch nicht so muskulös. Dieser hier schien eher zu laufen oder zu schwimmen, anstatt Gewichte zu heben.

„Nun, wie alt bist du?“

„Neunzehn, Feldwebel.“

„Was hast du gelernt?“

„Viehzüchter, Feldwebel.“

Verärgert wollte Chepren schon sagen, dass er alle Bauern hinausbefohlen hatte, als ihm einfiel, dass die Nubier den Ackerbau streng von ihrer Viehzucht trennten. Bei ihnen bearbeiteten die Frauen das Feld und die Männer hüteten das Vieh.

„Aha und welche Sorte von Vieh hast du gezüchtet?“

„Pferde, Feldwebel.“

Chepren konnte sich gerade noch beherrschen, nicht mit offenem Mund dazustehen. Wie, im Namen der Unterwelt, war dieser Mann zwischen die Soldaten geraten.

„Siehst du die Offiziere dort drüben? Geh hinüber und stell dich vor. Sie werden entscheiden ob du bleiben darfst.“

Und so sammelte Chepren mühselig, außer einem Pfeilmacher und einem Pferdezüchter, sechzehn weitere Männer, die er alle zu Kutari und den beiden Leutnanten schickte.

Am Ende waren es dann zehn Männer, die ausgewählt wurden. Zwei, die Sekani und Rehema bei der Leibwache ersetzen sollten und acht für Rahoteps Truppe. In Anlehnung an Imiutheteps Schakale der Maat bezeichnete Rahotep seinen Trupp heimlich für sich, als Ohren des Seth. Hoffentlich nahm ihm der Gott mit den großen Ohren das nicht übel.

Es dauerte noch eine ganze Weile, bis die neuen Soldaten ihre Ausrüstung empfangen hatten und ihre offizielle Abmeldung beim Schreiber des Regimentes erfolgt war. Feldwebel Chepren führt die Gruppe dann geschlossen im Marschtritt nach Hause.

Neugierig sahen die Bewohner des Hauses zu, wie Chepren seine kleine Truppe durch den Haupteingang lotste und dann hinten auf dem Übungsplatz antreten ließ. Die zehn jungen Männer waren etwas erschöpft von dem Marsch, aber sie sahen sich neugierig um.

Die beiden Leutnante kamen aus dem Haupthaus und gingen ebenfalls zum Übungsplatz. Der Feldwebel ließ stillstehen und meldete Leutnant Imiuthetep.

Schweigend sah der Leutnant an seinen neuen Soldaten entlang, dann nickte er dem Feldwebel zu.

„Shesher und Nayakepu vortreten!“

Ein schmaler, drahtiger junger Mann mit verstrubbelten schwarzen Haaren und der einzige Nubier der Gruppe traten vor.

„Ihr beide werdet in der Leibwache eingesetzt. Eure Kameraden werden euch zeigen, wo ihr unterkommt und euch erklären, was ihr wissen müsst. Shesher, du begleitest Ngozi, Nayakepu geht mit Psusennes.“

Etwas erschrocken starrte der schmale junge Mann auf die massive Gestalt von Ngozi, die ihn heranwinkte. Psusennes war überrascht, dass er mit jemandem zusammenarbeiten sollte, der genau so schwarz war wie Ngozi.

„Sekani, Rehema, eintreten.“

Sekani und Rehema gingen hinüber und stellten sich zu den Neuankömmlingen.

Rahotep nickte dem Feldwebel abschließend zu, der, genau wie Imiuthetep, mit dem Rest der Truppe wegtrat. Rahotep war alleine mit seinen zehn Männern. Er wusste, er sollte jetzt eine Rede halten, aber ihm fiel nichts ein. Wie hatte Imiuthetep gesagt? Wenn du nicht weiter weißt, beschäftige deine Leute, aber sinnvoll. Sein Blick fiel auf die Ausrüstung die die Soldaten noch bei sich hatten.

„Mein Name ist Leutnant Rahotep. Ich bin euer kommandierender Offizier. Ich werde euch nachher eine Einweisung geben in das, was euch erwartet. Doch zuerst werdet ihr eure Quartiere beziehen. Sekani und Rehema werden euch zeigen wo alles ist. Wenn alles verstaut ist, treffen wir uns beim Platz vor dem Teich. Wegtreten.“

Sekani und Rehema winkten ihren neuen Kameraden ihnen zu folgen. Der neue Leutnant war anscheinend keine Leuchte was Reden betraf, aber es hätte schlechter kommen können.

Die Neuen, und mit ihnen Sekani und Rehema, waren in den Unterkünften der Bediensteten untergebracht. Das Stadthaus hatte ursprünglich erheblich mehr Bedienstete gehabt als jetzt und so waren noch etliche der Räume frei.

Als Sekani und Rehema ihre Schützlinge wieder zurückgetrieben hatten, war Rahotep schon dort. Er hatte sich einfach auf dem spärlichen Gras niedergelassen und deutete eine Runde an. Zögernd ließen sich die Soldaten nieder.

„Wie bereits gesagt, mein Name ist Leutnant Rahotep. Ihr seid zwar zur Leibwache des Aufsehers der Fragen des Pharao versetzt worden, doch der Aufseher, der ehrenwerte Kutari, Sohn des Amun, hat ganz spezielle Pläne mit euch.“

Erstaunt sahen sich die Neuzugänge an, Sekani und Rehema grinsten breit.

„Ihr seid alle ausgewählt worden, weil ihr bestimmte Fähigkeiten oder ein spezielles Wissen habt, das für unseren Herrn vielleicht von Interesse oder Wichtigkeit sein kann.“

Es setzte leises Gemurmel ein und noch ehe Rahotep für Ruhe sorgen konnte, ergriff einer der Soldaten das Wort.

„Aber Herr, was können wir denn, was ein hoher Herr nicht kann?“

Rahotep musterte den Jungen kurz.

„Kagemni. Richtig?“

Erstaunt nickte Kagemni und Rahotep dankte den Göttern für sein gutes Gedächtnis.

„Du bist Pfeilmacher. Du hast drei Pfeile, die man dir vorgelegt hat, sofort erkannt. Kannst du das auch mit den dazugehörigen Bögen?“

„Nun ja, ich bin kein Bogenmacher, doch das ist nicht besonders schwer.“

„Für dich vielleicht nicht, aber stell dir vor, auf unseren Herrn wird geschossen, was übrigens schon passiert ist. Er nimmt den Pfeil, sieht ihn an und sagt: ‚Woher kommt der? Wer hat ihn gemacht? Nach wem muss ich suchen? Was glaubst du, wer ihm die Antworten geben kann?“

Kagemni sah seinen Leutnant mit offenem Mund an. Rahotep hielt sich nicht auf, sondern wandte sich an den Soldaten neben Kagemni.

„Oder du. Du bist Inherkau, der Papyrusmacher.“

Der junge Mann starrte Rahotep an und nickte stumm.

„Unser Herr bekommt einen Brief. Sagen wir, einen Drohbrief. Kannst du aus dem Papyrus erkennen, ob es teuer war, eines Adligen würdig oder vielleicht etwas billiges von einem Schreiber an einer Straßenecke. Kannst du vielleicht sogar erkennen, in welchem Teil unseres Reiches er gefertigt wurde?“

„Ja, Herr. Es gibt viele verschiedene Sorten und die Preise sind sehr unterschiedlich. Auch ist die Technik der Herstellung in einigen Gauen anders als in anderen.“

„Genau das habe ich gemeint. Wir haben hier einen Pfeilmacher, einen Papyrusmacher, einen Töpfer, einen Weber, einen Schmied, einen Tischler, einen Juwelier und einen Kosmetiker. Ihr alle habt spezielles Wissen und spezielle Fertigkeiten, die wir nutzen können.“

Rahotep hatte während der Aufzählung jeweils auf die entsprechende Person gewiesen und bei Neferhotep, dem Kosmetiker hatten einige angefangen zu grinsen. Kosmetiker war ein Beruf, der fast ausschließlich von Frauen ausgeübt wurde und der junge Mann zeigte auch neben seiner schlanken Gestalt sehr weiche Gesichtszüge. Sein Haar war auch nicht schwarz, sondern war um etliches heller, ebenso wie seine Haut, die so hell war wie die von Rahotep. Dennoch war er Soldat in einem der besten Regimenter geworden und das wurde man nicht ohne Grund.

Rahotep bemerkte ebenso die neugierigen Blicke, die Rehema und Sekani zugeworfen wurden.

„Diese beiden werden euch in weitere Fertigkeiten einweisen, von denen ihr wahrscheinlich noch nie etwas gehört habt. Von ihnen werdet ihr lernen, euch lautlos zu bewegen und ebenso lautlos einen Gegner zu erledigen.“

Rahotep hörte, wie einige vernehmlich nach Luft schnappten.

„Aber das ist natürlich noch nicht alles. Wir werden nicht hier herumsitzen und darauf warten, dass uns jemand etwas fragt. Wir sind immer noch Soldaten. Deshalb werden wir, zusammen mit den anderen, jeden Tag gemeinsam beginnen und erst wenn diese Übungen beendet sind, beschäftigen wir uns mit unseren eigenen Aufgaben. Sekani, wie sieht der Ablauf morgens aus?“

Sekani sah auf und fing an, an den Fingern abzuzählen.

„Laufen. Ohne Ausrüstung hinunter zum Fluss, dann auf dem Sand eine Strecke und wieder zurück zum Haus. Danach entweder Übung mit dem Bogen oder dem Chepesch. Zum Schluß Ringen. Danach Baden.“

„Baden? Wo denn?“

Wortlos deutete Sekani zum Teich.

„Dort? Aber das ist… das ist…“

„Ein Reinigungsbad.“

Beendete Rahotep den Satz für Kagemni.

„Und es ist für jeden, ob Herren, Soldaten oder Dienerschaft frei zur Benutzung.“

Jetzt hatten alle neuen Soldaten den Kopf gedreht und sahen zu dem friedlich daliegenden Teich. Rahotep grinste Sekani zu und erhob sich.

„Da ihr alle heute noch keine Pause hattet, ist es jetzt Zeit zum Baden.“

Die Köpfe wandten sich synchron zu Rahotep, der, ebenso wie Sekani und Rehema anfing, sich zu entkleiden.

„Was ist? Die Sachen sollen nicht nass werden.“

Die acht neuen Soldaten lösten sich langsam aus ihrer Erstarrung, streiften zögernd ihre Bekleidung ab. Lediglich Neferhotep schien davon mehr begeistert zu sein und folgte als erster Sekani, der einfach von der Seite in den Teich hüpfte. Rahotep und Rehema folgten über die Treppe.

„Wie geht es mit der Verletzung?"

„Etwas besser. Sekhet hat gesagt, es wird noch drei bis vier Tage dauern, dann kann ich den Verband abnehmen und auch ganz ins Wasser.“

„Und die Waffenübungen?“

„Das wird wohl noch einmal eine ganze Dekade dauern. Aber dann bin ich wieder voll einsetzbar, bestimmt.“

Rahotep legte Rehema die Hand auf die Schulter.

„Keine Angst. Wir brauchen dich genauso wie die anderen.“

Rehema sah seinem Leutnants hinterher und ertappte sich dabei, wie er die schlanke, hellhäutige Gestalt bewunderte. Er hatte schon bei Frauen gelegen und das sogar ausgiebig, aber dies hier, das war etwas anderes.

Die anderen Soldaten im Wasser waren etwas zurückhaltend, als sie ihren Leutnant hereinkommen sahen, doch dann tauchte der einfach unter und war verschwunden. Sekani quiekte auf, als er eine Berührung an den Hüften spürte. Spitze Finger bohrten sich in seine Seiten und er quiekt noch lauter. Dann wurde er an den Hüften gepackt, hochgehoben und segelte im großen Bogen ins Wasser, wo er mit einem lauten Platschen versank.

Mit einem Schrei kam er wieder hoch.

„Na warte! Bei Sobek, dich krieg ich!“

Mit viel Schwung stürzte er auf Rahotep zu, der ihm geschickt auswich und ihn sofort untertauchte. Prustend kam Sekani wieder hoch. Rahotep lachte.

„An Land hätte ich das nicht versucht. Aber im Wasser sind die Bewegungen anders. Hier und jetzt beginnt die erste Ausbildungsstunde für unsere Einheit. Nahkampf im Wasser. Ihr sollt lernen, einen Gegner im Wasser ohne Waffen zu besiegen.“

Die Ausbildung dauerte tatsächlich erheblich länger als geplant und die Truppe war fast bis zum Beginn der Dämmerung im Wasser. Inzwischen hatte Manetho kommentarlos einen Stapel Leinentücher angeliefert und am Ende der Übung standen Kutari und Imiuthetep unauffällig an eine Sykomore gelehnt und sahen dem Treiben zu.

„Entweder ist er ein Naturtalent oder das ist der wahre Rahotep.“

„Nein, Imiuthetep, ich glaube eher, er hat sich ein Vorbild gesucht und versucht nun herauszufinden, ob er diesem Anspruch gerecht werden kann.“

„Du meinst mich?“

„Gibt es hier sonst noch einen Offizier?“


Imiuthetep wollte antworten, doch ein lautes Gespräch am Haupttor ließ die beiden Männer aufhorchen.

Noch bevor sie sich dorthin begeben konnten, kam ihnen Nakhet, der Pförtner entgegen. In seiner Begleitung war ein abgekämpft aussehender Mann mit einer Kuriertasche. Dieser verbeugte sich, als er Kutari ansichtig wurde.

„Eine Botschaft für den ehrenwerten Kutari, vom Großen Haus.“

Kutari nahm die kleine Schriftrolle entgegen und der Bote verbeugte sich nochmals.

„Es ist keine Antwort erforderlich“, dann machte er kehrt und war mit schnellen Schritten verschwunden.

Kutari sah auf das Siegel und erbleichte.

„Was ist?“

Wortlos zeigte Kutari dem Leutnant das Siegel und auch der stieß pfeifend seinen Atem aus.

Mit etwas zittrigen Fingern erbrach Kutari das Siegel und las schnell die Nachricht. Mit steinernem Gesicht sah er Imiuthetep an.

„Wir machen es offiziell. Lass uns ins Haus gehen.“

Auf der Treppe zur Vorhalle sah Kutari sich suchend um.

„Hori?“

„Ja, Herr?“, kam es vom Dach.

„Alle runter in die große Halle!“

„Sofort, Herr!“

In der Halle fiel Kutari noch etwas ein.

„Manetho, hol bitte Leutnant Rahotep aus dem Teich. Und es ist mir egal, was er an hat.“

Kanefer und Thotmes kicherten, während Kutari ihnen einen gespielt strengen Blick zu warf.

Es dauerte auch nicht lange, bis Rahotep, sehr zum Bedauern der beiden Jüngsten, ordentlich bekleidet, auftauchte. Kutari hob die Schriftrolle, dass jeder sie sehen konnte.

„Das Siegel des Men-cheper-re, göttlicher Pharao von Ober-und Unterägypten.“

Pflichtschuldigst fielen alle auf die Knie und huldigten dem abwesenden Herrscher.

Kutari entrollte zum zweiten Mal das Schreiben.

An den Aufseher der Fragen des Pharao, den ehrenwerten Kutari, Sohn des Amun, Gefährten des Prinzen, Iri-pat-em-hut-aat.

So spricht der Pharao:

Der ehrenwerte Kutari hat zu erscheinen am neunten Tage des dritten Schemu vor dem Antlitz des göttlichen Pharao mit seinem gesamten Gefolge, seinen Soldaten und Bediensteten, dem gesamten Haushalt, so er über sie verfügt.

Er hat sie zu führen vor das Antlitz des göttlichen Pharao auf dass sein Auge wohlgefällig auf ihnen ruht zur achten Stunde in der Halle der Anbetung des Hauses des großen Herrn Amun.

So spricht der Pharao.

Vollkommen eingenommen von dem Text starrte Kutari darauf, dann rollte er ihn geschickt zusammen und drückte ihn Hamadi in die Hand. Ohne sich um jemanden sonst zu kümmern, stürmte Kutari fast in seine Kammer und krachend schlug seine Tür zu.

Als sich alle erhoben hatten, sahen sich die des Schreibens kundigen etwas überrascht an, während der Rest mit dem gerade Vorgelesenen nicht viel anfangen konnte.

„Der neunte Tag des dritten Schemu ist morgen!“

Teremun hatte einen leicht entsetzten Gesichtsausdruck.

„Wie soll ich bis morgen die Bediensteten in anständige Kleider bekommen?“

Sekhet machte ein abfälliges Geräusch.

„Bah, ist ja nicht so, dass der göttliche Pharao nicht schon mal einfache Menschen gesehen hätte.“

Da erst dämmerte es den meisten anderen, worum es in dem Schreiben gegangen war.

„Wir… wir sollen vor den… den… den…“, stotterte Kanefer während Manetho ihm silbenweise zuflüsterte

„Pha-ra-o“

Entsetzt starrte Kanefer Manetho an, wegen dieser fast gotteslästerlichen Kurzform.

„Das andere ist eigentlich viel interessanter“, murmelte Hamadi und Sekhet nickte.

„Wieso? Was ist denn?“

„Die Anrede.“

Hamadi rollte das Schreiben nur am Anfang auf und las ab.

„Ehrenwerter Kutari, Sohn des Amun, Gefährte des Prinzen, Iri-pat-em-hut-aat.“

Rahotep nickte ebenfalls und sah in die Runde.

„Gefährte des Prinzen ist ein Ehrentitel, der nur denjenigen verliehen wird, die tatsächlich mit dem Prinzen zusammen aufgewachsen sind. Ich weiß nicht, wie lange die beiden zusammen zur Schule gegangen sind, aber ihn jetzt so anzusprechen, ist eine deutliche Hervorhebung. Soviel ich weiß, gibt es nur eine Handvoll Gefährten des Prinzen“, dann deutete er wieder auf die Rolle.

„Das zweite ist noch besser. Iri-pat-em-hut-aat. ‚Iripat im Großen Haus‘. Dieser Titel gehört zum Adel. Neben den Gaufürsten die ein ganzes Nomos regieren, wird er jenen zuteil, die genug Land besitzen, um unabhängig zu sein. Ich kenne einen Adligen, dessen Grundbesitz fast halb so groß ist wie der Thinitische Gau. Andererseits gibt es auch Adlige, die nicht mehr besitzen als für ein wohlhabendes Leben notwendig ist. Und ein Iripat des Großen Hauses ist ein Fürst, der direkt dem göttlichen Pharao tributpflichtig ist und nicht den normalen Steuereintreibern eines Nomarchen.“

Imiuthetep schüttelte ratlos den Kopf.

„Was wird also deiner Meinung nach morgen geschehen?“

„Ich habe nicht die geringste Ahnung.“


Der nächste Morgen begann für die Meisten schon vor Sonnenaufgang. Die morgendlichen Übungen der Soldaten waren gestrichen worden, dafür wurde marschieren geübt. Der Rest des Haushaltes flatterte umher wie eine Schar geköpfter Wildgänse.

Teremun und Imiuthetep versuchten, ihre Leute so gut es ging ansehnlich herzurichten, als Kutari aus seinem Zimmer trat und sich suchend umsah.

„Imiuthetep! Ich will die Soldaten ansehen. Lass alle auf dem Übungsplatz antreten. Teremun! Es gehen alle Bediensteten mit, alle. Ayam und Meresanch gehören zum Haus, brauchen also nicht mit, aber wenn sie wollen, können sie uns begleiten. Kanefer! Bring dieses Schreiben sofort zum Obersten Schneider. Warte dort, bis er dir etwas mitgibt. Und beeil dich.“

Kanefer nahm das Schreiben entgegen und verschwand, so schnell er konnte.

„Manetho, bring mir was zu essen, egal was, am besten einen süßen Kuchen. Thotmes! Haben wir Schminke genug für alle im Haus?“

„Nein, Herr“, piepste Thotmes etwas erschrocken, während Manetho schon auf dem Weg zu den Backöfen war.

„Dann besorg‘ welche. Für die Männer nur Khol für die Augen. Was die Frauen brauchen, frag‘ am besten deine Mutter. Ach ja, Körperöl nicht vergessen.“

Thotmes sah mit großen Augen zu Teremun, der ihm ein Zeichen gab, draußen zu warten.

Manetho eilte mit einem Weidenkörbchen voll Kuchen herein, von denen sich Kutari freudig einen herauspickte.

„Dann los. Wenn jemand Fragen hat, ich bin hinten auf dem Übungsplatz. Hori, Hamadi, mitkommen.“

Mit schnellen Schritten ging Kutari hinüber zum Übungsplatz, wo Imiuthetep inzwischen seine Soldaten aufgebaut hatte.

Ganz links Imiuthetep, dann Rahotep, dann die anderen Soldaten jeweils zwei hintereinander, am Ende dann Feldwebel Chepren.

Kutari betrachtete nachdenklich die Aufstellung, dann schüttelte er den Kopf.

„Nein, wir machen es so, wie wir es auch eingeteilt haben. Imiuthetep mit seinen Leuten, dann Rahotep mit seinen und der Feldwebel am Schluß.“

Die Formation löste sich auf und die Leute sortierten sich neu. Kutari nickte.

„Ja, so ist es besser. Wir werden keine Waffen mitnehmen, lediglich die Schilde. Seht zu, dass ihr rechtzeitig ins Wasser kommt, der Teich wird heute wohl ziemlich viel benutzt werden. Schminke und Öl werden geliefert, sobald Thotmes wieder da ist. Wer Schmuck oder eine Auszeichnung besitzt, sollte diese tragen.“

Kurz nickte Kutari den Offizieren zu und wandte sich dem Haus zu, als sein Blick auf die beiden Schreiber fiel, die ihm folgten.

„Ach ja. Hori, ich möchte, das alle meine Anweisungen für den heutigen Tag aufgeschrieben und dokumentiert werden und zwar nach einzelnen Themen sortiert. Lass dir ein System für die Ablage einfallen.“

„Hamadi, ich brauche ein Schreiben in deiner schönsten Schrift mit offizieller Anrede an den Bürgermeister von Theben. Ich möchte ihn darin offiziell darüber informieren, dass am 10. und 11. Tag dieses Monats Ermittlungen des Aufsehers der Fragen des Pharao stattfinden und zu diesem Zweck Häuser durchsucht und Personen festgenommen werden. Ich würde es begrüßen, wenn die Stadtwache nicht voreilig einschreitet oder so ähnlich. Mach was draus.“

„Und Hori. Geh zu Sekhet und lass dir eine Salbe für deine Haut geben. Wir werden heute fast den ganzen Tag vom Herren Re bedacht werden. Und bring mir auch welche mit.“

Hori starrte etwas verloren auf eine Sammlung loser Blätter, die er bereits in seiner Tasche hatte, während Hamadi mit geblähten Backen und etwas ratlos seinen Auftrag überdachte.

Kutari legte inzwischen seine Kleidung ab und stieg in aller Ruhe in den Teich.

Kanefer schaffte es, bis zum Mittag wieder zurück zu sein. Begleitet von drei hochbepackten Eseln und deren Treibern brachte er Paket um Paket in den Wirtschaftshof, wo er mit Teremun und Thotmes die Inhalte durchging. Thotmes selbst war erst kurz vorher ähnlich bepackt mit seiner Mutter vom Markt wiedergekehrt.

Als sie Kutari ihre Einkäufe vorzeigten, nickte dieser erfreut. Ja, das würde gehen. So konnten sie sich sehen lassen.

Der Zug, der dann würdevoll durch die Straßen schritt, zog die Aufmerksamkeit aller auf sich.

An der Spitze ging Kutari, gekleidet in den nun schon bekannten türkisfarbenen Leinenschurz mit einer roten Schärpe, dazu ein golddurchwirkter Gürtel mit goldener Schnalle. Auf seinem Oberkörper trug er das große Amulett mit den farbigen Einlegearbeiten, an den Oberarmen die beiden goldenen Armreifen von Seth und Maat, an seinem rechten Handgelenk der kupferne Armreif mit dem Abbild des Amun.

Direkt hinter Kutari gingen Hori und Hamadi, beide nebeneinander, ebenfalls mit einem türkisfarbenen Leinenschurz, dieser jedoch mit einer gelben Schärpe und einem Ledergürtel mit silberner Schnalle. Beide trugen als Zeichen ihres Standes ihre Umhängetaschen mit den Schreibutensilien. Dahinter folgten paarweise Kanefer und Manetho, dann Ptahor und Metufer, die Zwillinge. Die vier waren ebenfalls mit dem türkisfarbenen Leinenschurz ausgestattet, trugen aber eine hellbraune Schärpe mit Ledergürtel und einer bronzenen Schnalle.

Die Soldaten wurden angeführt von Imiuthetep und marschierten so, wie sie es auf dem Übungsplatz geübt hatten, hinter der ersten Gruppe her.

Auch hier hatte Kutari eine kleine Änderung vorgenommen. Die inzwischen zu einem Erkennungszeichen gewordenen türkisfarbenen Leinenschurze waren bei der ersten Gruppe von Imiuthetep mit blauen Schärpen verziert, die Truppe von Rahotep trug grüne Schärpen.

Der einzige Soldat der ein Schmuckstück trug, war Rahotep. Ein handbreites Pektoral aus blauem Glasfluss zierte seinen Oberkörper. Es zeigte in einem ovalen Rahmen das Udjat-Auge. Die meisten anderen Soldaten trugen ein kleines Amulett an einem ledernen Halsband.

Hinter den Soldaten kamen die Bediensteten des Hauses, geführt von Teremun. Er trug im Gegensatz zu den ersten beiden Gruppen lediglich einen weißen Leinenschurz, aber ebenfalls mit einer gelben Schärpe und silberner Gürtelschnalle. Dahinter kam ein Paar, das wohl ebenso viel Aufmerksamkeit erregte wie Kutari. Sekhet und Thotmes, jeder in einem türkisfarbenen Leinenschurz, der bei Thotmes allerdings bis zur Hälfte der Oberschenkel gekürzt war. Auch er trug eine in der Länge angepasste gelbe Schärpe mit bronzener Schnalle, wo hingegen Sekhet eine violette Schärpe mit silberner Schnalle trug. Stolz trug Thotmes ein kleines, goldenes Amulett. Sekhet trug als Priester der Sachmet ihr Amulett und dazu völlig unbeeindruckt am linken Handgelenk ein kupfernes Armband mit den Heiligen Zeichen des Anubis.

Hinter den beiden kamen dann die restlichen Bediensteten, gekleidet in strahlend weißes Leinen.

Als die Sachen im Wirtschaftshof verteilt wurden, war die Aufregung groß gewesen. Kutari erklärte seinem versammelten Haushalt, was er sich bei der mehr als ungewöhnlich bunten Farbgebung gedacht hatte.

„So unterschiedlich wie die Menschen hier im Land sind und so unterschiedlich wie ihre Tätigkeiten sind, so sollten wir uns auch darstellen. Das reinste weiß bleibt natürlich dem göttlichen Pharao und den Priestern vorbehalten, wir hingegen sind die Diener des göttlichen Pharao und jeder soll auf den ersten Blick erkennen, wer wir sind.“

Kutari begegnete hauptsächlich fragenden Blicken und seufzte.

„Der Aufseher der Fragen des Pharaos sollte unverwechselbar sein. Seine Macht und sein Auftrag äußern sich nicht in Gold oder Prunk, sondern in seiner schlichten, aber deutlich erkennbaren Kleidung. Ebenso seine Gehilfen, seien es Soldaten, Beamte oder Diener, jedermann soll erkennen, zu wem sie gehören.“

„Die Personen meines Haushaltes, die mich auf den Reisen durch Khemet begleiten, werden alle die türkisfarbenen Leinenschurze tragen, die vorhin ausgeteilt wurden.“

Zwei halblaute Schreie drangen zu Kutari. Der eine von Thotmes, der vollkommen erstaunt auf das farbige Leinen in seiner Hand starrte, dann der andere von Kipa, seiner Mutter. Ihr war gerade klar geworden, dass Thotmes den Herrn auf seinen Reisen begleiten würde.

„Die Farben der Schärpen sollen eine Zugehörigkeit symbolisieren. Ich werde das Rot des Gottes Seth zusammen mit dem Gold der Maat tragen. Das Gelb des Gottes Thot, als Gott der Schreiber, erhalten alle Beamten und Schreiber.“

Ein weiteres leises Quieken unterbrach Kutari als Thotmes völlig entsetzt auf seine gelbe Schärpe starrte.

„Das Braun des Gottes Hapi erhalten die Diener und leider war das Grün schon vergeben, so dass der Arzt das Violett des Gottes Ptah tragen wird. Die Soldaten tragen Blau für den Gott Amun und Grün für den Gott Osiris.“

Fast alle Anwesenden nickten feierlich und waren angenehm überrascht, dass die einzelnen Farben verschiedenen Gottheiten gewidmet waren.

„Die Gürtelschnallen sind normalerweise aus Bronze, lediglich die Offiziere und hohe Beamte bekommen silberne. Jemand noch Fragen?“

Alles starrte auf die ausgeteilte Bekleidung und erst langsam sickerte bei manchen die Bedeutung in ihr Bewusstsein. Kanefer hatte seine gelbe Schärpe abgegeben und eine hellbraune dafür erhalten. Eigentlich fand er die gelbe schöner, doch er war natürlich kein Beamter und so sah er sich zu Manetho um, der ebenfalls seine Kleidungsstücke betrachtete. Neben Manetho standen die Zwillinge, denen Teremun im Vorbeigehen farbige Leinenschurze, hellbraune Schärpen und Ledergürtel in die Hände gedrückt hatte.

„Bedeutet es wirklich das, was ich glaube?“

„Ptahor, du bist ein Esel. Natürlich bedeutet es das. Wir werden den Herrn begleiten. Und wir werden das Antlitz des göttlichen Pharaos erblicken.“

Ptahor sah seinen Bruder mit aufgerissenen Augen an. Daran hatte er gar nicht mehr gedacht.

Seine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf Kutari, als dieser Thotmes zu sich rief. Zögernd kam der Junge nach vorne und sah Kutari unsicher an.

„Thotmes, du bist ab sofort mein jüngster Beamter. Wenn du deinen Unterricht soweit abgeschlossen hast, dass du die Anforderungen der Schrift erfüllst, wirst du im Tempel des Thot einer Prüfung unterzogen und erhältst den offiziellen Titel eines Schreibers.“

Thotmes sah Kutari immer noch unsicher an, dann fing er leicht an zu zittern. Kanefer sah es, trat neben ihn und legte ihm beruhigend einen Arm um die Schulter.

„Damit du bis dahin auf deinen Wegen immer beschützt wirst, habe ich ein Geschenk für dich.“

Nun blickte Thotmes interessiert zu Kutari, der ein kleines Amulett hervorholte und es Thotmes um den Hals legte. An einer goldenen Kette war die stehende Gestalt einer Frau mit dem Kopf einer Katze befestigt. Im Gegensatz zur Göttin Bastet hielt diese jedoch in jeder Hand einen langen Dolch. Die Göttin Wosret, ‚die Starke‘, war Beschützerin der Jugend.

Thotmes strahlte und dankbar verneigte er sich tief vor Kutari um dann sofort zu seinen Eltern zu eilen, die ihm stumm vor Erstaunen entgegensahen.


Da die Audienz des Herrschers nicht im Palast stattfand, sondern im Amuntempel, brauchte Kutari mit seinen Leuten den Fluss nicht zu überqueren. Zielsicher lenkte er die ganze Truppe durch das Gewirr der Tempelanlage bis vor die Halle der Anbetung. Dies war eine der großen Hallen dicht vor dem Allerheiligsten, die noch durch jeden Bürger betreten werden durften.

Die Tore zur Halle waren geschlossen und Kutari ließ halten. Nervös sah er hinüber zu einer der Wasseruhren, aber er war in der Zeit. Mit dem Ertönen einer kleinen Glocke öffneten sich langsam die Tore. Ein halblauter Befehl von Feldwebel Chepren ertönte und alles marschierte in langsamem Schritt in die Halle, so wie sie es kurz vorher geübt hatten. Ein weiterer Befehl und sie kamen zum Halten. Kutari erkannte einige Veränderungen, die in der Halle für diese Audienz vorgenommen worden waren.

Mit dem Rücken zum Durchgang zum Allerheiligsten saß der Pharao auf einem durch drei Stufen erhöhten Thron. Diesmal war er gekleidet in all seiner Pracht. Er trug einen mehr als knielangen, blendend weißen Leinenschurz und goldgewirkte Sandalen. Auf seinem nackten Oberkörper lag über die gesamte breite ein Wesech aus einem Geflecht aus Golddraht und bunten Perlen. Sein Gesicht zierte ein langer, geflochtener Bart und auf dem Kopf thronte die Pschent, die zusammengesetzte weiße und rote Krone von Ober- und Unterägypten. Heka und Nechech waren auf einem kleinen Tisch aus Ebenholz rechts neben dem Thron abgelegt.

Neben diesem Tisch standen mehrere Personen aufgereiht und Kutari kannte die meisten. Als erster, direkt neben dem Pharao, stand Mencheperreseneb, der Hohepriester des Amun. Neben ihm erkannte Kutari die Hohenpriester des Anubis, des Ptah, der Sachmet und der Bastet. Danach kamen noch weitere, die Kutari aber nicht persönlich kannte.

Auf der anderen Seite neben dem Thron stand Prinz Amenhotep, daneben Rechmire, der Wesir. Die weiteren Personen kannte Kutari nicht, doch in einem vermutete er Dunmarit, den Vorsteher der königlichen Schatzhäuser, denn seine Ähnlichkeit mit Rahotep war verblüffend.

Eine Stimme ertönte aus dem Nichts und schallte durch den Raum.

„Ehret den Pharao!“

Die Würdenträger neben dem Pharao verbeugten sich und Kutari und sein Haushalt sank auf die Knie.

„Tritt vor, Sohn des Amun!“

Die Stimme des Pharao schallte laut durch den Raum und ein Raunen ging durch die Anwesenden. Allein, hier im Tempel des Amun diese Anrede zu gebrauchen, bedeutete fast, eine tatsächliche Beziehung zwischen Kutari und dem Reichsgott herzustellen. Näher als in diesem Moment war Kutari einer Göttlichkeit nie gewesen.

Kutari fiel wieder auf die Knie und senkte den Blick zu Boden. Währenddessen ließ der Pharao seinen Blick über die Menschen vor ihm schweifen.

„Deine Soldaten haben keine Waffen, Kutari.“

„Nein, göttlicher Pharao. Meine Waffen werden das Wort und die Fragen des Pharao sein. Wo sie versagen, werden auch keine Pfeile und Speere mehr helfen.“

Angenehm erstaunt hob der Pharao seine Augenbrauen und etliche der Würdenträger sahen sich stumm an.

„Eine interessante Antwort. Lasst uns beginnen.“

Der Wesir trat nach vorne, entrollte ein Schriftstück und las vor.

Gegeben am neunten Tage des dritten Schemu im 51. Jahr der Regierung des Men-cheper-re, Herrscher von Ober- und Unterägypten.

Mit Trauer hat der göttliche Herrscher vernommen, dass sein treuer Diener, der Herr Hor-Ahe aus dem Gau Ta-wer eingegangen ist in das Reich des Westens. Nach langer Krankheit und ohne Erben hinterließ der Herr Hor-Ahe unserem göttlichen Herrscher wieder das Land, welches er einst von ihm empfangen hatte.

Zum Wohle, zur Ehre und zum Reichtum unseres Herrschers übereignet dieser dem Herrn Kutari, Sohn des Amun aus dem Tempel des Amun zu Theben das Land und alles was sich darauf befindet an Gebäuden, Vieh und Gesinde, das ehemals Eigentum war des gewesenen Herrn Hor-Ahe, im Gau Ta-wer.

Der Herr Kutari sei ab heute eigenverantwortlicher Herr seines Besitzes, so dass er an die Seite trete derer, die dem göttlichen Herrscher dienen.“

Dies sind die Worte des Pharao.“

Kutari versuchte, sich nicht zu bewegen, doch er konnte ein gewisses nervöses Zittern nicht ganz unterdrücken.

Der Wesir entrollte inzwischen ein weiteres Schriftstück.

Gegeben am neunten Tage des dritten Schemu im 51. Jahr der Regierung des Men-cheper-re, Herrscher von Ober- und Unterägypten.

Zum Wohle, zur Ehre und zum Reichtum unseres weisen Herrschers und zur Ehre des Landes, über das er regiert, geruht der göttliche Men-cheper-re, Herrscher von Ober- und Unterägypten, Kutari, Sohn des Amun aus dem Tempel des Amun zu Theben in den Kreis derer aufzunehmen, die sein Wohlwollen erlangt haben. Als Iri-pat-em-hut-aat soll er zukünftig dem Großen Haus dienen mit all seinen Kräften.“

Dies sind die Worte des Pharao.“

Kutari hatte es vorhergesehen, als er die Schriftrolle mit der Aufforderung das erste Mal las und es machte ihm noch immer Angst. Hier und heute war er von einem einfachen Beamten, so mächtig sein Titel und seine Vollmachten auch sein mochten, zum Mitglied des Adels von Khemet aufgestiegen. Er war ein Iripat, ein Fürst, und damit am Hofe des Pharao fast gleichgestellt mit den unabhängigen Gaufürsten, den Nomarchen.

Von einem Tag auf den anderen besaß er Land und Titel. Bei dem Gedanken daran, musste er den Winkelzug des Herrschers fast bewundern. Sein Land und Titel würden nach seinem Tod wieder an den göttlichen Pharao zurückfallen, wenn er nicht jemanden adoptierte. Er war sich sicher, dass der Pharao dies ganz genau wusste.

Eine Stimme riss Kutari aus seinen Gedankengängen.

„Erhebt Euch!“

Etwas mühsam kam Kutari aus seiner knienden Stellung hoch und sah, wie auch alle anderen, mit gesenktem Kopf zu Boden.

Der Wesir drückte ihm die eben vorgelesenen Schriftrollen in die Hand und trat dann wieder zurück.

Noch einmal ertönte die Stimme des Pharaos.

„Eine erste Aufgabe erwartet den Aufseher der Fragen des Pharaos. Wir erwarten, dass er sich innerhalb von drei Tagen auf den Weg in den Norden macht und die Antworten mitbringt, die den Tod des ehrenwerten Fürsten Rechmire von Tanis betreffen. Ungeachtet der Aufträge die ihm hier zuteil wurden.“

Kutari erbleichte und er war froh, dass er bereits seine ersten Aufträge erteilt hatte.

Der Pharao erhob sich von seinem Thron und alle warfen sich zu Boden, noch ehe die Stimme ertönte.

„Ehret den Pharao!“

Nach einem kurzen Moment ertönte die Stimme wieder.

„Erhebt Euch!“

Als Kutari aus seiner Position wieder nach oben kam, sah er, dass der Pharao verschwunden war, ebenso wie seine Insignien auf dem kleinen Ebenholztisch.

Prinz Amenhotep trat vor und sah von der untersten Stufe des Thrones über die Anwesenden hinweg.

„Leutnant Imiuthetep, vortreten!“

Ohne sich seine Überraschung anmerken zu lassen, trat Imiuthetep vor seinen Regimentskommandeur.

„Im Angesicht der Wichtigkeit der Aufgaben seiner Truppe und der Verantwortung, die eine solche unabhängige Position mit sich bringt, ernenne ich Leutnant Imiuthetep mit dem heutigen Tage zum Hauptmann.“

Damit überreichte er dem verblüfften Imiuthetep einen neuen Stab. Es war ein Stab aus Ebenholz mit jeweils zwei silbernen Ringen an jedem Ende. Im Prinzip waren Material von Stab und Ring egal, entscheidend war nur die Anzahl der Ringe.

„Deine Einheit ist nun einer Kompanie des Regimentes gleichgestellt, Hauptmann. Meine Glückwünsche.“

Imiuthetep verbeugte sich vor dem Prinzen und versuchte, ohne aus seiner Rolle zu fallen, auf seinen Platz zurückzugehen.

Nun trat Mencheperreseneb in seiner Eigenschaft als Hoherpriester des Amun vor. Er trat vor Kutari und wartete einen Moment. Nach ihm kamen die Hohepriesterinnen der Sachmet und der Bastet nach vorne.

Hohepriesterin Nekhti blieb vor Hori und Hamadi stehen.

„Aus dem Tempel des Thot eine kleine Gabe für seine Diener.“

Damit überreichte sie jedem der Jungen einen goldenen Armreifen mit dem Abbild des Thot, des Gottes, der den Menschen die Heiligen Zeichen gebracht hatte.

Die Hohepriesterin Tehenaya ging hinüber zu Kanefer und legte ihm ein kleines Bündel in die Arme.

„Pass gut auf ihn auf. Er heißt Mesamau.“

Kanefer starrte mit aufgerissenen Augen auf einen kleinen, jungen Kater, der das helle Fell und die Streifen einer der Tempelkatzen des Allerheiligsten trugen.

Mencheperreseneb trat nun vor Kutari und überreichte ihm zwei goldene Armreifen. Einer mit dem Abbild des Gottes Amun, der andere mit einem Segensspruch des Gottes.

Danach intonierte er einen Segen des Gottes für alle Anwesenden und stumm beteten sie zu Amun.


„Können wir heute noch eine Schreiberschule aufsuchen, Herr?“

Kutari hatte soeben seine Leute nach der Rückkehr vom Tempel vor dem Haus zu ihren Aufgaben geschickt, als der frischgebackene Hauptmann auf ihn zutrat.

„Wir haben doch zwei, und wenn alles gut geht, irgendwann ein paar mehr Schreiber.“

„Ja, Herr. Aber wir sind jetzt eine eigenständige Kompanie. Uns steht ein eigener Schreiber zu und ich glaube nicht, dass Hori oder Hamadi auch noch die Verwaltungsberichte der Armee machen möchten. Außerdem möchte ich vermeiden, dass uns das Regiment auf Grund der Vorschriften einen Schreiber herschickt.“

Kutari überlegte kurz.

„Ja, du hast Recht. Die ganzen Abrechnungen über Material und Verpflegung hat bis jetzt ja Teremun gemacht. Aber ich beabsichtige, ihn hier als Verwalter zu belassen. Ich fürchte, wir können den alten Ahmose nicht noch einmal berauben. Lass uns zum Tempel des Thot gehen.“

So strebten Kutari und Imiuthetep in ihrem vollen Schmuck, in Begleitung von zwei Soldaten zum Tempel des Thot. Thot war der Gott des Wissens, der Wissenschaft und der Gelehrten. Er soll den Menschen die heiligen Zeichen gegeben haben.

Neben der Tempelanlage befand sich eine Schreiberschule in der die Priester des Thot ihre Schüler unterrichteten. Im Gegensatz zur Schule im Großen Haus, waren hier nicht nur Kinder von Angehörigen oder Bediensteten des großen Hauses, sondern auch manchmal die einfacherer Leute. Es hieß sogar, die Priester würden manchmal ein begabtes Kind umsonst unterrichten.

Als Kutari und Imiuthetep mit ihrer Begleitung den Schreibsaal betraten, sah der Priester erstaunt auf. Dann verbeugte er sich gemessen.

„Edler Fürst Kutari, Aufseher der Fragen des Pharao, ich bin geehrt, dass Ihr meine bescheidene Klasse besucht. Ich bin der Priester und Lehrer Nefertem. Womit kann ich Euch dienen?“

Auch Kutari und Imiuthetep erwiderten die Verbeugung und sahen prüfend über die Schüler, die sich anscheinend pflichteifrig über ihre Arbeit gebeugt hatten.

„Hauptmann Imiuthetep benötigt einen Schreiber. Da seine Einheit Theben noch innerhalb von drei Tagen verlassen wird, kann er nicht auf einen Schreiber der Armee warten. Ebenso ist es wohl auch der Aufgabe seiner Truppe abträglich, einen Schreiber zu beschäftigen, der schon einmal woanders gedient hat.“

Der Priester zog erstaunt seine nicht vorhandenen Augenbrauen nach oben, ließ aber die Aussage unkommentiert. Imiuthetep sah sich im Schreibsaal um und bemerkte einige der Jungen, die jetzt mit gespanntem Rücken und gespitzten Ohren dasaßen.

„Ich benötige einen älteren Jungen, der in der Lage ist, beide Schriften klar und sauber darzustellen und auch nicht vor scheinbar endlosen Listen zurückschreckt. Außerdem sollte er körperlich in der Lage sein, den Soldaten zu folgen und sich darüber im Klaren sein, dass er vielleicht für eine lange Zeit nicht mehr nach Theben zurückkehrt.“

Nach dieser kurzen Ansprache hatte sich die Neugier schlagartig gelegt. Einige Schüler schienen sich fast verstecken zu wollen, so klein hatten sie sich gemacht.

Lehrer Nefertem überdachte die Worte des Hauptmanns. Welchen Schüler er auch empfehlen würde, dessen Eltern würden es ihm bestimmt nicht danken. Auch seine Blicke schweiften jetzt durch die Klasse. Da die Schüler hier etwas später mit ihrem Unterricht anfingen als in der Schule des Großen Hauses, war das Durchschnittsalter etwas höher. Seufzend hob der Lehrer eine Hand um auf sich aufmerksam zu machen.

„Alle, die sechzehn oder älter sind, aufstehen.“

Knapp die Hälfte der Klasse erhob sich. Einige von ihnen äußerst zögernd. Imiuthetep hatte es bemerkt und grunzte unwillig.

„Ich werde niemanden zwingen. Es nützt mir kein Schreiber, der unwillig ist und vielleicht sogar absichtlich Fehler macht, um nach Hause zurückkehren zu können. Ich suche jemanden, der sich für eine Arbeit begeistern kann, die nicht tagtäglich in einer Schreiberstube stattfindet.“

Erleichterung machte sich auf einigen Gesichtern breit und Nefertem änderte schnell die Frage, die er eigentlich stellen wollte.

„Wer würde einen Posten als Schreiber antreten wollen, so wie er gerade beschrieben wurde?“

Einige der Schüler setzten sich wieder, nur zwei blieben stehen.

Kutari und Imiuthetep sahen sich erstaunt an. Beim Anblick der beiden Jungen waren sie auf denselben Gedanken gekommen. Dennoch trat Kutari näher und musterte den ersten.

„Wie ist dein Name?“

„Monthehutep, Herr.“

„Und warum bist du der Ansicht, dass du den Anforderungen entsprichst, die gerade erwähnt wurden?

Einige der im Umkreis sitzenden Schüler fingen leise an zu Kichern.

„Ruhe!“

Monthehutep fing an, nach Luft zu schnappen, dann begann er zu stottern.

„Ich… ich… also ich kann das alles…“

Imiuthetep umkreiste den Jungen langsam und musterte ihn von oben bis unten. Seine Fähigkeiten als Schreiber waren möglicherweise nicht zu beanstanden, doch sein deutliches Übergewicht und die erkennbaren O-Beine ließen bei Imiuthetep leichte Zweifel an seiner Qualifikation aufkommen.

Er sah den nun errötenden und schwitzenden Monthehutep an und deutete auf den zweiten Jungen.

„Soll ich euch um die Wette laufen lassen?“

Monthehutep erbleichte sichtlich und ringsum setzte wieder Kichern ein.

Der zweite Junge überragte Monthehutep um fast einen halben Kopf und doch war er sicherlich nur halb so schwer. Seine Haut war dunkel, ebenso schwarz wie die von Ngozi, doch er war schlank und längst nicht so muskulös wie die meisten Nubier, die Kutari gesehen hatte.

„Wie ist dein Name?“

„Shaketo, Herr.“

Imiuthetep hob die Augenbrauen.

„Woher stammst du?“

Der Junge lächelte leicht, als er antwortete.

„Ich wurde hier in Theben geboren.“

Als Imiuthetep etwas sagen wollte, fuhr er fort.

„Doch meine Eltern stammen aus Kerma.“

„Das ist jenseits des dritten Katarakts!“

„Ja, Herr. Sie waren eine Kriegsbeute, doch sie konnten sich freikaufen. Ich bin der Sohn eines freien Bürgers.“

„Und warum willst du dann in die Armee? Selbst als Schreiber ist das keine große Karriere.“

Nefertem trat näher und warf dem Jungen einen bedauernden Blick zu, während dieser stumm zu Boden starrte.

„Seine Eltern sind im vergangenen Monat gestorben. Sie haben eine der Karawanen in den Süden begleitet. Anscheinend wurde die Karawane überfallen und ausgeraubt. Die Begleiter wurden ermordet und den wilden Tieren überlassen. Es gibt keine weiteren Spuren von ihnen.“

Betroffen sahen Kutari und Imiuthetep den Jungen an. Er würde nie das Grab seiner Eltern besuchen können und sie würden nie in die Ewigkeit eingehen können, denn ihr Ka und Ba hatten keinen Körper in den sie zurückkehren konnten, um die letzte Reise antreten zu können.

„Wir haben ihn aufgenommen bis zum Ende des Schemu. Bis dahin muss er eine Arbeit gefunden haben oder er wird hungern müssen.“

Kutari wandte sich dem Priester zu.

„Es wird wohl kein Anlass bestehen, dass er hungern muss. Wenn er selber es will, wird er uns als Schreiber begleiten.“

Shaketo hob den Kopf und sah Kutari scheu aus dunkelbraunen Augen an.

„Ihr wollt mich wirklich nehmen, Herr?“

Kutari sah Imiuthetep an und dieser nickte. Dann legte der Hauptmann dem Jungen eine Hand auf die Schulter.

„Pack deine Sachen zusammen. Du wirst uns sofort begleiten.“

„Sofort, Herr. Ich muss nur noch ein paar Dinge aus dem Haus holen.“

Schnell wie der Wüstenwind war der Junge zur Tür hinaus, während Kutari sich noch einmal Monthehutep zuwandte.

„Was dich betrifft, so lass dir gesagt sein, dass auch die Arbeit in einer Schreiberstube aufregend sein kann. Bemühe dich etwa um eine Anstellung im Hafen. Dort werden Waren aus allen Himmelsrichtungen umgeschlagen. Auch so kann man die Welt kennenlernen.“

Monthehuteps trauriges Gesicht hellte sich ein wenig auf.

„Ja, Herr. Danke, Herr. Ich werde es mir merken.“

Nefertem begleitete Kutari und Imiuthetep hinaus vor die Schule.

„Es war sehr interessant, Euch zuzuhören, Herr. Ihr habt einen Jungen vor einer ungewissen Zukunft bewahrt und einem anderen Hoffnung gegeben. Mögen die Götter Euch weiterhin beschützen auf euren Wegen.“

Nach einer kurzen Verbeugung ging der Priester wieder zurück in seine Klasse, während die beiden Männer auf Shaketo warteten. Kurze Zeit später kam er auch schon um eine Ecke und lief auf die beiden zu. Beim Anblick des laufenden Jungen wurde Kutari unwillkürlich an ein Fohlen mit seinen langen, ungelenken Beinen erinnert. Der schwarze Körper glänzte vor Schweiß über dem weißen Leinenschurz.

„Blau oder Gelb?“

Imiuthetep grinste Kutari an.

„Auf jeden Fall Gelb. Der Anblick wird es wert sein.“


Am Abend versammelte Kutari alle seine Schreiber und die, die es werden wollten, auf dem Platz vor dem Teich.

Hori, Hamadi, Teremun, Sekhet und nun auch Shaketo waren ausgebildete Schreiber. Kanefer, Manetho, Thotmes, Ptahor, Metufer und Sekani waren die Schüler dieser ungewöhnlichen Schule. Alle saßen in einem lockeren Halbkreis um Kutari herum.

„Ich habe euch alle hier zusammengeholt, weil ich noch einige Sachen habe, die ich mit euch besprechen will. Es geht um den Unterricht und um unsere zukünftigen Aufgaben. Doch zuerst will ich euch Shaketo vorstellen. Er wird den Posten des Schreibers bei den Soldaten übernehmen. Imiuthetep hat ihm vorhin seine Aufgaben bei den Soldaten erklärt, jetzt kommt der Teil bei uns dran.“

Etwas zurückhaltend sah Shaketo in die Runde. Er wunderte sich, dass von Unterricht die Rede war und dass hier mehr Schreiber versammelt waren als bei einer öffentlichen Gerichtsverhandlung.

Kutari erklärte ihm ausführlich, was es mit dem Unterricht in seinem Haus auf sich hatte und was sie damit bezweckten.

„Willst du daran teilnehmen? Möchtest du unterrichten und auch selber wieder zum Schüler werden? Wenn ja, was kannst du zu unserem Wissen beitragen?“

Shaketo sah erst etwas unsicher aus, dann lachte er leise.

„Ich habe geglaubt, ich bin heute der Schule entkommen, doch anscheinend habe ich mich getäuscht. Wenn es gewünscht wird, kann ich natürlich die Schriften unterrichten, aber ich wüsste nichts, was ich sonst noch beitragen könnte.“

„Es ist manchmal nicht offensichtlich, aber nimm einmal Sekhet. Er ist Arzt und wird euch beibringen, wie man eine Verletzung, zum Beispiel durch einen Pfeil, sofort versorgt, bis ein Arzt erscheint.“

„Das Einzige, in dem ich mich auskenne ist die Kultur und die Sprache der Nubier. Und die Geschichte des Königreiches von Kerma.“

Kutari erinnerte sich an seinen eigenen Geschichtsunterricht und nickte. Es konnte nichts schaden, wenn die Jungen von den Ländern erfuhren, die Khemet umgaben.

„Dann ist das ja geklärt. Jetzt kommen wir zu einer etwas schwierigen Sache. Ich habe mit Teremun gesprochen. Wir werden ihn hier zurücklassen und er wird das Haus führen und für uns bereithalten, bis wir zurückkehren. Dafür wird Thotmes uns als Verwalter begleiten. So lange er noch nicht geübt genug ist, wird einer der Schreiber ihn unterstützen. Thotmes, wen möchtest du als Schreiber?“

Thotmes errötete leicht, als er so plötzlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand. Unsicher sah er sich um, dann bekam er plötzlich rote Ohren.

„Shaketo“, platzte er hervor und Shaketo sah ihn ebenso verblüfft an wie Hori und Hamadi. Kutari nickte zustimmend.

„Also, Shaketo. Du hast soeben eine Menge Arbeit dazu bekommen. Thotmes verwaltet unsere Vorräte und unsere Ausrüstung. Du wirst dafür sorgen, dass alles ordnungsgemäß verbucht wird und du wirst Thotmes zeigen, wie man das macht.“

Shaketo sah erst erstaunt zu Thotmes, dann zu Kutari. Doch seinem neuen Herrn schien es sehr ernst zu sein mit diesem Auftrag. Shaketo verbeugte sich.

„Ja, Herr.“

„Da das nun geklärt ist, kommen wir zu unseren Aufträgen. Wir werden in drei Tagen Theben verlassen und mit dem Schiff nach Tanis fahren.

Die meisten in dem Halbkreis um Kutari sahen sich an. Sie erinnerten sich deutlich der Worte des göttlichen Pharao.

„Die Reise wird etwa 20 bis 22 Tage dauern. Wie lange wir uns dort aufhalten weiß ich nicht, aber es könnte schon bis zu einer Dekade sein. Dann werden wir erst einmal hierher zurückkehren.“

„Dann kommen wir im ersten Achet im Delta in die Flut.“

Ptahor sah sich streitbar um, als sich alle zu ihm umdrehten.

„Was ist? Wir mögen zwar Bauern sein, aber die Zeiten von Überschwemmung, Aussaat und Ernte sind uns ebenso geläufig wie jedem Schreiber.“

„Das ist einer der Gründe, warum ihr am Unterricht teilnehmt. Ihr sollt lernen. Miteinander und voneinander. Ptahor, niemand hat dir oder deinem Bruder vorgeworfen, ein Bauer zu sein. Betrachtet es einfach anders. Du kennst dich mit allem aus, was ein Bauer wissen muss um eine gute Ernte zu erhalten, während beispielsweise Hori das nicht weiß. Dafür kennt er eben andere Sachen. Nichts ist wertvoller als Wissen. Doch nun zu unserer dringendsten Aufgabe. Wir werden morgen und vielleicht auch übermorgen, das erste Mal mit der Macht, die mir durch den göttlichen Pharao verliehen wurde, zuschlagen.“

Ausführlich erzählte Kutari allen Anwesenden sämtliche Einzelheiten des Falles. Es gab etliche neugierige Blicke, zunächst zu Hori, dann zu Manetho. Thotmes flüsterte mit Kanefer der neben ihm saß und bekam eine kurze Antwort, die seinen ganzen Körper über und über erröten ließ.

Außer Thotmes und Shaketo kannten die anderen die Geschichte in einigen Teilen, doch nie hatten sie die Geschichte als Ganzes gehört.

„Der Wesir hat mich damit beauftragt, die Hintermänner dieser Geschichte zu fangen. Hori wird morgen Abend zu einem dieser Häuser geführt werden, um dort auf einen Kunden zu warten. Er wird von einigen unserer Leute beschattet werden und dann wollen wir hoffen, dass wir irgendjemanden eingefangen kriegen, der uns etwas mehr über die Hintergründe verraten kann.“

Hori war während der kurzen Ansprache ebenso rot geworden wie Thotmes vorhin, was die meisten allerdings wegen der untergehenden Sonne nicht mehr erkennen konnten.

„Ich brauche alle Schreiber für diese Aktion. Da Hori bereits eine andere Aufgabe hat, müssen Hamadi und Shaketo alle Befehle und Aktionen genau dokumentieren. Ich will, dass jeder einzelne von unseren Leuten nachher befragt wird, was er gesehen und was er getan hat. Außerdem müssen alle Gefangenen vernommen werden, die noch in der Lage sind, etwas von sich zu geben. Kanefer wird bei den Vernehmungen der Gefangenen aus dem Hethitischen übersetzen, Leutnant Rahotep aus dem Babylonischen, falls das notwendig werden sollte.“

Hamadi blies die Backen auf und sah etwas unglücklich hinüber zu Teremun. Kutari bemerkte den Blick und sah grimmig in die Runde.

„Niemand hat gesagt, dass es einfach oder leicht sein würde. Wir müssen uns Vertrauen und Anerkennung hart erarbeiten.“

Kutari bemerkte die etwas gedrückte Stimmung und klatschte einmal kurz in die Hände

„Aber jetzt genug der Arbeit. Wer möchte, darf noch in den Teich.“

Als sich auch Thotmes dem Teich zuwandte, holte ihn Teremun mit ein paar kurzen Worten zurück.

„Du nicht, Thotmes. Wenn du deine Jugendlocke verloren hast, kannst du so oft oder so lange du willst mit den anderen Baden.“

Thotmes verzog sein Gesicht und blickte sehnsüchtig hinüber, wo die ersten nackten Gestalten ins Wasser stiegen, während Manetho ihnen von der obersten Stufe ebenso sehnsüchtig zusah wie eben Thotmes.

„Wie lange wird es dauern?“

Manetho fuhr herum. Er hatte Kutari gar nicht bemerkt.

„Mindestens noch eine Dekade, Herr. Sekhet hat gesagt, ich muss warten, bis alles abgeheilt ist, damit das Wasser nicht eine Entzündung hervorruft.“

Kutari legte Manetho eine Hand auf die Schulter und drückte diese leicht. Während er hinunter in den Teich sah, bemerkte er auch die neugierigen Blicke, die alle Jungen Shaketo zuwarfen, als dieser ins Wasser stieg. Als Shaketo sich kurz darauf umdrehte, sah ihn Kutari von vorne und fragte sich, warum anscheinend einige Jungen von den Göttern bevorzugt wurden.

Ptahor flüsterte seinem Bruder etwas ins Ohr und hielt seine Hände ziemlich weit auseinander, als ob er etwas abmessen würde. Als Antwort tauchte Metufer ihn gurgelnd unter. Kanefer und Hori tauchten ebenfalls so weit unter, dass nur noch ihre Oberkörper zu sehen waren.

Ich werde wohl wieder mal einige persönliche Gespräche führen müssen.‘


Der nächste Tag begann für Shaketo schon sehr früh, als die Soldaten sich fertig machten für ihren morgendlichen Lauf.

„Und du willst wirklich mitkommen?

„Ja, Herr.“

Feldwebel Chepren stutzte, dann seufzte er auf und schüttelte den Kopf.

„Ich bin kein Herr. Ich bin Feldwebel. Ich werde dir nachher, wenn die anderen ihre Waffenübungen machen, etwas über die Armee, ihre Dienstgrade und die richtige Anrede erzählen.“

Shaketo nickte ergeben. Er hatte es sich auch nicht einfach vorgestellt.

„Aber jetzt komm mit. Halte dich einfach an mein Tempo und wenn du nicht mehr weiter kannst, sag mir Bescheid.“

Bis hinunter zum Fluss war es einfach, doch dann kam der Sand. Der feine Sand verlangte Shaketo während des Laufens alles ab. Er hatte geglaubt, er könnte auf einer langen Strecke einigermaßen mithalten, doch er merkte, wie er langsamer wurde. Während des Rückweges zum Haus kam es Shaketo so vor, als ob die ganze Gruppe langsamer laufen würde, doch das lag wohl daran, dass er sich jetzt stärker konzentrieren musste, um geradeaus zu laufen. Völlig verschwitzt, schwer atmend und mit einem Stechen in den Seiten kam Shaketo mit den anderen zusammen auf dem Übungsplatz an. Kraftlos sank er auf den Boden, doch Ngozi und Nayakepu zogen ihn wieder hoch.

„Nicht hinlegen. Langsam gehen, nicht stehen bleiben. Geh einfach ein paar Schritte, wir passen auf, dass du nicht fällst.“

Ngozi und Nayakepu führten Shaketo mit langsamen Schritten über den Übungsplatz bis sich seine Atmung wieder beruhigt hatte.

„Geht’s wieder?“

Shaketo nickte schwach.

„Du solltest es etwas langsamer angehen lassen. Wir haben das auch nicht am ersten Tag geschafft. Aber wir sind stolz auf dich, dass du durchgehalten hast, auch wenn es zum Schluss etwas langsamer ging.“

Mit Panik in den Augen starrte Shaketo Ngozi an.

„Ihr seid wegen mir langsamer gelaufen? Was wird der Hauptmann sagen? Ich werde schneller wieder verschwunden sein, als ich hergekommen bin!“

Ngozi schüttelte den Kopf.

„Der Hauptmann? Er hat das Tempo bestimmt. Was er sagen wird? Er wird sagen, dass du zu uns gehörst und wir lassen niemanden im Stich. Nicht mal einen kleinen Schreiber, der den Ehrgeiz hat, ein großer Läufer zu werden. Du gehörst jetzt zu uns, Shaketo, wir sind jetzt deine Familie.“

Shaketo sah den starken, muskulösen Nubier mit großen Augen an, dann umarmte er ihn spontan und Ngozi spürte, wie heiße Tränen auf seine Schulter fielen.


Kutari hatte das Haus schon früh verlassen und so nutzten die Truppenführer die Zeit nach dem morgendlichen Lauf für ihre Vorbereitungen

Hauptmann Imiuthetep war mit der gesamten Truppe mit Waffenübungen beschäftigt. Speziell für den Abend wurde der Umgang mit einem schweren Knüppel geübt. Man wollte ja den Gegner nur kampfunfähig machen und ihm nicht den Schädel einschlagen.

Ngozi und Nayakepu führten vor, wie man mit einem Knüppel am besten empfindliche Stellen traf, die den Gegner zwar außer Gefecht setzten, ihn aber nicht schwer verletzten.

Danach war für die Schakale der Maat Ausbildung in der Handhabung des Chepesch.

Bei den Ohren des Seth hatte Leutnant Rahotep inzwischen mit einer ersten Besprechung für den Einsatz am Abend begonnen.

Außer den zehn Männern seiner eigenen Truppe waren noch Hori und der gerade wieder zurückgekehrte Kutari anwesend. Kutari hatte dem Leutnant zu verstehen gegeben, dass er sich im Hintergrund halten würde und nur zuhören wollte.

„Männer, unsere Aufgabe ist es, alles so sicher wie möglich für Hori und auch die anderen zu machen. Während die Blauen reingehen und zuschlagen, werden wir draußen heimlich beobachten und sichern.“

Kutari hatte mitbekommen, dass Rahotep und anscheinend auch seine Männer zwischen ‚Blauen‘ und ‚Grünen‘ unterschieden. Er würde mit den beiden Offizieren reden müssen, dass nicht ein zu starkes Konkurrenzdenken entstand.

„Sekani, Rehema und Kagemni werden Hori folgen und feststellen, wohin sie ihn bringen. Dann wird Kagemni hierher zurückkommen und unsere gesamte Streitmacht nachholen. Alle bleiben zunächst etwas entfernt vom Ziel, damit wir niemanden aufmerksam machen. Sobald Sekani und Rehema alles gesichert haben, holen sie alle, außer uns, für den Sturm auf das Gebäude.“

„Was bleibt denn dann für uns?“, wollte Inherkau wissen.

„Ganz einfach, der interessantere Teil. Wir verteilen uns in einem großen Umkreis um das Gebäude, soweit das möglich ist. Wir verstecken uns in den dunkelsten Ecken und warten einfach, was passiert.“

Inherkau warf die Arme hoch.

„Was soll denn da schon passieren? Die Übeltäter werden geprügelt wie die Ratten und fertig.“

Rehema schüttelte den Kopf.

„So einfach ist das nicht. Wenn jemand so ein Verbrechen plant und durchführt, dann will er auch sicher gehen. Ich würde so ein Haus auch noch von weiter weg beobachten lassen. Ich kann dann zwar nicht genau sehen, was vor sich geht, aber ich kann erkennen ob alles so ist, wie es sein sollte. Wenn sich nur die kleinste Abweichung ergibt, kann ich meine Komplizen warnen und wir können noch verschwinden.“

Kagemni sah Rehema merkwürdig an.

„Klingt ja so, als hättest du das schon einmal gemacht.“

Rehema sah Rahotep fragend an und als dieser nickte, wandte er sich an Kagemni.

„Ja, hab ich. Da, wo ich herkomme, gibt es keine Polizei. Das einzige was der Ortsvorsteher zur Verfügung hat sind zwei alte Büttel, die nicht mal einen Hund erschrecken können. Deshalb haben einige Bürger sich zusammengeschlossen und haben sich selbst um die schlimmsten Fälle gekümmert.“

Rehema fand sich plötzlich im Mittelpunkt einer sehr aufmerksamen Zuhörerschaft.

„Die Oase Dachla besteht aus mehreren Dörfern und es ziehen etliche Karawanen bei uns durch. Das zieht natürlich auch Wüstenräuber an. Wir können uns nicht erlauben, dass die Karawanen einen anderen Weg nehmen und so sind wir immer auf der Jagd nach den zweibeinigen Schakalen der Wüste.“

„Ihr verfolgt die Karawanenräuber? Ich dachte immer, die Oasenbewohner sind die größten Räuber.“

Rehema bedachte Ayamhati mit einem vernichtenden Blick.

„Warum sollten wir die Karawanen überfallen? Wenn es zu viele Überfälle in einer Gegend gibt, kommen gar keine mehr und das Geschäft geht zurück.“

„Die Räuber überfallen die Karawanen meistens bei Dunkelheit. Sie schleichen sich an, ermorden die Begleitung und nehmen Tiere und Ladung mit. Wenn sie die Ladung an einen Kontaktmann verkauft haben, lassen sie die Tiere frei und warten bis zum nächsten Überfall.“

„Was? Warum lassen sie die Tiere frei? Bringen die nicht auch Geld?“

Rehema lachte.

„Natürlich, aber hast du schon mal versucht, zehn oder zwanzig Esel auf einmal zu verkaufen? Der Kontaktmann nimmt die Waren ab, die er lagern und irgendwann Stück für Stück günstig verkaufen kann, doch Esel müssen durchgefüttert werden, wenn ich sie nicht loswerde.“

„Deshalb folgen wir auch meistens den Spuren der Tiere. Wir konnten sogar schon zweimal einen der Hehler ausfindig machen, so dass einige Banden weitergezogen sind, weil sie nichts mehr loswurden.“

Rahotep räusperte sich.

„Das mag ja alles ganz interessant sein, aber wir sprechen hier von dem heutigen Abend.“

„Jawohl, Leutnant. Da man uns der Dunkelheit nicht so leicht erkennen darf, habe ich etwas besorgt.“

Rehema stand auf und holte einen großen, schwarzen Packen. Aus diesem Packen zog er einen Mantel hervor, ähnlich denen, die die Wüstenbewohner trugen.

„Ich habe für jeden einen dieser Mäntel besorgt. Im Gegensatz zu den meisten, die nur als Überwurf getragen werden, haben diese hier Ärmel und können vorne geschlossen werden. Hinten ist eine Kapuze fest angebracht.“

Rehema reichte Sekani den Mantel und dieser schlüpfte hinein, verschloss ihn und zog die Kapuze über. Anscheinend schien er das schon geübt zu haben.

„In der Dunkelheit ist jemand mit diesem Mantel äußerst schwer zu erkennen. Man muss schon fast neben ihm stehen.“

Leutnant Rahotep sah einige skeptische Blicke, doch er war zuversichtlich.

„Sobald die anderen vorrücken, suchen wir uns Positionen, von denen aus wir die Zugangsstraßen und kleinen Wege im Auge behalten können. Sobald jemand Interesse an den Vorgängen bei unserem Ziel zeigt, müssen wir ihn weiter beschatten oder versuchen, ihn festzunehmen und zu verhören.“

Jetzt suchte Rahoteps Blick den jungen Pfeilmacher.

„Kagemni, auf dir lastet eine besondere Verantwortung. Sobald du weißt, wo Hori hingebracht wird, musst du zurückkehren und den Rest der Truppe holen.

Kagemni nickte eifrig.

„Ich weiß, es wurde bereits gesagt.“

„Ja, aber du musst dir im Klaren darüber sein: Die ganze Zeit, die du brauchst, um uns zu holen und die wir brauchen, um an das Ziel zu gelangen, ist Hori bereits bei seinem Kunden.“

„Er ist nicht mein Kunde“, knurrte Hori und Kagemni wurde blass. Sekani sah ebenfalls herüber zu Kagemni.

„Verreiß das nicht, sonst…“

„Sekani!“

Schuldbewusst senkte Sekani den Kopf, dann stand er auf und ging zu Hori. Mit einer schnellen Bewegung zückte er einen handlangen, kleinen Dolch.

„Hier, den wirst du vielleicht brauchen.“

Hori wagte es nicht, Sekani zu umarmen während alle zusahen, doch er legte einen Arm um seine Schultern. Kagemni sah die beiden und er seufzte.

Nein, Sekani, ich werde es nicht verreißen.‘


Das einsame Haus lag still in der Dunkelheit. Nur ab und zu hörte man ein leises Rascheln, ein Kennzeichen dafür, dass sich irgendetwas oder irgendjemand bewegt hatte.

Eine dunkle Gestalt harrte bewegungslos in den Schatten vor dem Gebäude. Geduldig beobachtete sie, wie sich in den Schatten des Gartens um das Haus allmählich einige Gestalten hervorhoben, als sie langsam an der Mauer entlang patrouillierten. Zufrieden zog sich die dunkle Gestalt weiter zurück. Jetzt konnte der nächste Teil des Planes starten.

Sie hatten Kagemni losgeschickt, sobald sie sich sicher waren, in welches Haus man Hori gebracht hatte. Jetzt kam der nächste Teil des Plans. Sie mussten versuchen, die Wächter außerhalb des Gebäudes loszuwerden. Im Gegensatz zu den anderen Soldaten ihres Trupps trugen Rehema und Sekani keine langen Mäntel. Sie wären bei ihrer jetzigen Aufgabe nur hinderlich gewesen. Stattdessen trugen sie lediglich ein Lendentuch aus schwarzem Stoff. Rehema hatte entgegen des Rates des Arztes seinen Verband abgenommen. Sekhet hatte ein Gemisch aus Ruß und Fett hergestellt, mit dem die Zwillinge jeden ihrer Körperteile eingerieben hatten, und zwar buchstäblich jeden. Rehema hatte festgestellt, dass die Berührungen doch gar nicht so unangenehm gewesen waren, wie er befürchtete hatte. Nun waren sie schwarz bis zu den Haaren, nur Rehemas graue Augen stachen hell hervor.

„Drei sind im Garten. Einer liegt auf dem Dach des Nachbargebäudes. Kriegst du den?“, flüsterte Rehema. Sekani nickte, dann trennten sie sich. Sekani schlich hinüber zu dem erheblich kleineren Nachbargebäude und umrundete es, um zur Treppe zu kommen. Vorsichtig stieg er die Stufen empor, bis sein Fuß an eine kleine Tonschüssel stieß, die am Rand einer Stufe gestanden hatte. Es klapperte leise und Sekani erstarrte. Aufmerksam lauschte er auf Geräusche vom Dach und er hörte ein leises Rascheln. Das Rascheln verstummte und Sekani hörte das langsame Tapsen nackter Füße.

So ein Mist. Was jetzt? Bastet hilf mir!‘

In diesem Augenblick erklang über ihm, auf dem Dach, das laute Miauen einer Katze. Die Schritte verstummten, dann wurden sie wieder aufgenommen und nach einem kurzen Rascheln war wieder Ruhe.

Sekani lehnte sich erleichtert an die Treppenstufen. Das war knapp. Er würde sich ein passendes Opfer für die Katzengöttin überlegen. Mit leichten, leisen Schritten stieg Sekani weiter die Treppe hoch und sah aufmerksam auf das Dach. Dort, an der gegenüberliegenden Kante lag etwas Dunkles. So leise wie es ihm möglich war, stieg Sekani auf das Dach und schlich hinüber zu dem Wachposten, der gerade sehr gespannt auf etwas neben dem Nachbarhaus starrte. Automatisch sah Sekani ebenfalls hin und erkannte überrascht Rehema, der an der Außenmauer entlangging.

Der Posten auf dem Dach erhob sich etwas und öffnete seinen Mund, doch Sekani war schneller. Wie er es schon einmal gemacht hatte, packte er sein Opfer an Hinterkopf und Kinn und drehte so schnell und so stark er konnte. Sekhet hatte ihn gewarnt, denn sollte das Opfer bemerken was er vorhatte, würde seine Kraft nicht ausreichen den Kopf zu bewegen. Doch dieses Opfer hier war völlig ahnungslos. Nach einem kräftigen Ruck erschlaffte der Mann und sank zu Boden.

Sekani schlich zurück zur Treppe und machte sich auf den Weg zurück. Kurz vor der Mauer traf er auf Rehema, der im tiefen Schatten einer Sykomore auf ihn wartete.

„Was sollte das denn?“, zischte Sekani. Rehema hob nur kurz die Schultern.

„Ich musste ihn irgendwie ablenken, nachdem ich was gehört hatte, auf dem Dach.“

Die beiden jungen Männer näherten sich nun der Gartenmauer und schwangen sich behände hinüber. Fast ohne jedes Geräusch kamen sie auf der anderen Seite auf den Boden und sahen sich sichernd um. Als sich die Gestalt eines Wächters näherte, kauerte sich Rehema auf dem Boden zusammen. Sekani zog sich etwas zurück. Er konnte nur erkennen, wie Rehemas Schatten sich hinter dem Wächter erhob und dann gab es ein leises, gurgelndes Geräusch.

Schweigend wandte sich Rehema nun in Richtung Eingang des Hauses und Sekani folgte ihm. Vor dem Eingang standen die beiden anderen Wächter und starrten angestrengt in die Dunkelheit, so, als ob sie etwas Verdächtiges gehört hätten. Rehema zögerte etwas, denn sie hätten gute fünf Schritte machen müssen, um die Wächter zu erreichen, doch diese starrten immer noch in ihre ungefähre Richtung, ohne sie jedoch zu bemerken.

Aus dem Haus erklang ein Schrei und dann leises Jammern. Sekani war zusammengezuckt, denn er dachte an Hori, doch das war nicht seine Stimme gewesen. Die beiden Wächter hatten sich beim Ertönen des Schreis herumgedreht und lachten nun leise. Rehema und Sekani hatten sich erhoben und schlossen, so schnell sie konnten, zu ihren Gegnern auf. Sekani sah Rehemas Messer aufblitzen und er selbst setzte zu seinem Drehgriff an, als die beiden Wächter wohl doch etwas bemerkten. Ihre Reaktionen kamen jedoch viel zu spät. Mit zitternden Händen ließen die beiden jungen Männer ihre Opfer zu Boden sinken. Rehema nickte Sekani zu und dieser machte sich wie verabredet auf den Weg zum Sammelplatz.

Sekani führte Imiutheteps Truppe zum Haus. Am Eingangstor wartete Rehema schon und zeigte ihnen den Weg zum Hauseingang. So leise wie möglich schlich Rehema durch die Vorhalle und spähte in die beleuchtete große Halle. Sofort zog er seinen Kopf wieder zurück und ließ Imiuthetep ebenfalls in die Halle sehen. Auch Imiuthetep zog sich nach einem kurzen Rundblick wieder zurück und ging nach draußen. Vor dem Eingang zum Haus stand Kutari zusammen mit Kanefer und Manetho. Beim Eingangstor hatte sich Sekhet mit den Zwillingen postiert.

Imiuthetep ging auf Kutari zu und flüsterte leise.

„In der Halle sind fünf Männer. Drei sehen aus wie wohlhabende Bürger, einer wie ein reicher Ausländer und der fünfte ist ein fetter Eunuch. Die meisten Türen zu den innen liegenden Räumen sind offen, nur drei sind geschlossen.“

Kutari hatte eine bestimmte Ahnung, wer der Eunuch sein würde und er nickte zustimmend.

„Stürmen. Zuerst die drei Räume gleichzeitig, dann alle festnehmen, die sich im Haus befinden. Nehmt die Knüppel, ich will Antworten, keine Toten. Doch wenn sich jemand mit einer Waffe wehrt, macht ihn nieder. Achtet auf die Jungen, die hier zur Arbeit gezwungen werden. Ich will, dass jeder von ihnen von Sekhet untersucht wird, auch Hori.“

Als Imiuthetep wieder in der Vorhalle war, sah er noch einmal um die Ecke, dann straffte er sich und trat mit voller Autorität in die Haupthalle.

„Im Namen des Pharaos, ergebt euch!“

Die fünf Männer im Raum starrten ihn an, als wäre der Geist eines Verstorbenen erschienen und noch ehe sie reagieren oder etwas sagen konnten, stürmte eine ganze Horde bewaffneter Soldaten in den Raum. Jeweils zwei Mann liefen zu den verschlossenen Türen und drangen in die Räume dahinter ein. Der Rest der Truppe begab sich zu den fünf Männern und fesselte sie schnell und effektiv. Bevor noch einer lautstark protestieren konnte, befand er sich mit gefesselten Händen in sitzender Stellung an einer der Längswände der Halle.

Den ersten Raum stürmten Ngozi und Shesher. Der muskulöse Nubier hielt sich gar nicht mit der Tür auf, sondern lief einfach dagegen, so dass sie krachend in den Raum fiel. In einer Ecke des ansonsten leeren Raumes befanden sich eine Anzahl Kissen und darauf lagen zwei Personen. Ein hellhäutiger nackter Mann lag halb über einem anderen nackten jungen Mann, der sich anscheinend verzweifelt gegen seinen Peiniger wehrte. Der junge Mann hatte inzwischen etliche rote Stellen an seinem ganzen Körper. Ngozi rannte mit einem Schrei auf die beiden zu und riss den oberen Mann brutal an einem Arm von seinem Opfer herunter. Vollkommen erstaunt hörte der Junge auf, sich zu bewegen und Ngozi sah Blut an seinem Unterkörper. Ngozi packte seinen Knüppel fester und Shesher musste den Nubier zurückhalten, damit er nicht seine Wut an dem anderen Mann ausließ, der mit Panik in den Augen versuchte, durch die Tür zu entkommen. Dort waren inzwischen Hamadi und Shaketo aufgetaucht, um die Lage zu dokumentieren. Ein Blick auf den blutverschmierten flüchtenden Mann genügte und Hamadi trat ihm gegen ein Knie, so dass er schreiend zusammenbrach.

Im zweiten Raum erblickten Psusennes und Nayakepu ein ähnliches Bild. Ein Haufen alter Kissen und darauf zwei Personen. Der untere war ein junger Mann, der auf dem Bauch lag und sich nicht bewegte. Darauf lag ein schwergewichtiger älterer Mann und bewegte sich rhythmisch.

Psusennes stürmte ebenso wie Ngozi vor, aber er machte gleich von seinem Knüppel Gebrauch. Heftige Schläge prasselten auf den Mann nieder, der sich schreiend erhob und mit erhobenen Armen versuchte, die Schläge abzuwehren. Nayakepu hatte sich zu dem jungen Mann heruntergebeugt und sah ihn besorgt an. Schnell erhob er sich und ging zur Tür.

„Sekhet! Hierher!“

Den dritten Raum stürmten Amani und Thotseneb. Als sie durch die Tür brachen, bot sich ihnen ein ganz anderer Anblick. Auf den Kissen lag ein älterer Mann, der mit ängstlichem Blick auf den Jungen neben ihm starrte. Hori war splitternackt, hatte aber einen großen Dolch in der Hand, den er dem entsetzten Mann an den Hals hielt.

Amani kam näher und grinste Hori an.

„Wahrhaftig. Der Sohn des Seth ist ganz schön gefährlich.“

Kommentarlos begannen die beiden Soldaten den widerstrebenden Mann zu fesseln. Hori suchte inzwischen nach seinem Lendentuch, doch da kam Sekani auch schon herein und stürzte auf ihn zu.

„Ist dir etwas passiert?“

Amani lachte und deutete auf den Dolch, den Hori immer noch in der Hand hielt. Dann führte er mit Thotseneb den älteren Mann aus dem Raum. Als er sich umdrehte sah er, wie ein pechschwarzer Sekani den immer noch nackten Hori umarmte. Kopfschüttelnd schloss er die Tür.


Kutari stand immer noch vor dem Eingang des Hauses wie auf glühenden Kohlen. Sekhet war gerufen worden und er war sofort mit den Zwillingen hineingegangen. Bis jetzt war keiner der drei wieder herausgekommen. Dann endlich erschien Imiuthetep, um eine Meldung zu erstatten.

„Wir haben alle Verdächtigen mehr oder weniger unversehrt festnehmen können. Ngozi und Psusennes sind ein wenig eifrig gewesen.“

Kutari hob fragend die Augenbrauen und Imiuthetep erklärte ihm die Situationen, die die beiden vorgefunden hatten. Kutaris Augen blitzten zornerfüllt, doch er ließ den Hauptmann zu Ende berichten. Dann nickte er und deutete auf das Haus.

„Wie geht es Hori?“

„Gut. Ihm ist nichts passiert. Sekani ist jetzt bei ihm.“

Kutari verdrehte seine Augen gen Himmel, doch dann wurde er wieder an seine Aufgaben erinnert.

„Was ist mit den beiden anderen?“

„Sekhet ist noch bei ihnen. Wir müssen abwarten, was er sagt.“

„Wer sind diese – diese Kunden? Und ist es wirklich Nefoy?“

„Keine Ahnung. Wir haben bisher noch niemanden befragt. Ich kenne ihn ja nicht persönlich. Wann sollen wir damit anfangen?“

„So schnell wie möglich. Wir brauchen Antworten. Ich möchte auch die Hintermänner haben. Sie dürfen keine Zeit haben, zu verschwinden. Nach den Vernehmungen können sie zum Haus der beiden Wahrheiten gebracht werden. Die beiden Verletzten kommen entweder zu uns ins Haus oder ins Haus des Lebens. Das muss Sekhet entscheiden.“

In diesem Moment erschien Sekhet mit gesenktem Kopf in der Tür. Er hatte Kutaris letzte Bemerkung gehört und schüttelte den Kopf.

„Einen können wir zu uns nehmen. Den anderen bringen wir ins Haus des Anubis.“

Kutari und auch Imiuthetep schnappten hörbar nach Luft.

„Was ist passiert?“

„Ich weiß es nicht. Anscheinend war der Junge heute schon länger hier. Seine ganze Erscheinung macht den gleichen Eindruck, wie ein Esel den man den ganzen Tag durch die heiße Sonne getrieben hat und der dann zusammenbricht.“

Entsetzt schüttelte Kutari den Kopf.

„Du meinst, man hat ihn den ganzen Tag…“

„Keine Ahnung. Aber wenn ja, dann wird kein einziger der Götter gnädig sein.“

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