zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Rosenquarz

Teil 1

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Ich will hier raus!!! Ich will dass es endlich aufhört!!! Das war der einzige klare Gedanke den Tim noch fassen konnte.

Er hatte es aufgegeben zu schreien. Es hörte ihn ja doch keiner. Die blutigen Schrammen auf seiner Haut pochten schmerzhaft, jedoch hatte er sich daran bereits gewöhnt. Aber es gab da etwas, an das er sich nie gewöhnen würde, etwas, das zu seinem Alltag gehörte und das er trotzdem nicht akzeptieren konnte – Es nicht wollte!

Es wäre zu grausam gewesen es einfach als normal abzuhaken…Aber war er nicht damit groß geworden? War es nicht seine eigene Schuld gewesen, dass es irgendwann einmal so schlimm wurde?! Irgendwann…

Er hatte innerhalb der letzten Tage – vielleicht waren es auch Wochen gewesen – jegliches Zeitgefühl verloren. Nie waren ihm die Sommerferien so quälend lang vorgekommen, wie jetzt. Und trotzdem…

Das klappernde Geräusch eines Schlüssels ließ ihn aufsehen. Bitte nicht schon wieder, war das Einzige was er noch denken konnte, bevor das Schloss leise aufschnappte und die Eichenholztür mit einem leisen Knarren aufschwang.

ER stand in der Tür, wieder den gleichen Gesichtsausdruck tragend, wie immer. Ein leichtes, aber keineswegs sanftes Lächeln umspielte seine schmalen, eng aufeinander gepressten Lippen. ER war genauso wenig rasiert wie sonst auch. Ein Drei-Tage-Bart schmückte sein narbiges Gesicht.

Beim Anblick seiner blutverschmierten Hände wurde Tim übel. War es etwa sein Blut?! Er wusste es nicht und wollte es auch gar nicht wissen. Es hätte nichts an der Situation geändert.

Tim wehrte sich nicht, als ER vor seinem Bett, in die Knie ging und mit seinen Händen leicht über Tims Beine zu streichen begann. Das einzige was dieser tun konnte war, die Zähne zusammen zu beißen und zu schweigen.

Seine Hände waren inzwischen weiter an Tims Schenkeln nach oben gewandert. Tim biss sich verzweifelt auf die Zunge. Seine Augen glänzten feucht »Nicht« flüsterte er. Vergebens!

ER sah ihn eiskalt an. »Weigert sich mein Spielzeug da etwa?« Sein Blick machte Tim Angst. Immer wenn er sich gewehrt hatte, war es schlimmer geworden. Es wäre besser gewesen zu schweigen. Aber das Gefühl innerer Leere war einer Wut gewichen, die Tim alle Gefahr vergessen lies. »Arschloch«, flüsterte er – leise, aber bestimmt.

Seine Mine verfinsterte sich. Dann hob ER die Hand – Und gab Tim eine Ohrfeige. Dieser knallte mit dem Kopf zurück und schlug schmerzhaft an der Wand an.

Helle Lichtblitze zuckten durch die langsam zunehmende Dunkelheit die sich wohltuend über seinen Geist legte. Einen Vorteil hat das, dachte er, bevor ihm sein Bewusstsein ganz entschwand, Ich bekomme nicht mehr mit was das Schwein mit meinem Körper anstellt. Dann verschluckte ihn die Dunkelheit…

1

Die Sonne war bereits kurz davor unter zu gehen, als ich die Straße entlang fuhr – das heißt… Straße konnte man eigentlich gar nicht sagen: Es war ein kleiner Waldweg, bei dem ich mich wunderte, dass überhaupt ein Auto dort her passte.

Es war mir nie ganz geheuer gewesen dort, aber immerhin war mir das lieber, als 7km Umweg über diverse Landstraßen zu tuckern. Also hatte ich mich für die Abkürzung entschieden.

Ich blickte auf die Uhr in meinem Wagen: Viertel vor zehn!

Normalerweise war ich jetzt schon längst zu Hause und lernte für die Uni, aber heute war der Geburtstag meiner Freundin, und tja…Da musste man sich halt mal etwas mehr Zeit nehmen. Romantisches Abendessen und stundenlanges gekuschel bei Kerzenschein – Wer kannte das nicht?

Also falls dies alles zu verwirrend war, noch mal eine kurze Zusammenfassung: Ich war ein (armer) Student und fuhr jeden zweiten Tag nach der Uni zu meiner Freundin Marina aufs Land raus. Diese hatte zwar eine Ausbildung, arbeitete jedoch nicht.

Gelegentlich nervte das ganz schön, denn sie erwartete doch tatsächlich von mir, dass ich ständig bei ihr war…Nun ja, eigentlich kann ich es ihr nicht verübeln…Letztendlich konnten wir uns aber auf “jeden zweiten Tag sehen wir uns doch sicher, oder Schatzi?“ einigen.

So auch mal wieder heute, wenn es auch diesmal etwas Besonderes war…Ich hatte ein schlechtes Gewissen, da ich die Besuche bei Marina immer mehr wie Pflichtbesuche ansah. Aber das liegt ganz sicher nur daran, dass ich ein schlechtes Gewissen gegenüber meinen Professoren hatte, da ich eigentlich lernen sollte…

Aber was soll’s… Ich kenne niemanden der wirklich gerne lernt.

Was ich studiere, wollt ihr wissen? Nun…Medizin! Und ich befand mich zurzeit im Hauptstudium. Das ist ein verdammt kniffliges Fach wenn ihr mich fragt, auch wenn Marina das nicht einsehen will…

Ein skeptischer Blick auf die Spritanzeige holte mich aus meinen Gedanken und verriet mir, dass er dringend tanken musste. Die Reserveleuchte blinkte schon. Verwirrt sah ich noch einmal genauer hin, aber tatsächlich: Blink - - Blink - - Blink - -

Ich runzelte die Stirn. Ich war mir ganz sicher gewesen, dass der Tank noch fast voll gewesen war, als ich bei Marina ankam. Verwirrt schüttelte ich den Kopf.

Vielleicht würde es ja noch reichen, bis…Der Wagen wurde langsamer – Dann blieb er stehen! Verdammte Scheiße! Ich fluchte und stieg aus. Danke, das hatte mir gerade noch gefehlt! Ich umrundete meinen Mazda und machte mich am Kofferraum zu schaffen.

Mist, irgendwo hier musste doch noch so ein scheiß verfickter Reservekanister sein. Ein kalter Wind jagte über den stillen Waldweg und ein paar vertrocknete Laubblätter verfolgten sich gegenseitig von der einen Straßenseite zur anderen. Irgendwo raschelte etwas.

Ich fröstelte und sah auf. Alles war dunkel. Die alten Bäume am Straßenrand streckten bedrohlich ihre knorrigen Äste nach mir aus und in ihren Wipfeln jaulte der Wind. Eine Gänsehaut überzog meinen Rücken.

Fuck, ich wollte einfach nur weg hier! Immer hektischer wurden meine Bewegungen, bis sich der rettende Benzinkanister schließlich doch anfand. Erleichtert seufzte ich auf und füllte den Tank wieder auf. Wenigstens würde es jetzt bis nach Hause reichen. Nicht das ihr noch glaubt, ich wäre ein verdammter Angsthase oder so…Nein, das eher nicht! Aber so was muss ja nicht unbedingt sein, oder…?

Ich stellte den leeren Kanister an seinen Platz zurück und verschloss den Kofferraum. Gerade wollte ich zurück ins Auto steigen, da hörte ich dieses leise Rascheln wieder – Gefolgt von einem leisen Stöhnen.

Vielleicht ein Liebespärchen?! Uaaargh! Wie konnte man sich nur so einen Ort aussuchen um…na ja…Ihr wisst schon…Wer würde sich denn freiwillig in diese Gegend wagen für SO ETWAS?!

Das Stöhnen wiederholte sich – Diesmal aber wesentlich näher. Und es klang – nun, wie soll ich sagen – nicht besonders lustvoll?!

»Hallo?«, meine Stimme durchschnitt die Stille der Nacht wie ein Messer. Aber ich bekam keine Antwort, abgesehen von dem rascheln. Wie ein eiskalter Hauch legte sich Angst über meine Seele. Das war mir dann doch zu unheimlich.

Moment mal! Hatte sich da hinten nicht etwas bewegt? Ich begann, mir das Liebespärchen aus meinen Gedanken herbei zu wünschen.

Aber eins war klar: ICH würde nicht länger hier bleiben.

Doch genau als ich dass dachte, taumelte eine Gestalt aus dem dichten Gestrüpp am Wegesrand auf die Straße - genau vor meinen Wagen. Verdammt, wer war das? Sie bewegte sich seltsam schleppend auf mich zu. Vielleicht ein Betrunkener?

Die Gestalt kam näher. Dann stolperte sie und fiel genau in den Lichtkreis den die grellen Autoscheinwerfer auf den Boden warfen. »Scheiße!«, fluchte ich, als ich erkannte, worum es sich bei dieser Gestalt handelte.

Der Junge der dort vor mir auf dem Boden lag, war bestimmt nicht älter als sechzehn. Er trug nur einen zerrissenen Pullover, der ihm bis über die Knie reichte und von Blut geradezu durchtränkt war. Die Haut die durch die Fetzen des Pullis zu sehen war, war von roten Striemen geradezu überdeckt. Die blonden Haare hingen ihm in wirren Strähnen ins Gesicht.

Fast hätte ich laut aufgeschrieen. Scheiße, was war denn mit dem passiert?! Ich stürzte sofort zu ihm. »Was ist mit dir?«, brüllte ich und lies mich neben ihm auf die Knie fallen. Der Junge sah mich eine Weile lang einfach nur an. Erleichtert und verängstigt zu gleich.

Scheiße! Er brauchte unbedingt Hilfe! »Bleib ganz Ruhig! Ich rufe einen Krankenwagen«, brüllte ich ihn an, während ich vergeblich versuchte mein Handy aus meiner Jackentasche zu fummeln…

Der Junge streckte die Hand aus und krallte sich an meinem Arm fest. »Kein…Krank-en… haus…!«, stöhnte er. »Aber…«, wollte ich widersprechen, doch der Griff des Jungen lockerte sich und er brach vor mir auf dem Boden zusammen.

Ich wollte ihm helfen, wusste aber nicht wie. Alles was ich in der Zeit meines Studiums gelernt hatte, auch schon mehrmals an Patienten miterlebt hatte, war mit einem Schlag aus meinem Kopf verschwunden. Die Worte ergaben plötzlich keinen Sinn mehr.

Das klügste wäre sicherlich gewesen, gegen den Willen des Kleinen, den Notdienst zu rufen, aber stattdessen schnappte ich mir den Jungen und trug dessen bewusstlosen Körper zum Auto…


Irgendwo…von irgendwo drang Licht zu ihm und vertrieb die Dunkelheit aus seinem Geist. Nein, wollte er schreien, aber seine Stimme versagte ihm den Dienst.

Er wollte nicht dass es hell wurde! Er wollte in der Dunkelheit bleiben, so kalt sie auch sein mochte – Dort, wo es zwischen Schmerz und Freude keinen Unterschied gab; wo Raum und Zeit aufgehört hatten zu existieren…

Aber die Helligkeit drang zurück in sein Bewusstsein und vertrieb die Schatten mehr und mehr. Das blendende Weiß einer Deckenlampe stach ihm grell in die Augen, sodass er blinzeln musste – was allerdings nichts half – also schloss er die Augen wieder.

»He Kleiner«, hörte er eine Stimme neben sich, »Du bist ja wieder wach?! Wie geht es dir?«

Er stöhnte auf. Jede einzelne Zelle seines Körpers schmerzte. Aber das durfte er nicht sagen – er durfte sich nichts anmerken lassen! ER würde ihn für die Unverschämtheit gejammert zu haben nur wieder bestrafen. ER würde wieder zutreten, in die Magengrube und ins Gesicht, ganz sicher!

Es dauerte einen Moment, bis ihm klar wurde, dass es nicht SEINE Stimme gewesen war… Oder doch…? Er versuchte noch einmal die Augen leicht zu öffnen – schloss sie aber sofort wieder!

Das Licht blendete. Die Lampe in seinem Zimmer hatte ihn nie geblendet…

Alarmiert setzte er sich im Bett auf. Ein stechender Schmerz durchzuckte seinen Kopf. Zwar war er an Schmerzen gewöhnt, aber trotzdem zog er scharf die Luft zwischen den Zähnen ein.

Wieder öffnete er die Augen. Diesmal behielt er sie offen.

Doch erkennen konnte er immer noch nichts. Nur ein paar Schemen, die sich verschwommen von dem grellen Weiß abhoben. Wieder durchzuckte dieser Schmerz meinen Kopf und diesmal stöhnte er laut auf.

Verdammt, was war nur mit ihm los? Sonst jammerte er doch auch nicht…

Der große Schatten neben ihm bewegte sich und dann drückten ihn zwei starke Hände auf das weiche Bett zurück.

»Ruh dich ein wenig aus kleiner«, sagte eine Stimme ganz dicht an seinem Ohr.

Eine Gänsehaut kroch über seinen Rücken. Was für eine schöne Stimme…

Mit geschlossenen Augen lauschte er dem Klang dieser Stimme für einen Moment. Eine Art Glücksgefühl überkam ihn. Er lies sich einfach fallen, schwebte in einem Meer aus Wärme, bis ihn die Dunkelheit wieder verschluckte.

Aber diesmal war es eine wärmende, beschützende Dunkelheit…


Ich lies mich seufzend in meinen Stuhl zurück sinken.

Oh man, was hatte ich mir nur dabei gedacht, den kleinen mit nach Hause zu nehmen?! Ich hatte ihn untersucht, es waren wirklich nur ungefährliche, wenn auch sehr blutige Schrammen. Sein ganzer Körper war übersäht von diesen Kratzern und blauen Flecken – Aber auch von Narben!

Also nicht das ihr jetzt denkt, ich hätte gespannt oder so…Ich hab wirklich nur da geguckt wo es nötig war…

Fahrig fuhr ich mir mit der Hand durchs Gesicht und seufzte…Was hatte ich mir eigentlich dabei gedacht? Selbst jetzt wusste ich noch nicht, ob der Junge vielleicht doch irgendwelche inneren Verletzungen davon getragen hatte. Und ob er überhaupt transportfähig gewesen war, als ich ihn zu mir nach Hause gebracht hatte, hatte ich auch nicht gewusst.

Ich sah zu ihm hinunter, wie er da schlafend und mit einem leichten Lächeln auf den Lippen auf meinem Bett lag. Ich kannte ihn doch gar nicht, wieso hatte ich das getan?

Eigentlich war er recht niedlich, wie er so dalag: Verschwitzt und blutig – ich hatte nicht alles abwasche können – und dennoch lächelnd. Regelmäßig hob und senkte sich seine Brust. Seine strohblonden Haare hingen ihm wirr ins Gesicht.

Wie ein kleiner Engel…

Scheiße, was dachte ich da? Mit einem entschlossenen Kopfschütteln verbannte ich diese Gedanken aus meinem Kopf. Ich war Müde geworden.

Der Kleine schlief und es ging ihm den Umständen entsprechend recht gut, dennoch machte ich mir Sorgen und wollte an seinem Bett Wache halten, aber ich wusste, dass das unnötig war.

Oder sollte ich ihn vielleicht doch besser ins Krankenhaus bringen?

Irgendwas hielt mich jedoch davon ab. Ich stand auf und verließ das Zimmer in Richtung Bad. Ich sah an mir hinab. Ein wenig von seinem Blut klebte noch an meinem Shirt und mir würde eine Dusche auch gut tun. Also entledigte ich mich meiner Kleider und drehte den Duschhahn an.

Das heiße Wasser benetzte meine Haut und für einen Moment vergaß ich alles um mich herum.

Dann sah ich an meinem Rücken herunter und verrenkte mir dabei den Kopf. Natürlich, die Narbe war noch da. Sie zog sich von meinem rechten Schulterblatt hinunter, quer über meinen Rücken, bis hin zu meiner linken Hüfte.

Ich hoffte immer, dass sie eines Tages verschwinden würde und vielleicht nicht mehr gewesen war, als ein böser Traum. Aber natürlich war das Sinnlos.

Ob dem Jungen wohl ähnliches geschehen war?

Ich konnte es nicht leugnen: Ich hatte nicht gerade eine rosige Vergangenheit. Hatte ich den Jungen deswegen nicht ins Krankenhaus gebracht? Aus Mitleid?

Als ich aus der Dusche kletterte, waren mir diese Gedanken bereits tausend Mal durch den Kopf gegeistert, aber ich war noch zu keinem Ergebnis gekommen.

Fucking, war ich Müde. Ich schaute kurz auf meinen Wecker dessen Leuchtziffern verkündeten, dass es bereits halb zwei war – Und ohne es wirklich zu realisieren, latschte ich direkt ins Wohnzimmer und lies mich schlaftrunken auf meine Couch fallen.

Verdammt, warum war mir nie aufgefallen, wie unbequem ein Sofa doch sein konnte…?

Aber kaum hatte ich mich hingelegt, fielen mir auch schon die Augen zu. Alles was ich wollte war nur noch schlafen…Scheiß auf die Uni, Scheiß auf die Prüfungen – nur noch schlafen…

Lesemodus deaktivieren (?)