zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Auf die Freundschaft ...

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

 

Das Tageslicht blendete mich, als ich auf die Straße hinaus trat und so musste ich einen Moment lang blinzeln, bevor ich vorsichtig die Haustür des Mehrfamilienhauses hinter mir schloss. Viel zu behutsam ließ ich sie ins Schloss sinken, um möglichst wenig Lärm zu veranstalten, den im Haus sowieso niemand gehört hätte. Anschließend wand ich mich auf dem Absatz herum und ging eiligst die Straße hinunter in Richtung Bushaltestelle.

Es war ziemlich heiß heute, der Himmel war wolkenlos und mir lächelte die angehende Mittagssonne entgegen, so dass ich schützend meine Hand vors Gesicht hielt.

Mein Magen fühlte sich flau an. „Weniger trinken“, murmelte ich vor mich hin. Ja, weniger trinken wäre wohl das Angebrachteste, was ich mir für den Rest meines Lebens vornehmen könnte, vielleicht würde ich mir damit solch dumme Situationen ersparen können, wie jene, in die ich gerade mit vollem Anlauf hineingesprungen war. Ich strich mir durch mein Haar und fuhr meine Hand anschließend vor meine Augen, während ich kurz stehen blieb. Wäre es wenigstens nur mein Magen gewesen, der sich des vorabendlichen Besäufnisses beschwert hätte, aber nein, natürlich musste auch mein Kopf rebellieren.

Sowas war typisch. Selbstverständlich geht es einem nur an solchen Tagen schlecht, an denen es einem eigentlich prima gehen müsste. Die letzten Tage war ein Sommergewitter dem nächsten gefolgt und heute, Sonntagmittag, war es so wunderschön wie lange nicht mehr und es war mir unmöglich, diesen Umstand ausgiebig zu genießen.

Wie hatte ich überhaupt in eine solche Situation hineingeraten können? Ich erinnerte mich nicht daran, wann ich das letzte Mal so viel getrunken hatte wie in der letzten Nacht. Nun ja, die Stimmung war super gewesen und –

Die ältere Dame, die ich beinahe gerade umgerannt hätte, begann lauthals über die heutige Jugend herzuziehen, was man sich erlauben würde, Respektlosigkeit gegenüber dem Alter, man könne nicht die ganze Zeit durch die Welt träumen. Ich hob beschwichtigend meine Hände, nuschelte eine kurze Entschuldigung heraus und zog für wenige Meter mein Tempo an, um dem keifenden Drachen schnellstmöglich zu entkommen. Sie schien nicht minder durch meine Entschuldigung beruhigt, sondern durch mein eiliges Fluchtmanöver nur noch aufgebrachter. Erst als ich hinter dem nächsten Häuserblock abbog, hörte ich sie nicht mehr wettern.

Das sind sie, die Tage, an denen man doch gerne aufsteht und noch lieber wieder ins Bett geht. Heute traf des Weiteren nur der zweite Teil zu. Am liebsten hätte ich mich einfach sofort in meinem Bett verkrochen und hätte diesen Tag aus Protest gegen das Schicksal überschlafen. Was hatte ich mir dabei eigentlich gedacht?

Der Abend hatte übrigens sehr schön begonnen, fand ich. Bei Mike, meinem besten Freund seit dem Gymnasium, fand, seit er vor gut drei Semestern mit seinem Jura-Studium begonnen hatte, alle paar Monate die ein oder andere, mehr oder minder große Hausparty in seiner recht geräumigen Dreizimmerwohnung statt.

Auch gestern war wieder eine solche Party gewesen. Es dürften um die 30 Leute da gewesen sein, Kommilitonen von ihm und auch alte Freunde aus der Schulzeit. Ich kannte die meisten Leute, nur einige angehende Juristen waren scheinbar neu in der Runde. Als ich ankam, war die Stimmung schon super. Es lief gute Musik, die Gäste ließen sich Buffet und Getränke schmecken und es wurde viel geredet und erzählt. Ich suchte Mike auf, begrüßte ihn mit einer freundschaftlichen Umarmung und ging zu einigen alten Freunden, die ich schon längere Zeit nicht mehr gesehen hatte und stimmte in wilde Erzählungen über alte Zeiten und neue Erlebnisse mit ein.

Man trank ein Bier und noch eines. Es wurde ein feuchtfröhlicher Abend. Gegen zehn Uhr kam Natalie, Mikes Freundin, dazu.

„Hey Sascha, wie geht’s dir? Lange nicht mehr gesehen“, fragte sie mich und sprang mich an, um mir eine dicke Umarmung zu verpassen. Ich hatte sie sehr gerne. Mike hatte einen echten Glückstreffer mit ihr gelandet, wie ich fand.

„Super und wie geht’s dir? Was macht das Studium?“, entgegnete ich, als ich mich aus ihrer Umarmung befreit hatte.

„Auch gut“, sie atmete tief durch, „die Humanbiologie ist echt der Horror, aber meine Algenkulturen machen sich gut.“ Sie lachte und ich stimmte gut gelaunt ein. Vor einigen Wochen hatte sie ein Experiment zum Algenwachstum gestartet, seitdem standen in ihrem Zimmer Aquarien herum, deren trübes, algengrünes Wasser wohl den einen oder anderen Fischfreund in die Flucht geschlagen hätte. Sie studierte im zweiten Semester Biologie. Mike und sie hatten sich vor einem halben Jahr auf einer Studentenparty kennen und lieben gelernt.

„Darf’s für dich auch ein Bier sein?“, fragte ich sie und machte mich auf den Weg in die Küche. Sie rief mir noch schnell ein „Ja“ hinterher, ehe ich in der Küche verschwand.

Ich weiß nicht mehr, wie viele Bier ich noch getrunken hatte, ehe die ersten Gäste das Haus verließen, aber es waren genügend viele gewesen, um mich auf einem guten Level zu halten.

Der Gastgeber hatte sich immer mal wieder in der Menge verkrümelt, um dann wieder zurückzukehren, um in unseren ausgelassenen Gesprächen einzustimmen, die mittlerweile von damaligen Lehrern handelten.

Gegen ein Uhr saßen wir mit einigen Leuten im Wohnzimmer, die zwei Sofas, die er irgendwann einmal günstig auf einem Flohmarkt erworben hatte, waren gerammelt voll. Ich saß neben Sophia und Marie, die ich auch nur alle paar Wochen auf Mikes Partys traf, sie quetschten mich aus, ob ich schon einen neuen „Schwarm“ gefunden hätte, und erzählten mir von gutaussehenden jungen Männern, die sie mir bei Gelegenheit einmal vorstellen müssten. Es war kein Geheimnis, dass ich schwul war und alle gingen damit locker um. Auf der anderen Couch saßen Natalie und Mike und noch die Unbekannten aus seinem Studiengang. Natalie hatte auf seinem Schoß Platz genommen und hörte den Juristen bei ihren Erzählungen von besonders spannenden Fällen interessiert zu.

Eine gute Stunde später machte auch sie sich auf den Heimweg, da sie am nächsten Tag beim Umzug einer Freundin helfen wollte, Mike hatte sich im Vorfeld aus dieser Situation herausgewunden.

Es blieben letztlich nur alte Klassenkameraden und aus Bier wurde in heiterer Stimmung ein Wodka-Orange-Gemisch. Nachdem wir mit nur mehr 6 Personen die zweite Flasche angebrochen hatten, stürzte ich ins Bad, um meine Liebe zum stillen Örtchen zu huldigen. Ich hing mit dem Kopf tief über der Schüssel und der schöne Abend hatte für mich ein abruptes Ende gefunden.

Mike, der mir so schnell wie möglich ins Bad gefolgt war, beziehungsweise so schnell wie es für ihn selbst in seinem alkoholischen Zustand noch möglich war, wurde von mir in einer kurzen Erbrechenspause wieder zu den übrig gebliebenen Gästen verbannt. Erst war er widerwillig, dann jedoch sah er ein, dass er mir sowieso nicht helfen konnte.

Nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit und einer realen Viertelstunde kam er wieder und verkündigte mir lallend, dass die anderen gerade gegangen seien. Mittlerweile hatte ich nur mehr neben dem Klo gesessen, um auf Nummer sicher zu gehen.

Mein Freund streckte mir die Hand entgegen und half mir so gut es ging auf die Beine, was in Anbetracht der Tatsache, dass sowohl er, als auch ich betrunken waren, nicht allzu einfach gewesen war. Ich musste mich erst einmal einen Moment an ihm festhalten, schüttelte dann mit breitem Alkoholgrinsen das Gesicht und wandte mich dann dem Waschbecken zu, an dem ich mich haltsuchend festhielt. Aus dem Spiegel sah mir eine unheimliche, blöd grinsende Gestalt entgegen. Ich griff kurzerhand nach einem Becher und dem Mundwasser aus seinem Badezimmerschrank, um den fiesen Geschmack aus meinem Mund zu bekommen.

Er beobachtete mich die ganze Zeit über besorgt und so versicherte ich ihm undeutlich, dass bei mir alles in bester Ordnung sei. Es ist immer wieder faszinierend, wie gut sich alkoholisierte Menschen verstehen, obwohl sie beide undeutlich sprechen.

Als ich mich wankend wieder ins Wohnzimmer befördert hatte, ging mein erster Griff zu der angebrochenen Wodkaflasche und dann direkt zu meinem Mund. Danach reichte ich sie ihm entgegen und prostete ihm ‚auuf d di Freun’schawd‘ zu. Er ließ sich neben mir aufs Sofa fallen und trank ebenfalls einen tiefen Schluck.

Ich war etwas überrascht, als plötzlich der Bus vor mir hielt, gedankenversunken, wie ich war, hatte ich ihn weder kommen gesehen noch gehört. Ich stieg ein und ließ mich schwerfällig auf einen Platz in der Mitte des Busses fallen. Das Brummen des Motors quälte mich nur noch mehr.

‚Vielleicht ist das genau die Strafe, die ich verdiene‘, dachte ich mir und hielt mir wehmütig den Kopf.

Mensch, wie konnte man bitte eine solche Scheiße bauen. Wahrscheinlich trug ich aber auch gar nicht die alleinige Schuld an der Situation. Ich war nicht der einzige Betrunkene gewesen und er hat die Sache doch auch irgendwie mit zu verantworten, schließlich ist er auch alt genug und kann Verantwortung tragen, ebenso wie ich oder ebenso wie ich eben auch nicht, setzte ich dem Gedankengang hinzu.


Mein Handy riss mich aus meinem Schlaf. Mein Schädel brummte wie verrückte und ich suchte mit noch geschlossenen Augen nach dem Mobiltelefon. Irgendwann hatte ich es in meiner Hand und nahm ab.

„Morgen Schatz“, begrüßte mich die vertraute Stimme meiner Freundin, ich liebte ihre Stimme, sie war weich und doch selbstsicher.

„Morgen“, brummte ich in den Apparat.

„Hab ich dich geweckt? Du hörst dich schrecklich an.“ Das Grinsen, das sie bei diesem zweiten Satz auf den Lippen gehabt haben musste, konnte ich durch das Handy hindurch hören.

Ich knurrte: „Ja hast du, was ist los?“

„Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du nicht doch zum Umzug helfen kommen möchtest, aber du hörst dich echt nicht danach an.“ Ich wollte gerade etwas entgegnen, als sie schon weitersprach. „Kurier erst einmal deinen Kater aus, ich melde mich dann heute Abend nochmal bei dir. Ich liebe dich!“, säuselte sie ins Mikrofon.

„Danke, ich dich auch!“, mein Magen verkrampfte sich bei diesen Worten. Ich legte auf und warf das Gerät in eine Ecke, in der ein Haufen Altwäsche aufgetürmt war, und ließ mich wieder in mein Kissen sinken. Oh mein Gott, was hab ich nur gemacht?

Ich stand auf und zog mir eine Boxershorts an, die ich vom Boden aufgriff. Noch einige Momente saß ich auf der Bettkante, hatte die Arme auf den Knien abgestützt und hielt mir damit meinen Kopf. Mein Blick schweifte über den Fußboden und blieb an den Boxershorts hängen, die dort vor dem Schrank lagen, es waren nicht meine. Ich watete in die Küche und stellte mir Kaffee auf, ließ mich dann erschöpft am Küchentisch nieder.

Ich versuchte mich auf das Gluckern der Kaffeemaschine zu konzentrieren, aber meine Gedanken hingen unentwegt am gestrigen Abend und bei Natalie. Was sollte ich tun, sollte ich ihr erzählen, was ich im Suff gemacht habe?

„Auf die Freundschaft“, hörte ich Saschas Stimme in meinem Kopf nachhallen.

Ich hatte daraufhin einen tiefen Zug des Wodkas genommen.

Ich setzte die Flasche ab und verzog das Gesicht. Nie mehr so viel Alkohol, das schwor ich mir in diesem Moment. Dass ich so die Kontrolle verloren hatte, war unfassbar.

Ich prostete ihm auch zu und er griff nochmals nach der Flasche. Die Tatsache, dass er sich vor kurzem erst übergeben hatte, fiel mir gar nicht mehr wirklich auf.

„Natalie ist eine tolle Freundin“, versicherte mir Sascha und sein nächster Schluck ging ‚auf ihr Wohl‘.

„Ja, ist sie“, entgegnete ich, ich machte eine kurze Pause. „Schade, dass sie schon heim ist.“

Sascha blickte von der Flasche auf, in der mittlerweile nicht mehr allzu viel drinnen war, er reichte sie mir, und während ich einen weiteren Zug nahm und damit das Ende unseren Alkoholvorrats angebrochen hatte, sagte er beschwipst: „Mensch Mike, du hast doch mich.“

Das Gluckern der Kaffeemaschine hatte aufgehört. Sie versuchte nun Wasser zu ziehen, wo keines mehr war. Ich stand auf und schaltete sie aus, nahm mir eine Tasse aus dem Schrank und füllte sie mit dem schwarzen Elixier. Wenn meine Kopfschmerzen mich heute nicht umbringen würden, wäre es wohl in absehbarer Zeit Natalie, die dies bewirken würde. Ich ließ mir das heiße Getränk die Kehle hinunterlaufen, die Wärme fühlte sich sonderbar an. Ich nahm Zucker aus dem Schrank und ertränkte meinen Kaffee beinahe darin, bevor ich weitertrank.

Sascha ließ sich seitlich aufs Sofa fallen. „Aber du kannst gar nicht so küssen, wie sie“, faselte ich vor mich hin, woraufhin er seinen Kopf wieder leicht anhob und mich mit seinen glasigen Augen ungläubig ansah.

„Was hast du gesagt?“

„Dass du nicht so gut küssen kannst, wie sie.“

„Wer behauptet denn sowas?“

„Ich!“, verkündete ich stolz.

„Kannst du gar nicht wissen. Du traust dich ja nicht, es auszuprobieren!“, sagte er schelmisch.

Der Kaffee schmeckte, als wäre es purer Zucker mit Koffeinbeisatz, aber er tat mir in diesem Moment gut.


Ich war eine Station früher ausgestiegen und noch kurz in den Park gegangen. Ich hatte mich dort auf einer Bank niedergelassen und grübelte vor mich hin. Wieso hatte ich so etwas gesagt? Ich hatte die Situation ja nahezu herbei beschworen, aber wieso? Mike war ein attraktiver Mann, aber er war mein bester Freund. Freunde waren für mich immer ein Tabuthema gewesen und auch sonst war ich doch nicht der Typ für One-Night-Stands.

„Natürlich trau ich mich“, hatte er selbstsicher zurückgegeben. Bevor ich irgendetwas darauf hätte antworten können, lehnte er sich bereits zu mir herüber und kam mit seinem Gesicht dem meinen nahe, dann drückte er mir seine Lippen auf den Mund und bescherte uns beiden einen atemraubenden Kuss. Als er absetzte, drückte ich ihn wieder auf mich und schob ihm meine Zunge vorsichtig in den Mund, um seine eigene zu umspielen.

Das hatte ich super hinbekommen. Solch Einsatzwille hätte ich mir in anderen Situationen in meinem Leben gewünscht, oft genug hätte ich ein wenig mehr Mut gebrauchen können, wenn es daran ging, einen Kerl für mich zu gewinnen. Aber es hatte anders kommen sollen. Selbstverständlich gelang mir diese Leistung nur stark alkoholisiert bei meinem stark alkoholisierten besten Freund, also eine Glanzleistung, die ihres Gleichen sucht.

Nach einigen Momenten, in denen er sich mir voller Leidenschaft, soweit sie unter dem durchschnittlichen Alkoholpegel, den wir beide hatten, möglich war, hingegeben hatte, hob er sein Gesicht wieder an und rückte auf dem Sofa wieder auf seinen Platz zurück, peinlich berührt von der zurückliegenden Situation. Ich blickte ähnlich zu ihm hinauf.

„Ich glaub, ich sollte gehen“, erkannte ich die Situation trotz allem recht gut. Er nickte nur vage.

So stand ich wacklig auf und kämpfte mich nach vorne zur Haustür, wo ich meine Jacke aufgehangen hatte und versuchte mich mühselig in sie hinein zu zwängen.


Ich hing würgend über der Toilettenschüssel, die auch Sascha gestern schon zum besten Freund geworden war. Der restliche Alkohol und die Erinnerungen an den letzten Abend hatten ihr Bestes getan, um mich dem WC Untertan zu machen.

Wieso habe ich ihn nicht gehen lassen? Ich war mir doch eigentlich dieser Situation vollkommen bewusst gewesen. Nun ja, ich übertrieb vermutlich. Ich hatte sie einen kurzen Moment realisiert und dann doch wieder irgendwie in meinem Rausch ausgeblendet. ‚Der Alkohol war schuld.‘ Wie sich das immer anhörte. Er hatte seinen guten Teil zu der Sache beigetragen, aber –

Das nächste Aufstoßen zwang mich noch tiefer in das ovale Becken hinein.

Alkohol war bestimmt förderlich gewesen, aber das hätte mir doch keinen Freifahrtschein geben dürfen, einfach meinen Kopf auszuschalten. Was hatte sich eigentlich Sascha bei der ganzen Aktion gedacht? Ich dachte, wir wären Freunde gewesen? ‚Auf die Freundschaft‘, hallte es wieder und wieder durch meinen schmerzenden Schädel.

Er hatte meine Situation gnadenlos ausgenutzt, hatte mich erst besoffen gemacht und mich dann über so einen dämlichen Spruch „Du traust dich ja nicht, es auszuprobieren!“ in einen Engpass manövriert. Was hätte ich denn noch tun sollen?

Ich erhob mich von meiner Vor-Klo-Position und ging zum Waschbecken, um mir einen Schwung kaltes Wasser ins Gesicht zu pressen.

Was rechtfertigte ich mich hier überhaupt? Ich hätte doch direkt ‚Nein‘ sagen können oder es einfach bei dem einen Kuss belassen können oder ihn gehen lassen.

Während er sich in seine Jacke am Zwängen war, hatte ich mich wankend vom Sofa erhoben und war von hinten an ihn herangetreten, um meine Arme um ihn zu legen. Mit der einen Hand war ich auf seiner Brust, mit der anderen auf seinem Bauch liegen geblieben.

Er hatte den Kampf mit der Jacke aufgegeben und seinen Kopf zu der Seite gedreht, an der ich mit meinem Kinn auf seiner Schulter zum Liegen gekommen war. Wir küssten uns lange und ausgiebig, und während wir da standen, führte ich meine eine Hand unter sein T-Shirt und rieb langsam über seine Brust, mit der anderen taste ich mich vorsichtig über den Stoff seiner Jeans und blieb auf seinem erigierten Penis ruhen. Er küsste mich ohne Wiederwillen weiter, so dass ich sein Glied langsam durch den Stoff hindurch rieb.

Ich nahm den nächsten Schluck von dem zuckerigen Kaffee und hielt mir abermals den Kopf. Ich konnte mir einfach nicht erklären, was zum Teufel, mich da am Vortag geritten hatte. Ich liebte Natalie, wie konnte ich ihr so etwas antun?


Danach waren wir ins Schlafzimmer gepoltert, hatten auf dem Weg dorthin eine Kommode angerempelt und somit ein Bild von Natalie zum vernichtenden Fall auf den Boden gebracht. Die Scherben des gestürzten Bilderrahmens hatte ich heute Morgen kurz zusammengekehrt und entsorgt, das Foto auf die Kommode zurückgelegt und war anschließend so schnell wie möglich aus dem Haus geflüchtet.

Beim vorherigen Ankleiden hatte ich nicht einmal mehr meine Boxershorts gefunden, die am Abend irgendwo in Mikes Schlafzimmer auf dem Boden gelandet war.

Ich erinnere mich nicht mehr an viele Details, was vielleicht auch besser so ist, aber es war objektiv betrachtet gar nicht so schlecht mit ihm gewesen.


Es war sogar eine ziemlich geile Nacht gewesen, frei von der Frage, ob sie hätte sein dürfen oder nicht. Ich hatte Sachen mitgemacht, bei denen ich nie im Leben gedacht hätte, sie einmal zu tun und auch wenn sie an sich nicht annähernd so schlimm gewesen waren, wie ich sie mir vorgestellt hatte, wünschte ich, ich hätte diese Nacht nicht erlebt.

Ich wachte am nächsten Morgen durch eine Bewegung in meinem Bett auf, sachte öffnete ich meine Augen und erblickte Sascha nackt in meinem Zimmer nach seinen Klamotten suchen. Ich merkte, dass auch ich nackt war und die vorherige Nacht kam mit einem Donnerschlag auf mich hereingebrochen. Ich presste die Augen aufeinander und stellte mich schlafend, ich hätte ihm in diesem Moment sowieso nichts sagen können, geschweige ihm in die Augen sehen können.


Ich hatte ihm das Schauspiel gelassen, mir war aufgefallen, dass er kurz wach gewesen war, aber ich hätte nicht gewusst, was ich mit ihm hätte reden sollen, hätte ihn vermutlich auch gar nicht ansehen können und so war ich eiligst getürmt.

Heute ist beinahe ein Jahr vergangen, seit wir dieses Erlebnis der anderen Art hatten. Ich trauere immer noch, dass dieser Abend so endete, wie er nun einmal endete.

Ich hatte wenige Tage später, nachdem wir beide uns nicht getraut hatten, Kontakt miteinander aufzunehmen, einen Anruf von ihm erhalten, in dem er mir sagte, dass er Abstand bräuchte. Er wolle mit Natalie reden, wolle sie nicht anlügen und wollte mich daher im Moment nicht sehen.

Natürlich verstand ich ihn.

Mike sprach noch am selben Tag mit seiner Freundin. Sie verließ ihn ein oder zwei Wochen später, das weiß ich nicht mehr genau, aber sie kam nicht klar damit. Seit dieser Party habe ich auch nichts mehr von ihr gesehen oder gehört. Wahrscheinlich auch besser so, denn ich mutmaße, sie hätte mich auch längst umgebracht, dass ich mit ihrem Freund geschlafen habe.

Mein ehemaliger bester Freund hatte sich etwa einen Monat nach der ganzen Sache nochmals gemeldet. Wir waren zusammen eine Runde im Park gegangen und hatten über diese eine Nacht gesprochen. Es war ein nüchternes Gespräch, frei von der Frage, wen Schuld treffen würde und wen nicht, es war einfach nur nüchtern und distanziert.

„Ich komm‘ damit einfach nicht klar“, sagte er mit gesenkter Stimme. Dann hatten sich unsere Wege getrennt, nicht nur für den Spaziergang durch den Park.

Lesemodus deaktivieren (?)