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Mein geliebter Mülleimer

Teil 11

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Vorwort

Vorwort der Autorin:

Puh. Ich glaube, ich hatte noch nie so viele Probleme damit, einen Storyteil zu schreiben… Deshalb bin ich dieses Mal besonders gespannt, was ihr von dem Ergebnis haltet. Ich weiß natürlich, wie es ausgehen wird, aber wie seht ihr das? Es würde mich mal interessieren, wie ihr diese Dreiecksgeschichte seht. Gibt es da draußen vielleicht ein paar Dennis Fans? Ich freue mich wie immer über alles, was ihr mir zu sagen habt ;-)

 

Die Frage, die ich Dennis gerne stellen würde, aber nicht weiß, ob ich die Antwort hören will, ist: Warum jetzt? Warum konnte er damals nicht mit mir zusammen sein, aber jetzt schon? Die Antwort, vor der ich Angst habe, ist: Weil er sich absolut sicher ist, dass Lukas und ich Geschichte sind. Und ich glaube, mit der Vermutung liege ich gar nicht so falsch. Wenn er davon ausgehen würde, dass ich bald wieder mit Lukas zusammen bin und ihn verlasse, würde er mich nicht so in sein Leben integrieren.

Der Tag bei seinem Opa bestärkt mich nur noch mehr darin. Wir sind eigentlich die ganze Zeit damit beschäftigt, dem alten Mann im Haushalt zu helfen, weil ihm bei manchen Dingen einfach die Kraft und Ausdauer fehlt. Fensterputzen, Staubsaugen, Glühbirnen wechseln… Dennis ist erstaunlich fröhlich und schäkert total unbefangen mit seinem Opa. Ich hab ja die Vermutung, dass der irgendwie sein Vaterersatz ist oder so. Auf jeden Fall sind die beiden ein Herz und eine Seele. Und ich werde da sofort integriert. Rudi freut sich wahnsinnig, mich endlich kennenzulernen, weil Dennis doch schon so lange von mir redet. Als ich mich daraufhin zu Dennis umdrehe, um seine Reaktion zu sehen, erlebe ich ihn zum ersten Mal tatsächlich etwas verlegen.

„Opa“, zischt er durch die Zähne und gibt ihm zu verstehen, dass das Thema tabu ist.

Ich weiß nicht, wo ich hingucken soll. Verlegen zu Dennis? Verlegen zu Opa Rudi? Verlegen auf den Boden? Mit Lukas wäre mir die Situation nicht so peinlich… aber an den darf ich ja nicht mehr denken. Und will ich auch nicht. Immerhin bin ich mittlerweile sogar so was wie glücklich mit Dennis. Vor allem, als wir es uns nach getaner Arbeit auf Opa Rudis flauschigem Wohnzimmerteppich gemütlich machen und Dennis, ohne zu murren, seine Arme um mich schlingt und ich meinen Kopf an seine Schulter lehnen darf. Einer der immer noch seltenen Kuschelaugenblicke. Aber das ist okay. So bleibt es irgendwie was besonderes, wenn er mal den Kontakt sucht und ich glaube, dass ich ihn auch gar nicht anders haben will. Er ist nun mal so.

„Warum wolltest du, dass ich mitkomme?“, frage ich ihn, während wir so daliegen.

„Um meinen Opa kennenzulernen.“

„Ja, schon klar, aber…“

„Wir sind doch jetzt zusammen, oder?“, fragt er, woraufhin sich wieder das Zwicken in meiner Magengegend bemerkbar macht. Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen Satz mal von ihm hören würde. Dass er überhaupt fähig ist, sowas auszusprechen. „Also solltest du auch meine Familie kennen.“

„Willst du meine auch kennenlernen?“

„Nee“, schnauft er.

„Wieso nicht?“, frage ich, obwohl die Antwort mehr als offensichtlich ist.

„Weil die mich nicht ausstehen können. Die hängen sogar noch mehr an Lukas als du.“

Wo er recht hat…

„Bist du etwa eifersüchtig?“, frage ich, um ihn ein bisschen zu necken. Der Tag war so harmonisch, dass ich jetzt auf Sarkasmusentzug bin. Ich gehe sogar noch weiter und reibe meine Nase an seinem Hals. Das hat er bisher immer abgeblockt. Aber dieses Mal kommt keine Gegenwehr von ihm. Stattdessen streicheln seine Finger sanft meinen Nacken, bevor er meinen Kopf leicht zurückzieht und mich küsst.

„Junge Liebe…“, seufzt Opa Rudi, als er mit Getränken und Keksen zu uns kommt. „Ich möchte auch noch mal 20 sein.“

Dennis grinst und antwortet etwas, das ich nicht höre, weil mir das Wort Liebe durch den Kopf schwirrt. Liebe ich Dennis? Liebt man jemanden, nur weil man gerne mit ihm zusammen ist, weil man zusammen lachen und sich gegenseitig aufziehen kann, weil man sich gerne küsst und Sex hat? Ich hab gerade das starke Gefühl, dass ich seit meiner Beziehung mit Lukas nicht mehr zwischen Freundschaft, einer lockeren Affäre und Liebe unterscheiden kann. Oder möglicherweise konnte ich das noch nie. Im Moment kann ich jedenfalls weder Dennis noch Lukas eindeutig einer dieser Kategorien zuordnen. Das ist ein Problem.

„Hey, ähm… danke, dass du mitgekommen bist“, nuschelt Dennis auf dem Rückweg.

„Hattest du irgendwas in deinem Keks, das ich nicht hatte?“, ist alles, was mir auf die Schnelle auf diesen Schock hin einfällt.

„Halt die Klappe.“

„Dann hätte ich nämlich auch gerne was davon.“

„Du bist unausstehlich, weißt du das?“ Er verdreht die Augen und geht ein bisschen schneller.

Ja, das hört sich schon wieder ein bisschen nach ihm an. Aber das reicht mir nicht.

„Mir ist kalt“, quengel ich und greife nach seiner Hand.

„Ist das mein Problem?“, fragt er und steckt seine Hände – nur seine Hände – in seine Jackentaschen.

Ich grinse.

„Was ist?“, fragt er irritiert.

„Du warst heute so nett, dass ich schon befürchtet habe, du magst mich nicht mehr.“

„Ich denke noch drüber nach“, sagt er, jetzt auch grinsend.

Vielleicht habe ich doch einen Knacks weg. Ich meine, mein ganzes Leben lang habe ich auf jemanden wie Lukas gewartet. Jemand, der mir offen sagen kann und will, dass er mich mag. Jemand, der mich an sich ranlässt und mir vertraut. Na ja, daran ist es bei Lukas gescheitert, aber darauf wollte ich nicht hinaus. Dennis ist in allem das Gegenteil und trotzdem bin ich jetzt hier. Ich bin mit Dennis zusammen und warum? Weil er ehrlich ist? Weil ich nie so tun muss, als wäre alles super? Oder ist es vielleicht, weil ich nicht allein sein will? Weil ich Lukas vergessen und ihm eins auswischen will?

„Was wäre denn, wenn ich wirklich eifersüchtig bin?“, fragt Dennis vor seiner Haustür.

„Dann müsste ich dich fragen, wo du den echten Dennis gelassen hast.“

„Vielleicht hast du den echten Dennis nie kennengelernt.“

„Willst du mir Angst machen?“, lache ich, aber ehrlich gesagt, wird mir gerade echt etwas komisch. Wenn ich von jemandem dachte, dass ich ihn gut einschätzen kann, dann von Dennis. Und wenn das alles nur Einbildung war, dann finde ich das schon gruselig. Vielleicht habe ich mir, ohne es zu bemerken, einen super eifersüchtigen Psychopaten angelacht, der irgendwann anfängt, mich einzusperren oder so.

Dennis grinst und geht ins Haus. Ich folge ihm mit gemischten Gefühlen. Ach, so ein Unsinn. Ich kenne Dennis. Vielleicht nicht alles an ihm, aber doch so viel, dass ich sagen kann, dass ich bei ihm sicher bin. Und mehr als das. Ich bin sicher und fühle mich wohl und kann ich selbst sein. Wer auch immer ich bin.

„Bleibst du heute Nacht hier?“, fragt Dennis oben in seinem Zimmer.

„Nein, ich sollte mich mal wieder bei meiner Familie sehen lassen.“

„Hast du genug von mir für heute?“ Er lächelt selbstbewusst und kommt auf mich zu.

„Sieht so aus.“

„Was stehst du dann noch hier?“ Seine Hände greifen in meine Hosentaschen, während sein Blick mich durchbohrt und sein Atem mein Gesicht streift.

Ich bin wie immer völlig außer Gefecht gesetzt, wenn er sowas macht und verliere spontan meine Schlagfertigkeit.

„Gut zu wissen, dass ich dich trotzdem noch verrückt machen kann.“ Er drückt mir einen kurzen Kuss auf die Lippen und setzt sich an seinen Schreibtisch.

„Idiot“, murmel ich laut genug, dass er es versteht. Mein Rucksack liegt nicht weit entfernt, also schnappe ich ihn und verlasse das Zimmer und das Haus. Nur zu sagen „Tschüss, bis dann“ geht nicht. Genauso wenig vorstellbar wäre eine emotionale Ich-werde-dich-so-vermissen-Szene. Also lässt er sich immer was Neues einfallen. Einmal hat er es allerdings geschafft, dass ich dann doch dageblieben bin.

Zuhause ziehe ich Schuhe und Jacke aus und werfe einen Blick ins Wohnzimmer, wo der Fernseher läuft.

„Oh, Jan“, sagt meine Mutter, als hätte sie einen Geist gesehen.

„Ja, ich bin’s“, entgegne ich verwirrt. „Was läuft?“

„Alarm für Cobra 11.“

Ach du Schande. „Ich bin dann mal oben.“

„Warte…“, beginnt meine Mutter, wird aber von meinem Vater unsanft angestoßen. Was ist denn hier los? „Es ist noch Mittagessen da.“

„Danke, aber ich hab keinen Hunger.“

Meine Eltern tauschen undefinierbare Blicke und ich mache, dass ich dieser merkwürdigen Atmosphäre entkomme. Die verschweigen mir eindeutig irgendwas. Ich gehe nach oben, betrete mein Zimmer und werfe meinen Rucksack in die Ecke.

„Hallo“, sagt jemand hinter mir und ich falle fast über meinen Schreibtischstuhl. „Warst du bei Dennis?“

Auf meiner Bettkante sitzt… Lukas. Wenn ich bei Dennis eben außer Gefecht gesetzt war, dann weiß ich nicht, wie ich meinen jetzigen Zustand beschreiben soll. Paralysiert? Katatonisch? Ich glaube, ich würde ihn gerne anschreien, ihn fragen, was er hier zu suchen hat, aber das Areal für Sprache ist in meinem Gehirn wohl blockiert.

„Ich weiß, dass mich das nichts angeht, aber ich will es trotzdem wissen.“ Sein Blick ist zuerst starr und ernst und geht dann langsam in unsicher über. „Bitte Janni, wir sind doch Freunde. Redest du jetzt gar nicht mehr mit mir?“

Das sollte ich mir ernsthaft überlegen, oder? Wenigstens hat er eingesehen, dass ich auf Anrufe und Mails nicht reagieren werde. Neulich hab ich noch zu Marie gesagt, dass er schon einen Weg finden wird, mit mir zu reden, wenn er es wirklich will. Und jetzt sitzt er in meinem Zimmer. Wer hätte das gedacht?

„Wieso interessiert dich das?“, frage ich und setze mich auf den Stuhl, über den ich eben noch fast gefallen wäre. Sitzen ist besser. Wer weiß, was er mir heute auftischen will. Und außerdem weiß ich nicht, ob ich mir in seiner Nähe trauen kann.

„Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass du mit ihm zusammen bist.“

„Du hast recht. Es geht dich nichts an.“

„Marie hat mir erzählt…“

„Ja“, schnaufe ich. „Ich weiß, dass sie dich gut informiert hat.“

„Ach, und du hast nicht mit Toni telefoniert, ja?“

Das überrascht mich jetzt. „Hat er dir das gesagt?“ Dem drehe ich den Hals um.

„Dünne Wände.“

Ich drehe Lukas den Rücken zu und fahre meinen Laptop hoch. „Was willst du hier?“

„Ich versuche schon ewig, dich zu erreichen, weil ich dir sagen wollte, dass ich das neulich nicht so gemeint habe. Ich weiß nicht, ich hab einfach irgendwas gesagt, damit du aufhörst, mich anzuschreien.“

Sensibelchen.

„Ich meinte es nicht so.“

„Jetzt willst du mir also weis machen, dass du mich doch noch liebst?“ Tut mir leid, aber ich kann mir das Lachen gerade nicht verkneifen. Das ist zu komisch. Die ganze Zeit renne ich ihm hinter her, bis er mir deutlich ins Gesicht sagt, dass ich mir keine Hoffnungen mehr machen kann, dann schaffe ich es langsam ihn zu vergessen, aber da taucht er wieder auf und nimmt seine Aussage zurück?

„Ich hab nie aufgehört, dich zu lieben, Janni.“

„Und das fällt dir jetzt ein? Nachdem ich mich zurückgezogen habe und mit einem Anderen zusammen bin? Das ist nicht dein Ernst.“

„Nein, das war mir immer klar“, sagt Lukas. „Nur muss das ja nicht unbedingt heißen, dass wir auch zusammen sein sollten.“

„Tolle Liebeserklärung“, entgegne ich gereizt. „Da geht einem echt das Herz auf.“

„Kannst du mir nicht ganz normal zuhören, ohne diese beschissen Kommentare? Du weißt genau, dass ich recht habe.“

„Nein, weiß ich nicht.“ Ich drehe mich wieder zu ihm um. „Ich hab dich die ganze Zeit geliebt und wollte mit dir zusammen sein. Das Problem warst immer du mit deiner beknackten Eifersucht!“

„Ja, ich weiß!“, schreit er jetzt zurück. „Ich war mir nicht sicher, was ich wollte und auch nicht, was du wolltest. Kannst du dir bitte mal kurz vorstellen, wie es für mich war, als ich plötzlich mit meinem besten Freund zusammen war?“

„Was meinst du, was ich in den letzten Monaten gemacht habe? Ich hab dir Zeit gelassen, damit du über alles nachdenken kannst und das Ergebnis hast du mir neulich sehr deutlich mitgeteilt. Fertig. Warum reden wir noch darüber?“

„Du hast mir Zeit gelassen? Ich hab dir gesagt, dass ich erst mal Abstand brauche und trotzdem bist du ständig bei mir aufgetaucht und hast mir irgendwelche Fragen gestellt. Und dein Überfall, nachdem ich mit Claudi aus war, war auch nicht wirklich zurückhaltend.“

„Also soweit ich mich erinnere, hast du dich nicht dagegen gewehrt.“

Lukas vergräbt sein Gesicht in seinen Händen und ich kann hören, dass er tief Luft holt. Dann fährt er sich durch die Haare und sieht mich wieder an. „Ja, weil ich dich vermisst habe und dich nicht zurückstoßen wollte. Du… Als du mich das erste Mal besucht hast, da… hab ich nicht geschlafen. Ich hab mitbekommen, dass du dich neben mich ins Bett gelegt hast und wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Ich war mir einfach nicht sicher, ob es richtig ist, wenn wir zusammen sind.“

Das erste Mal, als ich ihn besucht habe? Ich hab gedacht, dass er schläft und hab mich neben ihn gelegt. Aber dann ist mir klar geworden, dass das eine blöde Idee ist und hab mich auf den Sessel zurückgezogen. Das hat er alles mitbekommen? Und ich hab mich noch gefragt, was mir an seinem Schlaf komisch vorgekommen ist. Er hat nicht geschmatzt. Das war es. Er hat nicht geschmatzt, wie er es sonst beim Schlafen macht. Ich bin wirklich Vollidiot Nummer Eins.

„Aber jetzt bin ich mir sicher“, sagt Lukas und kommt auf mich zu. Ich stehe ebenfalls auf, aber gehe nicht auf Lukas, sondern auf meine Zimmertür zu. „Janni…“

Ich sprinte trampelnd die Treppe runter und laufe schnurstracks ins Wohnzimmer. Ich schnappe mir die Fernbedienung und schalte den Flimmerkasten aus. Ist doch sowieso alles immer der gleich Mist. Meine Eltern sind zu überrascht, um schnell zu reagieren, also kann ich ungestört sagen, was ich zu sagen habe. Oder besser schreien.

„Warum müssen sich immer alle in diesem Haus in mein Leben einmischen?! Ihr konntet nicht wissen, ob ich heute oder morgen oder in einer Woche wieder herkomme, warum sitzt dann Lukas oben in meinem Zimmer? Sollte er da schlafen? Wohnt er jetzt hier? Was soll der Scheiß?! Ich hab doch gesagt, dass die Sache für mich gegessen ist. Warum kann das niemand akzeptieren?!“

Meine Eltern sind ziemlich blass um die Nase und kriegen kein Wort raus.

„Solltest du nicht lieber mich anbrüllen?“, fragt Lukas hinter mir.

„Es ist egal, wen ich anbrülle, weil es eh niemanden interessiert. Du bist hier der tolle Schwiegersohn und ich das Arschloch, weil ich nicht mit dir, sondern mit Dennis zusammen bin. Tja, tut mir leid, aber das geht keinen von euch etwas an! Und jetzt entschuldigt mich, ich gehe dahin, wo ich so akzeptiert werde wie ich bin!“

„Janni“, ruft Lukas mir nach. Auch noch, als wir schon draußen auf der Straße sind. „Janni, warte!“

„Vergiss es!“

„Ich lass dich nicht noch mal einfach so abhauen.“

„Wenn du so scharf darauf bist, dich mit Dennis zu prügeln, bitte.“

„Ehrlich gesagt, finde ich den Gedanken gar nicht so abstoßend.“

Ich bleibe abrupt stehen und stoße fast mit Lukas zusammen. „Lass mich einfach in Ruhe“, zische ich.

„Nein.“

„Ich will dich nicht mehr sehen.“

„Du weißt, dass das nicht stimmt.“

„Jetzt gerade meine ich nichts ernster“, sage ich wahrheitsgemäß und laufe weiter. Lukas folgt mir. Warum muss er ausgerechnet jetzt so hartnäckig sein? Hätte ihm nicht früher einfallen können, dass er doch noch mit mir zusammen sein will? Ich kann doch nicht mit ihm im Schlepptau bei Dennis auftauchen. Die würden aufeinander losgehen. Dennis würde komplett ausrasten und Lukas lässt sich bestimmt darauf ein.

„Ich weiß, dass du Dennis nicht liebst.“

„Schön für dich.“

„Aber du liebst mich noch, oder?“

Ich bleibe wieder stehen. „Wenn du dich unbedingt kloppen willst, können wir das auch gleich hier erledigen.“

Lukas lächelt und streckt eine Hand nach mir aus. Ich schlage sie weg. „Du liebst mich noch“, sagt er.

Vorhin war ich mir nicht sicher, aber er hat recht. Wenn ich ihm so gegenüberstehe, kann ich es nicht leugnen.

„Das heißt aber nicht, dass wir auch zusammen sein sollten“, zitiere ich ihn.

„Doch.“

„Ich bin mit Dennis zusammen.“

„Ja, und wir wissen beide nicht warum.“

„Ich bin mit ihm zusammen, weil er mir gut tut“, erkläre ich. „Weil ich mir bei ihm sicher bin, dass er auch wirklich mit mir zusammen sein will. Bei dir bin ich das nicht.“

„Ich liebe dich, Janni.“

Wow, das habe ich lange nicht gehört. Mein Magen reagiert mit einem heftigen Kribbeln und macht alles noch komplizierter. Wenn das möglich ist. Lukas sieht mir die Reaktion an und nutzt meinen Zustand, um noch einen Schritt auf mich zuzugehen und mein Gesicht in beide Hände zu nehmen. Dieses Gefühl hab ich bei Dennis nie. Ich hab auch häufig das Bedürfnis ihn zu küssen oder ihm nahe zu sein, aber es kommt mir nie so vor, als würde ich auseinander fallen, wenn er mich nicht küsst. Bei Lukas ist das so. Da ist dieses Kribbeln und eine angenehme Hitze und meine Hände fangen an zu schwitzen. Wenn er mich nicht gleich küsst, ist mein Leben zu Ende.

Lukas lehnt sich zu mir vor, aber irgendwas in meinem Kopf hält mich davon ab, dasselbe zu tun. Woher weiß ich, dass er es ernst meint? Und was ist mit Dennis? Ich merke zwar, dass ich langsam anfange, auseinanderzufallen, aber ich ziehe mich ein Stück zurück. Mein Magen protestiert. Es tut weh. Aber ich kann nicht anders.

Lukas sieht enttäuscht und ein bisschen verletzt aus und zieht seine Hände zurück. „Sag mir Bescheid, wenn du weißt, was du willst“, sagt er und geht endlich. Ich sehe ihm nach. Es ist, als wären wir mit einer Schnur verbunden, die mit jedem Schritt von ihm ein Stück aus meinem Körper reißt. Ich hatte eigentlich gehofft, dass ich sowas nie wieder fühlen muss.

Als ich bei Dennis ankomme, muss ich mich erst mal eine Weile vor der Haustür auf den Boden setzen. Was soll ich ihm sagen? Kann ich noch mit ihm zusammen sein? Der Tag heute bei seinem Opa war wirklich schön. Er lässt sich immer mehr auf mich ein und gibt sich wirklich Mühe. Wenn Lukas nicht aufgetaucht wäre, hätte ich nie darüber nachgedacht, Schluss zu machen. Das ist nicht fair. Lukas ist so ein Arsch. Warum konnte er sich das nicht früher überlegen? Bevor ich Dennis da wieder mit reingezogen habe.

„Warum sitzt du hier draußen wie ein Häufchen Elend?“, fragt jemand hinter mir. Dennis steht in der Haustür mit verschränkten Armen und einem Blick, der nichts Gutes bedeuten kann. Keine Ahnung wie, aber er weiß es. Er weiß, dass ich mit Lukas geredet habe.

Ich bin gerade so durcheinander, dass ich nicht ein Wort rausbringe.

„Wenn du jetzt anfängst zu heulen, lasse ich dich hier draußen sitzen.“

„Ich heule nicht.“

„So wie ich dich kenne, kommt das noch.“

Ich rappel mich auf. „Darf ich jetzt rein oder nicht?“

Dennis tut, als würde er überlegen und geht dann einen Schritt zur Seite. Ich lasse mich oben auf sein Bett fallen und wickel mich in die Decke ein. Vielleicht fragt er mich gar nicht, was passiert ist. Er könnte sich einfach zu mir legen und froh sein, dass ich hierher gekommen bin. Aber wenn er sowas machen würde, wäre ich gar nicht erst in dieser Situation. Dann wäre ich vielleicht in Dennis verliebt und müsste nicht hier liegen und versuchen, die Säure zu ignorieren, die sich durch meinen Körper frisst.

„Willst du über irgendwas reden?“, fragt Dennis.

Ich schüttele den Kopf.

„Okay.“ Er wartet eine Weile, seufzt unüberhörbar und legt sich dann tatsächlich neben mich. „Ich hasse diesen Typ.“

„Ich auch“, sage ich und kuschel mich an Dennis. Er ist spürbar genervt, merkt aber offensichtlich, dass es keine gute Idee wäre, mich jetzt zurückzuweisen. Und das rechne ich ihm hoch an.

Am nächsten Tag stehe ich in der Videothek hinter dem Tresen und außerdem total neben mir. Ich weiß, dass ich nicht immer weiß, was ich will und dass ich manchmal ziemlich ratlos bin, aber das ist noch gar nichts im Vergleich zu dem, wie ich mich jetzt fühle. Ich hab keine Ahnung, wie ich mit meinen Gefühlen für Lukas umgehen soll. Ich weiß nur, dass ich mich im Moment nicht auf eine Beziehung mit ihm einlassen kann. Dafür vertraue ich ihm und mir selbst gerade zu wenig. Also das klassische Problem: es geht nicht mit ihm und auch nicht ohne ihn. Ich habe außerdem keine Ahnung, wie ich mit Dennis umgehen soll und was ich eigentlich für ihn empfinde. Ich bin gerne bei ihm, weil wir irgendwie auf einer Wellenlänge sind und ich das Gefühl habe, dass er mich versteht. Und wenn ich ihn länger nicht sehe, vermisse ich unser neckisches Geplänkel. Manchmal denke ich sogar, dass er ein Teil dessen übernommen hat, was Lukas früher für mich war. Dennis ist jetzt derjenige, der mir den Kopf zurechtrückt, wenn ich was Doofes anstelle, und der immer ehrlich zu mir ist. Vielleicht kann Lukas einfach nicht Mülleimer und Freund gleichzeitig sein. Na ja, im Moment kann er nichts von beidem sein.

„Jetzt weiß ich, warum ich noch nie hier war“, kommt eine bekannte Stimme von der Tür. „Müffelt ziemlich. Und das Personal hätte man auch besser auswählen können.“

„Es zwingt dich niemand, hier zu bleiben“, entgegne ich. „Du weißt ja, wo die Tür ist.“

„Was würde dein Chef sagen, wenn er wüsste, wie du mit deinen Kunden redest?“

„Was willst du? Und wie bist du überhaupt hier hergekommen?“

Andreas hievt sich auf seinen Krücken zu mir rüber und lehnt sich dann schnaufend gegen den Tresen. „Marie. Sie müsste auch gleich hier sein.“

„Toll. Und womit habe ich diesen hohen Besuch verdient?“, frage ich genervt. Dieser Höllenschuppen ist gerade tatsächlich noch unerträglicher geworden. Hätte ich nicht für möglich gehalten.

„Ich glaube, dass Marie dir wegen gestern einen Einlauf geben will und da dachte ich, dass ich mir vorher mal deine Version anhöre.“

„Sehr freundlich, aber ich will nicht darüber reden.“

„Also konnte Lukas dich nicht im Sturm zurückerobern?“

„Nein.“ Ich schnappe mir die Kärtchen der zurückgegebenen Filme und stelle sie in den Regalen an ihren Platz. Leider lässt sich Andreas davon nicht beirren und hakt weiter nach.

„Warum nicht? Er scheint es doch ernst zu meinen, wenn er extra zu dir nach Hause fährt und sogar riskiert, von deinen Eltern zur Schnecke gemacht zu werden.“

„Nur leider haben sie das nicht“, murmel ich.

Andreas grinst.

„Was ist?“, frage ich irritiert.

„Vor ein paar Monaten hätte ich alles gegeben, um dich so über Lukas reden zu hören.“

„Na dann, herzlichen Glückwunsch.“

„Der Kerl ist echt ein Arsch.“

„Danke.“

„Muss wirklich nervig sein, dass dich alle wieder mit ihm verkuppeln wollen, oder?“

Ich werfe ihm einen verständnislosen Blick zu. „Was interessiert dich das? Du bist doch nicht wieder auf eine schräge Art und Weise hinter mir her, oder?“

„Nein“, prustet er. „Du bist mir viel zu kompliziert mit deinen will-ich-will-ich-nicht-Beziehungen.“

„Was willst du dann?“

„Ich bin nur neugierig. Ich kann Lukas zwar nicht ausstehen und finde immer noch, dass er dich nicht verdient hat, aber irgendwie…“

„Nicht du auch noch“, stöhne ich.

„Vielleicht ist ja wirklich was dran, wenn alle behaupten, dass ihr zusammengehört.“

„Das sollte ja wohl immer noch ich entscheiden!“

„Und wie ist deine Entscheidung?“

„Wie geht es deinem Bein?“, frage ich mit einem aufgesetzten Lächeln und tippe alibihalber etwas in den Computer. Da müssten auch noch Bestellungen offen sein, die ich jetzt erledigen könnte.

„Du weißt es also selber nicht“, schlussfolgert Andreas. „Dann solltest du dir vielleicht doch anhören, was andere zu sagen haben. Zum Beispiel Dennis. Der müsste doch eigentlich…“

Ich lasse den Computer links liegen und wende mich mit pochender Halsschlagader Andreas zu. „Halt dich da raus! Es geht weder dich noch meine Eltern und Marie noch Lukas etwas an, was ich mit meinem Leben mache. Warum muss ich das eigentlich immer wieder sagen?! Es ist mein Leben. Was ich für Entscheidungen treffe, kann euch scheißegal sein! Und trotzdem werden mir ständig diese dämlichen Fragen gestellt, und wenn ich nach Hause komme, sitzt Lukas auf meinem Bett! Das ist ätzend und ich hab jetzt echt die Nase voll! Du kannst Marie ausrichten…“

„Nicht nötig, ich bin schon da“, kommt eine zweite bekannte Stimme von Tür. Und sie klingt genauso angepisst wie ich. Super, das wird ja ein Spaß. Nur gut, dass gerade niemand sonst im Laden ist.

„Toll, dann weiß ich wenigstens, dass das Folgende auch ankommt: Lasst mich in Ruhe!“

„Gut, dann zieh doch bei deinem geliebten Dennis ein und vergraule alle anderen um dich rum.“

„Ich vergraule euch?!“, frage ich fassungslos.

„Wer schreit denn hier alle möglichen Leute an?“

„Und wer mischt sich ständig in mein Leben ein?“

„Wir wollen dir doch nur helfen. Seit du nicht mehr mit Lukas zusammen bist…“

Ehrlich, ich geh hier gleich an die Decke. „Ich hab‘s zwar schon tausend Mal gesagt, aber ich wiederhole es gerne noch mal. Lukas und ich sind aus gutem Grund nicht mehr zusammen. Wenn ihr wollt, dass es mir gut geht, müsst ihr das akzeptieren und ihn nicht auch noch einladen, in meinem Bett zu schlafen!“

„Wir wollten ihm nur die Möglichkeit geben, mit dir zu reden. Er hatte ein total schlechtes Gewissen und… Janni, er liebt dich noch.“

Nein, ich will jetzt sauer sein. Das Kribbeln in meinem Magen ist dabei total fehl am Platz. „Und selbst wenn… Ich will immer noch selber entscheiden, wann ich mit ihm rede und vor allem, wann ich ihn sehe.“

„Das hört sich ganz so an, als wäre er dir doch nicht so egal“, mischt sich Andreas ein.

„Halte du dich einfach raus. Es ist immer noch deine Schuld, dass wir uns getrennt haben“, erinnere ich ihn.

Andreas verdreht die Augen. „Das schon wieder. Ich gebe zu, dass ich nicht ganz unschuldig war, aber den größten Teil habt ihr euch selber zuzuschreiben.“

„Eben“, meint Marie. „Und weil ihr beide euch absolut dämlich angestellt habt und immer noch anstellt, wollten wir ein bisschen nachhelfen. Janni, es tut mir leid, wenn wir dich genervt haben, aber wir wollten einfach nicht mehr mit ansehen, dass es dir ohne Lukas so schlecht geht.“

„Wer sagt, dass es mir schlecht geht?“

„Das ist offensichtlich. Wenn du nicht gerade bei Dennis bist, verkriechst du dich in deinem Zimmer. Du bist immer schlecht gelaunt und wirfst mit sarkastischen Kommentaren um dich, wenn du überhaupt mal mit jemandem redest. Und das ist alles so, seit Lukas weggegangen ist.“

Das kann überhaupt nicht sein. Wenn ich nicht mehr so viel mit meiner Familie geredet habe, dann doch nur, weil sie mir ständig mit ihren mitleidigen Blicken und den dämlich Fragen auf den Geist gegangen sind. Das hat nichts mit Lukas zu tun. Natürlich vermisse ich ihn und zwischendurch war es auch mal richtig schlimm, aber das heißt noch lange nicht, dass ich die ganze Zeit unglücklich bin. Wir gehen jetzt eben unterschiedliche Wege, das ist doch ganz normal, wenn sowas passiert. Es ist nicht schön, aber wir werden es wohl beide überleben. Ich bin jetzt mit Dennis zusammen und Lukas wird bestimmt auch wieder… Na ja, vorstellen muss ich mir das jetzt nicht unbedingt. Außerdem muss man ja wohl nicht immer quietschfidel durch die Gegend hüpfen und gute Laune verbreiten. Vor allem nicht, wenn man gerade den besten Freund seit Kindertagen verloren hat. Den man immer noch liebt… Ja, okay, vielleicht habe ich manchmal etwas depressiv gewirkt, aber das wird sich auch wieder geben. Das heißt noch lange nicht, dass alle Welt einen Plan aushecken muss, wie man Lukas und mich wieder zusammen bringt. Das wird nicht passieren.

„Lukas und ich kommen nicht wieder zusammen“, erkläre ich deshalb an Marie gewandt. „Dafür hat er mich zu oft enttäuscht.“

„Aber ihr liebt euch noch.“

„Das hat uns auch nicht davon abgehalten, uns zu trennen.“

Sie seufzt dramatisch. „Auch wenn du mir gleich den Kopf abhackst, vielleicht wäre es besser, wenn du mal eine Zeit alleine bist. Von einer Beziehung in die nächste zu hopsen ist nicht immer eine gute Idee.“

„Das sagst du nur, weil du Dennis nicht magst. Und obwohl du ihn gar nicht kennst.“

„Nein, ich meine es wirklich so.“

Wie, um Maries Aussage zu bestätigen, lasse ich mich abends schlapp und ausgelaugt auf Dennis‘ Bett fallen. Er ist wohl noch bei Opa Rudi, jedenfalls ist er nicht zuhause. Ich starre an die Decke und frage mich doch tatsächlich, ob Marie recht hat. Ja, ich bin nicht so super gut drauf, seit Lukas weggegangen ist, aber würde es mir wirklich besser gehen, wenn ich Dennis den Laufpass gebe und eine Weile Single bin? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Eigentlich ging es mir immer nur gut, wenn ich bei Dennis war. Er hat mich immer aufgebaut. Allerdings weiß ich nicht, ob das ihm gegenüber wirklich fair ist. Ich glaube nicht, dass ich irgendwann so viel für ihn empfinden kann, wie für Lukas.

Am nächsten Morgen wache ich auf, weil mir etwas durch die Haare streicht. Zuerst denke ich an Lukas, aber natürlich ist es Dennis. Moment. Dennis streicht mir durch die Haare? Er weckt mich, indem er mir durch die Haare streicht?

„Ich breche jetzt eine Regel, ok? Aber nur ausnahmsweise.“

Ich nicke und schlucke angespannt. Dennis liegt neben mir und sieht mich ernst an.

„Ich will über Lukas reden. Und über… uns.“

Das hier muss ihn viel Überwindung kosten. Noch vor ein paar Wochen oder sogar Tagen hätte er wohl lieber Rasierklingen geschluckt.

„Ok“, krächze ich. Und das liegt nicht nur daran, dass ich gerade erst aufgewacht bin.

„Wusstest du, dass er dich besuchen wollte?“

„Nein.“

„Hat sich durch seinen Besuch irgendwas geändert?“

„Ja.“

Ich möchte eigentlich gerne weggucken, aber Dennis‘ Blick hält mich irgendwie davon ab.

„Willst du wieder mit ihm zusammen sein?“

„Nein.“

Dennis glaubt mir nicht.

„Nein“, wiederhole ich deshalb etwas deutlicher.

„Aber er will das.“

Ich nicke.

Dennis richtet sich auf und lehnt sich mit dem Rücken gegen die Wand. „Warst du deshalb vorgestern Abend so durcheinander?“

„Ich war so durcheinander, weil es merkwürdig war, ihm auf einmal wieder gegenüberzustehen und zu hören, dass er mich immer noch liebt.“

„Ich dachte, du willst nicht mehr mit ihm zusammen sein.“

„Will ich auch nicht, aber…“

„Du hast gemerkt, dass er dir doch nicht so egal ist, wie du dachtest.“

„Ja“, gebe ich zerknirscht zu und starre an die Zimmerdecke.

Dennis schnauft. „Was für ein Arsch.“

Ich sage eine Weile nichts, weil ich darauf warte, dass Dennis zu dem Teil übergeht, in dem er „über uns“ reden will. Aber er gibt keinen Mucks von sich.

„Wolltest du nicht noch was wissen?“, frage ich irgendwann nach.

„Nein. Wenn du mit mir Schluss machen wolltest, hättest du es bestimmt schon getan, oder nicht?“

„Ähm…“

„Oder du brauchst noch Zeit, um darüber nachzudenken. Also macht es keinen Sinn, dich jetzt irgendwas zu fragen.“

„Bist du nicht sauer oder wenigstens… keine Ahnung, geschockt oder so?“

Dennis legt sich wieder zu mir und streicht mit seinen Fingern über meinen Oberkörper. „Ich bin sauer auf Lukas, aber das war ich eigentlich schon immer.“

„Und auf mich?“

„Wieso sollte ich? Mir war schon klar, dass du noch in ihn verliebt bist.“

„Was?“, frage ich entsetzt.

„Tu nicht so schockiert. Warum hab ich mich wohl sonst auf einmal auf eine Beziehung mit dir eingelassen?“

Jetzt bekomme ich wohl die Antwort auf die Frage, die ich mich nicht getraut habe zu stellen. „Ja, warum?“

„Weil ich dachte, dass ich dich nur so von ihm ablenken kann. Mit ein bisschen Sex zwischendurch hat es ja nicht wirklich geklappt.“

Vermutlich sollte ich jetzt ziemlich schockiert sein, aber das einzige, an das ich gerade denken kann, ist, dass meine Antwort total falsch war. Dennis wollte mit mir zusammen sein, um mich von Lukas abzulenken. Und nicht, weil er dachte, dass Lukas und ich endgültig Geschichte sind. Keiner denkt das. Keiner, außer mir.

„Also, wie sieht’s aus?“, fragt Dennis. „Willst du Schluss machen und zu Lukas zurückrennen oder brauchst du Zeit zum Nachdenken oder…“ Er grinst, beugt sich zu mir runter und küsst mich. „Oder bleibst du bei mir?“

„Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung“, sage ich wahrheitsgemäß. Meine Gedanken sind gerade ganz woanders. Ganz weit weg von Dennis‘ wir-haben-geredet-jetzt-gibt-es-Sex-Welt.

„Dann heißt das wohl Nachdenken. Aber währenddessen…“

Ich bekomme nicht sehr viel von dem mit, was Dennis vorhat. Nur gerade so viel, dass er keinen Verdacht schöpft. Ich spüre, dass sein Körper schwer auf meinem liegt und halte mich an ihm fest, aber wirklich intensiv spüre ich davon nichts. Zuerst nicht. Und dann passiert was absolut Verrücktes. Meine Gedanken, die immer noch um Lukas kreisen, verbinden sich langsam mit der Situation hier im Bett und, was soll ich sagen… auf einmal bin ich voll da.

„Versteh mich nicht falsch, das ist ja alles höchst interessant, aber… warum erzählst du mir sowas?“

„Weil… keine Ahnung. Irgendwie bist du der erste, an den ich gedacht habe.“

„Du willst nicht zufällig rausfinden, ob Luki es wirklich ernst meint? Und oh, rein zufällig wohne ich mit ihm zusammen.“

„Ja, mach dich nur lustig“, fauche ich ins Telefon.

„Was bleibt mir denn anderes übrig?“, entgegnet Toni.

Ich hab ihn angerufen, weil… ja, er hatte schon recht… weil er mit Lukas zusammen wohnt und ich mit jemandem reden wollte, der ihn gerade wahrscheinlich am besten einschätzen kann.

„Sag mir einfach, was du von der Sache hältst.“

„Welche Sache jetzt? Dass er dich zurückhaben will oder dass du mit Dennis schläfst und dabei an Luki denkst?“

„Nicht so laut!“, rege ich mich auf und bekomme sogar auf die Entfernung nervöse Hitzeschübe.

„Er ist nicht zuhause.“

„Oh, ok. Ist er in der Uni?“

„Nein.“

Hm, die nervösen Hitzeschübe wollen einfach nicht verschwinden. Zusätzlich zieht sich jetzt auch noch alles in meinem Bauch zu einem schmerzenden Klumpen zusammen.

„Er ist einkaufen“, erklärt Toni.

„Hab ich dich danach gefragt?“, frage ich erleichtert und gereizt, weil peinlich berührt, zugleich.

„Nein, aber es hörte sich so an, als wolltest du das Telefon mit der Hand zerquetschen.“

„Also, was denkst du?“, frage ich, um auf das ursprüngliche Thema zurückzukommen.

„Dass ich demnächst auswandere, wenn ihr nicht endlich in die Pötte kommt und mich nicht länger mit eurem Scheiß nervt.“

Tut tut tut…

Mist, jetzt muss ich mir wohl einen neuen Informanten suchen. Und schlauer als vorher bin ich auch nicht. Ich hatte eigentlich gehofft, dass Toni mir irgendwas sagen kann, was mich weiterbringt, aber na ja… wahrscheinlich hätte ich mich so oder so nicht darauf verlassen. Zumindest konnte ich mit jemandem über diese total verrückte letzte Nacht reden. Sowas ist mir echt noch nie passiert. Ich hab mich sonst immer vollkommen auf denjenigen konzentriert, mit dem ich schlafe, und nicht auf jemand anders. Das musste ich nie. Früher hatte ich niemanden, der mir beim Sex mit anderen durch den Kopf spuken konnte, dann war ich mit Lukas zusammen, den ich abgöttisch geliebt hab, und dann mit Dennis, der einen so vereinnahmt, dass man gar nicht die Möglichkeit bekommt, an jemand anders zu denken. Normalerweise. Ich weiß echt nicht, was gestern mit mir los war. Vor ein paar Monaten hatte ich wenigstens noch den Anstand, nicht mit Lukas zu schlafen, weil ich absurderweise an Andreas denken musste. Dieser Anstand hat sich wohl in Luft aufgelöst. Ich hoffe nur, dass Dennis gestern nichts gemerkt hat. Ich will nicht, dass er sich deswegen aufregt und vielleicht sogar trennt. Ich kann mir gerade einfach nicht vorstellen, nicht mehr mit ihm zusammenzusein.

Nach sechs Stunden Schufterei in der Videothek klingelt mein Handy. Das Display sagt Toni. Hm, vielleicht ist ihm doch noch was eingefallen.

„Was gibt’s?“, frage ich hoffnungsvoll.

„Ärger.“

„Hä?“

„Es gibt hier gleich Ärger, wenn du dich nicht sofort auf den Weg machst und deinen Freund zurückpfeifst.“

„Welchen Freund?“, frage ich verwirrt.

„Soweit ich weiß, hast du gerade nur einen“, pampt er mich an. „Und der steht hier vor der Tür und ist beinahe so sauer wie ich.“

„Dennis ist bei euch?“

„Wunderbar, du hast es geschnallt. Und jetzt schwing die Hufe!“

„Ich… kann nicht“, stammel ich.

„Luki ist nicht da. Noch nicht. Und wenn du nicht willst, dass sich deine beiden Angebeteten gegenseitig an die Gurgel gehen, solltest du besser schnell hier auftauchen.“

„Aber…“

Tut tut tut…

Einmal kurz bin ich in Versuchung, das Handy auf den Boden zu pfeffern, entscheide mich dann aber doch dagegen. Verdammt, was denkt sich Dennis dabei?! Ihm muss doch klar sein, dass er höchstwahrscheinlich zuerst von Lukas und dann von mir einen auf den Deckel bekommt, wenn er sowas macht. Wie kommt er auf so eine beschissene Idee? Und ich darf mich jetzt wieder zwischen zwei Personen werfen, die sich gegenseitig verabscheuen, und wie beim letzten Mal ist Lukas einer davon. Super. Bei meinem Glück geht es so aus, dass beide ihren Hass auf mich richten und ich am Ende völlig allein dastehe. Und trotzdem schwinge ich mich auf mein Fahrrad und fahre so schnell wie möglich nach Hause. Also zu meinen Eltern. Ich brauche ein Auto.

Ich platze ins Wohnzimmer und rede einfach drauf los. „Tut mir leid, dass ich euch neulich so angebrüllt habe, aber ich war ziemlich durcheinander. Ich erkläre euch alles später, versprochen, aber jetzt brauche ich unbedingt das Auto. Dennis ist bei Lukas und wenn ich nicht schnell da bin, schlagen sie sich wahrscheinlich gegenseitig die Köpfe ein.“

Mein Vater deutet auf den Flur, vermutlich aufs Schlüsselbrett, also rufe ich nur noch ein „Danke“ und bin schon wieder weg.

Die Fahrt kam mir noch nie so lang vor. Und gleichzeitig habe ich wahnsinnig Angst davor, anzukommen. Hoffentlich ist Lukas noch nicht da. Ich will ihn nicht sehen. Nicht nach den letzten Ereignissen. Und vor allem will ich mich nicht vor Dennis und Lukas für meine Gefühle rechtfertigen müssen. Das würde nicht gut ausgehen.

Aber natürlich wird meine Hoffnung enttäuscht. Als ich aus dem Auto steige, höre ich schon aufgebrachte Stimmen. Offensichtlich findet das Gefecht vor der Wohnungstür statt. Ich renne also die Treppen hoch und sehe als erstes Tonis erleichterten Gesichtsausdruck. Er hat sich klassischerweise zwischen Lukas und Dennis aufgebaut und versucht, die Situation in den Griff zu bekommen. Nachdem er mich bemerkt hat, fallen auch die Blicke der beiden anderen auf mich. Beide sehen überrascht aus und haben rotverfärbte Wangen. Für einen kurzen Augenblick ist es still. Mein Blick bleibt zuerst an Lukas hängen, der hinter Toni mit dem Rücken zur Wand steht. Er starrt mich an, als wüsste er nicht, ob er jetzt froh oder traurig sein soll, was meinem Herz einen ziemlich unschönen Stich versetzt. Wir wissen beide, dass ich zum ersten Mal nicht seinetwegen hier bin. Dann sehe ich Dennis an, der Lukas und somit auch Toni zugewandt ist. Er sieht ziemlich geschockt aus und freut sich kein bisschen, mich zu sehen. Kein Wunder. Er muss mir ansehen, dass ich stinksauer bin und ihm am liebsten gleich selber eine verpassen würde. Toni nutzt die Gelegenheit und zieht sich in die Wohnung zurück.

„Eigentlich bin ich ja hergekommen, um euch zwei Volltrottel von einer Prügelei abzuhalten, aber vielleicht wäre es ja tatsächlich ganz gut, wenn ihr mal die Möglichkeit bekommt, alles rauszulassen. Ich hab jedenfalls keinen Bock mehr… darauf“, sage ich und deute zwischen Lukas und Dennis hin und her. „Also los! Schlagt euch ruhig gegenseitig die Köpfe ein!“

„Glaubst du, ich finde es witzig, wenn hier ständig Kerle auftauchen, die meinen, dass ich dich in Ruhe lassen soll?“, fragt Lukas.

„Vielleicht solltest du dir mal überlegen, woran das liegt“, zischt Dennis.

Ok, ich muss hier mal mit einem Klischee aufräumen. Ist es sexy, wenn sich zwei Kerle um dich streiten? Im ersten Moment: ja. Aber sobald es länger als fünf Minuten dauert: nein. Absolut nicht! Schon gar nicht, wenn dir beide etwas bedeuten und du dich entweder auf eine Seite schlagen oder beide in den Wind schießen musst. Diese Entscheidung steht mir gerade bevor.

„Janni und ich kennen uns schon immer. Natürlich gebe ich da nicht einfach auf.“

„Sah zwischendurch aber ziemlich danach aus“, kontert Dennis. „Und jetzt ist er mit mir zusammen. Wenn er selber entscheidet, dass er lieber wieder zu dir zurück will, bitte. Aber offensichtlich will er das nicht. Also halte dich doch einfach aus seinem Leben raus, bis er entscheidet, dass du darin wieder eine Rolle spielen darfst.“

„Du hast doch nur Schiss, dass er sich genau dafür entscheidet, wenn wir wieder Kontakt haben.“

„Nein, hab ich nicht“, meint Dennis vollkommen cool.

Lukas schnauft verächtlich.

„Ich weiß, dass er dich noch liebt. Und vielleicht ist er irgendwann tatsächlich so blöd, sich wieder auf dich einzulassen. Was ich aber überhaupt nicht ausstehen kann, ist, wenn man jemanden immer in der Schwebe lässt und nie eindeutig sagt, was man will.“

„Ich hab ihm neulich ganz klar gesagt…“

„Ja, neulich. Und was war in der ganzen Zeit davor? Du hast ihn total verwirrt und verletzt zurückgelassen und willst ihn jetzt wieder mit einem ‚Ich liebe dich‘ ködern? Ist ja kein Wunder, dass er total durcheinander ist.“

Lukas fällt sprichwörtlich die Kinnlade runter und mir übrigens auch. Ich hab Dennis noch nie so reden hören, aber irgendwie macht das alles Sinn. Vieles davon hab ich Lukas selber schon vorgeworfen, aber scheinbar kommt es jetzt erst bei ihm an. Jedenfalls sieht er jetzt fragend zu mir rüber. Ich weiche seinem Blick aus. Wütend bin ich auf einmal nicht mehr. Stattdessen schnürt sich meine Kehle unangenehm zu. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, obwohl mir eigentlich tausend Dinge einfallen würden. Es ist so, wie Dennis gesagt hat. Ich bin vollkommen durcheinander.

„Janni?“, fragt Lukas.

„Siehst du? So sah er neulich auch aus, nachdem du so überraschend aufgetaucht bist.“

Lukas kommt ein paar Schritte auf mich zu, aber Dennis stellt sich dazwischen.

„Lass mich vorbei“, zischt Lukas.

„Wofür?“

„Kannst du uns allein lassen?“, frage ich an Dennis gewandt und halte ihm die Autoschlüssel hin. Ich muss zumindest kurz mit Lukas allein sein, auch wenn ich eigentlich gerade lieber weglaufen würde. So können wir das alles nicht stehen lassen. „Ich will nur kurz mit ihm reden und dann fahren wir zurück. Bitte.“

„Aber…“

„Ich finde, ich bin groß genug, um für mich selber zu sprechen.“

Dennis wirft Lukas einen drohenden Blick zu. „Dieses Mal solltest du besser aufpassen, was du sagst.“ Dann nimmt er den Schlüssel und geht.

Lukas beachtet ihn nicht mehr. Er sieht mich immer noch fragend an.

Ich verschränke die Arme vor der Brust und versuche, wenigstens nach außen gelassen zu wirken. „Warum überrascht dich das, was er gesagt hat? Ich hab dir dasselbe schon bei meinem letzten Besuch versucht zu erklären.“

„Ich weiß.“

„Und ist es jetzt angekommen?“

„Janni, ich wollte immer mit dir zusammen sein“, sagt Lukas und macht noch einen Schritt auf mich zu. „Aber ich war einfach noch unsicher und…“

„Eifersüchtig, stur, egoistisch…“

„Ja.“

„Schön, dass du es einsiehst.“

Lukas lächelt und löst meine verkrampfte Armhaltung. Seine Hände schlüpfen in meine und ich bin mehr als nur ein bisschen in Versuchung, mich in seine Arme zu werfen, seine Wärme zu spüren, seinen Geruch einzusaugen. Aber ich tue es nicht.

„Das ändert aber nichts daran, dass ich im Moment nicht weiß, wo ich stehe.“

„So wie ich das sehe, stehst du vor meiner Tür.“

„Ich mein’s ernst“, sage ich und ziehe meine Hände zurück. „Ich bin nur hier, weil ich Dennis zurückholen wollte.“

„Er setzt sich ganz schön für dich ein, hm?“

„Ja.“

Das hat nicht nur Lukas überrascht. Ich meine, ich wusste ja, dass ich Dennis wichtig bin. Aber was er heute gesagt hat, hat mich auch fast von Hocker gerissen. Ich dachte immer, dass es für ihn am wichtigsten ist, seine eigenen Interessen zu vertreten. Aber wie es aussieht, vertritt er lieber meine. Normalerweise wäre mir das unangenehm, aber bei Dennis hab ich wirklich das Gefühl, dass er nur will, dass es mir gut geht. Verrückt. Er ist wohl doch nicht das Arschloch, für das ich ihn so oft gehalten habe. Und trotzdem kann ich mich bei ihm nie so fallen lassen wie bei Lukas. Es ist einfach nicht dasselbe.

„Und dabei ist er natürlich vollkommen selbstlos“, schnauft Lukas.

„Das behaupte ich ja gar nicht. Aber wenigstens respektiert er meine Entscheidungen.“

„Ja, weil sie ihm gerade ziemlich gut in den Kram passen. Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich auch so große Töne spucken.“

„Hast du aber nie“, erinnere ich ihn. „Du hast mich schon beim kleinsten Zweifel vor die Tür gesetzt und bist verschwunden.“

„Ich dachte, das hätten wir geklärt. Das würde ich jetzt nie wieder machen.“

„Nein? Und woher weiß ich das?“, frage ich interessiert. Wenn er mir diese Frage beantworten könnte, wären wir einen großen Schritt weiter. Aber mir ist klar, dass er mir keine befriedigende Antwort geben kann. Die gibt es leider nicht.

„Woher weißt du, dass er es ernst meint?“

„Weiß ich nicht. Aber er hat mich noch nicht enttäuscht.“

„Willst du darauf warten?“, fragt Lukas entgeistert.

„Natürlich nicht!“

„Und wie ist dann dein genialer Plan? Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass Dennis nicht das ist, was du willst. Weil du ihn nicht liebst.“

„Wenn du mich so gut kennst, dann sag du mir doch, was ich will!“, schreie ich ihn an.

Lukas zögert ein paar Sekunden, packt mich dann an beiden Oberarmen und küsst mich. Er drückt mich mit dem Rücken gegen die Hauswand und hält mich mit seinem Körper fest. Meine Finger klammern sich verbissen vorne an seine Jacke und schieben und ziehen abwechselnd. Ich kann mich einfach nicht entscheiden, ob ich ihn wegstoßen oder weiter küssen soll. Irgendwann lässt seine Aggressivität etwas nach und der Kuss wird sanfter. Seine Hände liegen jetzt wieder an meinem Gesicht und schirmen mich eine Weile gekonnt von der Außenwelt ab.

„Ich liebe dich. Du fehlst mir“, flüstert Lukas.

„Du mir auch.“

„Können wir nicht einfach noch mal da anfangen, als wir beide im Regen standen und uns das erste Mal geküsst haben?“

Das wäre schön. Und eigentlich will ich das ja auch, aber irgendwas fühlt sich noch komisch an. Ich bin einfach noch nicht so weit, dass ich alles wieder durch eine rosarote Brille sehe. Früher hätte ich gesagt: Komm schon, er liebt dich, du liebst ihn, stell dich nicht so an! Aber jetzt ist mir alles noch zu verkrampft. Es ist einfach nicht mehr so wie früher, als wir unzertrennlich waren und ich mich bei ihm zuhause gefühlt habe.

„Nein“, sage ich deshalb und löse mich von ihm. „Ich muss jetzt los.“

„Können wir uns wenigstens wieder öfter sehen? Ich zeige dir, dass ich es ernst meine, ok?“

„Ja, mal sehen.“

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