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Wie ein roher Diamant

Teil 3 - Chrysophras

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Chrysophras

Mein Kopf schien zu zerbersten wollen. Die Buchstaben verschwammen vor meinen Augen, und die Worte, die sie einst gebildet hatten, formten sich zu bizarren Gebilden , ohne jeden Sinn, außer mir das letzte bisschen Verstand zu rauben.

Mit einem verärgerten Knurren, raufte ich mir mit beiden Händen die Haare und schlug mit der Stirn gegen die Tischplatte.

"Hey!", meinte eine tiefe Stimme anklagend hinter mir, und zwei warme große Hände begannen meine Schultern zu massieren.

"Lass den Tisch ganz, und außerdem hab ich etwas dagegen, wenn jemand meinen Freund misshandelt..." Ich konnte das Schmunzeln heraushören, und noch immer jagte es mir einen Schauer über den Rücken. "...außer ich bin daran beteiligt.", fügte die Stimme lüstern hinzu.

Ich brummte unwillig.

"Ich krieg den Mist einfach nicht in meinen Kopf.", jammerte ich gedämpft gegen die Tischplatte und zuckte mit den Schultern, um Valandro zu animieren, mich weiter zu massieren, da seine Hände damit aufgehört hatten.

Die Spanplatte, die man als meinen Rücken bezeichnete, hatte eine solche Massage dringend nötig,...und mehr als verdient.

Seit Tagen tat ich nichts anderes, außer über meinen Büchern zu hocken und zu lernen, nebenbei in dem Cafe in der Nähe meiner Wohnung zu jobben, um meine jämmerlichen Kröten etwas aufzustocken.

Doch anstatt mir eine Massage zukommen zu lassen, spürte ich Valandros Gewicht auf mir, als er sich an meinen Rücken schmiegte. Sein warmer Atem streifte meinen Nacken und seine Hände kosten nun über meine Brust.

Ich seufzte leise, weil es sich ausnahmslos gut anfühlte und spürte das sanfte Vibrieren seines Brustkorbs, als er nachdenklich brummte.

"Komm! Wir gehen einen Kaffee trinken.", schlug er vor, küsste meine Halsbeuge und stand auf.

Unwillig sah ich zu ihm auf, indem ich den Kopf in den Nacken legte.

"Ich hab morgen Prüfungen, Valandro...und das Zeug muss definitiv noch in meinen Schädel..."

"Das kann auch noch in einer Stunde in deinen Schädel.", erwiderte er ungerührt und zog an meinem Arm. "Glaub mir, eine kleine Pause wird dir gut tun, außerdem ist da oben im Moment doch sowieso dicht." Er tippte gegen meine Schläfe und zog eine Braue hoch. "Und außerdem, wirst du deinem allerliebsten Liebling doch nicht so etwas Kleinliches wie einen Kaffee abschlagen, oder?" Er setzte seine fieseste Waffe ein, die er besaß: den treudoofen, welpenartigen Hundeblick, der sogar Stein erweichen würde. Wer darauf nicht reinfiel, besaß kein Herz.

Ich sah in diese tiefbraunen Augen, die mich so herzzerreißend ansahen und seufzte resigniert. Ich konnte einfach nicht ‚nein' sagen.

"Also gut..." Ich erhob mich schwerfällig und schob mir meine Geldbörse in die Seitentasche meiner Cargohose.

Valandro grinste triumphierend und ging voraus. Ich betrachtete ihn versonnen von hinten und konnte es immer noch nicht fassen, dass dieser faszinierende Typ mein Freund war.

Ich fuhr mir gedankenverloren mit den Fingerspitzen über mein Handgelenk, da, wo er mich vor fast sechs Monaten das erste Mal berührt hatte.

Es war Januar gewesen und ich hatte gerade mit meinem Kellnerjob angefangen. Die eisigen Temperaturen waren mir bis in die Zehen gekrochen. Demnach lief ich die erste halbe Stunde etwas steif durch die Gegend, meine Gliedmaßen nicht unter 100%tiger Kontrolle. Meine Nase war noch immer rot gewesen, von meinen Ohren ganz zu schweigen, die nach einiger Zeit begonnen hatten zu Schmerzen, als würde eine ganze Ameisenarmee an ihnen herumkauen.

So kam es, dass ich von einem Gast angerempelt wurde und in meiner Unfähigkeit auch nur irgendwie reflexartig zu reagieren, gegen den nächsten Tisch fiel und die Tasse Tee, die ich gerade abliefern wollte, sich über dem Schoß des daran sitzenden jungen Mannes ergoss.

"Heilige Scheiße!" Der Italiener war wie von der Tarantel gestochen aufgesprungen und hatte sich die durchnässte Hose, deren Schritt jetzt mit angenehmem Pfefferminzaroma versetzt war, mit Daumen und Zeigefinger vom Leib gehalten. Hastig und mich immer wieder entschuldigend hatte ich mich wieder aufgerappelt und begonnen, mit meiner Kellnerschürze irgendwie irgendetwas zu retten. Dass es vollkommen sinnlos war, die getränkte Jeans so trocken zu bekommen, war für mich in dem Moment ziemlich nebensächlich, ebenso, dass ich mich gerade in eine noch peinlichere Situation brachte. Nicht nur, dass alle Gäste einen unfähige und tollpatschigen Kellner anstarrten, da das Cafe um diese Zeit gut besucht gewesen war, nein, sie starrten einen unfähigen, tollpatschigen Kellner an, der einem männlichen Gast im Gebiet seiner Reproduktionsorgane herumtatschte.

Erst Valandros Hand, die sich um mein Handgelenk schloss, ließ mich inne halten. "Ist schon okay...", meinte er lächelnd und hatte sich etwas vorgebeugt um mir ins Ohr zu flüstern: "Wenn du ein Date willst, hättest du auch einfach fragen können." Und grinste mich frech an, während ich spürte, das mir die Röte übers ganze Gesicht kroch und ich mich versteifte.

Damals waren mir tausend Gedanken gleichzeitig durch den Kopf geschossen. Wie konnte das sein? War denn alle Welt plötzlich schwul? Konnte man nicht einmal einen Gast mit Tee überschütten, ohne gleich angebaggert zu werden? Oder war der Schriftzug ‚Perfektes Opfer' auf meiner Stirn erweitert worden, zu ‚Perfektes Opfer - verdrängt schwul`?

Ich lachte leise auf und schüttelte nur schmunzelnd den Kopf, als Valandro mich mit hochgezogenen Brauen fragend ansah. "Ich komm schon...", meinte ich fröhlich, zog die Tür meines Zimmers hinter mir zu.

Ohne Zweifel war sein südländisches Temperament von Nutzen gewesen, als er hartnäckig, über Wochen versucht hatte bei mir zu landen. Ich war eine harte Nuss gewesen, doch das hatte ihn noch mehr angespornt. Zumindest hatte er mir das einmal gesagt gehabt.

Valandro hatte vor dem Cafe auf mich gewartet und bat mir an, mich heimzubringen. Seufzend hatte ich angenommen und dabei herausgefunden, wie sympathisch der andere mir eigentlich war. Sein Lächeln war kein gehirnlähmendes Nervengift wie Jans sondern führte zu einer kollektiven Mitarbeit meiner Gesichtsmuskeln. Wann immer er mich ansah und seine Mundwinkel in Andeutung eines Lächelnd zuckten, machte ich mich bereit sofort zurückzulächeln. So dass ich mir fast Krämpfe bei der ungewohnt häufigen Muskelkontraktion holte.

"Hör mal, Valandro...", begann ich, nachdem wir vor meiner Haustür zum stehen gekommen waren und ich vortäuschte, intensiv nach meinem Schlüssel suchen zu müssen, da ich es vermied ihm in die Augen zu sehen. "...ich bewundere ja deine permanente Bemühung, aber gib lieber auf, das führt zu nichts." Als ich keine Antwort bekam, nahm ich es einfach so hin, ein bisschen erleichtert nicht noch diskutieren zu müssen und drehte ich mich herum um die Tür aufzuschließen. In der spiegelnden Glasscheibe, konnte ich ihn sehen, wie er förmlich versteinert da stand.

Ich biss mir auf die Unterlippe und flüchtete ins Haus. Er tat mir ja Leid und ich mochte ihn eigentlich auch, aber wollte ihm keine falschen Hoffnungen machen, es würde nie etwas zwischen uns passieren.

Wie Unrecht ich doch hatte.

Ich grinste vor mich hin, schlang übermütig meine Arme von hinten um Valandros Taille und brachte ihn dadurch zum stolpern.

"Hey...was ist denn plötzlich los?", lachte er überrascht und ruderte mit den Armen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

"Ich bin nur gut gelaunt.."

"Ach? So plötzlich?", fragte Valandro misstrauisch und äugte über seine Schulter, wo ich seinem argwöhnischem Blick mit einem weiteren Grinsen begegnete.

"Nur ein Cappuccino...", säuselte ich in sein Ohr und bekam ein verstehendes Schmunzeln sowie ein nachfolgendes Kopfschütteln. "Spinner...", murmelte er.

Ich lachte auf und löste die Umarmung. "Ich bin ein Spinner? Wer stand denn im strömenden Regen auf der Straße und hat sich keinen Zentimeter vom Fleck gerührt?"

Valandro zuckte nur die Schultern. "Hat doch geklappt...", grinste er und schlug mir frech auf den Hintern.

"Ich dachte ich krieg einen Herzschlag, als Steffen kam und meinte, unten vor der Tür stände ein Verrückter im Regen, nachdem es schon Stundenlang gepisst hatte." Ich rieb mir die Arschbacke und musste wieder schmunzeln. "Obwohl es schon ein süßer Anblick war." Verträumt drehte ich die Augen nach oben, rief mir das Bild in Erinnerung, als ich von einer Ahnung nach unten getrieben worden war und Valandro immer noch am selben Fleck stehen sah, wo ich ihn zurückgelassen hatte. Er war durchnässt bis auf die Knochen und seine Zähne hatten schon geräuschvoll geklappert. Bei diesem Anblick war plötzlich eine ganze Wagenladung Schmetterlinge durch meinen Bauch gewandert.

"Nur ein Cappuccino...", hatte er jammernd von sich gegeben, abgehackt durch das unkontrollierbare aufeinander schlagen seiner Zähne, da ihm die Feuchtigkeit und Kälte schon bis in die Socken gekrochen war..

"Du sahst aus wie eine getaufte Maus.", lachte ich und sah ihn wieder an, sah dieses unheilvolle Glitzern in seinen Augen.

Ein Ächzen entrang sich meiner Kehle, als Valandro nach meiner Schulter griff und mich schwungvoll mit dem Rücken gegen die Wohnungstür drückte und mich kurz aber stürmisch küsste.

"Hat sich doch gelohnt...", flötete er, als ich ihm brummend einen bösen Blick zuwarf, nachdem er sich von mir gelöst hatte.

Er streichelte mir entschuldigend die Halsbeuge, zuckte die Schultern. "Überkam mich gerade so..." lächelte er mit leicht schiefgelegtem Kopf. Ich schnaufte, doch war nicht wirklich böse auf Valandro.

"Lass uns endlich gehen...", maulte ich leise und öffnete die Tür um Valandro den Vortritt zu geben. Als ich selbst hindurchschritt, kroch mir ein Schauer über den Rücken. Es war, als würde mich jemand beobachten. Ich wandte mich um und suchte die Wohnung mit Blicken ab. Aber eigentlich war keiner weiter da. Vincent und Steffen hatten sich einen Kurzurlaub gegönnt und Jan war irgendwo anders, nur nicht zu Hause. Dachte ich zumindest.

Ich schüttelte den Kopf über meine Einbildung und schloss die Tür ab.

Einiges hatte sich geändert; Jan seit dem Tag im Krankenhaus, und Vincent seit Valandros Belagerungsaktion vor der Haustür. Er begegnete mir immer mit einem Dauergrinsen wenn er mich sah und diesem komischen Funkeln in den Augen, das mir förmlich Angst machte. Der Fotograf fand es einfach nur schön, dass das Nesthäkchen langsam aus seinem Schneckenhaus kam...und Steffen schien wohl auch einen entsprechenden Anteil an diesem Dauerglückszustand zu haben.

Doch Jan aber, ... Er ging mir fast aus dem Weg, wechselte nur notwenige Worte mit mir und blieb manchmal Nächte lang weg. Auch brachte er kaum noch jeweilige Bettgenossen mit. Er verwirrte mich zunehmend. Ich kannte ihn noch nicht lange, aber lange genug um zu wissen, dass das einfach nicht seine Art war. Er tat so als wenn ich ihm wer weiß was angetan hätte, das er nun mit Missachtung und Ignoranz strafen musste.

Gut, mir sollte es Recht sein. Seit Valandro in mein Leben getreten war, hatten auch endlich diese Verfolgungen aufgehört. Zwar begegnete er uns manches Mal rein zufällig, aber nicht einmal eine Begrüßung war drin. Es war als würde er mich nicht kennen, und das machte mich fast wahnsinnig.

Er spielte ein ziemlich sadistisches Spiel, das ganz schön an meinen Nerven zerrte. Was sollte das? Doch wenn ich ihn darauf ansprechen würde, was sollte ich sagen? Das ich mich wunderte warum er plötzlich wieder so kalt wie ein Kühlschrank war?

Die einfachste Erklärung war doch, das ich jetzt einen Freund hatte und Jan vielleicht nicht wollte, das Valandro auf falsche Gedanken kam.

Ja klar, wir sprachen hier von Jan.

Dann hatte ich vielleicht sein Ego doch zu sehr angekratzt und er war einfach nur sauer auf mich.

Ich seufzte tief und wäre fast von den Fahrstuhltüren eingeklemmt worden, weil ich voller Gedanken halb auf der Schwelle stehen geblieben war. Doch Valandro zog mich in den Lift und runzelte die Stirn.

"Was ist los mit dir? Erst himmelhochjauchzend und jetzt zu Tode betrübt? Bist du wirklich so sauer auf mich?", fragte er nach und brachte mich dadurch wieder in die Gegenwart.

Ich schüttelte den Kopf, zum einen um seine Frage zu verneinen und zum anderen, um diese merkwürdigen Gedanken zu vertreiben. Jan ließ mich in Ruhe, etwas Besseres konnte doch gar nicht passieren.

"Sorry, habe nur gerade an etwas für die Prüfung gedacht..", wiegelte ich mit einer Handbewegung ab. Valandros Blick sagte mir, dass er mir nicht wirklich glaubte, fragte aber auch nicht weiter nach.

Halb elf. Ich seufzte auf, als ich meinen Blick von der Digitalanzeige meines Weckers losriss und mich erst einmal streckte. Mit einer Hand massierte ich mir selbst die Schulter und starrte trübsinnig auf meine Aufzeichnungen.

Gereizt spuckte ich den Bleistift aus, den ich seit Stunden mit meinen Zähnen traktierte und betrachtete den angesabberten Schaft missbilligend. Ich warf ihn kurzerhand in den Müll und spürte wieder diesen Blick im Nacken. Wieder kroch mir dieser Schauer über den Rücken, langsam drehte ich mich zu meiner Tür und erschrak fast zu Tode, als ich Jan im Türrahmen stehen sah. Zumindest hoffte ich das er es war. Er trug augenscheinlich ein Tablett, soviel ich im Schatten meiner kleinen Tischlampe ausmachen konnte.

"Was willst du denn? Und schleich dich nicht so an, oder willst du mich umbringen!?", fuhr ich ihn an. Ich war zu genervt vom Stress der Prüfungen und Jans Wankelmütigkeit, das ich einfach keine Lust mehr auf dieses beschissenen Spiel hatte.

"Sorry, ich dachte du hättest vielleicht Hunger. Aber wenn du nicht willst, lass es eben. Außerdem würden mir da andere Methoden einfallen...", damit machte Jan Anstalten sich umzudrehen und zu gehen.

Ich seufzte tief. "Hey, warte...tut mir leid, war nicht so gemeint, ich...", resigniert ließ ich den Kopf hängen und wandte mich wieder meinem Schreibtisch zu.

Hinter mir hörte ich die leisen Schritte, als Jan mit nackten Füßen über den Teppich lief und stehen blieb. Direkt hinter mir. Ich spürte seine Körperwärme das mir siedend heiß wurde, und das lag nicht nur an der drückenden Schwüle die im Zimmer lag. In der ganzen Wohnung waren die Fenster Sperrangel weit aufgerissen, doch keine Lüftchen regte sich. Die drückende Hitze stand wie eine unsichtbare Wand im Raum, doch der mangelnde Sicherheitsabstand zu Jan fühlte sich an, als wenn dieser in Flammen stand. Ich zuckte unwillkürlich zusammen, als sich ein Schweißtropfen löste und zwischen meinen Schulterblättern mein Rückgrat hinab lief.

Er stellte das Tablett neben mir ab, mit welchem er Salat, ein Sandwich und ein Glas kaltes Wasser transportierte. Ich schluckte. Warum nur kam mir das so spanisch vor?

"Danke.", krächzte ich heiser und griff leicht zitternd nach dem Glas. Überrascht wie kalt das Wasser meine Kehle hinabrann, japste ich leise auf, als der Eisschmerz mich genau zwischen den Augen traf. Zischend zog ich die Luft ein, kniff die Augen zusammen und presste mir den Handballen gegen die Stirn. Irrwitziger Weise hatte ich erwartet, das die Eiswürfel augenblicklich zu schmelzen beginnen würden und das eiskalte Wasser sich in eine brodelnde Masse verwandeln, so wie ich es berührte, da ich innerlich förmlich glühte.

"Dummkopf...", rügte Jan mich mit leiser Stimme liebevoll, griff nach meiner Hand und zog sie von meiner Stirn weg. Ich war zu erstarrt um zu reagieren. Erstens weil ich viel zu geschockt von seiner Stimme war, das sich mir die Nackenhärchen stellten und mein Herz augenblicklich schneller schlagen ließ. Was mich noch mehr verwirrte. Und zweitens, dass er fast zärtlich mein Handgelenk umfasste, dass allein die Berührung seiner Fingerspitzen meine Haut in Flammen stehen ließ, dort wo er sie berührte.

Als hätte ich mich verbrannt, entzog ich mich ihm und wiegelte ab. "Schon gut...geht schon!" mein Herzschlag dröhnte mir so laut in den Ohren, dass ich meinte mein ganzer Körper erbebte in seinem Rhythmus.

Mein Blick klebte wie festgenagelt an Jans Lippen, die sich zu einem solch bezaubernden Lächeln verzogen, das ich dachte erblinden zu müssen. Er beugte sich über meine Aufzeichnungen und betrachtete sie stirnrunzelnd.

Einigermaßen wieder gefangen murmelte ich: "Ich glaube du wirst mir kaum weiterhelfen können...", und rollte auf meinem Stuhl wieder näher.

"Nun, wenn ich dieses Chaos an Schrifttum sehe, befürchte ich dir zustimmen zu müssen. Dafür braucht man ja einen eigenen Übersetzer.", grinste er, und die kurze Befangenheit seines Auftritts fiel wie Ballast von mir ab, machte wieder Nüchternheit und Ablehnung Platz.

"Ach ja? Es hat dich niemand darum gebeten mir zu helfen.", giftete ich und entlockte Jan wieder dieses herablassende Grinsen, dass ich am liebsten aus seinem Gesicht prügeln wollte. Ich zweifelte an meinem Verstand, wie ich vor wenigen Momenten noch fasziniert gewesen war, von diesen schmalen Lippen, die sich zu einem Lächeln verzogen hatten, das mir die Knie weich geworden waren. Jetzt hielt nur noch der Vergleich mit einer Karnevalsmaske her, denn was anderes besaß Jan nicht, als eine Fratze, die sich zu grotesken Mienen verzog, die allein dafür bestimmt waren seine Mitmenschen zu belehren, dass er über ihnen stand.

Ärgerlich zog ich die Brauen zusammen. "Danke, für das Essen, aber ich werde jetzt zu Bett gehen!", kam es gepresst von mir und ich ballte unter der Tischplatte die Fäuste. Wie schaffte Jan es nur immer wieder, mich mit einem einzigen Kommentar so zur Weißglut zu treiben?

Mir war bisher nicht aufgefallen, wie gering die Distanz zwischen unseren Gesichtern war, bis Jan plötzlich die wenigen Zentimeter überbrückte, die unsere Lippen trennten und meine momentane Unfähigkeit zur Reaktion ausnutzte, um mir einen spontanen Kuss zu rauben.

Ich riss die Augen auf, rang um Fassung und erstarrte zur Salzsäule. Eine weitere Wolke ‚Wild Wind' umnebelte mich, gemischt mit frischem Schweiß und dem Geruch nach Mann. Ich war im Versuch meine Augenlider halb zu senken und den Kuss zu erwidern, doch Jan kam mir zuvor.

Er lachte leise und ein wenig spottend, nachdem er den Kuss genauso schnell gebrochen, wie er ihn mir aufgezwungen hatte.

"Scheint ja die einzige Möglichkeit zu sein, dich wieder auf den Boden zu kriegen." Damit verließ er mein Zimmer und ließ mich vollkommen verdattert zurück.

Ich weiß nicht wie lange es dauerte, bis diese Information mein Gehirn erreicht hatte, aber es war zu lange.

"Gott verdammte Scheiße! Was bildest du dir ein!? Du elender Volltrottel! Arschloch!" Ich war aufgesprungen und brüllte Jan meinen gesamten Wortschatz an Beschimpfungen und Verunglimpfungen hinterher, die ich in meinen bisherigen Leben gesammelt hatte. Es waren eigentlich noch ziemlich harmlose, und würden bei Jan wohl nur ein müdes, amüsiertes Lächeln hervorzaubern. Doch das machte mich wiederum noch wütender, so wütend dass mir förmlich jedes Wort im Hals stecken blieb.

Mit schlotternden Knien sank ich auf mein Bett, versuchte meinen rasenden Puls zu beruhigen und meine Gedanken zu ordnen, die einem Amoklauf gleich vollkommen chaotisch durch meinen Kopf schwirrten.

Was dachte sich dieser Idiot dabei? Und was hatte ich Schwachkopf eigentlich gedacht? Ich war glücklich mit Valandro, und würde ihn nie gegen diese Großstadtcasanova austauschen! Das war der absurdeste Gedanke, der mir kommen konnte.

Jan war nur perfekt darin mich zu manipulieren. Das war alles. Er nutzte meine Unerfahrenheit aus, um sich einen Spaß zu machen. Aber warum nur reagierte mein Körper so verräterisch?

Ich ließ mich rücklings auf mein Bett fallen und starrte an die Decke. Vergessen war die Prüfung. Ich lauschte den Geräuschen der Stadt unterhalb von mir, einer Stadt die niemals schlief.

Jan tat immer genau das, was ich nicht erwartete. Er war unberechenbar, klar dass mein Körper vollkommen durcheinander war, und nicht mehr wusste, was er tun sollte.

Meine Fingerspitzen glitten zu der Stelle an meinem Handgelenk die Jan berührt hatte, automatisch kehrten die Erinnerungen an die Gefühle zurück, die seine Berührung ausgelöst hatte. Nachdenklich zog ich die Stirn in Falten. Warum nur hatte dieses Gefühl so verblüffende Ähnlichkeit mit dem was ich fühlte, wenn Valandro meine Haut berührte. Ich hob meinen Arm und betrachtete die verfluchte Stelle, die so anziehend schien meine Emotionen vollkommen auf den Kopf zu stellen. Dieselbe Stelle die beide berührt hatten mit fast identischen Gefühlen. Das war beängstigend.

Mein Herz begann unwillkürlich schneller zu klopfen. Der Kuss drang ebenfalls in meine Erinnerung. Erschrocken setzte ich mich auf. Was um Himmels Willen geschah hier? Ich brauchte kaltes Wasser und das schnell.

Mit weichen Knien schleppte ich mich ins Bad unter die Dusche. Einen Aufschrei unterdrückend spürte ich das eiskalte Wasser über meinen Körper fließen, bis ich mich bibbernd und Zähne klappernd in ein Handtuch hüllte.

Zumindest war es erfolgreich gewesen. Meine Gedanken drehten sich nur noch um mein Bett und meine kalten Füße.

Ich wurde wach, als sich die Matratze meines Futons unter dem fremden Gewicht einer anderen Person hob und senkte. Ich blinzelte verschlafen zu meinem Wecker. Zwei Uhr morgens. So tief wie ich noch schlief, kam ich nicht einmal auf den Gedanken Panik zu bekommen, nur eine Frage schlich sich durch die schlafumnebelten Gehirnwindungen: Wie kam Valandro hierher? Ich hatte ihm keinen Schlüssel gegeben. Unverständlich nuschelnd erkundigte ich mich nach dem Grund seiner Anwesenheit.

"Ssh,...ich konnte nicht schlafen.", vernahm ich Jans Stimme wispernd an meinem Ohr. Indem Moment spürte ich wie er sich der Länge nach an meinen Körper schmiegte, seinen Arm um meine Taille legte.

Noch immer keine Panikattacken oder Fluchtgedanken, nicht einmal annähernd Mordgedanken. Ich seufzte nur wohlig und schmiegte mich, trotz der drückende Hitze und der weiteren Welle körpereigener Abkühlung an ihn. Mein Herz schlug aufgeregt in meiner Brust, wohlig ergab ich mich dieser Umarmung. Leicht neigte ich den Kopf nach vorn, um den sanften Lippen mehr Platz zu geben, die sich auf Wanderschaft begeben hatten und wie Schmetterlingsflügel über meine Haut kosten.

Ein verzücktes leises Stöhnen entrang sich meiner Kehle als Jans Finger meine nackte Brust zu erkunden begannen, und mein Hintern drängte sich der harten Beule, die ich spürte, auffordernd entgegen.

Ich wurde zu Wachs unter Jans Händen, und dafür war nicht die atmosphärische Temperatur verantwortlich. Mein Bett schien sich aus der Umgebung zu lösen, es existierten nur noch Jan, meine Erregung und ich. Es war als würde ich schweben. Ich fühlte mich schwerelos und frei, ganz ohne Zwänge, wollte mich einfach nur hingeben und genießen was er mir gab.

Sein Duft umhüllte mich wie eine Wolke, auf der ich sanft gebettet war. Ich wagte es die Augen zu öffnen, betrachtete durch halbgeöffnete Lider sein entspanntes Gesicht.

Die leicht geöffneten Lippen, durch die heißer schwerer Atem drang. Die kleinen Schweißperlen die sich über seiner Oberlippe in den kleinen blonden Härchen verfangen hatten. Seine Stirn überzog ein leichter Schweißfilm, von dem sich ein paar Tropfen lösten, die ihm über die Schläfen liefen, an seiner Kinnlinie entlang, um in kleinen glitzernden Tränen hinabzufallen, meine Haut zu streifen und im Bettlaken zu verschwinden.

Sein Blick glitt mir durch Mark und Bein. Ich erschauerte unter ihm. Meine Arme schlangen sich um seinen Oberkörper. Seine Augen waren von einem fiebrigen Schleier überzogen, der seine Lust widerspiegelte, aber darin verbarg sich noch etwas, etwas, was es mir gleichzeitig heiß und kalt werden ließ. Ich konnte es nicht beschreiben, aber es löste eine innere Wärme in mir aus, die mein Herz in Flammen stehen ließ. Bevor ich die Augen erneut schloss, spürte ich wie ich ihm ein Lächeln schenkte. Ein Lächeln das tief aus meinem Innersten stammte, ehe die Wellen, die wie Stromstöße durch meinen Körper jagten, über mir zusammenschlugen, und sich wie eine Sturmflut über mir ergossen.

Mit tief befriedigender Mordlust erschlug ich meinen Wecker, der mich mit nervtötendem Piepen weckte. Quälend öffnete ich ein Auge und schnaufte, als die roten Digitalziffern sechs Uhr anzeigten. Mit einem pelzigen Geschmack im Mund, fuhr ich hoch, nachdem mein Augenlid wie Blei heruntergefallen war und mir die Nacht ins Gedächtnis schoss. Verwirrt blickte ich mich um. Meine Bettdecke war zu einem undefinierbaren Knäuel an meinem Fußende transformiert. Die Bettseite neben mir war leer. Mein Kopf kreiselte umher, doch nichts zeugte von Jans Anwesenheit, nur meine Unterhose, die mir unangenehm am Körper klebte, verriet von seiner nächtlichen Stippvisite. Zumindest der dunkle Fleck auf meiner nachtblauen Boxershorts zeigte mir eines: dass ich einen sehr intensiven Traum gehabt hatte.

Ich fiel wie von einem Stein am Kopf getroffen ächzend auf mein Bett zurück. Was war nur los?

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