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Hürdenlauf

3. Kapitel

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3. Kapitel

„Jetzt hör schon auf damit.“

Genervt schiebe ich Mäxchen mit dem Fuß aus dem Haufen Kartoffelschalen, der auf einer Zeitung auf dem Boden liegt. Warum sind Frettchen nur so furchtbar neugierig und müssen überall drin herum wühlen?

Vor mir auf der Arbeitsplatte, direkt neben der großen Schüssel voller Kartoffelscheiben, steht das Mobilteil meines Telefons.

„Hilf mir lieber.“

Ich hebe mein kleines, braunes Frettchen hoch, halte es mir direkt vors Gesicht und schüttele es. „Kartoffelgratin, Mäxchen. Wie macht man Kar-tof-fel-gra-tin?“

Der kleine Kerl windet sich zwischen meinen Händen. Klar, dass er mir nicht helfen kann.

Ich setze Mäxchen ab, schnappe mir das Telefon und wähle wieder die Nummer. Jetzt beherrsche ich sie auswendig, dabei kann ich mir Zahlen sonst so schwer merken, und André ist erst vor einer Woche ausgezogen.

Aber ich kann ihn nicht um Hilfe bitten. Ich bin ein eigenständiger, erwachsener, junger Mann, das kriege ich auch allein hin!

Mit einem Druck auf die rote Taste lasse ich die Nummer wieder aus dem Display verschwinden. Zum zwölften Mal heute.

„So, Maxe, es gibt jetzt Bratkartoffeln.“ Ich schmeiße das Telefon in eine Ecke, zerknülle die Rezepte für Kartoffelgratin, die ich mir aus dem Internet ausgedruckt habe und suche mir eine Zwiebel aus dem Gemüsekorb.

Mäxchen freut sich über das neue Papierspielzeug, das ihm jetzt zur Verfügung steht und stürzt sich sofort darauf. Beim Zwiebeln schneiden beobachte ich, wie er und sein Bruder Moritz sich um die Papierkugel streiten.

Glücklich bin ich mit meinem Mittagessen nicht. Es schmeckt irgendwie nicht so, wie André es immer gemacht hat. Außerdem hab ich viel zu viele Kartoffeln geschält und gebraten. Nicht nur die Hälfte der Portion von meinem Teller, auch der reichliche Rest aus der Pfanne landen im Müll. Heute muss wohl eine Pizza aus dem Tiefkühlfach meinen Magen füllen.

Nach dem Essen gehe ich mit meinen Frettchen spazieren. Mein Hintern und meine Lippe haben sich schon wieder von dem Sturz vor einer Woche erholt, nur am Hinterkopf habe ich noch eine spürbare Beule, die leicht schmerzt, wenn man sie zu fest berührt.

Da ich eine Wunde an der Lippe hatte, war ich bei meinem Arzt und habe gefragt, wie groß die Wahrscheinlichkeit sei, dass Daniel sich bei dem Kuss angesteckt haben könnte. Er sagte, die Ansteckungsgefahr sei verschwindend gering. Sofort schrieb ich Daniel eine SMS, auf die er bis jetzt nicht geantwortet hat. Wahrscheinlich hat sich seine Handynummer geändert, oder er hat gar keine Lust auf mich.

Ich wäre an dem Abend gern noch mit zu ihm hoch gegangen, aber er wollte das nicht. Er war müde und ihm ging das alles zu schnell. Also war ich allein nach Hause gefahren, mit dem Geschmack seiner Lippen im Mund und seinem Geruch in der Nase.

Den ganzen Weg vom Tiergarten bis zu meinem Auto überlege ich, ob ich Daniel anrufen soll. Versuchen, ob es seine Nummer noch gibt. Oder eine neue SMS schicken und im Handy vorher einspeichern, dass ich einen Sendebericht erhalte, sobald die Nachricht angekommen ist. Aber was, wenn er meine erste SMS gelesen hat und einfach keine Lust hat, sich bei mir zu melden?

Vielleicht hat er ein Auge auf einen anderen geworfen. Oder er hängt immer noch, nach all der Zeit, an Cilly, seinem 3. Freund.

Ich weiß nicht viel über Cilly. Und das, was ich weiß, habe ich von Daniel erfahren.

Sein richtiger Name war Cedrick Ilja Busch. Sein Spitzname, Cilly, setzte sich aus seinen beiden Vornamen zusammen. Vom Aussehen her war er schon lecker anzusehen: Blonde Haare, blaue Augen, sportlicher Körper. Alle, die ihn kannten, beschreiben Cilly als fröhlichen Jungen, immer gut gelaunt, in jeder Situation.

Geboren wurde er in Bochum. Er und Daniel lernten sich online kennen und lieben, verbrachten Stunden mit Chatten und Cybersex. Cillys Vater wollte seinen Sohn nach dessen Outing nicht mehr sehen. Er akzeptierte ihn nicht mehr als seinen Sohn. Deshalb lebte der Junge erst bei seiner Tante und kam dann, auf Anweisung seines Vaters, ins Internat nach Bayern. Dort wurde er schikaniert, von Lehrern wie Mitschülern, bis sein bester Freund Dennis, genannt Denyo, ihn dort herausholte und zurück nach Bochum brachte.

Es fiel Cilly schwer, sich zwischen den beiden Städten, Bochum und Berlin, zu entscheiden. In Bochum fehlte ihm sein Freund Daniel, und in Berlin war er ebenfalls unglücklich, vermisste seine Heimat, seine Freunde, seine Familie.

Er war 17, als er sich vor etwa drei Jahren das Leben nahm.

Ich weiß nicht genau, was in ihm vorgegangen ist, dass er sich dazu entschlossen hat, seinem Leben ein Ende zu setzen. Wie, wann und wo es genau passiert ist, kann ich auch nicht sagen. Darüber schwieg Daniel sich immer aus. Er wollte nicht darüber reden. Wahrscheinlich waren die Wunden, die Cillys Tod hinterlassen hatte, einfach zu tief.

Eigentlich ist es ja auch egal, ob Daniel mich noch will oder nicht. Heute Abend werde ich mich, wie jeden Freitag, mit meinen Freunden treffen, mir einen heißen Kerl fürs Bett suchen und Daniel einfach vergessen. Wer braucht schon Gefühle? Ich bin all die Jahre ohne Beziehung ausgekommen, und ohne Daniel komme ich auch bestens zurecht, warum soll ich ihm da hinterher rennen? Die Szene hat so viele knackige Hintern zu bieten und einen davon werde ich mir heute Nacht vornehmen!

Fast zwei Stunden verbringe ich im Bad, dusche ausgiebig, entferne die wenigen Haare auf meiner Brust und auf meinem Hintern, rasiere mich im Gesicht. Der untere Teil meines Körpers steckt in engen, durchsichtigen Retroshorts und ebenfalls engen Bluejeans, meinen Oberkörper hülle ich in ein dünnes, dunkelgrünes Netzhemd. Meine Haare sind zu lang geworden, ich muss unbedingt wieder zum Frisör. Ich brauche ein wenig Mühe, um sie mit Gel hochzukämmen und in Form zu bringen.

Perfekt gestylt steige ich um halb zehn in mein Auto, hole erst Micha, dann André und Alex ab und befördere uns zu unserem Lieblingsclub.

Diesmal ist Micha schon weitaus besser gelaunt. Wasserstoffblonde und pinkfarbene Strähnchen ziehen sich durch sein dunkelbraunes Haar, sein Make-up ist dezent, hebt aber seine blauen Augen sehr gut hervor. Er trägt eine lilafarben und blau schimmernde, lange Hüfthose und ein bauchfreies, hautenges, weißes Top, auf dem in großen goldenen Buchstaben „Killer Queen“ steht.

„Mir ist nach tanzen!“, trällert er, als er vor mir den Bürgersteig entlang hüpft. Er dreht sich einmal um sich selbst, grinst mich breit an und läuft dann weiter. „Ich will tanzen, tanzen, tanzen, mes amis, bis mir die Füße abfallen!“

„Du bist die ungekrönte Discoqueen“, lacht André. Er hält Alex an der Hand.

Nacheinander betreten wir den Club, zahlen Eintritt, stürzen uns ins Getümmel. Das Pärchen möchte zuerst etwas trinken, aber Micha und ich machen die Tanzfläche unsicher. Gekonnt setzt Micha seinen schlanken Körper in Szene. Er hat früher lange Zeit im Verein getanzt und weiß genau, wie er sich zu bewegen hat. Ich finde, dass ich neben ihm gar keine schlechte Figur mache, obwohl mir die professionelle Praxis fehlt.

Beim Tanzen knöpfe ich langsam mein Hemd auf, präsentiere den männlichen Anwesenden meinen nackten Oberkörper. Ich reiße die Arme hoch, bewege mich, tanze zur Musik, spüre den Bass im Bauch und in den Beinen.

Ein junger Mann tanzt mich an. Er ist etwa in meinem Alter, fast so groß wie ich, hat hellbraunes Haar und hervorstechende, grüne Augen. Sein Oberkörper ist nackt und er trägt blaue Hotpants. Ein bisschen zu muskulös ist er mir, aber er tanzt gut, und irgendwas an ihm macht mich wahnsinnig an.

Irgendwer stößt mich mit dem Arm an. Reflexartig drehe ich mich um, um zu schauen, wer mich da angerempelt hat. Der Mann hinter mir und ich sehen uns einen Moment lang an. Große, runde Augen, braune Haare- das ist doch…?

„Opa!“, grinse ich, mein Gegenüber verdreht die Augen. Mein athletischer Tanzpartner ist mir plötzlich furchtbar egal.

„Was machst du hier? Noch 3 Monate, dann bist du so gut wie tot!“ Georg kann meine Heiterkeit offensichtlich nicht teilen.

„Pass auf, Loki, hör auf zu nerven, okay?“, macht er mich an und beugt sich dabei zu mir vor, damit ich ihn besser verstehe.

„Ja, ich weiß, 30 ist kein Alter!“

„Lass es einfach, ja? Geh mir nicht auf den Geist!“

Georg gehört ebenso zum Szeneinventar wie ich. Nur, dass er einige Jahre länger dabei ist als ich. Er ist als Aufreißer bekannt, und das schon seit vielen Jahren. Eigentlich müsste er mittlerweile jeden schwulen Mann aus Berlin und Umgebung im Bett gehabt haben; vor 6 ½ Jahren „feierte“ er seinen 1000. Fick. Damals war er 23, so alt wie ich jetzt, und die 1000 habe ich auch schon erreicht. Ob ich mal so enden werde wie er?

Vor vier, fast fünf Jahren hatten wir mal was miteinander. Wir waren beide angetrunken, tanzten miteinander. Komplimente machte er mir, sagte, dass ich süß aussähe und heiß sei. Er zog mir auf der Tanzfläche das T-Shirt aus, fing an, an meinen Brustwarzen herumzuspielen. Mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand zupfte er an meinem linken, mit denselben Fingern der linken Hand an meinem rechten Nippel, zog mich so nah an sich heran. Wir knutschten, er schob mir seine Hand hinten in die Hose.

„Soll ich dir mal was Schönes zeigen?“, fragte er, dann beugte er sich nah an mein Ohr und hauchte: „Ich will dir einen blasen. Jetzt sofort!“

Er legte den Kopf schief, sah mich mit großen, runden Kulleraugen an. Als ich breit grinste, verzog auch sein Mund sich zu einem versauten Grinsen. Georg griff meine Hand.

Wir verschwanden auf der Toilette. Er zog die Tür hinter uns zu, verriegelte mit einer Hand die Tür, mit der anderen öffnete er meine Hose. Dann wurde ich an die Trennwand gedrückt. Warme Finger spielten in meiner Unterhose an meinem steifen Schwanz herum, während Georgs Zunge meinen Mund erkundete. Ich bemühte mich, nicht laut zu stöhnen, weil ich Angst hatte, man würde uns hören.

Seine Zunge verließ meinen Mund, widmete sich meinen harten Brustwarzen. Ich legte den Kopf zurück, an die Holzwand, keuchte mich geschlossenen Augen. Georg riss meine Hose und meine Unterhose gleichzeitig herunter, küsste meinen Bauch, rieb dabei meinen Ständer mit der Hand. Ich legte beide Hände auf seinen Kopf, drückte ihn nach unten.

„Nimm ihn in den Mund“, stöhnte ich leise.

Er saugte fest, mein Schwanz verschwand zu einem großen Teil in seinem Hals. Erregt krallte ich mich an der Oberkante der Trennwand fest, konnte mein Stöhnen nicht richtig zurückhalten. Ich drückte meinen Unterleib in seine Richtung, bewegte mich in dem Rhythmus, den er mit seiner Kopfbewegung vorgab. Immer wieder glitt meine Latte in seinen Mund, er lutschte an meiner Eichel, leckte den Schaft entlang.

„Gleich…“, schnaufte ich erregt. „Ich komm gleich…“

Georg ließ von meinem Schwanz ab, nahm ihn in die Hand und rieb ihn fest, bis ich keuchend kam und mir das Ergebnis auf den Bauch spritzte.

Mir war schwindelig und ich schwitzte, mein Herz raste wie verrückt und ich spürte ein angenehmes Kribbeln im ganzen Körper. Mit Toilettenpapier wischte ich mich sauber, zog meine Hose wieder hoch.

„Gib mir deine Handynummer“, sagte Georg und holte sein Handy aus der Hosentasche.

Ich bin nicht enttäuscht, dass er sich nie bei mir gemeldet hat.

Jetzt, wo er vor mir steht, muss ich an Daniel denken. Und dabei hatte ich ihn doch heute endlich vergessen wollen!

3 Monate hat Georg was mit Daniel gehabt. Er ist Daniels erster Freund gewesen. Georg hat ihn entjungfert, ihm „gezeigt, wie das geht“, wie er es später bezeichnete. Genau genommen hat er Daniel abgeschleppt, flachgelegt und dann als sein Sexspielzeug missbraucht. Daniel hat sich in den gut aussehenden, jungen Mann verliebt, und das hat Georg ausgenutzt. Nach einigen Wochen ist es ihm wohl zu langweilig geworden, und er hat Daniel fallen gelassen.

Das ist seine Masche. Er wickelt die kleinen, süßen, unschuldigen ein, die geben ihm ihre Körper und ihre kleinen Herzen. Die Körper nimmt er dann zum Frühstück, und mit den Herzen tapeziert er sich die Kellerwände...

Ich will mich nicht mit Georg streiten. Aber ihn zu provozieren macht immer wieder Spaß. Seit fast vier Jahren erzählt er jedem, er sei 22 Jahre alt.

„Nachdem ich jetzt 26 bin, habe ich für mich beschlossen, wieder 22 zu sein - 22 war irgendwie schöner“, hat er damals verkündet und dabei frech gegrinst. Irgendwie nimmt man ihm dieses Alter auch immer noch ungeprüft ab.

„Komm, wir trinken was“, biete ich ihm an. Georg zuckt mit den Schultern, nickt und folgt mir zur Bar.

Während er an seinem Strohhalm nuckelt, beginne ich, ihn auszufragen.

Er und ich hatten schon immer ein gespaltenes Verhältnis zueinander. Ich kenne die Gerüchte über ihn, er kennt die Gerüchte über mich. Man grüßt sich, wechselt mal ein paar Worte miteinander, geht sich ansonsten aus dem Weg. Er hatte mich, und so dachte er, er könne mich abhaken und mein Herz zu den anderen, hunderten Jungenherzen auf den Müll werfen.

Oder hatte ich ihn? Anscheinend hat er nicht damit gerechnet, dass ich mich nicht in ihn verlieben würde und mein Verhältnis zu One-Night-Stands seinem sehr ähnlich war. Deshalb hat er sich wohl auch nie bei mir gemeldet: Ich hatte ihn, damit würden mein Schwanz und mein Arsch ihm nie mehr zur Verfügung stehen.

„Ich hab dich hier lange nicht mehr gesehen“, meine ich und nehme einen Schluck von meinem Cocktail. Irgendwie sieht Georg blasser aus als früher. Er hat Augenringe, die ich sogar in der dunklen Disco im bunten Neonlicht gut erkennen kann. So jugendlich er wirken kann, so alt kann er auch aussehen. Ob das an der Szene liegt?

„Ich war nicht in der Stadt“, antwortet er knapp ohne mich anzusehen. Er beobachtet einen Jungen von ungefähr 20 Jahren, der sich auf der Tanzfläche austobt. „Ich hab Daniel vor ein paar Tagen bei IKEA gesehen. Hat sich Gläser angeschaut.“

Dieses Arschloch! Er weiß ganz genau, dass ich nicht gern über Daniel rede.

„Na und?“ Ich schlucke meine Wut mit dem bunten Cocktail hinunter. „Ich hab ihn ewig nicht gesehen.“

Bestimmt hört er, dass ich lüge. Und bestimmt weiß er, dass ich auch nach zwei Jahren noch auf Daniel stehe. Ich hasse ihn dafür.

Mit einem ironischen und überlegenen Unterton in der Stimme rächt er sich für meine Bemerkung über sein Alter und geht zum Gegenangriff über.

„Er soll immer noch Single sein, erzählt man sich.“

Er kann nicht aufhören zu sticheln! Sein triumphierendes Lächeln macht mich wahnsinnig.

„Erzählt man sich das also? Was du nicht alles weißt… Wo er doch nie in den Clubs ist.“

„Sein Ex ist eine Labertasche, ganz Berlin weiß, dass Daniel nach der Trennung von diesem Achim keinen Kerl mehr angefasst hat.“

„Achim?“

„Achim ist der Typ, der dich ersetzt hat, mein lieber Loki.“

Georg zwinkert mir zu, und in mir steigt die Lust, ihm in seine arrogante Visage zu schlagen. Wenn das hier so weitergeht, ist der Abend für mich gelaufen.

Sein 20jähriges Beobachtungsobjekt ist richtig niedlich. Blondgefärbte Stoppelfrisur, ein schlanker Körper, schicke Klamotten.

„Siehst du den kleinen Blonden da vorne?“, frage ich übertrieben beiläufig. „Den da, mit dem engen, weißen Shirt?“

„Ja“, antwortet Georg und stellt sein leeres Glas auf die Theke. „Ich denke, es ist Zeit für einen kleinen Mitternachtssnack.“ Er sieht mich kurz an, lächelt, will dann gehen, aber ich schiebe mich an ihm vorbei.

„Nein, Georg.“ Er bekommt von mir dasselbe zickige Lächeln, das er mir präsentiert hat. „Das da ist mein Abendessen.“

„Schlampe“, zischt er mir hinterher. Er weiß genau, dass ich bei dem Jungen mehr Chancen habe als er mit seinem von dicken Rändern untermalten Hundeblick.

„Danke gleichfalls“, rufe ich zurück und begebe mich auf Beutefang.

Ja, auch Loki kann eine kleine Fotze sein.

Der Junge heißt Christian, ist 18, nicht 20, und noch Jungfrau. Seine Eltern sind verreist, und so hat er sturmfreie Bude.

An seinen Zimmerwänden hängen Poster von Sportwagen, in den Regalen reihen sich Modellautos.

„Das sind alles meine Autos“, erzählt er, als er bemerkt, dass ich mir seine Modelle anschaue. „Die hab ich mir alle selbst gekauft. Nur das silberne BMW Z4 Coupé hab ich zum Geburtstag bekommen. Ich will auch mal so ein Auto fahren, aber ich hab noch keinen Führerschein, und meine Eltern haben kein Geld, mir so einen Wagen zu kaufen.“

Der Junge redet zu viel. Er ist nervös, sieht zu Boden, während er mit mir redet. Ich setze mich neben ihm, fahre vorsichtig und langsam mit meiner Hand über seinen Rücken.

„Ich hab bald meine p- praktische Fahr- prüfung“, sagt er. Je weiter meine Finger herunter gleiten, desto mehr stottert der blonde Christian.

„M- meine Groß- eltern sch- schenken mir einen O- opel A- aaastra, wenn ich m- meine Prüfung-“

Ich unterbreche sein Gestammel, indem ich seine Lippen mit meinen verschließe. Seine Küsse sind zaghaft, er ist unsicher, das merke ich genau. Sein ganzer Körper ist verkrampft. Ich ziehe ihm sein weißes Shirt aus, werfe es neben das Bett. Er legt sich auf den Rücken, ich beuge mich über ihn, küsse ihn, streichele seinen Oberkörper. Als ich seinen Gürtel öffnen will, zuckt er plötzlich zusammen.

„Nicht!“, ruft er und setzt sich ruckartig auf. „Ich- hab- das noch nie-“

Er schämt sich, senkt den Kopf. Ich küsse seinen Nacken, lasse meinen Zeigefinger seine Wirbelsäule hinunter wandern.

„Ich bin ganz vorsichtig“, verspreche ich ihm flüsternd. „Mach dich nur ganz locker.“

Christian schläft wie ein Baby. Ganz verausgabt hat er sich. Fast fühle ich mich schlecht, als ich aufstehe, mich leise anziehe und das Haus verlasse. Georg hätte ihm nicht nur seine Unschuld, sondern auch sein Herz genommen. Ich hoffe, ich habe es nicht getan.

Seltsam… Der Fick mit Christian hat Daniel überhaupt nicht aus meinem Kopf radiert. Auch am nächsten Morgen denke ich noch an meinen Ex. Ich will ihn wieder sehen! Und warum tut es so weh, dass er sich nicht meldet? Zwei Jahre ist es her, zwei Jahre, und ich kann und kann ihn nicht vergessen.

Ich habe es immer gewusst: Gefühle tun weh, und was wehtut, sollte man abschaffen!

Nach einem späten Frühstück setze ich mich in mein Auto, fahre raus aus der Stadt, ein bisschen über Landstraßen, höre laut Musik, versuche, irgendwie meinen Kopf frei zu bekommen. Aber es klappt nicht. Daniel ist da, und er lässt sich auch nicht mit lauten Technobeats verscheuchen.

Ein bisschen Hoffnung habe ich noch: Nach unserer Trennung hat es auch eine Weile gedauert, bis ich die Gefühle für Daniel mit einer Menge Sex, Drogen und Alkohol habe auslöschen können. Heute ist auch noch ein Tag; es ist Samstag, da sind die Discos voll von willigen Kerlen, die sich nichts sehnlicher wünschen, als mir meine Gedanken aus dem Hirn zu vögeln!

Plötzlich vibriert es in meiner Hose. Wer nervt mich denn jetzt? Ich weiß schon, warum ich keine Handys mag. Immer und überall ist man erreichbar, nirgends kann man mal seine Ruhe haben.

Ich fahre rechts ran und halte auf dem Seitenstreifen, fummele mein Handy aus der Hosentasche.

Eine Kurzmitteilung habe ich erhalten, teilt mir der Text auf dem Display mit. Per Knopfdruck öffne ich die Nachricht. Als ich den Absender lese, rutscht mir das Herz in die Hose, und ich fühle mich wie bei André im Hausflur auf der Treppe, als ich Daniel gegenüberstand.

„Hallo Joni, hättest du Lust, heute Abend was mit mir trinken zu gehen? Würde mich freuen! Gruß, Dany“, lese ich.

„Dany“ schreibt er. Seine Freunde nennen ihn Dany, englisch gesprochen. Ich habe ihn immer Dani genannt, deutsch gesprochen, und eigentlich hatte er seine E-Mails und sonstige Nachrichten an mich auch immer mit „Dani“ unterschrieben. Ob es was zu bedeuten hat, dass er jetzt „Dany“ schreibt? Andererseits steht da auch „Joni“, und so hat in meinem ganzen Leben nur er mich angesprochen.

Warum mache ich mir überhaupt Gedanken? Wollte ich ihn nicht vergessen und mir in der Szene was Anständiges zum Ficken suchen?

Ach was, ein Cocktail mit Daniel in irgendeinem schönen Café ist sicher auch ganz nett…

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