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Fünf vor Zwölf

Weihnachtschallenge 2007

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Beitrag zur Weihnachtschallenge 2007

 

Brrr. Kalt. Zitternd schließe ich die Wohnungstür. Winter... einfach nicht meine Jahreszeit. Überall dieser Schnee, die hektischen Menschen in der Stadt, die panisch versuchen, ihre Weihnachtseinkäufe zu erledigen... und habe ich den Schnee und die Kälte erwähnt? Es ist der 23.12., also quasi Fünf vor Zwölf...

Und wozu dieser ganze Stress? Ach ja, natürlich... das Fest der Liebe. Familien sitzen gemütlich zusammen, singen Lieder und fallen sich gegenseitig in die Arme. Draußen ist es bitterkalt, aber drinnen ist es wohlig, kuschelig warm. Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, in der ich all das als selbstverständlich hingenommen habe. Ich bekam Geschenke und Aufmerksamkeit en masse, fühlte mich pudelwohl und musste mir die Wärme nicht erst mit Glühwein antrinken. Die letzten drei Jahre war es nämlich genauso gelaufen: Ich alleine mit Paulchen und ein paar Flaschen von diesem heißen Fliederbeersaft. Paulchen ist der Einzige, der mir noch treu geblieben ist. Er gibt mir das Gefühl, nicht vollkommen einsam zu sein in dieser Wohnung – und er kuschelt gern. Ganz im Gegenteil zu meinem Freund, nein Moment... Ex-Freund. Vor drei Tagen hat der mir den Laufpass gegeben. Sehr passend. Aber mir solls recht sein. Dann gibt es eben noch einen Menschen mehr auf diesem Planeten, der nichts mehr mit mir zu tun haben will. Ich bin das gewohnt.

Außerdem habe ich mein Auge sowieso schon auf jemand anderes geworfen. Mein lieber Ex darf daher gerne das Weite suchen und einen anderen Kerl in den Wahnsinn treiben. Die wenigen Monate mit ihm waren echt wie im Bilderbuch. Im schlechtesten Sinne natürlich. Am Anfang hatte er sich noch Mühe gegeben und immer schön auf lieb und romantisch gemacht. Na ja... irgendwann kam dann auch das Schwein in ihm ans Tageslicht. Ich weiß nicht wie oft er mich betrogen hat, aber die Tatsache, dass er es getan hat, reicht schon aus, um ihn sofort aus meinem Gedächtnis zu löschen. Warum habe ich mich eigentlich nicht von ihm getrennt? Ach, was solls. Immerhin ist er jetzt weg.

Paulchen kommt mir schon entgegen und hinterlässt dabei kleine, nasse Pfotenabdrücke auf dem Boden.

„Och Paulchen, was hast du denn jetzt schon wieder umgeschmissen?“

Er streift um meine Beine herum und miaut mich vorwurfsvoll an. Ich ziehe also schnell meine Jacke und Schuhe aus und folge ihm in die Küche. Auf den Fliesen liegt meine Kaffeetasse von heute morgen und ringsherum hat sich eine Pfütze ausgebreitet. Meine Schuld. Ich hab vergessen, die Tasse in Sicherheit zu bringen. Wenn meinem kleinen Kater langweilig wird oder er Hunger bekommt, springt er nämlich gerne überall hoch und dabei fällt schon mal was runter. Zu seinem Glück war die Tasse nicht aus Porzellan oder einem anderen leicht zerstörbaren Material und deshalb muss ich jetzt auch keine Scherben wegräumen. Davon habe ich in meinem Leben schon genug.

Ich stelle den Wasserkocher an und nehme mir eine neue Tasse aus dem Schrank. Einen Tee kann ich noch trinken, bevor ich wieder los muss. Heute habe ich aber auch keine freie Minute für mich. Schrecklich! Erst einkaufen, am Tag vor Heilig Abend... wirklich sehr spaßig... und dann gleich noch diese Weihnachtsfeier im Kindergarten meiner Cousine. Meine Tante, übrigens die einzige Verwandte, zu der ich noch Kontakt habe, hat mich überredet, ihre kleine Lina dorthin zu begleiten, weil sie selber leider verhindert ist. Natürlich konnte ich ihr diese Bitte nicht ausschlagen, aber es gibt auch noch einen guten Grund für mich, um an dieser Feier teilzunehmen: In dem Kindergarten arbeitet nämlich mein absoluter Traummann. Das heißt, er leistet gerade seinen Zivildienst. Wir haben uns auf eine sehr peinliche Art und Weise kennen gelernt, als ich Lina ausnahmsweise mal abholen sollte. Er hatte mich beschuldigt, ich wolle sie entführen oder etwas in der Art, und war schon drauf und dran, die Polizei zu rufen. Das Ganze war natürlich ein riesiges Missverständnis und alles nur, weil meine Tante vergessen hatte, mich anzumelden. Die Betreuer wussten daher nicht, dass ich zur Familie gehöre und alles mit der Mutter abgesprochen war. Einem Fremden dürfen sie die Kinder natürlich nicht anvertrauen und somit war das Chaos perfekt. Es hat ewig gedauert diese Verwirrung aufzulösen, aber Lina hatte ihren Spaß. Und ich anschließend auch, denn Andi, der Zivi, hat sich so hoffnungslos in seinen Entschuldigungen verfangen, dass ich nur noch damit beschäftigt war, ihn anzustarren. Wie kann man nur so verwirrt, verlegen und... zum Anbeißen süß zur gleichen Zeit sein? Ich war jedenfalls sofort hin und weg und versäumte sogar, mich über den Schnee aufzuregen, der uns alle vollkommen aufweichte – besonders Andi, der hatte nämlich keine Jacke an. Wahrscheinlich hatte er die Kinder nur schnell den Eltern übergeben wollen und nicht damit gerechnet, solange in der Kälte zu stehen. Man kann sich sicher vorstellen, was ich am liebsten getan hätte, aber nein... ich konnte mich gerade noch zurückhalten.

Ob er sich wohl freut, mich wiederzusehen? Bestimmt nicht. Hoffentlich denkt er nicht, ich würde ihn verfolgen, weil ich mich an ihm rächen will oder etwas in der Art. Ich hoffe doch sehr, dass er mir nicht aus dem Weg geht und ich mich dann die ganze Zeit langweilen muss. Ich möchte mir gar nicht erst vorstellen müssen, was ich in diesem Fall tun würde. Wahrscheinlich müsste ich dann mit den Eltern der anderen Kinder reden, Kekse backen und... basteln. Bitte Andi, tu mir das nicht an!

Der Wasserkocher hat sich schon längst ausgeblubbert, also übergieße ich schnell meinen Teebeutel, warte drei Minuten und genieße dann das schön heiße Getränk auf meinem Lieblingssofa. Paulchen hat es sich inzwischen auf meinem Schoß gemütlich gemacht und lässt sich von mir hinter den Ohren kraulen. Er schnurrt leise und zupft mit den Pfoten an meiner Jeans. Das ist für mich zwar nicht besonders angenehm, aber immerhin ein Zeichen dafür, dass er sich wohl fühlt.

Irgendwie komme ich mir vor wie in einer Fernsehwerbung: ein junger Mann im Rollkragenpullover sitzt auf dem Sofa, streichelt die Katze auf seinem Schoß und trinkt Tee aus einer dampfenden Tasse, während es draußen schneit. Das ist doch das typische Weihnachts-Single-Klischee oder? Na ja, was solls? So ist das nun mal. Aber vielleicht ja nicht mehr lange. Mal sehen, was der Abend so bringt...


Oh man! Etwas Gutes war es jedenfalls schon mal nicht! Oder, na ja... vielleicht auch etwas Gutes. Sogar etwas ganz wunderbar Gutes, aber erst nachdem ich mich am liebsten eigenhändig erschossen hätte.

Eigentlich lief am Anfang alles noch recht gut. Ich bin mit Lina zum Kindergarten gefahren und wurde auch prompt wiedererkannt. Hatte mir schon ernsthaft Sorgen gemacht, dass ich wieder für nen Sträfling gehalten werde. Aber das war ganz und gar nicht der Fall. Die Eltern wollten natürlich genau wissen, was so jemand wie ich auf dieser Weihnachtsfeier verloren hatte und ringten sich um mich wie um einen Schnäppchenstand. Nur dass ich nicht angegrabbelt wurde. Gott sei Dank, möchte ich sagen.

Die Feier an sich war dann gar nicht so schlimm wie ich es mir vorgestellt hatte. Natürlich wurden Kekse gebacken und auch schreckliche Weihnachtlieder gesungen, aber in der Umgebung war es irgendwie lustig. Die Kinderaugen glänzten und die Eltern hätten vor Freunde heulen können, weil doch alles so schön war. Ich stand mittendrin und hätte mich schütteln können vor Lachen. Andi schien es auch so zu gehen, denn er stand genau wie ich am Rand und grinste. Irgendwann kann er zu mir rüber und wir unterhielten uns ein wenig. Viel Zeit hatte er leider nicht, aber immerhin hatte er mich überhaupt wahrgenommen. Was ich doch für eine klitzekleine Berührung getan hätte, aber nein... Ehe ich protestieren konnte, war er schon wieder verschwunden.

Das Basteln war nicht besonders spaßig, weil ich mich in dem Punkt fürchterlich blamiert habe. Wir haben jeder eine Walnuss in die Hand gedrückt bekommen und sollten daraus Schiffchen oder Männchen oder sonst was basteln. Sehe ich aus, als hätte ich auch nur ein Fünkchen Talent für so etwas? Aber auch das habe ich überlebt. Zum Abschied gabs dann noch nen Punsch für die Großen und Kakao für die Kleinen. Andi war auf einmal wie vom Erdboden verschluckt und tauchte auch nicht mehr auf, um Eltern und Kinder zu verabschieden. Ich schnappte mir also Lina und schlich geknickt nach draußen, wo mich augenblicklich der Schlag traf. In der Einfahrt des Kindergartens stand Ben, mein Ex. Er hatte die Hände in den Jackentaschen und trat fröstelnd von einem Fuß auf den anderen. Mitleid hatte ich trotzdem nicht mit ihm. Niemand hatte ihn gebeten, da in der Kälte zu stehen. Woher wusste er überhaupt, dass ich dort bin?

Als er mich sah, kam er auf Lina und mich zu.

„Hallo Luka.“

„Was willst du?“ Zu mehr Freundlichkeit war ich ihm gegenüber nicht in der Lage.

„Ich vermisse dich und...“

„Sag jetzt nicht, dass du es dir anders überlegt hast und wieder mit mir zusammen sein willst.“

„Na ja... doch. Ich weiß, dass ich unfair zu dir war, aber...“

„Für diese Einsicht ist es jetzt leider zu spät. Du hast dich von mir getrennt und das war auch gut so. Also was soll das hier? Es hat nicht funktioniert mit uns und das wird es auch nie.“

Lina sah immer abwechselnd von einem zu anderen und ich hoffte inständig, dass sie noch nicht alles verstand, was wir redeten.

„Aber ich liebe dich!“

„Das hättest du dir früher überlegen müssen. Jetzt ist es zu spät.“

„Wieso? Hast du einen anderen.“

Genau in dem Moment kam Andi aus dem Kindergarten, den Autoschlüssel schon in der Hand. Wahrscheinlich hatte er noch aufräumen müssen.

„Ja, ihn“, sagte ich schnell, ohne wirklich darauf zu achten, was ich sagte. Lina sah mich mit großen Augen an.

„Ihn?“, fragte Ben ungläubig und zeigte auf Andi.

„Was ist mit mir?“, fragte dieser und blieb neben mir stehen.

„Das ist doch ein Scherz, oder?“

„Nein, ist es nicht“, sagte ich, zog Andi an mich, flüsterte ein kurzes „Entschuldige“ und küsste ihn auf den Mund. Auch wenn es nur ein Alibikuss war, mir flatterten trotzdem tausend Schmetterlinge im Bauch. Wenn ich ihn doch noch länger so hätte festhalten können...

Als ich wieder von ihm abließ, rechnete ich schon mit einer Ohrfeige oder einem wütenden Kommentar, aber Andi stand nur da und sah zwischen Ben und mir hin und her. Mein Ex wandte sich, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, von uns ab und ging. Ein bisschen tat er mir jetzt doch leid. Normalerweise hab ichs nicht so damit, andere Menschen zu verletzen, aber in dem Moment hatte ich einfach nicht nachgedacht.

„Was war das denn?“, fragte Andi, nachdem Ben verschwunden war. Falls er sauer war, versteckte er es ziemlich gut.

„Tut mir leid, dass ich dich so überfallen habe, aber ich musste meinen Ex irgendwie loswerden.“

„Deinen Ex?“

„Ja.“

„Du bist...“

„Schwul?“

Andi nickte.

„Ja, bin ich. Ist das ein Problem?“

„Nein nein, so meinte ich das gar nicht. Ich hätte es nur nicht gedacht.“

„Es tut mir echt leid, wenn ich dich irgendwie in Verlegenheit gebracht habe.“

„Schon gut. Wir sind quitt. Ich... ähm... ich muss jetzt los.“

„Okay.“ Nein, dachte ich nur, fahr nicht. Was, wenn ich ihn nie wieder sehe?

„Tschüss Lina, frohe Weihnachten und schöne Ferien.“

Sie winkte ihm zu, er stieg ins Auto und fuhr aus der Einfahrt. Weg war er.

„Wollen wir auch nach Hause fahren?“, fragte ich meine Cousine. Ich wollte nur noch auf mein Sofa und einen Glühwein trinken. Oder zwei oder drei...


Zu dem dritten komme ich leider schon nicht mehr, weil das Telefon klingelt... Meine Tante. Sie möchte gerne wissen, ob es mir gut geht und ob es unbedingt nötig war, Lina in so eine Show mit reinzuziehen. Sie ist nicht sauer, aber etwas überfordert damit, was ihre Tochter ihr gerade alles berichtet hat.

„Hast du Andi echt geküsst?“

„Ja, mir ist nichts anderes eingefallen, um Ben loszuwerden.“

„Lina war total durch den Wind. Du und Andi... Dabei ist er doch sonst eigentlich eher...“

Oh mein Gott, er steht doch auf Mädchen!

„...eher etwas zurückhaltender.“

„Na ja, er hat ja auch nicht viel zu dem Kuss beigetragen. Auch wenn er noch so draufgängerisch wäre, hätte er nicht viel dagegen tun können.“

„Höre ich da ein wenig Enttäuschung heraus?“ Neeeiiiiin...

„Er ist schon ganz nett...“

„Ach du Schande! Du bist ja bis über beide Ohren verliebt!“

„Woher willst du das denn bitte wissen?“

„Wenn es dir nicht so ernst wäre, hättest du meine Anspielung sofort abgestritten.“

„Ich finde, du kennst mich viel zu gut. Das ist mir unheimlich“, sage ich etwas eingeschnappt.

„Tja... ich bin die Schwester deiner Mutter. Sie muss mir wohl etwas von ihrer Intuition abgegeben haben.“

„Ja, wahrscheinlich... Hast du in letzter Zeit was von meinen Eltern gehört?“ Das ist immer ein heikles Thema. Besonders so kurz vor Weihnachten. Deshalb verstummt das Lachen am anderen Ende der Leitung auch sofort. Meine Eltern haben auch den Kontakt zu meiner Tante abgebrochen, weil sie zu mir gehalten hat, als ich mich geoutet habe. Ein Paradebeispiel für einen hoffnungslosen Versuch, anerkannt zu werden.

„Nein. Ich rechne auch nicht mehr damit.“

„Ich auch nicht.“

Damit ist die Stimmung irgendwie im Eimer und wir legen auch kurze Zeit später auf. Natürlich hat sie mich wie schon die letzten Jahre zu Weihnachten eingeladen, aber ich habe abgelehnt. Wie immer. Ich bin es gewohnt, allein zu sein, und auch irgendwie ganz zufrieden damit. Weihnachten ist einfach ein Familienfest und mit der habe ich es mir ja nun wirklich verscherzt. Meine Tante hat ihre eigene Familie. Ich würde mich da nur fehl am Platz fühlen.

Mit einem Freund wäre es etwas Anderes. Das wäre auch so eine Art eigene, kleine Familie. Ja... das könnte sicher schön sein. Aber nicht mehr dieses Jahr. Dafür ist es schon zu spät.

Und spät genug, um langsam ans Schlafen zu denken, ist es auch schon. Morgen ist der große Tag. Mal sehen, ob ich überhaupt ein Auge zu bekomme.


Schnee an Heilig Abend. Das ist das einzig Positive, das mir einfällt. Auch wenn ich Schnee nicht ausstehen kann, an Weihnachten darf er einfach nicht fehlen. Immerhin hat das dieses Jahr funktioniert.

Gefolgt von Paulchen schlurfe ich in Küche, mache ihm und mir etwas zum Frühstück und überlege dann, wie ich diesen Tag am besten überstehe. Langeweile darf auf keinen Fall aufkommen, denn wenn mir langweilig wird, werde ich auch gerne mal etwas depressiv. Leider fällt mir rein gar nichts ein, was ich dagegen unternehmen könnte. Zumindest nichts, was mich den ganzen Tag beschäftigt. Ich könnte mal wieder online gehen und mich mit einem Freund austauschen, den ich auf nickstories.de kennengelernt habe. Das ist eine Webseite, auf der jeder seine selbstgeschriebenen Geschichten einsenden und veröffentlichen kann, hauptsächlich zum Thema Homosexualität. Ich habe ihm damals ein Feedback zu einer seiner Stories geschrieben und dann sind wir in Kontakt geblieben. Wir haben zwar länger nichts mehr voneinander gehört, aber es wäre ja möglich, dass er mir bei der Geschichte mit Andi helfen kann. Ein Außenstehender sieht die Dinge ja bekanntermaßen ganz anders.

Ich fahre also den Computer hoch und öffne das Chatprogramm. Schade, er ist nicht online. Wahrscheinlich ist es auch eher normal, dass man an Heilig Abend nicht vor dem PC hockt.

Mist! Ich hätte wirklich dringend mit ihm sprechen müssen. Die ganze Nacht über haben mich irgendwelche komischen Träume verfolgt. Einige waren viel zu schön, um wahr zu sein und andere einfach nur gruselig. Natürlich drehten sich alle um das selbe Thema. Ich wusste gar nicht, dass man in einer Nacht so viel träumen kann und fühle mich jetzt ein bisschen verwirrt und überfüllt. Ich weiß nicht mehr, was genau in den einzelnen Träumen passiert ist, aber die Ausschnitte, an die ich mich erinnern kann, reichen schon völlig aus. Immer wieder kommen mir verschiedene Bilder in den Kopf und das macht es unmöglich, klar zu denken.

Dieser Kuss am Abend zuvor mischt sich auch immer noch dazwischen. Wenn das so weitergeht, werd ich noch bekloppt. Ich wüsste so gerne, was Andi jetzt über mich denkt. Ist er total geschockt oder fand er es etwa auch ein bisschen schön. Vielleicht steht er ja auch auf Jungs und hat es nur nicht zugegeben. Wie auch immer... Für ein gemütliches Weihnachtsfest zu zweit ist es jetzt zu spät. Ich werde wohl wieder nur mit Paulchen kuscheln können. Wie frustrierend...

Vielleicht kommt der Kerl ja doch noch online, wenn ich nur lange genug warte. Aber dazu habe ich eigentlich überhaupt keine Lust. Womöglich kommt er gar nicht mehr, und ich sitze hier und verschwende meine Zeit. Hmm... viel zu verschwenden gibt es da ja nicht, und trotzdem schalte ich den Computer aus.

An solchen Tagen merke ich immer wieder, wie beschränkt doch meine sozialen Kontakte sind. Meine Eltern ignorieren mich schlichtweg und mit Freunden sieht es auch nicht besonders gut aus. In der Schulzeit hatte ich ein paar gute Freunde, aber die haben sich im ganzen Land verteilt, um zu studieren. Mit meinen Bewerbungen bin ich leider nicht sehr weit gekommen, also heißt es für mich erstmal warten und ein bisschen Geld verdienen. Zur Zeit tue ich das, indem ich abends in einem Restaurant kellnere. Dort verdiene ich nicht schlecht und bekomme auch mal ein paar Menschen zu Gesicht. Alles in allem nicht schlecht, aber auch nichts für die Ewigkeit. Ich bin zwar nicht besonders ehrgeizig, aber irgendeine Ausbildung hätte ich schon gerne. Ich weiß, dass ich mich langsam mal entscheiden sollte, aber mir würden so viele Sachen Spaß machen. Wie soll man sich da einen Beruf aussuchen?

Gedankenverloren sitze ich am Tisch und tue mir selbst leid, bis sich etwas Weiches um meine Beine schlängelt.

„Hallo Paulchen.“

Ich strecke die Arme aus und setze mir meine kleine Schmusekatze auf den Schoß. „Wie gut, dass du eine Hauskatze bist. Sonst würdest du dich immer draußen rumtreiben und ich wäre ganz allein.“ Paulchen antwortet mit einem leisen Schnurren und macht es sich dann gemütlich.

„Ja, ich weiß. Ich hab dich auch lieb.“

Kurz darauf klingelt es an der Tür. Paulchen springt sofort wieder auf und verkriecht sich hinter dem Sofa. Er hasst es, wenn ich Besuch bekomme. Das kommt zwar nur selten vor, aber er weiß schon ganz genau, was das Klingeln zu bedeuten hat.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass Lina vor der Tür steht. Bis jetzt hat meine Tante sie jedes Jahr hergeschickt, um mir eine dicke Wollsocke zu bringen, gefüllt mit gaaaaaanz vielen Süßigkeiten. Sie meint, dass sich ja irgendjemand um mich kümmern muss. Wie recht sie damit hat! Letztes Jahr war die Socke am übernächsten Tag schon wieder leer und ich dafür ein paar Kilo schwerer...

Jetzt steht allerdings nicht Lina, sondern Andi vor der Tür. Mir bleibt beinahe das Herz stehen und er scheint sich auch nicht besonders wohl zu fühlen. Er erinnert mich ein bisschen an Ben, wie er gestern Abend vor dem Kindergarten stand, nur dass Andi natürlich viel viel niedlicher aussieht mit seinen roten Wangen und dem dicken Schal, den er um seinen Hals geschlungen hat. Ich bin mir sogar sicher, dass das Chriskind persönlich auch nicht besser aussehen würde, wenn es an meiner Tür geklingelt hätte. Oder hat es das vielleicht gerade?

„Hallo“, sage ich halb geflüstert.

„Hey, kann... ich kurz mit dir reden.“ Oha, das hört sich irgendwie ernst an. Vielleicht will er mich ja jetzt wegen gestern zur Schnecke machen.

„Äh... klar. Komm rein.“

Er quetscht sich an mir vorbei in die Wohnung, zieht seine Schuhe aus und geht weiter ins Wohnzimmer. Seine Jacke hat er zwar ausgezogen, aber nirgendwo abgelegt. Wahrscheinlich will er sofort wieder gehen. Bei dem Gedanken gehen all meine Hoffnungen schon wieder flöten.

„Oh, gar kein Weihnachtsbaum?“

„Nee, das lohnt sich nicht. Außer Paulchen und mir würde ihn ja niemand ansehen.“

„Wer ist Paulchen?“

„Mein Kater.“

„Ach so.“

Was will er bloß hier? Er steht nur da und spielt mit seinen Fingern.

„Worüber wolltest du denn mit mir sprechen?“

„Na ja, über gestern... und über neulich. Ich hab irgendwie das Gefühl, als müsste ich mich noch mal bei dir entschuldigen.“

„Wieso das denn? Das hast du doch schon und außerdem war es überhaupt nicht deine Schuld. Es ist doch völlig klar, dass du Lina nicht einfach einem Fremden übergeben konntest. Ich fands im Nachhinein sogar ganz lustig.“

Andi sieht allerdings nicht gerade glücklich aus. Er setzt sich aufs Sofa und starrt den Fußboden an. Langsam weiß ich auch nicht mehr, was tun soll und setze mich einfach neben ihn. Mit genügend Abstand natürlich. Eine Weile sitzen wir beide da und schweigen, bis Paulchen aus seinem Versteck kommt, zuerst um meine und dann um Andis Beine schleicht. Mir klappt der Mund auf. Das hat er noch nie bei jemandem außer mir getan.

Andi hat sich erst ein wenig erschrocken, streichelt jetzt aber über Paulchens Rücken.

„Na du“, sagt er mit ganz weicher Stimme. Ich schmelze.

„Eigentlich lässt er sich nie von Fremden streicheln. Anscheinend mag er dich.“ Und ich auch!

„Ich liebe Katzen. Vielleicht merkt er das.“

„Ja, vielleicht.“

Ob ich es wohl spüren würde, falls er mich liebt?

„Ich muss wieder gehen“, sagt er, schnappt sich seine Jacke und steht auf.

„Hey, warte. Du bist doch gerade erst gekommen.“

„Ich weiß nicht, warum ich überhaupt gekommen bin.“

„Weil du dich aus irgendeinem Grund bei mir entschuldigen wolltest.“ Stehe ich auf der Leitung oder was läuft hier?

„Vergiss es einfach. Wahrscheinlich bin ich nur etwas verwirrt wegen gestern.“

„Dann müsste ich mich wohl eher bei dir entschuldigen.“ Inzwischen stehen wir wieder im Flur und Andi zieht sich seine Schuhe an. „Ich wollte nicht, dass du...“

„Ist okay“, sagt er und steht auf. „Wenn ich ein Problem damit habe, ist das nicht deine Schuld. Ich bin es nur nicht gewohnt von... na ja... von einem Jungen geküsst zu werden. Ich will damit nicht sagen, dass es eklig war oder so... oh Gott, das hört sich ja schrecklich an... ich meine, es war eigentlich sogar ganz schön, aber eben so ungewohnt... also, du darfst das nicht falsch verstehen... ich weiß auch nicht...“

In meinem Kopf dreht sich alles und wahrscheinlich ist von dem, was er alles gesagt hat nur das „es war eigentlich sogar ganz schön“ hängen geblieben. Jedenfalls kann ich nicht mehr klar denken, ziehe ihn an mich und küsse ihn schon wieder. Ich kann einfach nicht anders. Vielleicht hasst er mich jetzt, aber viel verlieren kann ich sowieso schon nicht mehr. Mein Herz rast wie verrückt, aber als er mich mit weit aufgerissenen Augen ansieht, entscheide ich mich sofort dafür, ihn wieder loszulassen.

Er hält sich eine Hand vor den Mund und sieht mich geschockt an.

„Tut mir leid“, sage ich schnell und gehe einen Schritt zurück. „Ich... ähm... konnte nicht anders.“

Andi wirft sich seine Jacke über und öffnet die Tür. „Ich muss los“, sagt er und will gerade verschwinden, doch ich halte ihn auf.

„Warte! Es tut mir leid, aber ich... hab mich in dich verliebt.“

Ohne sich zu rühren steht er, mit dem Rücken zu mir, in der Tür. Was denkt er jetzt gerade? Ich würde gerne sein Gesicht sehen, aber ich höre nur seinen lauten Atem. Wie konnte ich ihm das nur sagen?

Langsam dreht er sich um und sieht mich an. Seine Wangen sind schon wieder ein bisschen rot, aber dieses Mal nicht von der Kälte. Dann beugt er sich blitzschnell vor, küsst mich auf den Mund und verschwindet. Jetzt bin ich es, der mit großen Augen dasteht und mit den Fingerspitzen seinen Mund berührt. Hat er mich wirklich geküsst?

Wie in Trance schließe ich die Tür und mache mich auf den Weg ins Wohnzimmer. Doch dann klingelt es schon wieder. Ich stürme sofort in den Flur und reiße die Tür auf, aber dieses Mal ist es wirklich nur Lina.

„Andi hat dich geküsst“, sagt sie und sieht mindestens genauso sprachlos aus wie ich.

„Ja, hat er.“

„Warum?“

„Das weiß ich auch nicht. Willst du reinkommen?“

„Nein, ich soll dir nur deine Socke bringen.“ Oha! Die Sache mit Andi muss sie total aus der Bahn geworfen haben. Normalerweise möchte sie immer noch stundenlang mit Paulchen spielen, bevor sie zu ihren Eltern zurückgeht.

„Danke“, sage ich also brav, wünsche ihr frohe Weihnachten und dann ist sie auch schon wieder weg.


Ich bin verwirrt. Warum zum Teufel hat er mich geküsst? Er wollte mir damit bestimmt nicht sagen, dass er sich auch in mich verliebt hat. So was gibt es nämlich nicht. Viel zu unwahrscheinlich. Sehr viel wahrscheinlicher ist es, dass er etwas überrumpelt war und selber nicht wusste, was genau er da tut. Oder noch viel schlimmer: er hat es aus Mitleid getan. Oh Gott! Nein, sowas würde er nicht tun. Aber was ist es dann?

Meine Güte, warum muss das denn ausgerechnet jetzt passieren? Es reicht natürlich nicht, dass ich an Weihnachten allein zu Hause sitze... nein... ich muss mir auch noch vorstellen wie es mit ihm wäre. Man kann doch nicht einfach abschalten, wenn einen derjenige küsst, den man liebt.

Vielleicht bin ich ja auch selber Schuld. Ich hätte ihm einfach nicht sagen sollen, dass ich in ihn verliebt bin. Aber mal ehrlich: wer würde diese Chance denn nicht nutzen? Es war alles so perfekt. Er stand an Heilig Abend direkt vor mir und sah aus wie ein Engel. Mein Mund hat praktisch von allein gesprochen. Und dann hat er mich geküsst. Eigentlich sollte ich überglücklich sein, aber ich glaube das einfach alles nicht. Ich will mir nicht einreden, dass er mich genauso mag wie ich ihn. Das wäre viel zu voreilig und romantisch gedacht. Ja, romantisch. Das war es irgendwie. Nur der Mistelzweig hat noch gefehlt.

Aaahhh... ich könnte auf der Stelle explodieren oder zumindest wild herumhüpfen, so sehr kribbelt es in mir. Wenn ich doch nur wüsste wie es weitergehen soll. Er kann doch nicht einfach abhauen und mich ohne eine Erklärung stehen lassen. Wahrscheinlich weiß er selber nicht, was ihn geritten hat und wird in den nächsten Tagen versuchen, mich wieder abzuwimmeln. Dann schaufel ich mir ein Grab und hasse und vergöttere ihn bis in alle Ewigkeit.

Glücklicherweise werden diese selbstmörderischen Gedanken von dem Klingeln meines Telefons unterbrochen. Und wer außer meiner Tante sollte mich jetzt anrufen?

„Ich hatte gerade ein unglaubliches Déjà-Vu-Erlebnis“, begrüßt sie mich.

„Ja, ich weiß.“

„Und dieses Mal hat er dich geküsst?“

„Ja, auch.“ Eigentlich habe ich jetzt gar keine Lust darüber zu reden, aber ich habe wohl keine Wahl. „Ich habe ihn zuerst geküsst, dann hab ich ihm gesagt, dass ich mich in ihn verliebt habe und dann hat er mich geküsst.“

„Wow, dann... seid ihr jetzt zusammen?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Weil er danach einfach verschwunden ist, ohne was zu sagen.“

„Oh.“

Ja, genau.

„Und wie geht es dir jetzt?“, fragt sie vorsichtig.

„Ich weiß nicht. Ich weiß ja nicht mal, was ich denken soll.“

„Das kann ich mir vorstellen. Aber wahrscheinlich wird er sich bald bei dir melden.“

„Wieso das denn?“

„Entweder weil er mit dir zusammen sein möchte, oder weil er dir sagen will, dass du dir keine Hoffnungen machen sollst. Andi ist einfach zu gut für diese Welt. Er würde die Sache nie so stehen lassen, weil er dich nicht verletzen möchte.“

„Woher willst du das wissen?“, frage ich etwas misstrauisch. Sie tut ja gerade so, als ob sie ihn schon jahrelang kennt.

„Na ja, ich habe durch den Kindergarten öfter mit ihm zu tun und außerdem... habe ich gestern etwas länger mit ihm gesprochen, weil er mich nach deiner Adresse gefragt hat.“

„Was? Du hast mit ihm über mich gesprochen?“ Ich glaube mir fällt gerade alles aus dem Gesicht. Aber irgendwie ist es auch logisch. Woher hätte er sonst wissen sollen, wo ich wohne?

„Nicht wirklich über dich. Er wollte mir partout nicht sagen, was er von dir will. Aber man konnte ihm deutlich ansehen, dass ihn etwas beschäftigt.“

„Schlauer bin ich jetzt aber auch nicht. Eher im Gegenteil.“

„Das kommt schon noch.“

„Ja, mal sehen.“

„Was machst du heute Abend?“

Ich muss lachen. „Mal abgesehen davon, dass ich mich zu Tode grübeln werde, hab ich vor, mir einen Film anzusehen und mich mit deinen Süßigkeiten vollzustopfen. Vielen Dank übrigens.“

„Wenn du schon nicht her kommen willst, müssen wir dich doch wenigstens ein bisschen verwöhnen.“

„Keine schlechte Idee, aber ich hätte lieber was anderes zum Verwöhnen.“

„Ich weiß, aber lass dir den Abend nicht zu sehr verderben.“

„Mach ich nicht.“ Von wegen. Der Abend ist schon gelaufen!

„Okay. Wir hören voneinander, ja?“

„Klar. Bis dann.“

Ich lege auf und fühle mich kein bisschen besser. Ich bin die letzten Jahre an Weihnachten auch allein gewesen, aber dieses Mal ist es anders. Für einen kurzen Augenblick bestand die Möglichkeit, dass sich meine Einsamkeit in Luft auflöst und dadurch ist es jetzt nur noch unerträglicher geworden. Ich bin nun mal kein Freund von Verwirrung und Ungewissheit.

Über die Sache mit meinen Eltern bin ich auch noch nicht ganz hinweg, und das ist schon Jahre her. Ich habe immer noch ein Foto von den beiden im Wohnzimmer hängen. Mit einer Stecknadel an die Pinwand geheftet. Es war das erste Bild, dass ich mit der Digicam gemacht habe, die mir meine Eltern zu meinem 18. Geburtstag geschenkt haben. Kurz darauf hat mich mein Vater vor die Tür gesetzt. Manchmal würde ich die Nadel gerne nehmen und in sein Gesicht stechen. Einfach, um einen Teil des Schmerzes, den er mir zugefügt hat, zurückzugeben. Er würde davon zwar nicht viel spüren, aber für mich wäre es eine Art Genugtuung ihm gegenüber. Trotzdem blieb das Foto all die Jahre unbeschädigt.

Was Andi wohl gerade tut? Ich könnte mir vorstellen, dass er mit seiner Familie gemütlich zusammen sitzt, aber genauso viel nachdenkt wie ich. Meine Tante hatte recht. Entweder zerbricht er sich den Kopf, weil er überlegt wie er mich wieder los wird, oder weil er eben doch etwas für mich empfindet. So oder so, es ist bestimmt nicht leicht für ihn. Vielleicht fühlt er sich ja genau wie ich und weiß einfach nicht, was er denken soll.

Auf jeden Fall ist der 24. Dezember definitiv nicht mein Tag. Jedes Jahr sage ich mir wieder, dass sich in einem Jahr viel ändern kann und dann passiert trotzdem nichts. Diese Jahr ist zwar etwas passiert, aber egal wie es ausgeht, für den 24. Dezember ist es zu spät.

Es ist bereits halb elf und ich denke nicht, dass ich heute noch sehr alt werde. Das Bett ruft mich geradezu, obwohl ich mich mit dem Glühwein wirklich sehr zurückgehalten habe. Paulchen liegt auch schon eingerollt auf dem Sofa und würdigt mich keines Blickes mehr. Dann kann ich auch schlafen gehen. Vorher räume ich allerdings noch ein paar Sachen weg und verschwinde dann im Bad. Schnell mein Schlafdress übergeworfen und ab unter die dicke, warme Bettdecke. Ich hasse diese Kälte. Wenn man abends wagt, das Fenster aufzumachen, um ein wenig frische Luft hereinzulassen, braucht man mindestens drei Decken, um nicht zu erfrieren. Genau deshalb habe ich immer noch ein paar Wolldecken in greifbarer Nähe liegen.

Heute komme ich allerdings gar nicht erst dazu, mich lange über diese eisigen Temperaturen aufzuregen, weil ich sofort einschlafe, sobald ich die Augen geschlossen habe. Das ist lange nicht mehr passiert. Normalerweise wälze ich mich immer noch ein paar Mal hin und her.

Um Viertel vor Zwölf wache ich allerdings wieder auf, weil mich irgendein komisches Geräusch stört. Total verschlafen wanke ich ins Wohnzimmer, um nachzusehen woher es kommt. Vielleicht ist es ja Paulchen, der wieder irgendetwas Merkwürdiges anstellt. Aber es scheint aus dem Flur zu kommen... oder besser von der Haustür. Irgendjemand klopft an meine Tür. Jetzt noch? Wer sollte das sein und warum klingelt er nicht, wenn es so dringend ist, dass es nicht bis morgen warten kann.

Als ich die Haustür öffne, macht mein Herz einen riesigen Sprung und will sich gar nicht mehr einkriegen. Vor mir steht Andi – mit seinem dicken Schal und den süßen roten Bäckchen. Ich träume noch! Ganz bestimmt!

„Tut mir leid. Ich wollte dich nicht wecken“, sagt er schüchtern und schaut auf seine Füße.

Wie jetzt? Ich bin doch wach?

„Ist nicht so schlimm“, sage ich verdattert und trete einen Schritt zur Seite, damit er reinkommen kann.

„Ich wollte nur unbedingt heute noch mit dir reden.“

„Dann musst du dich aber beeilen. Es ist schon Fünf vor Zwölf.“

„Ich weiß“, sagt er leise und berührt mit seiner Hand meine Wange. Ich bin so überrascht, dass ich mich keinen Millimeter bewegen kann. Seine Finger wandern über mein Gesicht und streichen durch meine Haare. Jeder noch so winzige Teil meines Körpers spürt seine Berührungen, als ob seine Hände überall wären. Dann wandern sie in meinen Nacken und ziehen mein Gesicht näher an seines. Die ganze Zeit sehen wir uns in die Augen, bis er seine schließt und mich küsst. Ganz zart und weich legen sich seine Lippen auf meine und seine Arme schlingen sich um meine Taille.

„Oh mein Gott... ich verliebe mich“, haucht er und lehnt seine Stirn gegen meine.

„Ich hab mich schon längst in dich verliebt.“

Meine Atmung funktioniert nicht mehr richtig, deshalb entscheide ich mich dafür, es für eine Weile sein zu lassen und lieber Andi zu küssen. Am liebsten würde ich nie wieder damit aufhören. Und wenn ich dabei draufgehe... was solls!

„Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät.“

„Nein“, sage ich und muss lächeln. „Aber du hast nicht mit mir geredet und die fünf Minuten sind jetzt um.“

„Ich dachte, ich verzichte lieber auf Worte.“ Jetzt muss er auch lachen. „Aber eins muss ich dir noch sagen.“

„Und das wäre?“

„Ich liebe dich!“

Ich kann ihn daraufhin nur umarmen und küssen und küssen und küssen...

Irgendwann kommt Paulchen angeschlichen und macht mit einem lauten Miauen auf sich aufmerksam. Andi bückt sich und nimmt ihn auf den Arm. „Na du“, sagt er wieder mit dieser Gänsehautstimme und krault ihn hinter den Ohren.

„Ich weiß immer noch nicht, warum er dich an sich ranlässt... AUA!“

„Selber Schuld.“

„Aber so war das doch gar nicht gemeint“, schmolle ich und reibe meine schmerzenden Rippen. „Ich setze dich gleich wieder vor die Tür.“

Andi grinst nur und schmatzt mir einen Kuss auf die Wange. „Überleg dir das lieber noch mal.“

„Wieso?“

„Weil es zu zweit viel gemütlicher unter der Bettdecke ist.“

Er setzt Paulchen wieder auf den Boden und zieht mich dafür an sich.

„Ok, du darfst bleiben“, entscheide ich und küsse ihn.

Wow! Es war zwar Fünf vor Zwölf, aber trotzdem noch der 24. Dezember!

*Merry Christmas*

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