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Sommer 2006

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„Hi, na, wie geht’s? Ich hab gesehen dass du auf die Biber-Brüder stehst. Ich find ‚Total dental‘ sooo lustig.“

Diese Nachricht las ich, als ich eigentlich gerade offline gehen wollte um den Herrn der Ringe weiterzulesen. In diesem Sommer begleitete ich Frodo zum vierten Mal zum Schicksalsberg. Ich klickte auf das Profil des Absenders. Männlich, 19, Wohnort Kleinding. Das war wohl kaum ein Zufall, denn daher kam ich auch.

„Kenn ich dich?“

„Ich war eine Klasse unter dir. Max Weller.“

„Sagt mir nichts … Hast du ein Foto?“

„Sorry, keine Digicam.“

„Ach so … jedenfalls, ja, kenn ich, ist die beste Folge. Die späteren sind irgendwie mau.“

„Find ich auch. Aber der Superbiber ist auch geil.“

„Und Oxnard Montalvo oder wie der heißt.“

„Ja, saulustig.“

„Also bist du noch auf dem Marien-Gymnasium?“

„Ich hab grad Abi geschrieben, steck jetzt in dem tiefen schwarzen Loch, das danach kommt. Und was machst du jetzt?“

„Ich verdien ein bisschen Geld und fang im Herbst an der Uni an.“

„Cool, genau wie ich.“

„Das ist irgendwie seltsam, du weißt, wer ich bin, aber ich nicht wer du bist …“

„Hast du einen alten Jahresbericht da?“

„Ne, hab ich mir nie gekauft. Beschreib dich mal, vielleicht klingelt es dann …“

„Hm, also ich bin 1,80, blond, blauäugig, 90-60-90. :-)“

Ich klickte nochmal auf das Profil. Männlich. Und außerdem hieß er ja Max. Das war also wohl ein Scherz.

„Haha...“

„Na gut. Ich bin mittelgroß,… rotbraune kurze Haare, in der Schule hab ich meistens eine Brille auf …“

„Nach der Beschreibung kommt echt jeder in Frage.“

„Sorry, ich hab halt keine Narbe auf der Wange oder ein Tattoo auf dem Unterarm oder so … ich bin voll durchschnittlich…“

„Hm … dann kann man wohl nix machen.“

„Mehr haben wir uns wohl nicht zu sagen, hm? Dann geh ich jetzt mal lesen.“

Die Ehrlichkeit gefiel mir.

„Was liest du denn?“

„Ach, Fantasy, nichts literarisch Anspruchsvolles.“

„Ich les grad zum vierten Mal den Herrn der Ringe.“

„Und wo bist du gerade?“

„Frodo und Sam haben sich gerade von den anderen getrennt.“

„Ich mag… die Beziehung der Beiden. Das ist echte Freundschaft.“

„Viele sehen darin was Homoerotisches.“

Ich war gespannt wie er darauf reagieren würde.

„Echt? Hm … kann schon sein. Jedenfalls find ich es toll, wie sie aufeinander aufpassen.“

„Allein hätte Frodo es jedenfalls nicht geschafft. Gandalf hat schon gewusst, was er tat, als er Sam hinter ihm hergeschickt hat.“

„Was hältst du von den Filmen?“

„Hab ich mir nicht angeschaut. Ich hab Angst dass sie meine ganze Vorstellung von Mittelerde zerstören.“

„Ja, das passiert normalerweise. Ich bin bei Buchverfilmungen auch immer skeptisch. Aber Jackson hat das echt gut gemacht. Die Charaktere sind so echt und die Story ist gut adaptiert. Ich war echt alle drei Mal total begeistert. Ich hab mir sogar die Special-Edition-DVDs gekauft.“

„Naja, vielleicht ändere ich meine Meinung doch noch …“

„Ich muss jetzt lesen gehen, bin grad an ’ner echt spannenden Stelle. Aber war schön mit dir zu Schreiben, David.“

„Danke gleichfalls, Max.“

„Bis dann.“

„Ciao.“

Ich ertappte mich dabei, dass ich grinste. Ich mochte es, dass er sich keine Ausrede einfallen ließ, um den Chat zu beenden, sondern einfach sagte, was er wollte. Und was er über Frodo und Sam gesagt hatte … das war genau das, was ich so toll fand an den Gefährten. Und die Biberbrüder kannte und schätzte kaum jemand in meiner Umgebung. Ich legte mich auf mein Bett und las irgendwie lustlos. Bald schaute ich immer wieder nach, ob er vielleicht wieder online kam. Aber das Feld neben seinem Namen blieb dunkel. Ich aktualisierte alle paar Minuten, bis ich weg döste.

Als ich aufwachte, war es stockfinster geworden und nur der Monitor erleuchtete eine Ecke meines Zimmers. Benommen stand ich auf und aktualisierte wieder. Und da war das Feld gelb. Es war zwei Uhr Morgens, aber ich war sofort hellwach.

„Hey, na, hast du tolle Abenteuer erlebt?“

„Hey! Ja, klasse Buch. Der zweite Teil kommt hoffentlich morgen mit der Post.“

„Ich will dich ja nicht entmutigen, aber morgen ist Sonntag …“

„Neeeeeeiiiiiin!!“

„Oh je, du vergisst schon welcher Tag ist. Das ist symptomatisch für das schwarze Loch nach dem Abi …“

„Was mach ich denn jetzt morgen den ganzen Tag?“

Sofort war dieser Gedanke in meinem Kopf. Die Herr der Ringe-Trilogie mit mir anschauen, wollte ich schreiben. Aber dann besann ich mich. Wie würde das denn wirken? Ein wildfremder Kerl den man gerade erst online kennengelernt hat. Außerdem musste ich arbeiten.

„Naja, du wirst schon was finden. Das Wetter wird sicher wieder schön …“

„Reden wir jetzt echt übers Wetter?“

Ich tippte einen lachenden Smiley ein.

„Warum nicht? Und über Lokalpolitik.“

„So verzweifelt unterhalten zu werden bin ich dann doch nicht.“

„Jetzt bin ich voll im Zugzwang, sonst rennst du mir wieder weg.“

„Keine Sorge, das Buch ist ja ausgelesen. Also, dann stell ich mal die große Frage:“

Mir wurde heiß.

„Die große Frage?“

„Ja! Die einen jeder fragt. Was willst du denn dann mal werden, wenn du groß bist?“

Ich atmete erleichtert aus.

„Ach so. Psychologe. Du?“

„Physiker.“

„Das fängt beides mit P an und hat ein y drin.“

Warum hatte ich den Scheiß nur abgeschickt? Aber ein lachender Smiley kam zurück und dahinter stand:

„Uuuh, wir sind seelenverwandt!“

Irgendwie musste ich schlucken … denn damit hatte er eine meiner größten Sehnsüchte getroffen. Ich beschloss, ihm einfach zu schreiben, was mir dazu einfiel.

„Ich hab damals nach dem Abi eine Liste gemacht, mit Dingen, die ich unbedingt tun muss. Vieles hat noch nicht geklappt …“

„Was stand da so drauf?“

„Einen Seelenverwandten finden, zum Beispiel.“

„Glaubst du echt an sowas?“

„Natürlich. Bei den Milliarden von Menschen da draußen muss es doch einen geben, der die Welt mit meinen Augen sieht.“

„Und dann ist es auch wahrscheinlich, dass der in deiner Nähe lebt, weil ja durch die Sozialisation die Weltsicht bestimmt wird und so …“

„Genau, das ist auch meine Theorie.“

„Also halt die Augen auf. Dein Seelenverwandter könnte näher sein, als du denkst …“

Ich musste schlucken. Das Gespräch entwickelte sich in eine ganz seltsame Richtung. Bevor ich antwortete, flatterte schon die nächste Nachricht von ihm herein.

„Sollen wir lieber doch übers Wetter reden?“

Ich lachte laut los und schrieb ihm das auch.

„In der Schule hast du nie gelacht. Da hast du immer recht ernst dreingeschaut.“

„Ich komm mir plötzlich so beobachtet vor …*über Schulter schau*“

„Hihi, neeeee! Ich beobachte generell gern.“

„Ist das nicht mein Job als künftiger Psychologe?“

„Vielleicht sollte ich doch noch meine Studiengangwahl überdenken?“

„Vielleicht.“

„Also, dann bleiben wir doch gleich mal auf der tiefschürfenden Ebene: Glaubst du an Gott?“

„Äääääh, dazu könnte/müsste ich dir jetzt ’nen ganzen Aufsatz schreiben …“

„Ja oder nein? Entscheid dich.“

„Dann nein. Du?“

„Allein um das Gespräch interessant zu halten, muss ich ja jetzt ja sagen.“

„Na gut, aber jetzt will ich mich doch kurz erklären. Es ist nämlich so: Mir ist egal, ob es einen Gott gibt.“

„Oh … okay … interessante Einstellung, erzähl mal.“

„Ich versuche immer, das Richtige zu tun, egal ob es da oben einen Gott gibt, der mich dafür belohnt oder nicht. Es macht für mich keinen Unterschied.“

„Und woher nimmst du das Wissen darüber, was richtig und falsch ist?“

„Ich kann doch die Bibel lesen und mir denken, ja stimmt, das ist sinnvoll, da haben sich ein paar kluge Leute zusammengesetzt und das aufgeschrieben.“

„Stimmt. Aber woher nimmst du die Kraft, immer das Richtige zu tun, wenn das Falsche so viel leichter wäre?“

„Eine Mischung aus Karma und Empathie.“

„?“

„Ich glaube, dass alles schon irgendwann auf einen zurückfällt. Aber nicht durch eine andere Kraft, sondern durch Rache, oder auch durch mein eigenes schlechtes Gewissen. Und ich würde nie jemand anderem Leid zufügen, weil ich mir dann immer vorstellen müsste, wie es dem geht …“

„Hört sich an, als würde das für dich funktionieren.“

„Ja, das tut es.“

„Trotzdem braucht man dazu schon viel Kraft, die hat bestimmt nicht jeder.“

„Und für die gibt es ja zum Glück die Religion.“

„Willst du sagen, Glauben ist ein Zeichen von Schwäche?“

„Das würde ich mir nie anmaßen. Ich würde nie über jemanden ein Urteil fällen, wegen dem, woran er glaubt. Das ist einfach viel zu persönlich und geht eigentlich niemanden etwas an.“

„Dann danke, dass du deinen Glauben mit mir geteilt hast.“

„Ich hab das Gefühl, dass ich ehrlich zu dir sein kann.“

„Das kannst du auch. So, ich schlaf schon fast ein und muss morgen früh raus.“

„Gehst du etwa in die Kirche oder so?“

„Gut geraten. Aber nur weil ich gezwungen werde. Ich werde wegen meines Glaubens verfolgt. Von meinen Eltern. Sie verstehen einfach nicht, wie ich mich für was anderes als den katholischen Glauben einsetzen kann.“

„Was glaubst du denn?“

„Wenn du morgen Abend wieder hier bist, erzähl ich es dir.“

„Gut, so ab elf, davor muss ich arbeiten.“

„Okay, dann bis morgen.“

„Bis morgen.“

Das Feld neben seinem Namen wurde wieder dunkel. Es war fast vier. Ich hatte überhaupt nicht gemerkt wie die Zeit vergangen war, während ich auf seine Nachrichten gewartet hatte. Er hatte wohl gleichzeitig noch mit jemand anderem geschrieben. Ich fragte mich mit wem …

Ich schlief bis zehn, dann stand ich auf und las mir unser Gespräch nochmal durch, mit einem Grinsen das gar nicht mehr verschwinden wollte. Vielleicht war er ja der, den ich gesucht hatte. Aber kaum hatte ich den Gedanken gedacht, schüttelte ich auch schon über mich selbst den Kopf. Wir hatten ein paar Stunden gemailt, das war alles. Ja, aber über so wichtige Themen. Ich hatte ihm Gedanken anvertraut, die ich noch nie mit jemandem geteilt hatte … unter dem Deckmantel der Anonymität. Aber nur für ihn. Er kannte mich ja. Vielleicht wusste er sogar, wo ich arbeitete und machte sich den Spaß, sich ins Restaurant meiner Tante zu setzen und sich von mir bedienen zu lassen. Was, wenn er plötzlich vor mir stünde? Was, wenn er hässlich war? Ich beschloss, so bald wie möglich einen alten Jahresbericht aufzutreiben.

Meine Tante fragte mich an dem Tag oft, wo ich bloß meinen Kopf hatte. Ständig fiel mir irgendwas runter oder ich vergaß Bestellungen oder ich starte einfach Löcher in die Luft. Der Tag konnte nicht schnell genug vorbei sein.

Um zehn hatte ich endlich Feierabend. Ich trat in die Pedale und war in zehn Minuten zu Hause, normalerweise brauchte ich 20. Dafür musste ich, nachdem ich den PC angeschaltet hatte, erst mal unter die Dusche.

Um halb elf war er noch nicht da. Ich legte mich mit dem Herrn der Ringe aufs Bett und studierte Landkarten, während ich zwischendurch immer fleißig F5 drückte. Es wurde halb zwölf, bis sein Feld endlich gelb leuchtete. Ich beschloss, trotz meiner Ungeduld, darauf zu warten, bis er mich anschrieb. Bis dahin vergingen weitere zehn Minuten.

„Hey! Sorry, bin grad erst heimgekommen. Na, wie war die Arbeit?“

„Wie immer. Wo warst du denn unterwegs?“

„Ach, mit eine paar ehemaligen (ja das kann ich jetzt sagen) Klassenkameraden am See. Lagerfeuer, grillen, sowas halt.“

„Also?“

„Oh Gott, jetzt bin ich da gerade überhaupt nicht drinnen.“

„Wir können auch wieder übers Wetter reden.“

„Ja, du kannst dem Regen danken, dass ich wieder da bin. Die hatten sogar überlegt, unter freiem Himmel zu schlafen.“

„Danke, lieber Gott des Regens. ; )“

„Na gut, also, ich bin überzeugt, dass es eine Kraft gibt, die uns alle verbindet. Wenn ich jemandem Leid zufüge, dann füge ich auch mir selbst Leid zu. Und die Welt wird erst dann ein besserer Ort, wenn wir das alle verstanden haben.“

„Das hört sich irgendwie voll kitschig an …“

„Dacht ich mir auch gerade, als ich es mir nochmal durchgelesen habe … Kennst du den Markus Mann?“

„Da klingelt was, ja.“

„Der hat heute zu tief ins Glas geschaut und musste auf meinem Gepäckträger mitfahren.“

„Ist das nicht dieser riesige Kerl? Und grad leicht schaut der auch nicht aus. Warum ham sie den denn dir aufgebrummt?“

„Willst du wissen, ob ich stämmig bin, hm?“

Ertappt …

„Nein, ich … na gut … hey, ich will eben wissen, mit wem ich schreibe.“

„Was sagt denn meine Figur über mich aus?“

„Nichts Wichtiges … ach, vergiss es …“

„Da hast du dich ganz schön reingeritten, was?“

„Erlös mich!“

„Na gut. Hast du Geschwister?“

„Eine kleine Schwester. Du?“

„Nein, niemanden.“

„Ich hab mir oft gewünscht, ein Einzelkind zu sein.“

„Und ich hab mir oft Geschwister gewünscht …“

„Tja, man will immer das, was man nicht haben kann …“

„Nur zu wahr …“

„Was wünscht du dir noch, was du nicht haben kannst?“

„Ach, einiges … aber nichts, was man einfach so erklären könnte …“

„Na gut …“

„Sei nicht sauer, ja?“

„Ach Quatsch …“

„Es ist nur … wir kennen uns eigentlich gar nicht …“

„Ich weiß. Aber gerade deshalb fällt es mir leicht, mit dir über solche Sachen zu reden …“

„Ich wüsste gerne von wem ich meine Augen habe.“

„Häh?“

„Die sind grün und die meiner Eltern sind blau.“

„Du denkst also …“

„Nein, ich weiß. Aber ich weiß auch, dass ich sie nicht danach fragen kann, ohne sie zu verletzen …“

„Ist es wirklich so wichtig? Ich meine, es sind nur Gene … die Erziehung macht viel mehr aus …“

„Ich weiß, … trotzdem ist da irgendwie ein Loch …“

„Verstehe … und wenn du ihnen das erklärst?“

„Wenn ich nur in die Nähe dieses Themas komme, dann seh ich die Angst in ihren Augen. Nein, keine Chance. Dieses Geheimnis werden sie wohl mit ins Grab nehmen …“

„Tut mir Leid …“

„Schon okay, ich leb damit schon seit einer Weile …Was ist dein größter Wunsch?“

„Ein eigenes Zuhause, mit Menschen die ich liebe.“

„Soll das heißen, du liebst deine Eltern nicht?“

„Doch, sie sind ja meine Eltern … aber von Harmonie ist hier nicht viel zu spüren.“

„Ich dachte, deine Eltern leben getrennt?“

„Du weißt ja ganz schön viel …“

„In so einer Kleinstadt wird viel getratscht …“

„‚Getrennt‘ bedeutet, dass mein Dad nach nebenan gezogen ist. Ich seh ihn nicht seltener als früher. Nur dass er jetzt ungestört Besuch empfangen kann, was meine Mum sehr wütend macht, wie man sich vorstellen kann …“

„Aber wenn sie doch getrennt sind …“

„Ja, das sag ich ihr auch immer …“

„Eltern, hm?“

„Ja, schrecklich …“

„Ich muss bald ins Bett …“

„Wirklich, schon?“

„Ich hab meiner Freundin versprochen morgen mit ihr einkaufen zu fahren …“

Mein Herz blieb stehen. Natürlich. Seiner Freundin … was hatte ich auch erwartet?

„David?“

„Hm?“

„Warum schreibst du nicht mehr?“

„Meine Schwester war kurz da und brauchte was …“, log ich.

„Achso … jedenfalls … Claudi will mit dem Zug um kurz nach neun fahren. Wenn es ums Shoppen geht, versteht sie keinen Spaß …“

„Claudi? Die etwas durchgeknallte, die mit Hannes gegangen ist?“

„Genau die. Ich hab sie gewarnt, aber sie wollte nicht auf mich hören. Der Kerl hat sie böse abserviert …“

„Und seit wann seid ihr zusammen?“

„Was?! Nein! Wir sind Freunde. Beste Freunde, eigentlich schon immer.“

Ich kann gar nicht sagen, wie erleichtert ich war. Es machte mir selbst Angst. Ich steigerte mich da total in etwas hinein. Das musste ein Ende haben.

„Aso. Na gut, dann schlaf gut.“

„Sehen wir uns morgen Abend wieder hier?“

„Weiß noch nicht. Also bis dann.“

„Bis dann, und gute Nacht, David.“

Die Art, wie er meinen Namen verwendete, jagte mir einen angenehmen Schauer über den Rücken. Trotzdem beschloss ich, die nächsten Tage erst mal ohne Internet zu verbringen.

Am Montag bot ich an, im Restaurant auszuhelfen. Nachdem ich den zweiten Teller zerdeppert hatte, nahm meine Tante, die Schwester meiner Mutter, mich zur Seite.

„Was ist denn bloß los mit dir?“

„Ich weiß auch nicht, ich kann mich einfach nicht konzentrieren …“

„Hast du Stress mit einem Mädchen? Du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst.“

„Schon okay, wirklich …“

„Also geht es um ein Mädchen? Jetzt erzähl schon!“

„Na gut … wir haben uns online kennengelernt. Ich hab keine Ahnung wie … sie aussieht. Aber ich mag sie wirklich. Unsere Gespräche waren … einfach einmalig.“

„Und jetzt hast du Schiss, dass sie nicht das Gleiche empfindet, oder vielleicht doch, aber leider hässlich wie die Nacht ist?“

Ich nickte nur.

„Dann musst du sie treffen!“

„Das geht nicht so einfach …“

„Warum denn nicht?“

Weil es ein Kerl ist, und wenn ich mich zu weit aus dem Fenster lehne und er sich als Tratschweib entpuppt, dann weiß bald die ganze Stadt über mich Bescheid. Aber das konnte ich ihr natürlich nicht sagen … Ich zuckte nur mit den Schultern.

„Du gehst jetzt erst mal und genießt den restlichen Nachmittag. Es ist nicht mal vier, fahr an einen Weiher oder sowas.“

„Sicher?“

„Klar, bevor du noch mehr zerstörst. Geh schon.“

Zu Hause packte ich schnell ein paar Sachen zusammen und schon war ich auf dem Weg zu einem Baggerweiher, keine Viertelstunde entfernt. Ich ging an das ruhigere Ufer, denn auf der anderen Seite genossen einige Familien mit vielen Kindern das schöne Wetter bevor es in ein paar Tagen wieder schlechter werden sollte. Kaum hatte ich mich eingerichtet, die Headphones eingestöpselt und die Seite wieder gefunden, auf der ich war, zog schon eine ganze Horde an mir vorbei und ließ sich an ‚meinem‘ ruhigen Ufer nieder. Einige kannte ich vom Sehen. Die Mädels waren in der Mittelstufe gewesen, als ich Abi gemacht hatte. Jetzt hatten sie sich scheinbar ein paar ältere Jungs angelacht. Die zehn Leute machten einen Lärm wie 50, das hörte ich sogar durch meine Headphones. Als sie einen Ghetto-Blaster auspackten und voll aufdrehten, wollte ich schon umziehen, aber die Beschallung reichte sicher für den ganzen See. Ich machte meine eigene Musik lauter bis mir die Ohren wehtaten. Resigniert machte ich aus, ließ die Stopseln aber drinnen, in der Hoffnung, sie mögen die Elektro-Mucke etwas dämpfen. Ich las schon zum dritten Mal dieselbe Zeile. Im Wasser kreischten die Mädels als die Jungs versuchten durch ihre Beine zu tauchen. Ich war fest entschlossen, wenigstens dieses Kapitel fertig zu lesen. Einige fingen an, Frisbee zu spielen. Offensichtlich lag ich ihnen im Weg, aber ich machte keine Anstalten, zu verschwinden. Immerhin war ich zuerst hier gewesen. Ich drehte mich auf den Bauch und schaffte es erstaunlich gut, den Rest auszublenden. Bald war ich auf der letzten Seite des Kapitels.

„Achtung!“

Ich zuckte arg zusammen, als die Frisbee-Scheibe auf meinem Rücken landete. Wütend fuhr ich herum.

„Sorry, sorry, sorry!“

Einer der Spieler rannte schon auf mich zu.

„Ich hab noch versucht, dich zu warnen. Ich hatte wohl den Wind nicht einberechnet … Alles okay?“

Er schaute so schuldbewusst, dass ich ihn nicht mehr anschnauzen konnte, obwohl ich große Lust dazu gehabt hätte.

„Jaja …“

Ich gab ihm die Scheibe.

„Wir haben dich hier ganz schön belagert, hm?“

„Hier war es schön ruhig, ja …“

„Hast du’s bald?“

Seine Freunde wurden langsam ungeduldig. Mit einer Grimasse schleuderte er die Scheibe weg, und der Wind trug sie weit in den See.

„Na wunderbar!“

„Sorry! …Siehst du, ich hab den Wind schon wieder nicht einberechnet …“

Er machte keine Anstalten zu verschwinden.

„Was liest du denn da? Ah, der Herr der Ringe.“

Er ließ sich auf mein Handtuch fallen und redete einfach weiter.

„Weißt du, mir war die Story-Line mit Frodo und Sam immer am liebsten. Wie sie sich umeinander kümmern und so. Das sieht der Gott des Regens bestimmt gerne.“

Für einen Moment muss ich ihn absolut verständnislos angeschaut haben, bis es plötzlich klick machte.

„Jetzt hast du’s, was?“

Er streckte mir die Hand hin.

„Max.“

„David.“

„Ich verfolge dich nicht oder sowas.“

„Gut …. ich bin immer noch etwas perplex …“

„War ich auch, als ich dich vorhin hier liegen hab sehen.“

„Du bist ja gar nicht stämmig.“

„Hab ich ja auch nie behauptet. Ich war nur der einzige mit Gepäckträger.“

Ich musterte ihn so lang ich es wagte. Er sah gut aus. Puh, Glück gehabt. Er war schlank, etwa so groß wie ich, zumindest soweit ich das im Sitzen beurteilen konnte. Seine Haare waren hellbraun mit einem Kupferstich. Und diese Augen! Leuchtendes Grün! Ich wusste plötzlich überhaupt nicht mehr, was ich sagen sollte.

„Immerhin weißt du jetzt mit wem du schreibst.“

„Du siehst so gut aus … äh, ich … ich meine, man hört doch immer von diesen assligen Typen die sich in irgendwelchen Chatrooms rumtreiben, weil im echten Leben niemand auch nur in ihre Nähe kommen will …“

„Ach, ich sitz eh die ganze Zeit am PC um das mit meiner Ausmusterung zu regeln. Ich hoffe, ich hab dich nicht zu lang auf meine Antworten warten lassen …“

Das war es also, er hatte gar nicht mit jemand anderem geschrieben.

„Ach Quatsch, ich hab mir die Zeit schon vertrieben …“

„Naja, ich werd mal ins Wasser gehen. Kommst du mit? Ich will zu der Insel schwimmen.“

„Da rüber? Hast du nicht gehört, dass es da spuken soll?“

„Nur nachts. Also was ist jetzt?“

„Ich glaub ich passe.“

„Bist du noch da, wenn ich zurückkomme?“

Ich nickte und er stürzte sich in die Fluten. Oh mein Gott, er war einfach perfekt. Ich bekam plötzlich Angst. Alles schien so gut zu laufen. Irgendwo musste doch ein Haken sein. Und ich konnte mir auch schon denken wo.

Ich zerbrach mir den Kopf, ob ich ihm lieber gleich sagen sollte, dass ich schwul bin, um es hinter mich zu bringen und es nicht ewig ängstlich vor mir herzuschieben. Aber ich kannte ihn doch kaum. Ich konnte ihm doch nicht das sagen, was ich noch niemandem je gesagt hatte, nach zwei Tagen … andererseits hatte er gesagt, ich könne immer ehrlich zu ihm sein … aber damit hatte er vermutlich nicht gerechnet, sonst wäre er mit solchen Aussagen vorsichtiger gewesen. Ein kalter Schauer traf mich.

„Waaaah!“

„Bin wieder da.“

„Ein ‚Hallo‘ hätte mich das auch wissen lassen.“

„Wo bleibt da der Spaß? Darf ich?“

„Klar.“

Er legte sich neben mich und ich ertappte mich dabei, wie ich die Wasserperlen auf seiner hellen, gleichmäßigen Haut musterte. Schnell steckte ich die Nase wieder ins Buch.

„Wo bist du gerade?“

„Merry und Pippin haben vor ein paar Seiten Baumbart getroffen.“

„Der erinnert mich so an meinen Vater. Der lässt sich mit wichtigen Entscheidungen auch ewig Zeit … Liest du mir vor?“

„Ehm, okay … Baumbart singt den Hobbits grad was vor …“

Nach ein paar Seiten schaute ich zu ihm rüber.

„Schläfst du?“

Das Ausbleiben einer Antwort deutete ich als ja und las still weiter. Ich wagte es kaum, mich zu rühren. Verstohlen musterte ich die Muskelstränge auf seinem Rücken und die Badehose, die eng anlag, weil sie nass war. Irgendwie fühlte es sich falsch an, ihn auf diese Art anzuschauen, während er nichts dagegen tun konnte. Ich vertiefte mich wieder in mein Buch. Es war fast sechs, aber die Sonne brannte noch immer vom Himmel. Auf Max’ Rücken waren schon ein paar Stellen gerötet. Ich hätte es nicht gewagt ihn anzufassen um Sonnencreme zu verteilen, also deckte ich ihn mit meinem Handtuch zu. Er schmiegte sich dankbar hinein und schlief weiter. Ich wunderte mich langsam, dass keiner seiner Freunde mal rüber kam oder sowas. Aber so war es mir eh lieber. Ich las noch ein paar Seiten während die Sonne langsam unterging. Max regte sich. Er zog das Handtuch beiseite und streckte sich gähnend. Das Spiel der Muskeln unter der Haut machte mich verrückt. Dann lächelte er mich auch noch an.

„Ich muss ins Wasser.“

…denn ich brauchte dringend eine Abkühlung.

„Was? Jetzt noch? Du wirst nie wieder trocken!“

Da stand ich schon bis zur Hüfte im Weiher und tauchte unter. Als ich wieder auftauchte, sah ich, dass die anderen ihre Sachen packten. Toll, jetzt würde ich also allein zurückbleiben um die letzten Sonnenstrahlen dazu zu nutzen, mich noch ein bisschen zu trocknen, bevor mir der kalte Fahrtwind eine Hirnhautentzündung bescheren würde. Ich stapfte ans Ufer und merkte, dass selbst am Familien-Ufer nur noch einzelne Leute saßen, die bereits packten. Max kam mir mit meinem Handtuch entgegen.

„Hier. Wenn du dir mal keine Erkältung holst …“

„Danke. Ich setz mich hier noch ne Weile hin und dann fahr ich langsam heim, halb so schlimm …Wir sehen uns dann heut Nacht online, hm?“

„Du glaubst doch nicht, dass ich dich hier nass und frierend in der Dämmerung zurücklasse, oder?“

„Aber deine Leute …“

„Lass sie doch gehen, dann wird es hier wenigstens wieder etwas ruhiger. Schau, ich bin noch von gestern bestens ausgerüstet. Ich hab Kerzen und Bier und eine Decke.“

„Dem Regengott sei Dank.“

Während ich mich abtrocknete und umzog, holte Max seinen Rucksack und seine Gitarre rüber.

„Du spielst also Gitarre?“

„Für Lagerfeuermusik reicht es. Hier.“

Er gab mir eine Dose Bier und lies sich mit seiner eigenen auf meinem Handtuch nieder.

„Nimm die Decke. Du zitterst ja.“

„Ach, das Bier macht’s schon warm.“

„Wie du willst, aber wehe du schreibst mir morgen, dass du dich erkältet hast …“

„Na gut, gib schon her … grins nicht so, sonst werf ich dich gleich auch noch ins Wasser.“

„Oooooh, jetzt hab ich aber Angst.“

Wir nahmen beide einen Schluck aus unseren Dosen.

„Also, das waren deine Leute?“

„Ein paar davon, aber wenn diese kleinen Tussen dabei sind, führen sie sich auf wie die letzten Idioten.“

„Ist mir aufgefallen …“

„Du hättest dein Gesicht sehn sollen, als wir ankamen. Und als die Musik anging.“

„Und als du mit dem Frisbee nach mir geworfen hast …“

„Das war echt keine Absicht. Ich hab die ganze Zeit überlegt, ob ich mich enttarnen soll, und dann hat der Windgott für mich entschieden.“

„Und das war auch gut so, du Feigling. Ich wollte endlich wissen, mit wem ich es zu tun habe.“

„Und, kennst du mich?“

„Vom Sehen, klar.“

„Wir haben beim Sportfest letztes Jahr im gleichen Basketball-Team gespielt.“

„Ich hab so ein schlechtes Gedächtnis. Wo ist denn Claudi? An die erinnert man sich.“

„Verwandtschaftsbesuch, sie kann sich nur zwischendurch mal davonstehlen. Deshalb ist mir ja auch so langweilig …“

„Ist dein Buch heute angekommen?“

„Ja, ich hab’s schon halb durch.“

„Was liest du eigentlich?“

„Die Schattengilde-Reihe. Sagt dir das was?“

„Nö, überhaupt nicht.“

„Lynn Flewelling. Ich kann die Bücher echt kaum noch aus der Hand legen.“

„Wenn du lieber lesen willst …“

„Im Kerzenlicht mach ich mir bloß die Augen kaputt. Kannst du singen?“

„Nicht wirklich gut …“

„Komm schon. Knocking on Heaven’s Door und Summer of 69 wirst du ja wohl noch hinbekommen. Und es macht warm.“

„Du spielst gut, und du hast ne tolle Stimme.“

„Danke, und du warst viel zu bescheiden. Man kann sich deinen Gesang durchaus anhören. Hey, wie wär’s damit?

And now, the end is near

And so I face the final curtain”

„Oh, my way!”

Ich stimmte mit ein, so tief ich konnte.

„My friend, I'll say it clear

I'll state my case, of which I'm certain

I've lived a life that's full

I traveled each and ev'ry highway

And more, much more than this, I did it my way

Regrets, I've had a few

But then again, too few to mention

I did what I had to do and saw it through without exemption

I planned each charted course, each careful step along the byway

And more, much more than this, I did it my way”

Von da an sang er alleine weiter.

„For what is a man, what has he got?

If not himself, then he has naught

To say the things he truly feels and not the words of one who kneels

The record shows I took the blows and did it my way!”

(c) Frank Sinatra - My Way

Musik: Jacques Revaux & Claude Francois

Originaltext: Gilles Thibault

Englische Übersetzung: Paul Anka.

Arr. der Sinatra-Version: Don Costa

Ich war total gebannt. Er fühlte, was er sang, das konnte ich spüren. Er meinte:

„Mann, der Song trifft es einfach total. Genau darum geht es. Dass du am Ende auf dein Leben zurückschaust und nichts bedauerst, weil du weißt, dass du es auf deine Art getan hast. Wenn man erkennt, dass auch all die schlechten Erfahrungen wichtig waren, um einen zu dem zu machen, der man ist. Verstehst du? David, alles okay?“

„Ich … ja. Diese eine Zeile … ‚To say the things he truly feels and not the words of one who kneels‘ das ist genau mein Problem. Ich kann es einfach nicht sagen.“

„Was denn?“

„Was ich wirklich fühle, wer ich wirklich bin. Ich muss es verstecken, weil ich nicht damit leben könnte, dass alle über mich Bescheid wissen. Ich verstecke mich schon so lang, und ich hab Angst, dass ich irgendwann zurückschaue und erkenne, dass mein ganzes Leben nichts wert war, weil ich mich immer hinter dieser einen großen fetten Lüge versteckt habe.“

„Du weinst ja. Was ist los? David, mir kannst du es sagen, ich werde nichts weitererzählen.“

„Ich kann nicht. Ich kann einfach nicht! Ich muss jetzt los.“

Ich kann mich kaum noch daran erinnern, meine Sachen zusammengerafft zu haben. Der Fahrtwind ließ mich erschauern, meine feuchten Haare fühlten sich an wie Eis. Ich versuchte, an nichts zu denken, aber immer wieder musste ich an Max denken, und an seinen nackten Oberkörper, daran, wie gern ich ihn berührt hätte und wie gern ich ihm alles über mich erzählt hätte. Aber die Panik hatte mich ergriffen. Ich brachte es einfach nicht über die Lippen. Ich hatte Angst was das für Folgen haben konnte.

Im Wohnzimmer brannte noch Licht.

„David? Da bist du ja. Ich hab dir Lasagne aufgehoben.“

„Schon gegessen. Gut Nacht.“

„Du bist ja ganz nass. Du holst dir ja eine Lungenentzündung. Nimm ein warmes Bad bevor du ins Bett gehst. Soll ich dir Tee machen?“

„Ich will einfach nur schlafen, okay?“

„Okay. Dann reden wir morgen.“

In der schützenden Dunkelheit in meinem Zimmer ließ ich meinen Gefühlen und Sehnsüchten freien Lauf.

Am Morgen redete ich mir ein, dass ich mit der ganzen Sache abgeschlossen hatte. Ich würde mich einfach dagegen entscheiden. Ich konnte immer noch selbst entscheiden, wer ich sein wollte und wer nicht. Und ich wollte sicher nicht der einzige Schwule in dieser Kleinstadt sein. Ich war stark genug, das durchzuhalten, das sagte ich mir immer wieder.

Ich war froh um die Beschäftigung im Restaurant. Dienstags gab es immer ein besonders günstiges Pasta-Angebot und der Laden war voll. Diesmal konnte ich es mir nicht leisten, Geschirr fallen zu lassen, ich musste einfach funktionieren und das machte meinen Kopf frei. Als der größte Ansturm vorbei war, kam meine Mutter.

„Hast du ein paar Minuten, um mit mir zu essen?“

„Ich denke schon. Was magst du denn?“

„Das Tagesangebot.“

„Kommt sofort.“

„Bitteschön. Also, was gibt’s?“

„Was war denn gestern los?“

„Ich war einfach nur müde und durchgefroren und wollte ins Bett, das ist alles.“

„Wenn du nicht mit mir reden willst, dann versprich mir, dass du mit jemand anderen redest.“

„Was auch immer. Mach dir keine Sorgen. War das alles?“

„Nein … dein Vater und ich, wir haben beschlossen, dass du das Geld schon jetzt bekommen sollst.“

„Was für Geld?“

„Du weißt schon, die Unterhaltszahlungen. Dann kannst du dir ein kleines Auto kaufen und am Wochenende heimfahren, wenn du keinen Studienplatz in der Nähe bekommst.“

„Warum das jetzt plötzlich?“

„Das ist für uns günstiger, wenn es um die Aufteilung geht … Wir haben die Scheidung eingereicht.“

„So schnell schon?“

„Wir wollen einen klaren Schnitt, auch für deine Schwester und dich.“

„Hast du schon mit Klara geredet?“

„Nein, noch nicht. Ich wollte erst mit dir reden.“

„Wozu, werde ich nach meiner Meinung gefragt?“

„Nein, die Scheidung ist beschlossene Sache.“

„Dann ist die Sache doch erledigt. Hab es zur Kenntnis genommen.“

„Du wirst immer zynisch wenn du verletzt bist. Es tut mir Leid …“

„So ist es besser für alle Beteiligten. Ich bin bloß gespannt, wie ihr das mit dem klaren Schnitt hinbekommen wollt, wenn Dad nebenan bei Oma und Opa wohnt …“

„Darüber solltest du mit ihm selbst reden.“

„Zieht er weg?“

„Red mit ihm darüber. Und jetzt iss. Cora braucht dich bestimmt bald wieder.“

Der Tag wurde immer besser, und gerade als ich dachte schlimmer kann es gar nicht kommen, stand Max plötzlich vor mir.

„Hey.“

„Hey.“

„Du hast dein Handtuch vergessen.“

Er hielt es mir hin, offensichtlich frisch gewaschen.

„Oh … danke.“

„Ich bin gerade auf dem Weg zum Weiher … wie lange musst du denn noch arbeiten?“

Ich wollte ihm gerade vorlügen, dass ich leider bis Abends viel zu tun hatte, da kam Cora an.

„Na, wer hält hier meine Angestellten von der Arbeit ab?“

„Oh, tut mir Leid, ich bin schon wieder weg.“

„Na jetzt warte doch mal. Ich kenn dich doch, oder?“

„Mex Weller. Ich wohne …“

„Auf dem alten Heider-Anwesen, na klar.“

„Genau …“

„Da wohnst du? In dem alten Herrenhaus?“

„Meine Eltern haben es vor zehn Jahren gekauft und ewig renoviert. Ich hab seitdem immer meine Ferien hier verbracht und vor vier Jahren sind wir ganz hergezogen.“

„Und was habt ihr beiden jetzt vor?“

„Ich war gerade auf dem Weg zum Weiher und …“

„Geh ruhig, David. Hier ist eh nicht mehr viel los.“

„Aber …“

„Jetzt geh schon, bevor ich es mir anders überlege.“

Damit hatte ich wohl keine Wahl mehr. Ich holte mein Rad während Max neben mir herschob.

„Wenn du willst, kannst du eine Badehose von mir haben, dann müssen wir nicht extra zu deinem Haus zurück und können den Waldweg nehmen.“

„Wie du meinst …“

„Ich hab dich ziemlich überrumpelt, hm? Tut mir Leid.“

„Was soll ich denn darauf sagen?“

„Lass uns bei mir zu Hause reden, ja? Meine Eltern sind bis zum Wochenende weg.“

Wir bogen in den Feldweg, der zum alten Heider-Anwesen führt.

„Früher sind wir in der Freinacht immer hier hergekommen und haben Fenster eingeworfen und so. Der früherer Besitzer ist verrückt geworden, heißt es.“

„Naja, senil. Die Erben haben es meinen Eltern günstig verkauft. Die wollten es wohl loswerden.“

„Ich war schon ewig nicht mehr hier. Das sieht echt aus wie neu.“

„War auch monster-viel Arbeit. Komm rein.“

„Irgendwie hat hier alles so einen Südstaaten-Flair.“

„Ja, mein Dad ist ein großer Amerika-Fan …“

„Ist das da draußen eine Pool?“

„Ja, den haben wir seit letztem Sommer. Da war es leider fast immer zu kalt um baden zu gehen.“

„Warum fährst du denn an den Weiher, wenn du einen Pool im Garten hast?“

„Wegen der Gesellschaft.“

„Lad deine Leute doch hierher ein.“

„Du hast die Meute doch gestern erlebt. Das ist keine gute Idee. Außerdem hätte ich dann bald ganz viele Freunde. Willst du was trinken?“

„Ich bin versorgt, danke.“

„Willst du in den Pool?“

„Dann bräuchte ich noch eine Badehose …“

„Kommt sofort.“

Ich war froh zu sehen, dass er ebenfalls die langen weiten favorisierte und ging kurz ins Bad um mich umzuziehen. Als ich zum Pool kam, lag Max bereits auf einer aufblasbaren Liege und ließ sich auf dem Wasser treiben. Ich machte eine Arschbombe und revanchierte mich so für den Schwall kalten Wassers, den ich am Vortag abbekommen hatte.

„Wuaaaah!“

„Haha!“

„Na warte!“

„Was denn, ich bin eh schon nass.“

„Verdammt. Aber ich krieg dich schon wieder.“

„Oh, ich erzittere. Was ist denn das für ein cooles Teil? Was wenn ich dich da runter werfe?“

Er ließ sich gleich mal freiwillig runterrollen und schauderte.

„Das ist sooo kalt …“

„Beweg dich, dann wird es schon wärmer. Wow, so ein Pool eröffnet ganz neue Möglichkeiten …“

„Zum Beispiel?“

Ich spürte wie meine Ohren rot wurden.

„Hier drin rummachen zum Beispiel, hm? Das war auch Claudis erster Gedanke.“

„Und? Hast du?“

„Noch nicht, nein. Hat sich irgendwie noch nicht ergeben …“

„Hast du eine Freundin?“

„Nein. Du?“

Ich schüttelte den Kopf. Max schwamm rückwärts auf den Ausstieg zu.

„Ich glaub ich wärm mich mal ein bisschen auf.“

„Ich komm auch gleich …“

„Lass dir Zeit. Ich hab ein gutes Buch.“

Ich schwamm noch ein paar Bahnen, dann ging ich raus und zog mir einen Liegestuhl neben den von Max.

„Was passiert gerade? Du bist ja schon fast fertig.“

„Ach, ich will dir nicht zu viel verraten, vielleicht liest du das ja irgendwann, aber gerade ist was passiert, worauf ich schon lange gewartet hab. Aber ich bin an einem Kapitel-Ende. Willst du jetzt was trinken?“

„Nein, ich meld mich dann schon.“

Er legte das Buch zur Seite und setzte sich auf.

„Willst du jetzt dann vielleicht über gestern reden?“

Ich war von dieser Direktheit total überrumpelt und setzte mich auch erst mal hin.

„Max, nimm es nicht persönlich, aber ich kann es dir nicht sagen.“

„Sind wir Freunde?“

„Keine Ahnung? Sind wir?“

„Ich bin dein Freund. Ich weiß, wir kennen uns noch nicht lange, aber ich weiß es einfach. Sei ehrlich zu mir, bitte.“

„Ich weiß dass danach alles in die Brüche geht.“

„Nichts was du sagst kann so schlimm sein, dass ich es nicht verstehen kann. Ich will dich nicht nur kennenlernen, ich will alles über dich wissen. Keine Geheimnisse. Die verletzen nur. Ich will einen Menschen, der vollkommen ehrlich zu mir ist und zu dem ich vollkommen ehrlich sein kann.“

„Bist du dir sicher? Wenn ich es erst gesagt habe, dann …“

„Sag es einfach!“

„Na gut. Max, ich bin schwul.“

Sein Blick war nicht so, wie ich es erwartet hatte. Nicht angewidert oder verärgert, aber erstaunt.

„Wirklich?“

„Ja, wirklich.“

„Bist du mit jemandem …“

„Nein! Noch nie.“

„Aber du bist dir sicher?“

„Natürlich bin ich mir sicher.“

„Ich bin irgendwie … ich hatte mit irgendwas ganz schrecklichem gerechnet …“

„Also findest du es nicht schlimm?“

„Magst du mich?“

„Was?!“

„Bitte sei ehrlich.“

„Selbst wenn, dann musst du keine Angst haben, dass ich dir die Klamotten vom Leib reiße und …“

„Scheiß drauf.“

Er glitt von seiner Liege, kniete vor mir und legte mir seine Hand in den Nacken. Mit einem Blick fragte er mich um Erlaubnis und ich schloss die Augen. Seine Lippen waren so warm und so weich. Schon war es wieder vorbei. Seine Hand blieb aber und fuhr durch meine Haare. Ich sah sein freundliches warmes Lächeln plötzlich mit ganz anderen Augen.

„Du auch?“

„Ich auch.“

„Wissen deine Leute Bescheid?“

„Meine Familie nicht, aber ein paar Freunde. Und bei dir?“

„Niemand. Ich hab es noch nie jemandem erzählt.“

„War es okay … ich meine, nur weil wir zufällig beide auf Jungs stehen müssen wir nicht …“

„Doch! Ich meine … doch, es war okay. Mehr als okay. Ich mag dich.“

„Ich mag dich.“

„Ich hab Angst …“

„Hast du schon mal …“

„Es gab ein paar Mädchen, eher um mir selbst was zu beweisen. Aber ich hab noch nie einen Mann geküsst …“

„Willst du nochmal?“

Zur Antwort zog ich ihn an mich. Ich hatte alle meine guten Vorsätze vergessen. Ich hatte Blut geleckt, es gab kein Zurück mehr. Der Geschmack seiner Zunge brachte mich um den Verstand. Ehe ich groß drüber nachdenken konnte, schob er mich schon in die Lehne und lag auf mir. Sein wunderbarer Oberkörper presste sich gegen meinen, ich spürte seinen Herzschlag an meiner Brust und seine Zunge mit meiner tanzen. Es war noch viel besser als ich mir es vorgestellt hatte. Er sah mir in die Augen. Seine Hände erkundeten meinen Hals und meine Schultern. Ich bekam Gänsehaut und zitterte am ganzen Leib. Darauf hatte ich mein Leben lang gewartet. Genau auf dieses Gefühl. Endlich stimmte alles. Ich spürte, wie mir eine Träne über die Wange lief. Max fing sie mit dem Zeigefinger auf, löste sich aus meinem Kuss und zog mich stattdessen in seinen Arm. Eine Weile lagen wir dicht nebeneinander auf der engen Liege.

„Alles okay?“

„Alles ist wunderbar, Max. Siehst du das nicht?“

„Wir sollten es langsam angehen lassen.“

„Ich will dich den ganzen Tag küssen.“

„Bleibst du heute Nach bei mir?“

„Langsam angehen, hm?“

„Wir könnten die Trilogie anschauen, ich würde es mir in deinem Arm bequem machen und dösen, während du dich von Jacksons Meisterwerk begeistern lässt.“

„Hört sich gut an.“

„Also bleibst du?“

„Ich hab nichts anderes vor. Aber jetzt ist es noch strahlender Sonnenschein. Komm in den Pool“

„Kommt dir das Ganze gerade auch irgendwie surreal vor?“

„Allerdings. Vor einer halben Stunde war noch alles anders …“

„Und jetzt kann ich dich küssen, wann immer ich will. Weißt du wie lang ich davon schon geträumt habe?“

„Hast du mich deshalb angeschrieben?“

„Kein Kommentar.“

„Komm her. Ich will dir danken, dass du mich gefunden hast.“

Als wir Händchen haltend in den Pool sprangen sah ich es für einen Moment ganz klar vor Augen. Das Gesicht der Liebe meines Lebens. Sein Gesicht. Mann, jetzt gingen echt die Hormone mit mir durch.

Wir küssten uns eine Weile, engumschlungen und vom Wasser umspült. Ich fühlte mich wie high, als würde ich mir selbst von außen dabei zuschauen, wie ich diesen wunderschönen Mann küsste, den ich schon oft in der Schule gesehen hatte, oder am Bahnhof, oder im Supermarkt, am Weiher … aber nie wäre ich auf die Idee gekommen …

„Wenn wir jetzt nicht aufhören, dann kann ich für nichts mehr garantieren.“

Max schob mich ein Stück zurück und ich ließ es widerwillig zu.

„Ich glaub ich will mit dir schlafen.“

„Ich will auch mit dir schlafen.“

„Warum tun wir es dann nicht einfach?“

Ich konnte selbst kaum glauben, dass ich das gerade gefragt hatte.

„Lass dir Zeit, David. Wir sollten das nicht überstürzen. Dafür ist es viel zu besonders.“

„Du bist so wunderschön.“

„Ach, hör auf …Wie spät ist es wohl?“

„Vielleicht fünf oder so. Langsam wird es kühl, hm?“

„Hast du Hunger?“

„Bald.“

„Lieferservice oder Tiefkühlpizza?“

„Wie wäre es mit kochen?“

„Wenn du was zu Stande bringst, ich nicht so …“

Wir stiegen aus dem Pool und Max wickelte ein großes Handtuch um uns beide. Ich werde nie vergessen, wie er mich angesehen hat als er mich an sich zog.

„Das hier könnte was großes werden, was sehr großes.“

„Ich hoffe es, wirklich.“

„Du bist übrigens auch wunderschön.“

Zum Dank küsste ich ihn und fuhr mit den Händen über seinen Oberkörper. Ich umkreiste seine Brustwarzen und zog meine Bahnen immer kleiner. Er schloss die Augen als ich anfing, seinen Hals zu küssen. Zu spüren, wie er unter meinen Berührungen erzitterte, war das Beste daran. Gerade als meine Lippen kurz davor waren, seine Nippel zu berühren, klingelte mein Handy neben der Liege.

„Meine Mum …“

„Geh schon ran.“

„Hallo?“

„Hallo David. Ich wollte nur sichergehen, dass du zum Abendessen Heim kommst. Euer Vater und ich wollten mit euch beiden reden.“

Das ganze Scheidungsdrama hatte ich ja total verdrängt …

„Wann denn?“

„In einer halben Stunde?“

„Schon? Na gut …“

„Okay, dann bis nachher.“

„Na?“

„Ich muss gleich doch nochmal nach Hause.“

„Ach nein …“

„Tut mir Leid. Aber ich hatte was vergessen …“

„Alles okay?“

„Ja, es ist nur. Meine Eltern lassen sich scheiden, und heute sagen sie es meiner Schwester. Ich mach mir Sorgen um sie.“

„Und wie geht’s dir dabei?“

„Keine Ahnung, ehrlich gesagt … im Moment find ich es nur schlimm, dass uns das den Abend versaut …“

„Meine Eltern kommen erst am Freitag. Wir haben also noch genug Zeit, stress dich nicht.“

„Trotzdem. Ich würde dich am liebsten überhaupt nicht mehr loslassen …“

„Klara ist deine Schwester, oder?“

„Ja, kennst du sie?“

„Sie geht in die Klasse von den Mädels gestern am Weiher.“

„So jung sind die noch?“

„Zwei Jahre jünger als ich.“

„Irgendwie waren drei Jahre früher mehr … für mich bleibt sie wohl immer meine kleine Schwester auf die ich aufpassen muss …“

„Und sie weiß noch nichts von der Scheidung?“

„Nein, und die Trennung hat sie schon so mitgenommen. Sie hofft immer noch, dass es wieder wird. Aber meine Mum hat angedeutet, dass Dad wegzieht. Ach keine Ahnung, ich hör mir jetzt einfach mal an was sie zu sagen haben. Und ich mail dir nachher …“

„Okay. David?“

„Hm?“

„Ich hatte heute den tollsten Nachmittag mit dir.“

„Wart unsere Nächte ab.“

Ich zwinkerte ihm zu und suchte meine Sachen zusammen. Schon war ich auf dem Heimweg. Ich war noch total berauscht von Max’ Küssen und schmeckte ihn immer noch. Heute würde mir nichts mein Glück verderben.

Mein Dad saß schon am Tisch und schaute mich mit ernster Miene an.

„’n Abend.“

„Hey Dad. Wo sind denn die Frauen?“

„Oben. Deine Schwester wusste sofort was los ist, als ich hier zum essen eingelaufen bin.“

„Oh, dann werd ich wohl mal hoch schauen.“

„Warte, ich muss mit dir noch was besprechen.“

Ich setzte mich zu ihm. Mir fiel auf, wie alt mein Vater aussah, dabei war er noch keine 50.

„Ich will nicht lang drum rum reden. Ich ziehe in die große Stadt. Ich hab es satt jeden Tag zu pendeln Und wenn du dort einen Studienplatz bekommst, dann kannst du bei mir wohnen. Wie findest du das?“

„Wow, okay … weiß Klara das schon?“

„Ja, seit zehn Minuten. Ich hab ihr versprochen, dass sie mich jederzeit besuchen kann und dass ich am Wochenende hier raus komme und wir was unternehmen. Ich denke sie muss sich einfach erst mal an den Gedanken gewöhnen …“

„Okay, wow … große Neuigkeiten …“

„Du hattest doch sowieso nicht vor, dir eine eigene Wohnung zu nehmen, oder?“

„Nein, ich wollte pendeln.“

„Na also, dann wäre das doch optimal!“

„Scheint so …“

„Jetzt musst du den Studienplatz nur auch noch bekommen.“

„Das erfahr ich wohl frühestens im August. Wann ziehst du denn um?“

„Zum Ersten Siebten. Du kannst ja auch nachkommen, ab Oktober … überleg’s dir.“

„Okay.“

„Und jetzt sieh mal nach deiner Schwester.“

Mum saß bei Klara auf dem Bett. Beide hatten offensichtlich geweint.

„Wirst du zu ihm ziehen?“

„Keine Ahnung. Vermutlich. Hört sich doch recht sinnvoll an, oder?“

„Verräter.“

Meine Schwester kotzte das Wort geradezu aus, voller Verachtung.

„Bin ich dafür heimgekommen? Damit ich mich jetzt auch noch beschimpfen lassen kann? Ihr solltet euch mal überlegen, ob das nicht der Grund sein könnte, dass Dad es in eurer Nähe nicht mehr aushält! Schönen Abend noch.“

Und schon war ich wieder auf dem Weg nach unten. Ständig hagelte es von allen Seiten Vorwürfe, obwohl ich mit der ganzen Sache so wenig wie möglich zu tun haben wollte. Sollten sie sich doch gegenseitig die Köpfe einschlagen, aber ich hatte nicht vor, meinen Abend so zu verbringen.

„David? Wo willst du denn hin?“

„Sorry Dad, aber auf dieses ganze Rumgezicke hab ich grad echt keinen Bock. Ich bin bei ’nem Freund. Rechnet lieber erst morgen mit mir, wenn überhaupt.“

Ich hatte einen Widerspruch erwartet, aber es kam nichts dergleichen.

Ich beschloss, noch im Supermarkt vorbeizuschauen, um Gummis zu kaufen. Dabei erkannte ich mich selbst nicht wieder. Aber der Gedanke an Max … ich wollte ihn einfach so sehr. Und ich war 20. Es wurde Zeit für mein „richtiges“ erstes Mal. Ich schaute gleich mal, ob ich die Kassiererin kannte. Nein. Gut. Dann machte ich mich auf zum Kondom-Regal, gleich neben den Pflastern. Warum war mir das peinlich, so ein Scheiß. Ich war schließlich ein erwachsener Mann der sich Kondome holte. Das zeugte wenn dann davon, dass ich verantwortungsbewusst war, und dass jemand mit mir Sex haben wollte. Also absolut kein Grund sich zu schämen, eher im Gegenteil.

Trotzdem wäre ich fast rückwärts zurückgegangen, als ich Max vor dem Regal stehen sah. Er hatte also die gleiche Idee gehabt wie ich … nur um vorbereitet zu sein. Er schien sehr vertieft in die Beschreibung auf einer Packungsrückseite. Irgendwie war die ganze Situation komisch. Ich wusste überhaupt nicht, wie ich mich ihm nähern sollte. Ich konnte ihn schließlich nicht einfach in den Arm nehmen und ‚Überraschung!’ rufen …

Während ich aus sicherer Entfernung noch darüber nachdachte, bog Claudi um die andere Ecke. Ganz automatisch schlich ich mich schnell in den nächsten Gang von wo aus ich hören konnte, was sie sagten.

„Soso, hier steckst du.“

„Hast du alles gefunden?“

„Ja. Und du? Gummis, hm?“

„Ich will nur vorbereitet sein.“

„Ich hab wohl ganz schön was verpasst, während ich Tante Trude im Rollstuhl rumkutschiert hab, hm?“

„Mag sein.“

„Also?“

„Hmmm?“

„Tu nicht so! Jemand den ich kenne?“

„Mag schon sein …“

„Jetzt sag schon! Männlich oder weiblich?“

„Männlich.“

„Von hier? Ja? Wer?“

„Jetzt sei nicht so neugierig, ich weiß nicht ob ihm das recht wäre …“

„Hey, ich bin deine beste Freundin! Okay, dann nennen wir ihn eben Hugo.“

„Wie bitte?“

„Is doch egal. Also, Hugo und du, hm? Gib mir Details!“

Ich spitzte meine Ohren, aber scheinbar bewegten sie sich von mir weg. Mist! Ich zählte bis 20, dann ging ich wieder um die Ecke und wollte Richtung Ausgang. Natürlich lief ich Claudi in die Arme. Nachdem Max nicht zu sehen war meinte ich nur „Tschuldigung“ und ging schnell weiter, nur um an der nächsten Ecke mit Max zusammenzuprallen. Sofort war da wieder sein Geruch.

„Sorry, ich … oh, David.“

„Hey.“

Wir standen etwas belämmert voreinander, bis ich mit hochgezogenen Brauen auf die Packung Kondome in seiner Hand schaute.

„Hast du heut noch was vor?“

„Haha. … Da kommt Claudi …“

„Das ist schon okay.“

„Wirklich? Gut, dann … Claudi – David.“

„Ah, klar, du hast letztes Jahr Abi gemacht. Klaras Bruder.“

„Genau der.“

„Und, auch auf abendlicher Shopping-Tour? Du hast ja noch gar nichts gefunden, was brauchst du denn?“

„Eigentlich hat sich das erledigt. Willst du echt die teuren nehmen, Max?“

Er schaute mich überrascht an, weil ich ihm die Packung aus der Hand nahm. Ich kam mir vor wie angetrunken, in diesem Zustand sagte ich alles was mir in den Sinn kam.

„Ehm … keine Ahnung, ich dachte halt, um sicherzugehen und so …“

„Die sind alle geprüft, ich hab da erst letztens einen Bericht drüber gesehen, man kann genau so gut die Hausmarke kaufen, kosten nur die Hälfte.“

„Wie du meinst, dann die billigeren …“

„Hast du sonst alles? Du weißt schon …“

„Ja, hab ich …“

„Gut …“

„Was ist mit deiner Familie?“

„Das hat sich erledigt.“

„Also kommst du gleich mit zu mir?“

„Wenn du willst …“

„Und wie ich will.“

„Mooooment! Ihr beide?“

„Jetzt warst du aber langsam …“

„Ich, ja … ich hab einfach gar nicht … na gut, dann werde ich mal zahlen gehen … Ich wünsch euch einen schönen Abend.“

„Ich wollte dich nicht vertreiben …“

„Schon okay. Ich muss eh wieder zur Verwandtschaft zurück.“

Sie umarmte Max kurz und zwinkerte mir zu.

„Also … ich bezahl die dann mal …“

„Okay … ich such mir noch was zu essen …“

„Okay, dann treffen wir uns draußen?“

„Ja …“

Ich holte mir eine Fünf-Minuten-Terrine aus dem Regal, bezahlte und fand Max bei meinem Fahrrad. Er sprach aus, was ich dachte:

„Mann, würde ich dich jetzt gerne küssen …“

„Dito.“

„Aber das wäre eine ziemlich dumme Idee, hm? Lass uns einfach schnell zu mir fahren.“

Dem hatte ich nichts mehr hinzuzufügen.

Wir stellten die Räder vor dem Haus ab. Die Lampe brannte, ich konnte Max’ sehnsüchtigen Gesichtsausdruck sehen. Kaum hatte er die Tür aufgesperrt, hingen unsere Lippen schon aneinander. Ich spürte seine gierigen Hände unter meinem Shirt, ließ die Fünf-Minuten-Terrine fallen und tat es ihm gleich. Wir bewegten uns Richtung Treppe. Er riss sich los, nahm aber meine Hand und zog mich mit.

„Das letzte Zimmer rechts.“

Die Tür ging auf und wir standen in einem großen Zimmer, soviel konnte ich in der Dämmerung erkennen.

„Soll ich Licht anmachen?“

Ich schüttelte den Kopf und manövrierte Max Richtung Bett. Wir ließen uns nebeneinander fallen und küssten und heftig. Ich meinte kurz Blut zu schmecken als seine Zähne meine Lippen aufritzten. Wir drückten uns aneinander und ich spürte die verheißungsvolle Beule in seiner Hose. Ich zog mein Shirt aus, und dann holte ich mir das von Max. Sein Oberkörper war so heiß und sein Herz raste, genau wie meines. Von ‚Zeit lassen’ konnte schon längst keine Rede mehr sein. Als nächstes fühlte ich seine Hand zwischen meinen Beinen und mich durchfuhr ein heißer Schauer. Es blieb nicht bei einer kurzen Berührung. Seine Hand blieb und übte sanften Druck aus. Ein leises Stöhnen entfloh meinem Mund. Ich spürte seinen Atem in meinem Ohr als er mir eine Frage zuflüsterte.

„Soll ich dir einen blasen?“

Ich nickte heftig und konnte es kaum noch erwarten, dass er die Knöpfe meiner Hose aufmachte. Er schob vorsichtig meine Hosen nach unten, dann küsste er meine Hüftknochen, plötzlich überhaupt nicht mehr in Eile. Ich wand mich und wollte ihn anflehen meinen Schwanz in den Mund zu nehmen. Dann tat er es, unendlich zärtlich und langsam. Er schloss seinen Mund und ich war umgeben von dieser warmen, feuchten Höhle. Er fing an, sich rhythmisch zu bewegen. Mein ganzer Körper schien schwerelos zu werden. Ich konnte das Zittern nicht unterdrücken und hörte meine eigenen Zähne klappern. Unbeschreiblich.

„Ich … komme …“

Er wich ein wenig zurück und ich fühlte seine Zunge über meine Eier gleiten als sich die klebrige Flüssigkeit über meinen Bauch verteilte und ein langer und intensiver Orgasmus folgte.

Er kam in meinen Arm gekrochen, ich zog ihn dankbar an mich.

„Das war … das Beste was ich je erlebt habe. Danke.“

Ich küsste ihn innig und fühlte erneutes Verlangen in meine Lenden fahren.

„Ich will mit dir schlafen.“

„Sicher? Wir haben alle Zeit der Welt.“

„Komm in mich, ganz vorsichtig. Ich bin mir sicher.“

Er setzte sich kurz hin, zog seine Hose aus und machte einen Gummi auf. Aus einer Schublade zog er eine kleine Flasche Gleitmittel. Er war tatsächlich gut vorbereitet. Jetzt wurde ich doch etwas nervös.

„Keine Sorge, du kannst jederzeit stopp sagen. Komm, dreh dich um, ich massier dir den Rücken.“

Er setzte sich leicht auf mich und fing an, Nacken und Rücken mit geschickten Händen zu massieren. Er schien es nicht eilig zu haben und ich begann bald, mich zu entspannen. Seine Hände wanderten tiefer und waren plötzlich klebrig-feucht von dem Gleitmittel. Die Kälte ließ mich kurz zusammenzucken. Ich spürte seine warmen Lippen als Ausgleich. Max fing an, zielstrebiger zu massieren und bald fühlte ich seine Fingerspitzen in mir. Es war ein seltsames Gefühl, aber kein schlechtes. Ich merkte, dass es ihm viel Freude machte, mich so zu berühren. Er genoss es noch eine Weile, und mit gefiel es auch immer besser.

„Bereit?“

Ich nickte. Er legt sich auf mich, küsste meinen Nacken und sagte mir nochmal, dass ich jeder Zeit stopp sagen konnte. Dann war er in mir, mit jedem vorsichtigen Stoß immer tiefer. Nach einer Weile wurde mir klar, dass ich bisher nur teilnahmslos dagelegen hatte, um entspannt zu bleiben. Langsam fühlte ich mich sicher genug, mich zu bewegen. Ich hob meine Hüfte und wurde dafür mit wunderbaren Gefühlen belohnt. Da spürte ich Max auch schon kommen. Er lag noch kurz auf mir, um wieder zu Atem zu kommen. Dann sagte er: „Lass uns in den Pool springen.“

Wir blieben beide nackt und sprangen mit Anlauf ins kalte Wasser. Für einen Moment konnte ich nicht atmen, aber dann war mir die Kälte willkommen. Wir schwammen ein paar Bahnen, bis wir uns in der Mitte trafen und uns küssten. Max umklammerte mich mit seinen Beinen und ich fühlte, dass er schon wieder bereit war.

„Lass uns rein gehen, zu den Gummis.“

„Puh … okay.“

„Schwächelst du schon?“

„Natürlich nicht!“

Wir trockneten uns einigermaßen ab und ließen uns aufs Bett fallen. Dann gab ich zum ersten Mal jemandem einen Blowjob und anschließen war ich dran, mir ein Kondom überzustülpen.

Danach fiel ich endgültig fertig in die Kissen. Max schmiegte sich an mich und schaute mich aus großen Augen an.

„Bist du glücklich?“

„Ja, ich bin glücklich. Und du?“

„Das war der beste Blowjob, den ich je bekommen hab. Du bist ein Naturtalent.“

„Ach, das sagst du doch bloß so …“

„Nein, ehrlich.“

„Und was ist mit der anderen Sache? Ich meine, war es okay?“

„Ja, war es.“

„Hattest du da schon Erfahrung?“

„Nein, du bist auch mein Erster.“

„Wie romantisch.“

„Ich hab Durst. Bin gleich wieder da.“

Ich muss wohl eingeschlafen sein, denn ich wachte in der Dämmerung auf und fühlte Max’ warmen Körper nahe an mir. Faszinierend, wie gut sich unsere Formen ergänzten, fast als hätte es Mutter Natur genau so geplant. Ich dachte einen Moment über alles nach, was am Abend passiert war. Max presste sich noch näher an mich, als es die Bewegung zwischen meinen Beinen spürte. Ich umarmte ihn und nahm seinen Schwanz in die Hand. Bald lagen wir wieder aufeinander. Diesmal lag ich auf dem Rücken, während Max in mir war. Wir küssten uns zärtlich und er hielt meine Hände. Es war ganz anders als in der Nacht zuvor.

„Alles okay?“

„Ich genieße deine Nähe.“

Er beugte sich noch mehr zu mir, wobei ich spürte, dass meine Gelenke langsam an ihre Grenzen stießen.

„Willst du dich mal auf mich setzen?“

„Können wir versuchen.“

In der nächsten Stunde probierten wir alle möglichen Stellungen durch, bis mein Magen laut knurrte.

„Oh, deine Fünf-Minuten-Terrine liegt noch im Flur, hm? Lass uns frühstücken gehen.“

„Es ist mitten in der Nacht …“

„Fast acht.“

„Da schlaf ich normalerweise noch tief und fest …“

„Oh je, da seh ich ein Konfliktpotential. Um die Zeit bin ich normalerweise schon Laufen.“

„Kein Problem. Dann stehst du eben auf, läufst deine Runde bis du ordentlich verschwitzt bist, und dann kommst du wieder zu mir ins Bett und wir haben Sex, dann lohnt sich die Dusche …“

„So könnten wir’s machen. Also, wie magst du deine Eier?“

„Wie bitte?“

„Deine Frühstückseier …“

„Oh, ach so … gerührt?“

„Krieg ich hin.“

„Von wegen du kannst nicht kochen …“

„Naja, Rührei machen würde ich jetzt nicht kochen nennen. Willst du auch Speck?“

„Nö danke.“

„Du bist doch kein Vegetarier, oder?“

„Nö, is mir nur zu deftig am frühen Morgen, warum?“

„Mein Ex-Freund ist Vegetarier. Damit kam ich echt gar nicht klar …“

Ich nahm mir vor, ihn über diesen Ex-Freund noch genauer zu befragen und spürte einen winzigen Hauch von Eifersucht in mir aufsteigen …

Während ich im Bad verschwand, kümmerte er sich ums Frühstück. Als ich ihn so am Herd stehen sah, mit dem Pfannenwender in der Hand und fröhlich zur Musik pfeifend … nackt, da konnte ich mir gut vorstellen, jeden Morgen meines restlichen Lebens so zu verbringen. Ein unglaubliches Glücksgefühl überkam mich. Ich legte meine Arme um ihn und küsste seinen Hals, viel zu stürmisch.

„Hey, langsam. Ja, ich mag dich ja auch …“

„Weißt du wie lang ich auf das hier gewartet habe? Und jetzt bist du da. Wo warst du nur so lange?“

„Ich weiß … die Eier brennen an …“

„Ich bin so dermaßen in dich verliebt.“

„Dito.“

„Dito? Hast du zu oft ‚Ghost’ gesehen?“

Er lachte los.

„Tut mir Leid, ich muss mich nur gerade auf die Eier konzentrieren. Und ich will die großen drei Wörter nicht zu früh sagen …“

„Wenn du sie aber fühlst …?“

„Ich fühl sie. Aber wir kennen uns erst seit Samstag …“

„Ich weiß. Aber mich hat es einfach total erwischt, ich hab keinen Bock auf Spielchen.“

„Das ist gut. Deckst du den Tisch? Da oben sind Teller, in der Schublade Besteck …“

„Mach ich, keine Sorge, ich bin Profi.“

„Ach ja … musst du heute arbeiten?“

„Mittwoch Ruhetag.“

„Sehr schön.“

Als wir uns beim Frühstück gegenüber saßen konnte ich kaum den Blick von ihm wenden. Heute Nacht hatte ich Sex gehabt, mit einem Mann, mit diesem Mann. Und es hatte all meine Vorstellungen bei Weitem übertroffen. Jede Berührung von ihm war so ein Genuss, jeder Blick … Ich konnte kaum erwarten, dass er aufgegessen hatte. Schnell räumte ich alles in den Geschirrspüler, während er mir etwas verdattert dabei zuschaute. Und schon kniete ich vor ihm, sah, wie sich seine Hände am Rand der Arbeitsplatte festkrallten und er sich immer weniger zurückhalten konnte bis aus dem lauten Atmen ein rhythmisches Stöhnen wurde.

„Halt, sonst komm ich …“

Aber ich hörte nicht auf, im Gegenteil, das spornte mich noch mehr an und bald schmeckte ich ihn und schluckte alles was er mir gab. Er zog mich zu sich hoch, noch immer bebend und schwer atmend. Leise hauchte er mir ins Ohr: „Hol Gummis“ und dann nahm ich ihn, über den Küchentisch gebeugt wie in einem Porno.

Danach ließen wir uns einfach auf den Boden sinken. Seine Hand auf meiner Brust brannte. Seine grünen Augen leuchteten mich an und ich wusste, dass sie das nur für mich taten, für niemanden sonst. Wir gehörten zusammen.

„Also, was willst du heute machen?“

„Na genau das hier.“

„Mal sehen, ob wir durchhalten …“

„Zwischendurch können wir ja ein bisschen in deinem tollen Pool schwimmen … Und darin Sex haben … und in jedem anderen Raum des Hauses …“

„Das hört sich nach einem Plan an …“

Ich küsste ihn, obwohl er noch was sagen wollte, aber ich konnte nicht anders, er schmeckte einfach zu gut und ich hatte zu viel nachzuholen … Und er fühlte sich so gut an …

„Langsam, ich brauch mal eine Pause …“

Ich zog mich ein Stück zurück.

„Hast ja Recht, aber ich kann meine Finger einfach nicht von dir lassen …“

„Gestern warst du noch der schüchterne Kerl, der mir kaum sagen konnte, dass er schwul ist und jetzt bist du dieser selbstbewusste Super-Lover der überhaupt nicht mehr reden will oder so …“

„Ach Max … glaub nicht, dass ich es nur auf deinen Körper abgesehen habe …“

„Seit wir angefangen haben rumzumachen, haben wir keine fünf Sätze gewechselt …“

Ich fand seinen gespielt beleidigten Blick so niedlich, dass ich es kaum schaffte, ihn nicht zu küssen, sondern aufzustehen und mich wie ein gesitteter Mensch an den Tisch zu setzen. Er zog seinen Stuhl neben mich und gab mir seine Hand. Während ich mit dem Daumen seinen Handrücken streichelte fragte ich:

„Worüber willst du reden? Das Wetter? Sieht aus als würde es bald regnen …“

Er schenkte mir ein Lächeln, wurde aber gleich wieder ernst.

„Ist es zu früh über solche Dinge wie Aids, Zukunft und Vergangenheit zu sprechen?“

„Es ist vermutlich nie zu früh über Aids zu sprechen … wir sollten uns testen lassen, auch wenn ich mich nicht als gefährdet sehe, aber das tut wohl keiner …“

„Okay … Wer ist dein Hausarzt?“

„Dr. Berger natürlich, der einzige gescheite Arzt in diesem Kaff.“

„Gut, dann ruf ich da mal an und erkundige mich … Es gibt da einen neuen Schnelltest …“

„Den macht aber nicht jeder und schweine-teuer ist es auch. Beim Gesundheitsamt ist es umsonst und wir könnten das Ganze mit einem Einkaufsbummel durch die große Stadt verbinden …“

„Gut, dann machen wir es so … und danach? Machen wir es dann ohne Gummis?“

„Das ist der Sinn der Übung, oder?“

„Dann musst du mir versprechen, dass du mit niemand anderem schläfst.“

„Natürlich! Versprochen. Du reichst mir sowieso völlig.“

Er schenkte mir ein Lächeln, das mir das Herz aufgehen ließ.

„Also sind wir jetzt fest zusammen?“

„Ich könnte mir nichts anderes mit dir vorstellen.“

„Ich warte immer noch, dass ich aufwache und mit Schrecken feststelle, dass alles nur ein Traum war.“

„Mir geht es genau so. Aber das hier passiert wirklich.“

„Unglaublich …“

„Worüber wolltest du noch reden?“

„Vergangenheit und Zukunft.“

„Das trifft sich … ich wollte dich noch nach diesem Vegetarier fragen …“

„Andi? Das war von Anfang an ne ganz blöde Idee … Ich wollte nur endlich jemanden, und er war gerade da … aber das ging nur ein paar Wochen gut und wir haben nie miteinander geschlafen, nicht richtig …“

„Wie lang ist das her?“

„Ein paar Monate.“

„Habt ihr noch Kontakt?“

„Er schreibt manchmal e-Mails, die ich beantworte um höflich zu sein, aber das war’s …“

„Sonstige Ex-Freunde?“

„Niemand.“

„Ex-Freundinnen?“

„Alle schon verjährt. Mit 15 die letzte. Händchenhalten, knutschen, fummeln, sich fragen warum es sich so falsch anfühlt, Schlussmachen. So ist es jedes Mal gelaufen bis mir endlich ein Licht aufgegangen ist …“

„So spät?“

„Naja, bis ich es endlich auch wirklich geglaubt habe … der Umzug hat mir dabei geholfen. All diese neuen Jungs, die ich nicht schon seit der Grundschule kannte … und Claudi, die das Ganze sofort durchschaut hat … Wie war’s bei dir?“

„Ich war einfach ein totaler Spätzünder. Lang hatte ich weder an Mädchen noch an Jungs Interesse. Dann kam irgendwann der Klassiker ‚Verliebt in den besten Freund‘ aber bevor ich das zugelassen hätte … jedenfalls hab ich dann ein nettes Mädchen kennengelernt und mir gedacht ‚Die oder keine’ … Dann wohl keine … später hab ich noch einen Versuch gestartet, aber dann hab ich mir endlich eingestanden dass ich schwul bin … aber auf keinen Fall wollte ich das ausleben …“

„Warum nicht?“

„Hier? In diesem Kaff? Aus Angst, zur alten Mühle gejagt und gelyncht zu werden …“

„Frankestein, hm?“

„Hey, du bist gut! Jedenfalls kam dann dieser Typ, und daraufhin hat sich alles geändert.“

„So? Wie hieß der denn?“

„Max Weller.“

„So ein Zufall! Genau wie ich …“

Er drückte meine Hand und führ einen Moment sahen wir uns nur an. Dann meinte er:

„Na gut, und jetzt zur Zukunft …“

„Ja?“

„Wo wirst du studieren?“

Ich fühlte mich plötzlich ganz elend. Was wenn wir an unterschiedlichen Orten leben würden? Was wenn uns das auseinander brachte? Was wenn sich in vier Monaten unsere Wege trennen würden?

„Ich weiß es noch nicht. Ich hoffe, hier einen Platz zu bekommen, mit den zwei Wartesemestern … Du?“

„Ziemlich sicher auch hier.“

„Puuuuh …“

„Wohnst du dann weiter zu Hause?“

„Nein, mein Dad zieht in die Stadt, ich werde dann wohl bei ihm wohnen. Und die pendelst?“

„Nein, meine Eltern zahlen mir eine Wohnung … damit ich mehr Zeit zum Lernen habe … Ja ich weiß, ich bin ein verwöhntes Einzelkind, sowas verdirbt bestimmt den Charakter …“

„Bisher konnte ich noch keinen Makel entdecken …“

„Das wollte ich ja bloß hören … und wie sicher ist dein Studienplatz?“

„2,0 plus zwei Wartesemester bei einem NC von 1,6 im letzten Jahr … Meine große Hoffnung ist das Nachrückverfahren …“

„Also heißt es bis Anfang Oktober bangen?“

„Vermutlich … aber wenn das mit uns so läuft wie ich es mir vorstelle, dann häng ich noch ein, zwei Wartesemester dran und bleibe hier.“

„Aber umso später wirst du doch fertig …“

„Dann verdien ich eben vorher schon mal ein bisschen Geld, schadet ja auch nicht, bei 500 Euro Studiengebühren …“

„Jetzt sehn wir erst mal ob du den Platz bekommst. Ich will dir nicht im Weg sein.“

„Könntest du damit leben, mich nur jedes zweite Wochenende zu sehen?“

„Vermutlich nicht … Beziehungen sind eine verzwickte Sache, hm?“

„Aber solang sie der Mühe wert sind …“

Er drückte wieder meine Hand und meinte plötzlich:

„So, genug geredet. Lass uns schwimmen gehen.“

„Aber es regnet gleich …“

„Keine Sorge, ich wärme dich schon wieder auf …“

Den ganzen Tag schliefen wir miteinander oder streichelten uns in den Schlaf, um, sofort nach dem Aufwachen wieder total scharf zu sein. Viel zu bald dämmerte es und mein Handy klingelte. Meine Mum klag, gelinde gesagt, gereizt …

„Hast du vor, heute auch noch nach Hause zu kommen?“

„Eigentlich nicht, warum?“

„Gehörst du noch zu dieser Familie?“

„Was soll denn das jetzt?“

„Klara und ich machen heute einen Familienabend.“

„Sorry, aber ich hab schon was vor. Sagt das nächste Mal früher bescheid.“

„Wie du meinst.“

KLICK.

Sehr freundlich. Max musterte mich besorgt.

„Willst du lieber nach Hause?“

„Auf keinen Fall. Mach dir keine Gedanken, die kommen schon klar. Ich kann eh nichts machen außer den Prügelknaben für ihre Launen zu spielen. Und jetzt lass mich deinen unglaublich perfekten Bauch küssen.“

„Das kitzelt.“

„Gewöhn dich dran, das werde ich ab sofort stündlich machen.“

„Oh nein …“

Er kicherte fröhlich und unbeschwert vor sich hin als ich in seinen Nabel pustete.

Als er gegen Mitternacht eingeschlafen war, glitten meine Finger immer noch über seinen Körper und ich studierte jede seiner Reaktionen, um die Stellen herauszufinden, an denen er besonders empfindlich war. Am Hals unter dem Kieferknochen, am Übergang von Brust zu Achseln, an den Seiten in Höhe des Bauchnabels, an seinen hervorstehenden Hüftknochen, bei der kleinen Narbe an der Leiste, in den Kniekehlen, zwischen der großen Zehe und der daneben. Ich konnte mir gut vorstellen, seinen Körper mit all seinen kleinen Eigenheiten noch länger zu studieren, aber langsam übermannte mich die Müdigkeit.

Obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, in der Dämmerung wieder über ihn herzufallen, wachte ich erst auf, als um halb zehn mein Handy-Wecker klingelte. Max murrte und rollte sich in die leichte Leinendecke ein.

„Ich muss los …“

Sofort war er hell wach.

„Was? Wie spät ist es?“

„Halb zehn. Um elf muss ich im Restaurant sein …“

„Du brauchst doch nur ne viertel Stunde …“

„Ich muss heim, mich duschen und umziehen und so …“

„Fahr von hier aus. Duschen kannst du hier auch und Klamotten kannst du von mir haben … und eine neue Zahnbürste. Komm schon, ich kann den Tag nicht mehr ohne Sexhaben beginnen …“

Natürlich ließ ich mich breitschlagen …

Pünktlich um elf stand ich frisch geduscht und in Max’ Klamotten vor dem Restaurant und meine Tante ließ mich rein.

„Wo warst du denn? Deine Mutter hat erzählt, dass du seit Dienstag nicht mehr zu Hause warst.“

„Da war die Stimmung so schlecht …“

„Hast du eine Freundin?“

„Nein, warum?“

„Nur so. Na dann, ab an die Arbeit …“

Ich musste fortwährend an Max denken, und sein Shirt, an dem sein Geruch haftete, tat sein Übriges. Zum ersten Mal war ich froh um die peinliche Kellnerschürze auf die meine Tante bestand. Gerade als ich beschlossen hatte, meine Tante zu fragen, ob ich am Nachmittag, wo eh nichts los war, freihaben konnte, nahm sie mich zur Seite.

„Ich brauch dich erst abends wieder. Fahr nach Hause und verbring ein bisschen Zeit mit deiner Schwester. Mona hat angerufen und gesagt, dass sie überhaupt nicht aus ihrem Zimmer kommen will …“

Zuerst war ich angepisst, aber sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen.

Die Wolken rissen auf und die Sonne kam raus, als ich mein Rad in der Einfahrt parkte. Als ich gerade reingehen wollte, sah ich meinen Vater im Garten seiner Eltern sitzen. Er winkte mich zu sich.

„Hey Dad.“

„Hallo Sohn. Na, wo bist du immer unterwegs?“

„Ach, bei einem Freund.“

„Welchem Freund?“

„Wird das ein Verhör?“

„Sorry. Du siehst müde aus. Hast du nicht viel Schlaf bekommen?“

„Doch, genügend. Also, was ist da drinnen los?“

„Naja, ich hab mit deiner Schwester eine kleine Radtour gemacht und das Ganze hat mal wieder in einem Fiasko geendet. Langsam hab ich das Gefühl, alles was ich mach ist verkehrt, und die beiden sind so verschworen …“

„Allerdings.“

„Tut mir Leid, wenn du den Frust abbekommst, der durch mich entsteht.“

„Schon okay, ich verpiss mich dann einfach.“

„Warst du deshalb zwei Tage verschwunden?“

„Ich war doch nicht verschwunden … nur nicht zu Hause.“

„Hast du eine Freundin?“

„Nein! Warum fragen mich das alle?“

„Keine Ahnung, nur so ein Gedanke … Schaust du mal nach deiner Schwester? Ihr seid doch sowas wie Freunde, oder?“

„Wenn es nicht gerade um die Scheidung geht schon …“

Mum saß mit einem Kaffe am Küchentisch und musterte mich mit einer Mischung aus Ärger und Sorge.

„Wo warst du?“

„Bei einem Freund.“

„Hast du Drogen genommen?“

„Was?! Nein! Was soll das denn jetzt?“

„Ich weiß überhaupt nicht mehr mit wem du dich rumtreibst.“

„Ich bin erwachsen, weißt du? Lass das also meine Sorge sein. Ist Klara in ihre Zimmer?“

Sie nickte nur.

Ich klopfte, bekam aber, wie zu erwarten keine Antwort, also machte ich die Tür einfach einen Spalt weit auf.

„Klara? Kann ich reinkommen?“

„Du kommst ja doch, also.“

„Stimmt.“

Sie lag auf dem Bett und tat so als sei sie in ein Buch vertieft.

„Willst du reden?“

„Eigentlich nicht.“

„Ich hab bis fünf Zeit, wollen wir uns ein bisschen an den Weiher legen?“

„Ich weiß nicht …“

„Komm schon, das Wetter ist richtig schön. Und die frische Luft ist gut gegen Pickel.“

„Du bist so blöd.“

Aber ich sah dass sie nur mit Mühe ein Lächeln unterdrückte.

„Also, kleine Schwester, bist du dabei? Ich pack schon mal meine Sachen.“

„Oh Mann …“

Eine viertel Stunde später fuhren wir freihändig einen kleinen Berg hinunter und stritten uns darum, wer denn nun der König der Welt sei. Das letzte Stück schoben wir und Klara fragte mich, wo ich war.

„Geht dich nichts an, dafür bist du noch zu jung.“

„Oh, verliebt, verlobt, verheiratet! Wie heißt sie denn?“

„Glaubst du, dass ich dir das sag, damit du dir schreckliche Reime ausdenken kannst?“

„Du hast dazugelernt … Hey, da sind Conny und die anderen. Legen wir uns zu denen?“

„Wenn’s sein muss …“

„Du bist so ein Einsiedler … jetzt komm schon, die sind echt ganz nett, wenn man sie erst mal kennt.“

„Mhm.“

Die Mädels hatten mal wieder ihre eigene Musik dabei, und die Jungs, die sie umgarnten. Ich war total erschüttert, als meine kleine Schwester sich vor jedem Einzelnen umarmen ließ und den gleichen dümmlich-kindlichen Blick aufsetzte wie ihre Freundinnen. Ich platzierte mein Handtuch am Rand und fragte mich, was ich hier eigentlich machte, wenn ich auch mit Max im Pool sein könnte. Meine Schwester wirkte absolut nicht mehr traurig und auch nicht so, als bräuchte sie ihren großen Bruder zur Unterhaltung. Im Gegenteil, ich hatte eher das Gefühl, meine Anwesenheit war ihr unangenehm, als sie mir einen vorsichtigen Blick zuwarf während sie mit einem Neandertaler flirtete. Und dann sah ich ihn, diesen so vertrauten Körper. Er kam gerade aus dem Wasser, ich konnte die Gänsehaut auf seiner Brust erahnen und legte mir unauffällig mein Handtuch in den Schoß. Wie konnte dieser Mensch bloß diese unglaubliche Wirkung auf mich haben? Die Bilder der letzten Nächte flackerten vor meinem inneren Auge auf. Und da sah er mich, und er lächelte. Ich fragte mich, ob er wohl zu mir kommen würde, aber er setzte sich zurück auf sein eigenes Handtuch und die ganze Horde war zwischen uns. Frustriert drehte ich mich um und versuchte mich in mein Buch zu vertiefen. Stattdessen machte ich die Augen zu und sah ihn wieder vor mir, unter mir, hinter mir, über mir, neben mir … Platsch! Das Wasser war so kalt dass mir kurz die Luft wegblieb.

„Jetzt wo du eh schon nass bist, schwimm mit mir zur Insel.“

Der fordernde, spöttelnde Tonfall ließ nichts von der Intimität der letzten Nächte erahnen. Als ich mich aufgerappelt hatte, war er schon unter Wasser. Ich streckte vorsichtig einen Zeh in den Weiher.

„Stell dich nicht an, komm schon. Auf der Insel wird dir wieder warm!“

‚Ich wärm dich schon wieder auf‘, hatte er gestern gesagt. War das ein kryptisches Versprechen gewesen? Ich rannte rein bis es mir die Beine wegzog und schwamm so schnell ich konnte hinter ihm her. Er wartete nicht etwa, sondern war immer uneinholbar ein paar Meter vor mir. Er zog sich das steile Ufer hoch und schaute sich um, dann half er mir hoch und wir verschwanden zwischen ein paar Büschen. Schon zog er mich an sich und küsste mich wild. Dazwischen flüsterte er immer wieder ein paar Worte.

„David … wir müssen uns … was einfallen lassen … So geht das nicht … Wenn wir uns begegnen … Ich seh dich und krieg ’nen Ständer. Reicht schon an dich zu denken …“

„Hast du gut … vertuscht.“

„Hab keine Gummis.“

„Blas mir einen.“

Ich lehnte mich an einen Baum und versuchte, möglichst leise zu sein. Danach tauschten wir. Es machte mir so viel Saß, ihm Lust zu schenken. Er nahm mich in den Arm. Das waren meine liebsten Momente, wenn wir beide zufrieden waren und uns einfach nur hielten, uns auf den Herzschlag des Anderen konzentrierten …

„Musst du nicht arbeiten?“

„Hab zum Schwester-Sitten frei bekommen, aber nur bis fünf.“

„Wann hast du heute Abend aus?“

„Wenn ich Glück hab um neun.“

„Kommst du dann zu mir?“

„Wann tauchen deine Eltern morgen auf?“

„Nachmittag.“

„Okay.“

„Wir müssen noch in vier Zimmern Sex haben, und der Garage.“

„Euer Haus ist echt groß.“

„David?“

„Hm?“

„Ernsthaft, wie wollen wir das aushalten, wenn meine Eltern wieder da sind? Wenn wir keine Privatsphäre mehr haben …“

„Uns fällt schon was ein.“

„Wir sollten zurück schwimmen …“

„Ja, gleich. Noch ein Kuss, sonst halt ich es nicht bis heute Abend aus …“

Max holte sein Handtuch neben meines. Kaum hatte er sich hingelegt und sein Buch ausgepackt, knallte sich auch schon meine Schwester zwischen uns.

„Hast du was zu trinken?“

Ich verdrehte die Augen und holte eine Flasche Wasser aus dem Rucksack.

„Wie wär’s wenn du mal selber dein Zeug mitnimmst?“

Sie trank die Flasche aus und äffte mich nach.

„Und, was habt ihr zwei da drüben so lange getrieben?“

„Heroin gespritzt, was denkst du denn? Muss du nicht wieder einem von den Affen schöne Augen machen?“

„Na Max, willst du deine Kumpels nicht verteidigen?“

„Eigentlich nicht …“

„Schön, dann steckt eure Nasen doch wieder in die Bücher, während die anderen die Mädels absahnen.“

Wir tauschten einen wissenden Blick und lachten beide los.

„Ihr zwei passt echt gut zusammen. Auf Wiedersehen.“

Max berührte kurz wie zufällig meine Hand.

„Hast du gehört? Deine Schwester findet, dass wir gut zusammenpassen.“

„Ihren Segen hätten wir also schon mal …“

Danach lagen wir in gebührlichem Abstand nebeneinander und lasen.

Viel zu schnell wurde es halb fünf.

„Ich muss langsam los …“

„Dann sehen wir uns bei mir?“

„Ja, in viereinhalb Stunden. Das ist noch viel zu lang …“

„Ich weiß, sei stark.“

Er zwinkerte mir zu und ich hätte so gerne seine Wange gestreichelt. Ich riss meinen Blick von ihm los. Klara war umschwärmt von Jungs und machte keine Anstalten, bald zu fahren.

„Klara?“

„Hm?“

„Ich muss los.“

„Okay. Bist du nachher auch wieder hier, wir machen ein Lagerfeuer und so.“

„Es soll heut Abend regnen.“

Einer der Baumklötze mischte sich ein.

„Dann greifen wir auf Plan B zurück und fallen bei Wellers ein. Das geht doch klar, oder Max?“

Er sah genau so überrascht aus wie ich und zuckte die Schultern.

„Komm schon, du hast nur noch heute sturmfrei. Da ist ne kleine Party fällig. Nur ein paar Leute, kein Krawall.“

„Ich hab wohl keine Wahl, oder?“

„Sieht nicht so aus.“

„Na schön, aber nur die Leute die hier sind, nicht mehr.“

„Gebongt.“

Ich schaute Max verzweifelt an aber der konnte es auch nicht ändern.

Um halb zehn fuhr ich den Feldweg entlang. Schon von Weitem hörte ich Gebrüll, Musik und das Planschen im Pool. Vor dem Haus stand ein gutes Dutzend Fahrräder. Mehr als am Weiher. Die Haustüre stand offen und mein Verdacht bestätigte sich. Bestimmt 20 Leute tummelten sich im Wohnzimmer und noch mehr tummelten sich um den Pool. Eine Flasche Bier kippte gerade auf dem Couchtisch um und niemand machte sich die Mühe, sie aufzustellen … Ein mir völlig fremder Kerl wollte sich grad eine Kippe anzünden.

„Nicht hier drinnen.“

„Was auch immer.“

Er verpisste sich zum Pool. Ich stellte die Flasche auf und machte mich auf den Weg in die Küche, um Papier zu suchen. Papier fand ich dort keines, aber dafür meine knutschende Schwester. Etwas, das ich nie im Leben sehen wollte.

„Verdammt, Klara!“

„Jetzt lass hier bloß nicht den großen Bruder raushängen.“

„Wo ist Max?“

„Woher soll ich das wissen?“

Ich verließ den Ort des Schreckens und schaute raus, wo eine Tussi grad in den Pool aschte.

„Sag mal, hast du sie noch alle? Da wollen noch Leute drin schwimmen.“

Sie aschte demonstrativ in eine Topfpflanze.

„Besser?“

Ich umrundete den Pool einmal, aber keine Spur von Max. Nur noch mehr Chaoten. Also suchte ich nochmal drinnen. Und da kam er gerade aus dem Bad.

„Du weißt echt wie man feiert …“

„Diese Idioten haben anscheinend jeden eingeladen, den sie kennen. Und jetzt herrscht hier das Chaos. Was mach ich bloß?“

„Erstmal brauchen wir Aschenbecher, sonst aschen die dir alles voll. Viele Aschenbecher. Blumentopfuntersetzer zum Beispiel, kannst du sowas auftreiben?“

„Glaub schon …“

„Nachbarn sind hier draußen kein Problem, oder?“

„Nein, aber die Zerstörung und das Chaos im Haus …“

„Dann verlagern wir das Ganze nach draußen.“

„Wie denn?“

„Ich mach das, besorg du die Aschenbecher.“

„Okay …“

„Und ein paar Eimer.“

„Wozu?“

„Erklär ich später.“

Max verschwand Richtung Keller. Ich machte die Musik aus, draußen lief eh andere. Damit hatte ich auch gleich die ganze Aufmerksamkeit.

„Wet-T-Shirt-Contest am Pool, bitte findet euch alle dort ein. Der Gewinnerin winkt ein ganz besonderer Preis. Jede Stimme zählt, also, raus mit euch.“

Tatsächlich setzte die Masse sich in Bewegung. Max kam wieder die Treppe hoch.

„Wie hast du das denn gemacht?“

„Frag nicht. Schau mal ob oben noch welche sind, und in der Küche und so …“

Er hatte drei Eimer und einen Stapel Tontöpfe gefunden.

Showtime. Ich ging nach draußen, wo die Leute, vor allem die männlichen, schon ungeduldig wurden.

„Okay, alle Teilnehmerinnen, bitte stellt euch hier in einer Reihe auf. Nicht so schüchtern! Der Preis ist es wert, glaubt mir!“

Notiz: Ich muss noch einen Preis suchen …

Einige Mädels hatten sich schon aufgereiht, ein paar andere zögerten noch, aber die brauchten nur noch den Ansporn durch die Jungs. Elf Mädels hatten sich gefunden.

„Also gut, meine Damen, dann entledigt euch mal eurer BHs! Übrigens, die ersten Punkte werden schon für das beste Modell verliehen. Also hoffe ich für euch, dass keine hautfarbenen, ausgestopften Bustiers aus Omas Zeiten zu Tage kommen. Oh, ja das sieht schon mal gut aus. Schwarze Spitze, der Klassiker, was meint ihr dazu, Jungs?“

Die Menge heulte auf. Eines der Mädels stand im Bikini vor mir und flüsterte mir ins Ohr.

„Krieg ich dein T-Shirt, ich würde so gern mitmachen …“

„Na klar.“

Insgeheim dachte ich schon daran, wie der weiße Stoff später sicher durch Transparenz glänzen würde. Als ich mich aus dem Shirt schälte, erntete ich meinerseits Jubel von den Frauen. Dann sammelte ich die restlichen BHs ein. Über die besten drei ließ ich die Menge abstimmen. Mein Favorit aus schwarzer Spitze gewann. Die dazugehörige Asiatin verlangte nach ihrem Preis und holte sich, ehe ich mich versah, einen Kuss von mir. Während ich mich wieder sammelte, suchte ich Max in der Menge, konnte ihn aber nicht entdecken. Wenn das mal keinen Ärger gab …

„Also gut, meine Damen. Bereit? Dann brauche ich drei Freiwillige aus dem Publikum.“

Die waren schnell gefunden.

„Füllt die Eimer! Fertig? Los!“

Wahre Sturzbäche ergossen sich über die Mädels und ließen sie mit den Zähnen schlottern. Nichtsdestotrotz warfen sie sich in Posen und spornten sich gegenseitig an, immer weiter zu gehen. Ein paar Mädels in dunklen Shirts, die nicht mit ihren Reizen punkten konnten, verbesserten sich ihre Chancen mit etwas Girl on Girl Action. Die Menge tobte. Nachdem sich die Teilnehmerinnen genug geräkelt hatten, ließ ich für jede Einzelne die Menge applaudieren. Die Asiatin, die beiden Lesben und das Mädchen mit meinem quasi durchsichtigen Shirt kamen ins Finale und durften nochmal zeigen was sie draufhaben. Am Ende gewann ganz klar mein Shirt. Auch sie holte sich einen Kuss von mir und flüsterte mir zu, dass ich mir mein Shirt in einem der Schlafzimmer wiederholen sollte. Nach einem weiteren Preis verlangte sie nicht.

Ein paar Leute wunderten sich, dass die Türen zum Haus plötzlich zu waren, aber alle waren damit beschäftigt, die immer noch nassen Mädels zu begaffen und zu saufen. Ich ging zur Haustür und klingelte, das eine Mädel immer noch im Schlepptau.

„Hör mal, jetzt ist es grad schlecht …“

„Wo soll ich mich denn anziehen?“

„Man sieht eh alles, also stell dich nicht an …“

Max machte die Tür auf. Sein Blick ließ mich zusammenzucken. Ich trat ein, das Mädel hinter mir.

„Das klebt ganz schön an mir, hm? Ich sollte es echt ausziehen, bevor ich mich noch erkälte …“

„Die anderen schaffen’s auch irgendwie …“

„Willst du dein Shirt nicht zurück?“

„Doch, gib schon her …“

Sie zog es sich über den Kopf, Max rollte die Augen und ging in die Küche. Ich nahm das Shirt relativ gleichgültig entgegen. Das Mädchen machte keine Anstalten ihren Bikini anzuziehen.

„Bist du schwul oder was?“

„Ich bin vergeben.“

„Was auch immer. Hilfst du mir damit?“

Langsam war ich genervt, ich wollte einfach nur hinter Max her. Ungeschickt band ich die Schnüre irgendwie zusammen und schob sie zur Tür raus. Dann ging ich in die Küche.

„Max? Wo bist du? Es tut mir Leid, aber was …“

Er war nicht alleine in der Küche. Claudi und ein Typ den ich vom Sehen kannte waren auch da. Ich verstummte.

„Ist okay, die beiden wissen Bescheid.“

„Oh, okay … aber das würde ich trotzdem lieber unter vier Augen besprechen.“

Er nahm mir das triefende Shirt ab, das ohnehin seines war und verschwand damit im Keller. Ich schaute Claudi Hilfe suchend an.

„Was hätte ich denn machen sollen?“

„Ich werde mich da bestimmt nicht einmischen, klärt das mal schön alleine. Wir räumen hier solange ein bisschen auf.“

„Ich bin übrigens Thorsten.“

„David.“

„Freut mich.“

Max kam wieder die Treppen hoch.

„Können wir in deinem Zimmer reden?“

„Von mir aus …“

Bevor die Tür richtig zu war, redete ich schon los.

„Es tut mir Leid, aber ich wusste mir nicht zu helfen. Ich war doch selbst total überrumpelt. Hätte ich sie wegschubsen sollen? Glaubst du mir gefällt es, die Zunge von wildfremden Frauen im Mund zu haben? Ich hab das gemacht um deinen Arsch zu retten!“

„Ich weiß … Trotzdem, es war kein schöner Anblick. Ich bin nicht sauer … nur irgendwie verletzt … Ich weiß dass du das nicht wolltest …“

Er saß auf dem Bett und sah aus wie ein verletztes kleines Kind.

„Es tut mir Leid, wie kann ich es wieder gut machen?“

„Hast du doch schon, du warst fantastisch.“

„Darf ich zu dir kommen?“

Als es mir die Arme entgegenstreckte und unsere Blicke sich trafen, schossen mir tatsächlich Tränen der Erleichterung in die Augen. Ich vergrub mein Gesicht an seinem Hals, sog seinen wunderbaren Geruch ein und war so froh dass er mich bei sich sein ließ.

„Ist ja gut. So schlimm war es doch gar nicht …“

Aber meine Hände zitterten ohne dass ich was dagegen tun konnte.

„David, shhh. Ist doch schon gut.“

„Nein, ist es nicht. Endlich hab ich dich und dann bau ich so ne Scheiße. Ich hätte drauf scheißen sollen, was die anderen denken und sie abhalten sollen. Ich bin so ein Idiot und du bist so perfekt. Bitte lass es mich wieder gutmachen. Ich liebe dich so sehr, ich kann es nicht ertragen dir weh zu tun, nicht mal unabsichtlich.“

Ich spürte seine Hände, die meinen Rücken streichelten, unendlich zärtlich. Dann sah ich seine grünen Augen und die Tränen, die in ihnen standen, zu wenige um herauszufließen, aber genug um mir einen Stich ins Herz zu versetzen.

„Ach David, was machst du nur mit mir? Nicht mal eine Woche und mein Herz gehört schon dir.“

„Ich verspreche, ich werde gut drauf aufpassen.“

„Ich liebe dich auch.“

Erst da wurde mir bewusst, dass ich in meinem Redeschwall die großen drei Worte gesagt hatte. Und er hatte es zurück gesagt. Er liebte mich. Seine Augen ließen daran nicht den geringsten Zweifel zu. Wir hielten uns noch eine Weile fest und ich fragte mich, warum ich in diesem, dem glücklichsten Augenblick in meinem Leben weinte. Es war die Erleichterung und die Angst, mein Glück so von einem anderen Menschen abhängig zu wissen. Was, wenn ihm etwas passierte, was, wenn das Schicksal uns trennte? Was würde dann aus mir werden? Ich schüttelte den Gedanken aus meinem Hirn und küsste Max’ salzige Lippen. Dann rafften wir uns auf und gingen zurück nach unten.

Claudi fegte gerade durchs Wohnzimmer.

„Wir haben drei Säcke gemacht. Altglas, Pfandflaschen und Müll. Alles okay bei euch?“

Max nahm kurz meine Hand, führte sie zum Mund und küsste sie.

„Bestens. Also, was ist dann noch zu tun?“

„Hier drinnen nichts mehr, das mit dem nach draußen verlagern war echt eine tolle Idee, David.“

„Ich musste schon so einige Partys vertuschen …“

„Also warten wir jetzt, bis die verschwinden, oder wie?“

„Na da können wir doch genau so gut mitfeiern und die schlimmsten Katastrophen verhindern, oder? Außerdem hätte ich so ein Auge auf meine Schwester …“

Wir mischten uns unters Volk, wobei ich sehr drauf bedacht war, Abstand von meinen beiden ‚Angreiferinnen‘ zu halten. Klara hatte sich wieder unter ihre Freundinnen gemischt, von dem Kerl war nichts mehr zu sehen, wie ich mit Erleichterung feststellte.

Nach ein paar … zu vielen Bier verhängte ich mir selbst eine Alkoholsperre und ließ meine Beine in den Pool baumeln. Thorsten setzte sich neben mich.

„Hey.“

„Hey.“

„Alles klar?“

„Ich versuch, wieder nüchtern zu werden.“

„Also du und … du weißt schon wer.“

„Ja, sieht so aus.“

„Kaum bin ich mal eine Woche in Urlaub …“

„Kommt jetzt die Ansprache?“

„Mag sein. Also, Max ist mir sehr wichtig. Er hatte es in Sachen Beziehungen nicht immer leicht und er hat es verdient, gut behandelt zu werden. Richtig gut.“

„Ich geb mir Mühe.“

„Gut. Und wenn ich dich jemals dabei erwischen sollte, wie du etwas machst was ihn verletzt, dann …“

„Ich weiß, ich weiß, hab’s verstanden.“

„Gut.“

„Dann hast du also kein Problem damit?“

„Ich hab mich in den letzten Jahren drauf einstellen können, dass der Tag kommt an dem er den Kerl seiner Träume anschleppt, und glaub mir, ich hab mit weit schlimmerem gerechnet.“

„Rosa Tanktops und Cher-Musik nonstop?“

„Sowas in der Art, ja … ich bin also erleichtert, dass du es bist. Und keine Sorge, ich weiß, dass keiner von deinen Leuten Bescheid weiß.“

„Okay, gut.“

„Also ich muss dir echt danken.“

„Wofür?“

„Na für diesen spontanen Contest den du veranstaltet hast. Mann, hätte ich gern mit dir getauscht als du die BHs eingesammelt hast …“

„Ich konnte die ganze Zeit nur denken, wie Max das wohl findet …“

„Richtig so. Na, was macht der Alkoholpegel?“

„Sinkt. Das ist auch gut so, ich muss morgen arbeiten …“

„Du kellnerst bei deiner Tante, oder?“

„Ja, stimmt, ich hab dich da schon ein paar Mal gesehen, mit deinen Eltern.“

„Ja, dienstags ist Nudel-Tag … alte Tradition.“

„Diese Woche gibt’s Penne al Forno.“

„Dann sehen wir uns da spätestens wieder.“

„Das kotzt mich grad voll an, ich muss morgen und übermorgen bis spät nachts arbeiten. Montag hab ich frei, Dienstag muss ich zu den Stoßzeiten da sein und Mittwoch hab ich wieder frei … Wenn ich mal ein paar Tage am Stück frei hätte, dann könnte ich mit Max wegfahren. Mir graut nämlich schon davor, wie es ist wenn seine Eltern wieder da sind und wir uns nirgends mehr in Ruhe treffen können, ohne die Geheimniskrämerei …“

„Und wenn du es deinen Eltern sagst?“

„Ich hab keine Ahnung, wie sie reagieren würden und momentan, solange ich noch zu Hause wohne, ist mir das echt zu riskant …“

„Also haben sie keine Ahnung? Klara auch nicht?“

„Nicht die Geringste, nein.“

„Bei Max’ Eltern kann ich das ja verstehen, aber bei normalen Eltern …“

„Keine Ahnung, ich gewöhne mich grad erst an den Gedanken, einen festen Freund zu haben. Eins nach dem anderen.“

„Na gut … Ich glaub, ich hol mir noch n Bier …“

Um halb zwei war es den meisten draußen zu frisch geworden und es blieben nur noch eine Hand voll Leute übrig, die ich auch weiterscheuchte. Klara hing wieder an dem Kerl aus der Küche. Ich räusperte mich.

„Die Party ist vorbei.“

„Wer hat dich zum Hausherrn gemacht?“

Max tauchte hinter mir auf.

„Die Party ist vorbei.“

„Na gut, dann komm mit zu mir.“

Ich konnte die Dreistigkeit dieses Kerls kaum fassen.

„Von wegen, du gehst nirgends hin. Du schläfst auf der Couch.“

„Warum fahren wir nicht heim?“

„Damit wir uns morgen früh noch ein bisschen nützlich machen können.“

„Und warum gerade wir?“

„Weil wir besser sind als diese Idioten. So, jetzt verabschiedet euch.“

„Ja, Mama.“

„Mum würde dir ganz was anderes erzählen, wenn sie dich so sehen könnte.“

Max deutete mir an, mitzukommen. Claudi und Thorsten hatten sich schon verabschiedet, sonst war niemand mehr da.

„Lass ich zu sehr den großen Bruder raushängen?“

„Ein bisschen, aber du meinst es gut und das weiß sie auch. Jetzt lass ihnen Zeit sich zu verabschieden. Wir richten so lange die Couch her, ja?“

„Okay …Ich schätze das mit den vier Zimmern und der Garage wird heute nichts mehr, hm?“

„Das müssen wir wohl verschieben, ja. Aber uns bleibt ja immer noch mein Zimmer …“

„Lass uns hier schnell alles fertig machen, ja?“

„Okay.“

Als meine Schwester reinkam, verriegelte Max die Tür. Sie ging noch ins Bad, Max ging schon mal hoch. Ich blieb noch, um gute Nacht zu sagen. Sie tapste zur Couch.

„Ich hab zu viel getrunken.“

„Viel Wasser und ein Bein am Boden, das ist der Trick.“

„Alles klar. Wo schläfst du?“

„Oben.“

„Okay, dann bis morgen früh.“

„Bis morgen früh.“

Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und ging nach oben.

Max lag schon im Bett und deutete mir an, die Türe zu verriegeln.

Der grausame Wecker klingelte um neun. Ich weckte Max mit einem kurzen Blowjob.

„Genau deshalb liebe ich dich so sehr …“

„Du bist aber leicht rumzukriegen …“

„Ich will nicht aufstehen …“

„Dann bleib liegen. Ich fang schon mal an.“

„Das geht doch nicht …“

„Und wie das geht. Ich besteh drauf dass du dich noch eine Weile ausruhst. Falls ich dich brauche, hol ich dich.“

„Wann musst du los?“

„Viertel vor elf.“

Klara schlief friedlich auf der Couch, ich schlich mich vorbei und war so leise wie möglich. Nach einer Weile, ich hatte schon einen ganzen Sack mit Pfandflaschen voll, ein kleines Vermögen, kam Max doch ganz zerknautscht auf die Terrasse. Er war barfuß und nur in Shirt und Boxer gekleidet.

„Zieh dir was an, du erfrierst ja.“

„Guten Morgen erst mal.“

Wir warfen beide einen Blick auf meine schlafende Schwester und riskierten einen Schmatz.

„Sieht hier ja schon viel besser aus.“

„Ja, und du bist reich. Ich verstehe nicht, warum die ihre Pfandflaschen nicht mitnehmen …“

„Was machen wir mit den ganzen Säcken?“

„Hast du ein Auto?“

„Das von meiner Mum, ja.“

„Na also. Damit wäre Altglas und Pfand schon mal erledigt. Und für den Rest findet sich auch irgendwo ein Container … kann sein dass das etwas kostet, aber das bezahlst du halt dann von den Pfandflaschen …“

„Genial …Frühstück?“

„Hast du irgendwas an Obst da?“

„Bananen.“

„Perfekt.“

„Ich bring dir eine …“

„Zieh dir was an.“

„Jaja …“

Als er mit zwei Bananen zurückkam, hatte er wenigstens Pantoffeln an.

„Danke. Du zitterst …“

„Ich wünschte, du könntest mich wärmen …“

„Komm her.“

„Was ist mit deiner Schwester?“

„Die schläft doch …“

Ich nahm ihn in den Arm und rubbelte seinen Rücken warm. Er entspannte sich und lehnte sich gegen mich.

„Hier will ich für immer bleiben …“

„Ich wünschte das ginge, aber deine Eltern …“

Er seufzte.

„Ich weiß …“

Für einen Moment fuhr seine Hand über meinen Nacken und kraulte meine Haare. Dann aber ließ er mich los.

Wir setzten uns auf die Liegen und aßen unsere Bananen.

„David?“

„Ja Max?“

Dieses gegenseitige bei Namen nennen leitete immer ein Gespräch über ein Beziehungsthema ein.

„Wie machen wir das weiter? Mit dem Auto zu einem geheimen Ort im Wald fahren, die Sitze zurückklappen und ab geht’s, oder wie?“

„Hört sich nicht sehr romantisch an …“

„Und auch nicht sehr bequem …“

„Aber ich weiß auch nicht, was wir sonst machen sollen …“

„Wir haben den halben Juni, den Juli, August und September zu überbrücken, stimmt’s? Ab ersten Oktober hab ich meine eigene Wohnung …“

„Ah, also nur dreieinhalb Monate ohne richtigen Sex, kein Problem.“

„Also meine Eltern fliegen am sechsten Juli für drei Wochen nach Amerika.“

„Ja? Sehr schön, das gibt mir Hoffnung.“

„Fahren deine Eltern … also deine Mum nicht auch mal weg?“

„Schaden würde es ihr bestimmt nicht, aber dann bliebe immer noch meine Schwester …“

„Vielleicht fährt die ja mit, oder was wenn …“

Er stockte und schaute plötzlich recht unsicher.

„Was wenn was?“

„Was wenn wir es ihr sagen?“

„Meiner Schwester?!“

„Glaubst du, sie hätte was dagegen?“

„Keine Ahnung, aber auf jeden Fall hätte sie ein Druckmittel. Immer wenn sie was rausgefunden hat, was meine Eltern nicht wissen sollten, dann hat sie mich damit erpresst.“

„Aber jetzt ist sie doch älter, und die Sache ist wichtiger. Glaubst du echt, dass …“

„Ja. Zumindest kann ich mir nicht sicher sein, dass nicht. Und das Risiko will ich nicht eingehen.“

Ich versuchte, meinen Ton wieder weniger gereizt klingen zu lassen.

„Warum sagst du es nicht deiner Familie?“

„Du kennst sie nicht, sonst würdest du das nicht fragen …“

„Worum geht’s eigentlich?“

Wir fuhren beide herum.

„Verdammt, wie lang stehst du da schon?!“

„Lange genug um zu wissen, dass ich etwas nicht erfahren soll, aber zu kurz um zu wissen was. Was ist los?“

Bevor ich was sagen konnte, kam Max mir zuvor. Er stand auf und ging zu ihr während er fragte:

„Wenn dein Bruder dir ein wichtiges Geheimnis anvertrauen würde, etwas das niemand sonst erfahren soll, würdest du es als Druckmittel einsetzen?“

„Kommt drauf an.“

„Worauf?“

„Ob es was wirklich Wichtiges ist. Ich kenn schon auch die Grenze wo man mit sowas nicht spaßt. Und wenn es etwas wäre, das ihn in Schwierigkeiten bringen könnte, wie Drogen zum Beispiel, dann würde ich vermutlich schon was zu meinen Eltern sagen …“

„Okay …“

„Was ist denn jetzt los?“

„Nichts, fahr nach Hause.“

„Aber ich sollte doch mit aufräumen.“

„Wir haben das im Griff.“

„Sind es Drogen?“

„Hast du mit Mum geredet?“

„Sie hat sich Sorgen gemacht …“

„Nein, keine Drogen. Nichts Schlimmes … glaub ich.“

„Du weißt nicht, ob es was Schlimmes ist? Muss ich mir Sorgen machen?“

„Nein! Jetzt, können wir das Thema vielleicht lassen?“

„Vertrau mir, großer Bruder. Komm schon, erzähl es mir.“

Ich schaute Max Hilfe suchend an. Er meinte:

„Deine Entscheidung, David, aber du kennst meine Meinung.“

Ich wusste, ich sollte mein Maul halten und sie wegschicken, aber stattdessen sagte ich:

„Ich bin schwul, Klara.“

„Was?! Willst du mich verarschen? Du hattest doch schon Freundinnen und so …“

Ich beschloss, erstmal noch nichts von Max und mir zu sagen, um ihn nicht auch noch mit rein zu ziehen, falls sie gleich ausflippen würde.

„Ja, stimmt. Ändert nichts an der Tatsache, dass ich auf Jungs stehe.“

Irgendwie tat es gut das endlich auszusprechen … Klara sah jetzt echt geschockt aus.

„Aber … warum tust du das unseren Eltern an? Haben die nicht schon genug um die Ohren?“

„Also erstens hab ich mir das nicht ausgesucht und zweitens halt ich es ja genau deshalb vor ihnen geheim, damit sie sich nicht noch mehr Sorgen machen …“

„Und warum sagst du es mir?“

„Weil du mich angefleht hast, dir mein Geheimnis zu verraten. Jetzt weißt du’s.“

„Ich glaub, ich fahr jetzt nach Hause.“

„Kein Wort zu irgendjemandem, ja?“

„Ja! Ich bin nicht scharf drauf, dass jemand das erfährt.“

Und damit verschwand sie.

„Na das lief doch prima …“

„Tut mir Leid, ich hätte dich nicht dazu drängen sollen …“

„Hey, das war meine Entscheidung. Mach dir keinen Kopf. Ich glaub ich geh erst mal duschen …“

„Okay …“

„Jetzt schau nicht so traurig, sie muss sich bestimmt nur erst mal an den Gedanken gewöhnen …“

„Hey, ich sollte dich trösten … warum hast du mich nicht erwähnt?“

„Das wäre zu viel für sie gewesen, glaub ich …“

„Du wolltest mich schützen.“

„Es hätte nichts gebracht, dich da auch noch mit rein zu ziehen. Aber vermutlich reimt sie es sich ohnehin bald zusammen …“

„Mag sein …“

Nach der Dusche half ich Max noch ein bisschen beim Aufräumen. Er hatte noch einiges vor, zum Beispiel Zigarettenstummel aus dem Pool fischen … Dann musste ich los zur Arbeit.

Ich war froh, dass ich erst Mal nicht zum Nachdenken kam, das hätte mir nur Angst gemacht. Dann, um zwei stand Klara plötzlich da.

„Wir sollten reden.“

„Okay, ich frag Cora.“

Wir nahmen uns zwei Teller Risotto mit und setzten uns auf eine Bank im Stadtpark.

„Du und Max, hm?“

„Du hast es rausgefunden?“

„War nicht so schwer, nachdem ich nochmal drüber nachgedacht habe. Wenn seine Eltern davon wüssten …“

„Sind die echt so schlimm?“

„Oh ja. Was man so hört, schon. Ich will, dass du vorsichtig bist, ja?“

„Ich bin vorsichtig.“

„Ist es was Ernstes?“

„Wenn nicht, dann hätte ich mich nie dazu breitschlagen lassen, es dir zu erzählen.“

„Und du bist sicher, dass das keine … Phase ist oder sowas?“

„Ganz sicher. Die Mädels waren nur dazu da, um mir selbst was zu beweisen. Hat nicht geklappt.“

„Okay … ich finde das echt ziemlich seltsam. Ich seh dich plötzlich mit ganz anderen Augen. Ich meine, du bist immer so verschlossen, jetzt weiß ich, warum. Weil du dieses Geheimnis hast … Und du hattest auch nie so richtige Kumpels und so …“

„Ja, das hängt vermutlich alles irgendwie zusammen …“

„Bist du jetzt glücklich, mit … ihm?“

„Ich kann dir gar nicht sagen wie glücklich. Ich hab so lange darauf gewartet, dass ich jemanden wie ihm begegne, und jetzt ist es wie Weihnachten und Ostern … und Geburtstag, alle auf einmal.“

„Er ist ein netter Kerl …“

„Ja, das stimmt.“

„Aber erzähl es nicht Mum und Dad. Am Besten erzählst du es überhaupt niemandem.“

„Danke für den Tipp …“

„Ich muss mich erst daran gewöhnen, okay? Das ist alles irgendwie unwirklich …“

„Ich weiß. Mich hat die Sache mit Max auch kalt erwischt …“

„Das Risotto ist echt gut.“

Und damit war das Gespräch über meine sexuelle Orientierung beendet und ich wusste nicht, was ich denken sollte.

Kaffee-Gäste, in der Küche helfen, Abendessens-Gäste, dann Cocktails … Viele Jugendliche waren da und ich musste mir ständig Ausweise zeigen lassen. Es war das letzte Wochenende der Pfingstferien und der Laden war voller als üblich. Sah nicht so aus als würde ich vor Mitternacht hier rauskommen …

Plötzlich sah ich Claudi an einem Tisch sitzen. Als ich mich auf sie zu bewegte, gaben ein paar gehende Gäste den Blick auf Max frei. Er lächelte mich an, es war mal wieder so unbeschreiblich.

„Guten Abend, was kann ich euch bringen?“

„Was empfiehlst du uns denn?“

„Hm, also Claudi, du siehst aus wie ein Cinnamon-Colada-Fan, und Max … wenn ich dich anschaue, denk ich an Sex on the Beach.“

„Soso, na gut, dann nehmen wir das.“

„Dann müsste ich aber noch euere Ausweise sehen.“

Max klimperte mich an.

„Da wird sich doch sicher ein Weg finden lassen, um diese bürokratische Hürde zu umgehen …“

„Ich hab in einer Stunde aus, triff mich in der Abstellkammer.“

„Haha. Wir dachten eher an den Weiher. Ich hab meine Gitarre dabei. Thorsten kommt auch nach.“

„Hört sich gut an.“

Ein paar andere Gäste wollten zahlen.

„Ich muss weiter, eure Drinks kommen gleich.“

Ich muss wohl vor mich hin gegrinst haben, denn meine Tante fragte mich, als ich die Drinks orderte:

„Ist sie das?“

„Wer?“

„Na deine Freundin. Hübsch.“

„Ja, aber … nein, also, sie ist hübsch, aber sie ist nicht meine Freundin.“

Ich hatte sogar mich selbst verwirrt und wunderte mich nicht als Cora meinte:

„Na wie auch immer, die Drinks gehen natürlich aufs Haus.“

„Danke.“

„Also, lasst sie euch schmecken. Claudi, deiner geht aufs Haus. Und Max, ich bin sicher, du wirst deinen irgendwie abarbeiten können …“

„Soso. Na mal sehen was der Abend noch so bringt.“

„Ich wünschte die Leute würden endlich nach Hause gehen. Meine Füßen tun schon weh.“

„Mein Shirt steht dir übrigens besser als mir …“

„Danke. Ich muss wieder …“

Eine halbe Stunde später sagten die beiden Bescheid, dass sie schon mal am Weiher wären.

Um halb eins kam ich da auch endlich an. An unserem Ufer war alles ruhig und dunkel. Auf der anderen Seite brannten ein paar Lagerfeuer. Mit meinem Fahrradlicht leuchtete ich mir den Weg. Ganz hinten, wo die Böschung steil wurde, sah ich ein paar Gestalten sitzen, die sich zum Schutz vor meinem Licht die Hände vors Gesicht hielten.

„David?“

„Ja.“

„Endlich!“

Ich schob in ihre Richtung. Max deutete mir an, neben ihn zu kommen. Ich machte das Licht aus und spürte ihn in der Dunkelheit nach mir tasten. Er zog mich an sich, küsste mich lange. Dann ließ er von mir ab, damit ich Claudia und Thorsten begrüßen konnte.

„Warum sitzt ihr hier denn im Stockdunkeln?“

„Wir haben uns Geistergeschichten erzählt.“

„Alles klar … und, sind deine Eltern gut heimgekommen?“

„Punkt zwei standen sie da und haben genörgelt dass die Spülmaschine nicht ausgeräumt ist. Wenn die das Haus ein paar Stunden früher gesehen hätten … Dann hab ich erst mal ein paar Stunden geschlafen und dann hab ich Claudi aus ihrem Loch geholt.“

„Wir haben geredet. Ihr beide hattet es mit allem ganz schön eilig, was?“

Ich war natürlich etwas überrascht. Nicht dass er seiner besten Freundin so viel erzählt hatte, sondern dass sie mich darauf ansprach.

„Worauf sollten wir denn warten?“

„Wehe wenn du genau so schnell weiter ziehst wie du gekommen bist …“

„Die Ansprache hat Thorsten mir schon gehalten. Aber nochmal: Ich hab nur die besten Absichten und ich bin froh, dass Max so gute Freunde hat, die auf ihn aufpassen.“

„Gut, und jetzt frag ihn wegen Italien.“

„Claudi!“

„Mach schon.“

„Also, nächstes Wochenende ist Zeugnisübergabe und Abschlussball und so … und am Montag würden dann einige Leute aus der Klasse für vier Nächte an den Gardasee fahren. Es wären noch Plätze frei, wenn du mit willst … 120 Euro inklusive Frühstück ist nicht so teuer und wir hätten unser eigenes Zimmer, auch wenn wir tagsüber natürlich einen auf Kumpels machen müssten …“

„Das hört sich schon nicht schlecht an … aber ich muss schauen ob ich frei bekomm …“

„Okay, das wäre nämlich echt genial, dich dabei zu haben …“

„Ich red gleich morgen mit meiner Tante.“

„Frag sie auch gleich wegen nächstem Samstag. Da ist unser Abschlussball.“

„Claudi! Was soll er denn da? Wir werden wohl kaum miteinander tanzen können …“

„Aber trotzdem sollte er doch da sein …Du hast selber gesagt …“

„Jetzt pscht.“

Ich hörte an seiner Stimme, dass er rot anlief. Wie niedlich. Ich zog ihn in meinen Arm und tastete mich mit den Lippen bis zum Mund. Nach einem kurzen Schmatz fuhr ich ihm durch die Haare und meinte:

„Wenn du mich gerne dabei hast, dann bin ich da.“

„Aber du musst doch arbeiten …“

„Hey, mein Freund hat nur ein Mal im Leben Abiball.“

Es tat gut, das zu sagen. Mein Freund. Er vergrub dankbar sein Gesicht an meinem Hals.

Wir blieben vielleicht eineinhalb Stunden, während denen es Max sich zwischen meinen Beinen bequem gemacht hatte, und seinen Rücken gegen meine Brust lehnte. Zwischendurch wurde er ganz still und atmete tief. Auch wenn mein steifer Rücken langsam schmerzte, ich hätte für immer so dagesessen und seinem Atem gelauscht, wenn Claudi nicht irgendwann gemeint hätte, dass es langsam kalt wurde. Ich küsste Max’ Nacken und er regte sich.

„Ich hab geträumt, dass deine Tante Trude den ganzen Sommer bleibt und dass du versuchst, sie samt Rollstuhl im See zu versenken …“

„Interessanter Traum. Was sagt unser Psychologe dazu?“

Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie mich meinte.

„Hm, aso … ich glaube er vermisst dich und wünschte sich, deine Tante würde endlich verschwinden …“

„Gut gedeutet.“

„Am Dienstag ist sie weg.“

„Ja, endlich …“

„Es sei denn, sie beschließt, doch den Sommer über hier zu bleiben.“

„Das ist nicht lustig.“

Max und ich verabschiedeten uns am Beginn des Feldwegs zu seinem Haus.

„Was machst du morgen Abend?“

„Da ist so eine Party. Willst du auch kommen?“

„Ich ruf dich an, wenn ich Arbeit aus habe.“

„Okay … und wegen nächstem Samstag … mach dir deswegen keinen Stress, ist halb so wichtig. Und meine Eltern sind auch dort, also …“

„Hey, ich will dabei sein. Und ich will mal einen Blick auf deine ach so schrecklichen Eltern werfen. Und wenn du das nächste Mal eine Bitte hast, dann frag mich einfach. Wenn Claudi nichts gesagt hätte …“

„Ja, ich weiß …“

„Du weißt, dass ich für dich alles tun würde, und das ist nicht bloß ein Spruch …“

„Genau deshalb muss ich ja aufpassen, worum ich dich bitte. Ich darf nicht zu viel verlangen …“

„Ach Max … du könntest gar nicht zu viel verlangen … Für all den tollen Sex steh ich tief in deiner Schuld.“

„Du bist blöd.“

„Auf jeden Fall war ich schlau genug, mir dich zu angeln.“

„Na wer da wen geangelt hat …“

„Hauptsache ich kann das tun …“

Ich beugte mich über meinen und seinen Lenker und küsste ihn. Dieser Geschmack, sofort fühlte ich mich wieder wie betrunken …

Am nächsten Tag ging ich extra etwas früher ins Restaurant, um noch in Ruhe mit meiner Tante sprechen zu können.

„Du bist aber früh dran. Das kann nur bedeuten, dass du was willst.“

Meine Tante besaß das Restaurant seit zehn Jahren, sie hatte gute Instinkte im Umgang mit ihren Angestellten.

„Erwischt. Ich bräuchte ein paar Tage frei …“

„Soso, welche denn?“

„Also nächsten Samstag vielleicht so ab sechs, und dann Dienstag, Donnerstag und Freitag.“

„Was hast du denn vor?“

„Ein paar Leute fahren an den Gardasee. 120 Euro für vier Nächte, mit Frühstück und Transport … Das ist ein unschlagbares Angebot.“

„Dann brauch ich dich aber diesen Montag und den in zwei Wochen.“

Damit hatte ich gerechnet.

„Kein Problem.“

„Und was ist am Samstag?“

„Abiball.“

„Soso. Ist deine Freundin im Abschlussjahr? … Hör auf es zu leugnen, deine Mutter und ich haben das schon durchschaut.“

Ich verdrehte nur die Augen.

„Warum willst du sie uns nicht vorstellen? Aus Klara ist auch nichts rauszubekommen.“

„Das ist auch besser für sie. Ich bin noch nicht soweit, okay?“

„Okay. Dann hast du am Samstag auch frei. Am Nachmittag ist doch die Zeugnisübergabe, da solltest du auch dabei sein.“

„Wirklich? Cool, danke.“

„So, und jetzt erwarte ich, dass du heute besonders fleißig bist.“

„Ich fliege.“

Das hatte allerdings zur Folge, dass ich um elf fast im Stehen einschlief. Cora schickte mich nach Hause, war aber sehr zufrieden mit all den Extra-Diensten die ich übernommen hatte. Um nicht auf dem Rad einzuschlafen, rief ich Max an.

„Hey.“

„Warte, ich geh raus … So, hallo. Na, kommst du noch vorbei?“

„Ich glaub ich geh schlafen. Aber ich hab gute Nachrichten. Ich hab den ganzen Samstag frei und auch die fünf Tage. Ich kann also mitfahren.“

„Grandios. Ich bin so froh. Ohne dich hätte ich es nicht so lange ausgehalten. Ich vermisse dich ja sogar jetzt schon unglaublich …“

„Ich dich auch. Aber ich kann heute echt nicht mehr.“

„Das ist schon okay. Ich schau morgen wieder mit Claudi im Restaurant vorbei. Und am Montag hast du ja frei …“

„Also eigentlich muss ich da arbeiten … gehört zum Garda-See-Deal.“

„Oh nein, aber da wollte ich doch mit dir ins Gesundheitsamt und einkaufen und so …“

„Dann machen wir das halt am Mittwoch, ja?“

„Na gut …“

„Denk an nächste Woche. Vier Nächte in einem eigenen Zimmer …“

„Dann muss ich wohl noch ein paar Tage von den Erinnerungen zehren. Na gut, schlaf schön. Und denk dran, ich liebe dich.“

„Ich liebe dich auch. Viel Spaß noch …“

Am nächsten Morgen musste Klara wieder zur Schule und Mum in die Arbeit, deshalb war um sieben schon der totale Krawall im Haus. Ich schleppte mich ins Bad. Meine Mum fing mich ab.

„Wann stellst du sie uns vor? Du hast Cora ja schon gestanden.“

„Ich hab ihr auch gesagt, dass ich noch nicht so weit bin. Gib mir noch ein bisschen Zeit, ja?“

„Was stimmt denn nicht mit ihr? Ist sie ein Punk oder sowas?“

Ich prustete los.

„Nein, nichts dergleichen. Ich will einfach noch ein bisschen warten, okay?“

„Aber nicht mehr zu lang …“

„Ich geh jetzt wieder ins Bett.“

Das hatte mir gerade noch gefehlt. Lange würde sie sich nicht hinhalten lassen.

Nachdem der Mittags-Ansturm vorbei war, kamen Claudi und Max vorbei.

„Du siehst beschäftigt aus …“

„Kühltruhe kaputt … das hat alles irgendwie aus dem Takt gebracht … Wollt ihr euch nicht setzen?“

„Wir sind auf dem Weg zum Weiher …“

„Ich kann hier grad nicht weg, aber wartet kurz …“

Ich holte zwei Eis-Sandwichs, die bald ohnehin wegschmelzen würden. Als ich sie Max gab, berührten sich unsere Hände kurz und mich durchfuhr ein Blitz des Verlangens. Ihm ging es wohl ähnlich. Er meinte:

„Morgen schwimmen wir wieder zur Insel, ja?“

„So gegen zwei. Holt ihr mich hier ab?“

„Auf jeden Fall.“

Sein anzügliches Lächeln … zum Verrücktwerden.

Als ich kurz vor Mitternacht heim kam, fiel mir auf, dass ich schon lange nicht mehr online gewesen war. Und wer war da noch? Mein Max. Gerade als ich ihn anschreiben wollte, flatterte schon eine Nachricht von ihm herein.

„Hi, na, wie geht’s? Ich hab gesehn dass du auf die Biber-Brüder stehst. Ich find ‚Total dental‘ sooo lustig.“

Ich lachte laut los, dann antwortete ich:

„Weißt du, eigentlich steh ich gar nicht auf die, ich hab das nur drin stehen, um Jungs aufzureißen.“

„ Wie war die Arbeit?“

„Ich hab ne Kühltasche voll Eis mit nach Hause gebracht.“

„Nicht schlecht. Bleibt’s bei morgen um zwei?“

„Na klar, nichts könnte mich abhalten.“

„Ich muss dich endlich wieder anfassen …“

„Es ist so irre, wirklich. Wie eine Droge oder so …“

„Das Shirt, das du an hattest … ich erzähl dir lieber nicht, was ich damit gemacht habe.“

„Hihi. Wie bekommen wir Gummis auf die Insel?“

„Meine Badehose hat Taschen …“

„Sehr praktisch. Oh Mann, ich wünschte, du wärst hier …“

„Was hältst du eigentlich von Cybersex?“

„Oho! Ich hätte sogar eine Webcam …“

„Ich auch …“

„Ich dachte du hast keine Digicam …?!“

„Ich stell aus Prinzip keine Fotos ins Netz, deshalb behaupte ich das. So, bitteschön, jetzt kennst du mein dunkelstes Geheimnis …“

„Ich würde gern dein Gesicht sehen …“

„Wie heißt du bei Skype?“

Kurz darauf hatte ich mein Headset auf und hörte es klingeln.

„Hallo. Warte, gleich …“

Und da ploppte ein Fenster auf und ich sah ihn, ebenfalls mit Head Set auf, wie er an der Kamera vorbei in den Monitor lächelte und mein Bild musterte.

„Hey, das ist ja mein Shirt.“

„Darin schlaf ich. Es riecht nach dir …“

„Oh, vielleicht sollte ich die Türe absperren.“

Ich sah ihn aufstehen und tat es ihm gleich. Wir setzten uns gleichzeitig wieder vor die Kameras.

„Ich kann nicht so laut reden.“

„Ich auch nicht … wobei, meine Mum würde sich wohl denken, dass ich mit meiner Freundin telefoniere …“

„Hab ich was verpasst?“

„Man sieht mir scheinbar an der Nasenspitze an, dass ich verliebt bin. Sie hat daraus die falschen Schlüsse gezogen …und jetzt will sie sie kennenlernen.“

„Und was machst du?“

„Ich halt sie so lange wie möglich hin und dann lass ich mir was einfallen. Vielleicht leih ich mir Claudi aus …“

„Na ich weiß nicht …“

„Jetzt warten wir erst mal ab … Also wie war das mit Cybersex?“

„Du bist aber plump.“

„Ich wusste nicht, dass ich dich immer noch verführen muss …“

„Du bist blöd.“

„Das hatten wir doch schon mal …“

„Hey, komm doch morgen früh mit mir laufen.“

„Wann?“

„So um acht.“

„Das ist ja in acht Stunden!“

„Ja das reicht doch an Schlaf …“

„Und dann rennst du mir davon …“

„Nein, ich locke dich in ein abgeschiedenes Waldstück und dann …“

„Ja?“

Er tippte etwas ein, das er scheinbar nicht aussprechen wollte. Ich war gespannt.

„ … dann reiße ich dir die Klamotten vom Leib und fick dich auf dem weichen Waldboden.“

Ich schrieb ebenfalls:

„Aber zuerst geb ich dir den geilsten Blowjob deines Lebens. Du wirst mit deinem Stöhnen die Rehe aufschrecken …“

„Stell die Kamera tiefer, ich will deine Hände sehen.“

Als wir uns gegenseitig beim Kommen zugesehen hatten, schrieb ich ihm:

„Jetzt würde ich dich eigentlich festhalten, deinem Herz beim langsamer werden zuhören, deine Hände in meinen Haaren fühlen. Cybersex ist kein guter Ersatz …“

„Dann komm morgen mit mir Laufen. Wir treffen uns um acht da wo wir uns verabschiedet haben.“

„Okay. Du hast die Gummis.“

„Ich musste schon wieder neue kaufen, wir haben echt nen ziemlichen Verschleiß.“

„Nach Italien nicht mehr. Na gut, wenn ich so früh aufstehen muss, dann sollte ich jetzt schlafen gehen.“

Ich schaute in die Kamera und sagte:

„Ich liebe dich. Schlaf gut.“

Ich sah sein Lächeln und war glücklich.

Um halb acht klingelte mein Wecker. Mum war noch zu Hause.

„Was machst du denn schon auf?“

„Ich geh laufen.“

„Was ist denn jetzt los? Geht die Welt unter?“

„Haha … Ich muss los.“

„Gehst du mit ihr laufen?“

„Schönen Tag noch.“

„Du bist so ein Sadist.“

Draußen traf ich meinen Dad.

„Morgen.“

„Morgen. Was machst du denn schon auf?“

„Was machst du noch zu Hause?“

„Ich bin auf dem Weg zum Bahnhof. Du?“

„In die andere Richtung. Ich geh laufen.“

„Deine Mum hat mir was von einer Freundin erzählt.“

„Ich dachte ihr redet nicht miteinander … Ich muss los.“

„Ja, lass sie nicht warten.“

Oh Mann, das wurde ja immer besser …

Mir reichte eigentlich schon die Strecke, die ich zu Max laufen musste. Er stand schon bereit.

„Guten Morgen!“

„Bah. Joggen is voll blöd.“

„Alter Morgenmuffel, komm schon, hier lang.“

Er gab ein recht zügiges Tempo vor, das ich bestimmt nicht lang durchhalten würde … Aber ich wollte vor ihm auch nicht wie ein Waschlappen dastehen. Zum Glück bog Max bald vom Weg ab, ins Unterholz.

„Ich hoffe du bist gegen Zecken geimpft.“

„Alle Impfungen auf dem neusten Stand. Deine?“

„Keine Ahnung, ehrlich gesagt.“

„Ma-hax!“

„Ja, ich weiß.“

„Jetzt hast du frei, ich will, dass du die Woche noch zum Berger gehst. Das macht eine Helferin, du musst nicht mal warten.“

„Vielleicht am Donnerstag …“

Er sah sich um.

„Ich glaub hier her verirrt sich keiner mehr, hm?“

Um zehn trabte ich wieder zu Hause ein und war zum Glück alleine. Warum hatte ich Max eigentlich nicht mit heim gebracht? So bald würde hier niemand auftauchen. Ich merkte mir das fürs nächste Mal, während ich an den unmöglichsten Stellen Fichtennadeln fand.

Um zwei stand ich schon bereit und Max, Claudi und Thorsten holten mich ab. Wir ließen die anderen beiden etwas vorfahren.

„Das mit dem ‚weichen Waldboden’ war wohl nichts, hm? Ich hab sogar nach der Dusche noch ein paar Nadeln gefunden …“

„Mir ging’s genauso, und da ist mir ein Gedanke gekommen … Meine Mum arbeitet bis Nachmittags. Warum joggst du nicht einfach morgens zu mir? So dass du kurz nach acht da bist, da ist sie sicher weg … dann haben wir ganze zwei Stunden für uns bevor ich zur Arbeit muss …“

„Ist das nicht recht riskant? Was wenn sie noch da ist?“

„Dann bist du eben ein Kumpel, der mich zum joggen abholen will …“

„Und wenn sie heim kommt?“

„Warum sollte sie denn heim kommen? Wir können ja trotzdem die Tür absperren und wenn sie kommt versteck ich dich im Schrank. Hey, no risk, no fun. Oder Fichtennadeln in der Unterhose …“

„Na gut, dann probieren wir das am Donnerstag mal aus. Weil morgen …“

„Fahren wir in die große Stadt. Ganz genau.“

Wir verzichteten drauf, zur Insel zu schwimmen. Dafür machten wir unter Wasser ein bisschen rum. Dann sonnten wir uns ein bisschen, unterhielten uns mit Claudi und Thorsten … hielten unter dem Handtuch verstohlen Händchen … Ich schlief sogar ein, ohne Max’ Hand loszulassen.

Um viertel vor fünf wurde ich unsanft von Thorsten geweckt.

„Wir müssen los, ich treff’ meine Eltern um fünf im Restaurant.“

„Schon so spät …?“

Max ließ meine Hand los und streckte sich. Scheinbar hatte er auch geschlafen …

„Och nö, das war viel zu kurz.“

„Wir sehen uns morgen früh am Bahnhof, hm?“

„Noch so lang hin …“

„Der Zug um halb zehn?“

„Mhm …“

„Das is gar nicht mehr so lang … Claudi unterhält dich bestimmt gut. Komm schon, du weißt ich kann nicht weg gehen, wenn du so guckst …“

Er versuchte zu lächeln.

„Gehen wir morgen dann zu McDonalds?“

„Wenn du willst.“

Jetzt war sein Lächeln echt.

„Ui toll. Also, geh schon, nicht dass du noch zu spät kommst …“

„Bis morgen. Ciao Claudi.“

Thorsten und ich schoben bis zum Parkplatz.

„Mann, dich hat’s ganz schön erwischt, hm?“

„Du machst dir keine Vorstellung … Es ist schon fast beängstigend. Wenn er mich anlächelt, dann ist alles gut, aber wehe wenn ihm irgendwas fehlt …“

„Ich seh schon, ich muss mir keine Sorgen um ihn machen. Aber diese ganze Heimlichtuerei …“

„ … nervt ziemlich, ja. Aber wenn man etwas nicht ändern kann, dann muss man da eben durch … Ich hab übrigens Klara gesagt was los ist.“

„Und, wie hat sie’s aufgenommen?“

„Sehr … ambivalent würde ich sagen … aber sie meint, sie gewöhnt sich dran …Sie hat mich aber auch gewarnt, es auf keinen Fall unseren Eltern zu sagen …“

„Hm, das ist echt alles Scheiße … Und deine Leute? Die mit denen du Abi gemacht hast und so …?“

„Die sind in alle Winde verstreut.“

„Hm … mal sehen, ob das mit unserem Jahrgang auch so ist. Du kommst am Samstag auch zur Zeugnisübergabe hab ich gehört?“

„Ja, hab ich vor.“

„Max freut sich echt ziemlich darüber, auch wenn er mich killen würde, wenn er wüsste, dass ich dir das sage. Ein Mensch, der wirklich wegen ihm da ist.“

„Seine Eltern kommen doch auch.“

„Aber nur um stolz jedem zu erzählen, dass ihr Sohn der Jahrgangsbeste ist.“

„Was?!“

„Wusstest du das nicht? 1,2 hat sonst keiner hinbekommen.“

„Krass … ich hab mir einen Streber geangelt …“

„Sieht so aus.“

Am Abend war Max wieder bei Skype.

„Von wegen ich kenn dein dunkelstes Geheimnis …“

„Hm? Warum?“

Er mampfte nebenbei Chips.

„1,2.“

„Oh, naja, am Samstag hättest du es wohl eh erfahren.“

„Du bist ein Superhirn!“

„Naja, geht so. Ich hatte auch viel Glück und so …“

„Hey, red dich da nicht raus. Du bist nicht nur wunderschön, sondern auch noch superklug.“

„Ach, naja … red weiter.“

„Und so sportlich … und hast den tollsten Sinn für Humor.“

„Aha, mhm.“

„Und im Bett bist du einfach weltklasse …“

„Ach du … das denkst du nur, weil du so in mich verlüüüübt bist. Ich hab grad vorher Biberbrüder angeschaut …“

„Ja, das hör ich.“

„Claudi ist jetzt wieder verwandtenfrei.“

„Sehr gut.“

„Bist du nervös wegen morgen?“

„Eigentlich nicht. Du?“

„Ich hasse Blut abnehmen …“

„Ich halte deine Hand.“

„Wie ist das eigentlich in der großen Stadt? Können wir es da riskieren einen auf Pärchen zu machen?“

„Lass uns das spontan entscheiden, ja?“

„Okay …“

„Dann gehen wir zuerst da hin, dann zum Mäcky und dann shoppen oder so?“

„Oder so, ja.“

„Was ist das für ein Unterton?“

„Sehr scharfsinnig … shoppen ist eigentlich nicht so mein Ding …“

„Muss ja nicht Kleidung sein, wir können auch zu ’nem Elektro-Discounter schauen und so …“

„Hm, nicht schlecht … was spielst du denn eigentlich so?“

„Ach, ich bin da nicht so der Pro. ’n bissl Diablo 2 online … Action Adventures vor allem … Du?“

„Ja, auch. Ich könnt mich stundenlang in der Spiele-Abteilung tummeln, aber Claudi hat da nix zu tun.“

„Ich bin da geduldiger. Stunden jetzt vielleicht nicht, aber ne Weile, und die Musik-Abteilung gibt es ja auch noch. Da hol ich mir Anregungen, was ich als nächstes runterlad.“

„Soso, du Krimineller …“

„Nein, ich sag jetzt nicht, was mir auf der Zunge lag. Bondage ist glaub ich nicht so meins …“

„Man muss alles mal ausprobiert haben …“

„So? Naja, vielleicht wenn du deine eigene Wohnung hast …“

„Vergiss nicht morgen nüchtern zu bleiben.“

„Wie bitteschön kamst du jetzt von Bondage auf nüchtern bleiben?“

„Sex – Gummi – Aidstest, voilà.“

„Na gut … jetzt ist die Stimmung jedenfalls ruiniert …“

„Ich muss eh schlafen. Kommst du morgen mit Laufen? Also echt Laufen?“

„Vor der großen Reise? Sorry, aber so fit bin ich nicht …“

„Na gut. Dann sehen wir uns am Bahnhof. Hoffentlich träum ich wieder von dir.“

„Hast du gestern von mir geträumt?“

„Allerdings.“

„Was schmutziges?“

Er grinste vielsagend, winkte und legte auf. Maaaaannn. Plötzlich musste ich daran denken, was für ein Musterschüler er war. Bestimmt würde keiner damit rechnen, wie er wirklich drauf war. Das machte mich gleich noch mehr an.

Max stand schon am Bahnhof und er hatte eine Kunststoffbrille mit dunklem Rand auf.

„Hey Fremder. Was hast du denn da auf der Nase?“

„In der großen Stadt kann ich doch nicht blind rumlaufen. Hey, deine Augen sind ja blau.“

„Haha. Was hast du denn alles dabei?“

Ich deutete auf seinen Rucksack.

„Ach, Wasser, Brillenhülle, Geld, Handy, Impfbuch, was zu lesen … was man halt so braucht …“

„Du bist gern auf alles vorbereitet, hm?“

„Spiel nicht den Psychologen. Hast du eine Fahrkarte?“

„Nö.“

„Also Partnertageskarte?“

„Genau.“

„Ich kauf sie mal.“

„Ich rauch solang eine …“

„Was?!“

„Nur ein Test. Wir kennen uns echt noch nicht so gut, hm?“

„Du kennst mich, wie mich kein anderer kennt. Die Details finden wir schon noch raus, sonst wäre es ja langweilig, hm? Du rauchst doch nicht, oder?“

„Nein, und wenn dann würde ich jetzt sofort damit aufhören, nachdem ich dein Gesicht gesehen habe.“

Im Zug saßen wir uns gegenüber.

„Was ist deine Lieblingsfarbe?“

„Was?“

„Du hast doch selber gesagt, dass wir uns fast noch nicht kennen. Also, David … Kumpel. Erzähl mal …“

„Also ein Kumpel hat mich noch nie nach meiner Lieblingsfarbe gefragt …“

„Jaja, sag schon.“

„Hm … schwarz?“

„Echt? Warum?“

„Passt zu allem.“

„Okay, dagegen kann man wohl nichts sagen. Lieblings Schulfach?“

„Willst du mir nicht einfach dein Poesiealbum zum Reinschreiben geben …?“

„Ja, du warst der Kassenclown, das seh’ ich schon. Also?“

„Ich hatte Englisch und Bio LK … du?“

„Mathe Physik.“

„Du kranker Bastard.“

„Die Reaktion krieg ich oft.“

„Und da hast du 1,2 geschafft?!“

„Tja, ich bin halt ein Superhirn. Was noch …? Hm, ein paar ernstere Themen. Organspende?“

„Klar, wenn es jemandem hilf. Aber nichts im Gesicht, also Netzhaut oder so.“

„Warum nicht?“

„Eitelkeit. Du?“

„Alles, mir ganz gleich. Ich will eh eingeäschert werden.“

„Wieso? Findest du die Vorstellung nicht schrecklich, dass all das verbrannt wird? Deine perfekten Hände, deine …“

„Pscht … so redet man aber nicht unter Kumpels …“

„Wer hat den Scheiß eigentlich angefangen?“

Er beugte sich rüber.

„Die Hälfte der Leute hier im Zug sind aus Kleinding, also …“

„Na gut. Also ich will nicht eingeäschert werden.“

„Wer soll dein Grab pflegen?“

„Meine Angehörigen … Kinder, was weiß ich …“

„Kinder?“

Er schien ernsthaft überrascht.

„Ja, oder Enkel, oder Urenkel halt.“

„Nochmal: Kinder? Also weißt du, mit den Bienchen und Blümchen ist das so:“

„Haha, ja danke. Ich war in der fünften auch bei Herrn Rieder … Jedenfalls kann ich mir ein Leben ohne Kinder nicht vorstellen. Ich werde wohl irgendwann einen Weg finden müssen, wie das auch mit zwei Bienchen funktioniert …“

„Bio-LK, hm?“

„Mach dich nur lustig, aber da hast du echt einen Nerv getroffen. Als ich mir endlich eingestanden habe, dass Blumen nichts für mich sind, da hab ich wirklich eine ganze Weile um meine perfekte Familie getrauert … Wie stellst du dir das denn vor?“

„Kinder erschrecken mich noch zu sehr, als dass ich mir vorstellen könnte, selbst welche zu haben. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass ich es mir in eine paar Jahren zumindest vorstellen kann, verstehst du? Ich hab nur absolut keine Ahnung, wie das funktionieren kann.“

„Okay … solange dein ‚nein‘ nicht in Stein gemeißelt ist, kann ich damit leben …“

„Ich glaub es nicht, dass wir über Kinder reden, ich hab grad erst Abi gemacht!“

„Ich doch auch, oder zumindest kommt es mir so vor … Das Jahr ist verdammt schnell verflogen. Aber jetzt wird es auch echt Zeit, dass das Studium losgeht.“

„Du hast hier nicht so viele Freunde, oder?“

„Die haben sich über die ganze Welt verstreut.“

„Was ist eigentlich mit Zivildienst?“

„Hab T3, du?“

„Ich bin ebenfalls kürzlich ausgemustert worden. Warum hast du T3?“

„Bienenallergie.“

„Was?! Und da rennst du am Weiher barfuß rum?“

„Ach, das war eine Reaktion als Kind. Die letzten beiden Stiche sind nur übermäßig angeschwollen, nix weiter.“

„Aber das kommt doch drauf an, wo sie dich sticht …“

„Meistens hab ich ja auch so ein Mittel dabei, und zu Hause liegt immer eines im Kühlschrank …“

„Schön dass ich das auch erfahre. Noch mehr solche Überraschungen?“

Ich wusste, wie er sich fühlte. Die Vorstellung, dass ihn ein unglückliches Ereignis so schnell aus meinem Leben reißen könnte, war unerträglich.

„Max, mach dir keine Sorgen. Es ist immer noch die Zeit, das Mittel zu holen. Aus der Apotheke, von zu Hause, aus meiner Tasche …“

„Hast du eines dabei?“

„Das passt nicht in die Hosentasche …“

„David, verdammt. Damit solltest du nicht so leichtfertig umgehen.“

„Es gibt an jeder Ecke ne Apotheke, jetzt mach dir keine Sorgen.“

„Die Vorstellung, dass dir was passierten könnte, macht mich ganz verrückt!“

„Ich pass schon auf mich auf. Und du gehst morgen zum Impfen …“

„Wir sollten über ein paar Notfall-Sachen reden.“

„Okay …“

„Hast du einen Organspende-Ausweis?“

„Ja, sowas hab ich. Da schaust du, hm?“

„Lass mal sehen.“

Ich holte die rote Karte aus dem Geldbeutel.

„Schreib meine Handynummer auch noch unter Notfall-Kontakte, mach schon.“

Er drückte mir einen Stift in die Hand. Die Nummer konnte ich auswendig. Dann schrieb er meine bei sich hin.

„Wow, das war ein großer Schritt.“

„Das ist nicht lustig. Wenn dir was passiert, dann gibt mir niemand Bescheid, weil keiner von mir weiß. Ich fühl mich besser, wenn das da drauf steht.“

„Okay. Mir geht es ja genauso. Aber wir dürfen uns da nicht so reinsteigern. Es passiert schon nichts.“

„Weißt du, ich würde mich jetzt so gern zu dir rüber setzten. Ich find das Ganze echt zum kotzen. In der großen Stadt mach ich kein Geheimnis mehr daraus, wer ich bin und was wir haben.“

„Das will ich ja auch. Mal sehen, hm?“

„Ich hab gerade einen Entschluss gefasst.“

„Ach so, na gut.“

Im Gesundheitsamt mussten wir eine Stunde warten und durften nicht zusammen rein gehen. Max ging zuerst. Während er drin war, kam ein mittel-altes schwules Paar an und setzte sich auf die freien Stühle neben mir. Sie hielten sich an den Händen und turtelten. Ein paar andere Leute schauten verächtlich und gingen auf Sitze weiter weg. War das mein Schicksal?

„Hast du ein Problem?“

Ich hatte die beiden wohl angestarrt …

„Nein, sorry.. es ist nur … gewöhnt man sich irgendwann dran?“

„Woran? An die Idioten die blöd schauen oder weggehen? Auf jeden Fall. Schlimm sind die, die pöbeln und prügeln.“

„Das macht einem ja nicht gerade Mut …“

Der andere meinte freundlich:

„Den Preis zahlt man gerne. Seine Liebe nicht zeigen zu dürfen, das zerfrisst einen auf Dauer …Hast du einen Freund?“

„Er ist grad da drinnen. Wir sind noch nicht lang zusammen …“

Der barschere der beiden meinte:

„Wenn du dich versteckst, spielst du nach ihren Regeln. Dann haben sie schon gewonnen.“

Die Tür ging auf.

„Ich werde es mir zu Herzen nehmen.“

Max sah blass aus. Ich bot ihm meinen Stuhl an und wollte schon fast rein gehen, aber dann beugte ich mich nochmal zu ihm runter und küsste ihn auf den Mund.

„Du hast es überstanden. Bin gleich wieder bei dir.“

Er schaute mich überrascht an, und noch überraschter schaute er, als einer der beiden Männer neben ihm ihm auf die Schulter klopfte.

Eine junge Ärztin fragte mich, was alles getestet werden sollte und nahm mir drei Ampullen Blut ab. Dann bekam ich was zum draufdrücken und ein Pflaster für später. Das war echt gar nicht schlimm. Nach Italien würde ich mir das Ergebnis persönlich abholen.

Das Paar redete auf Max ein.

„So, fertig. Auf zum Mäcky, hm?“

„Ja … mir ist noch ein bisschen schwindlig.“

„Willst du noch eine Weile sitzen bleiben?“

„Vielleicht wenn du beim gehen den Arm um mich legst …“

„Sehr gern. Danke für euren Rat.“

„Gern. Kommt mal im ‚Flags‘ vorbei, wenn ihr Zeit habt, ja?“

„Klar, wenn es sich ergibt.“

Max stand auf und ich legte ihm den Arm um die Taille. Seine Schritte wurden schnell sicherer, aber ich nahm den Arm nicht weg.

„David?“

„Ja Max?“

„Die Leute gucken so.“

„Lass sie gucken. Wir tun nichts Falsches.“

„Und hier kennt uns niemand.“

„Ich liebe dich.“

„Ich liebe dich. Aber für küssen in der Öffentlichkeit bin ich noch nicht bereit.“

„Okay, das wird schon noch …“

„Macht dir das gar nichts aus?“

„Doch, aber wenn ich ihnen das zeige, dann bestätige ich sie doch bloß. Ich konzentrier mich nur auf dich. Und auf die Suche nach dem nächsten Mäcky.“

„Folge mir.“

Er nahm meine Hand und zog mich weiter. Er sah recht unbeschwert aus, das gefiel mir.

„Was denn?“

„Ich freu mich, dass es dir gut geht.“

„Das liegt nur an dir. Mit dir hier zu sein, das macht alles irgendwie realer …“

„Ich weiß was du meinst. Und irgendwie fühl ich mich auch so, als würde mein Leben jetzt erst richtig anfangen, als wäre alles vorher nur dazu gut gewesen, mich auf das hier vorzubereiten.“

„Fuck, ich weiß genau was du meinst!“

„Ja? Gut.“

Bei McDonalds stellten wir fest, dass wir uns gut ergänzten. Er trank mein Cola aus, ich bekam den Rest seiner Curry-Sauce.

„Ich hab schon so oft hier gesessen. Das letzte mal mit Claudi, am Montag nachdem wir das erste Mal gemailt hatten. Wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich heute hier mit dir sitzen würde … verrückt.“

„Kann ich deine Hand halten?“

Er streckte sie mir über den Tisch, hinter dem Tablett … besser als nichts. Wir blieben noch eine Weile sitzen und redeten über ein paar Leute die wir beide kannten, unter anderem über den Typ mit dem meine Schwester rumgemacht hatte. Max mahnte mich davor, mich da einzumischen. Schließlich wollten wir auch nicht, dass sie sich bei uns einmischt … Damit hatte er ja Recht, trotzdem …

Dann waren wir fast zwei Stunden in der Saturn-Spieleabteilung. Das war total seltsam, denn plötzlich dachte keiner von uns mehr dran, den anderen zu küssen oder sonst wie zu berühren. Wir fachsimpelten über verschiedene Spiele, ich fand heraus, dass Max eine PS2 besaß, er war begeistert, dass ich eine Nintendo DS hatte … die Zeit verflog geradezu und wir kauften beide ein neues PC-Spiel.

Draußen blendete die Sonne.

„Wenn wir den Zug um 14:20 nehmen, dann könnten wir noch an den Weiher.“

„Gute Idee.“

„Irgendwie ist es grad seltsam, oder?“

Max spürte es also auch.

„Ja, irgendwie …“

„Du würdest auch einen guten besten Freund abgeben.“

„Die Kombination ist doch sogar noch besser, oder?“

„Schon, aber auch verwirrend …“

„Zugegeben. Was machen wir jetzt? Freunde bleiben?“

„Du bist blöd. Natürlich nicht! Wir suchen uns ne Nische und knutschen. Das bringt alles wieder in Ordnung.“

„Wir könnten ins Kino gehen …“

„Bei dem Wetter?“

„Na gut, dann verschwinden wir in der Seitenstraße da?“

„Jetzt ist die Stimmung beim Teufel.“

„Genau deshalb wollten wir ja knutschen gehen, weißt du noch?“

„Hab ne bessere Idee, komm.“

Ich folgte ihm zu einem Straßenverkäufer. Max schaute sich die Lederarmbäder durch und suchte ein schlichtes Dunkelbraunes aus. Er bezahlte und drehte sich zu mir.

„Das hier ist zum Zeichen unserer Freundschaft, die die Basis einer jeden guten Beziehung ist. Ein Freundschaftsarmband, wenn du so willst.“

Er band es mir ums Handgelenk. Seine Finger waren so geschickt …

„Komm weiter.“

Ohne etwas zu sagen ging ich hinter ihm her. Er steuerte auf einen Blumenstand zu und kaufte eine einzelne kleine blaue Kornblume. Er kürzte den Stängel auf ein paar Zentimeter.

„Und die hier steht für all das, was wir haben und was über Freundschaft hinaus geht.“

Er kramte in seinem Rucksack rum und holte ein dickes Buch raus. Er schlug es auf und legte die Blume hinein.

„Auch wenn wir den Teil meistens geheim halten müssen, ist er doch immer da. Und wir beide wissen es. Trag unsere Freundschaft wie dieses Band zur Schau, aber denk immer an die wunderschöne Blume in ihrem sicheren Versteck. Denk daran, dass ich dich liebe und begehre, David.“

„Ich weiß überhaupt nicht, was ich sagen soll …“

„Dann küss mich doch einfach.“

Und das tat ich, mitten auf einem belebten Platz in der großen Stadt. Es fühlte sich an, wie ein erster Kuss. Und das Seltsamste daran: Niemand von den vorbeiströmenden Menschen schien überhaupt Notiz davon zu nehmen.

Auf der Rückfahrt drehte ich die Blume zwischen meinen Fingern und kommunizierte mit Max nur durch Blicke. Den restlichen Nachmittag verbrachten wir am Weiher, oder besser: Auf der einsamen Insel.

Zum Abendessen war ich zu Hause, nur um abwechselnd Mums Fragen ausweichen und ihre Hasstiraden auf Dad ausblenden zu müssen. Von zehn bis eins skypte ich mit Max während wir beide unsere neuen Spiele antesteten. Am Ende des Gesprächs wurden wir doch nochmal ein Pärchen.

„Du kommst morgen früh um viertel nach acht, stimmt’s?“

„Ja, hab ich vor. Dann seh ich endlich mal dein Zimmer in echt.“

„Ist nichts Besonderes.“

„Wie ist dein Bett so?“

„1,40, ganz stabil, quietscht nicht, soweit ich weiß.“

„Hattest du darin schon mal Sex?“

„Mit jemand anderem meinst du? Nein, noch nicht.“

„Gut.“

„Wirst du jetzt eifersüchtig?“

„Nein, ich find das nur echt sexy. Ein jungfräuliches Bett.“

„Wir sollten langsam Schluss machen. Und wenn ich aufwache, bist du da.“

„Ich klingle dann einfach, oder?“

„Ja, dann schlepp ich mich zur Tür.“

„Das kann ja spannend werden …Na dann, schlaf gut. Danke für den tollen Tag.“

„Ich danke dir. Vor allem für das, was du auf der Insel gemacht hast.“

„Ach das … das hat mir doch mehr Spaß gemacht als dir. Gute Nacht mein Sch … Scheiße.“

„Hey!“

„Ich hätte dich fast Schatz genannt!“

„Oh, Katastrophe.“

„Stell dir vor mir passier das in der Öffentlichkeit! Und selbst wenn nicht, dann ist es immer noch ziemlich uncool, jemanden Schatz zu nennen …“

„Also ich hab mich geschmeichelt gefühlt … Aber wie du meinst. Gute Nacht, Kumpel.“

„Du bist blöd, aber ich lieb dich trotzdem.“

Er winkte und legte auf.

Am nächsten Tag funktionierte alles reibungslos und um halb neun entjungferten wir mein Bett, wie Max es ausdrückt. An diesem Morgen passierte etwas ganz wunderbares, als Max auf mir lag.

„Oah, ja, das ist gut … oh … sehr gut. Mmmmh, ja, genau so oooh. Aah, mmmmm ja, oh, nicht aufhören … Tiefer, mh mh mh mh mh mh mh ah ah ah oooooh!!!“

Ich spürte den Orgasmus in Wellen durch meinen ganzen Körper gehen, es prickelte bis in die Fingerspitzen, es war das pure Glücksgefühl und es hielt an. Danach war jede einzelne Stell meiner Haut überreizt. Max durfte mich nicht anfassen. Meine Zähne schlotterten gegeneinander und ich wand mich auf dem Bett.

„David? … Alles okay? Bist du gerade, ich meine hattest du …“

„Fuck …“

Mehr konnte ich nicht sagen. Nur Fuck. Und ein Lächeln überzog mein Gesicht und blieb da für den restlichen Tag.

Am Freitagmorgen kam Max wieder und erkundete mein Zimmer während ich versuchte, ihn ins Bett zu locken um alles möglichst genau wie am Vortag zu machen. Klappte nicht, aber war trotzdem toll. Bevor er ging, klärten wir noch das Organisatorische.

„Also um zwei geht’s los. Dress-Code kennst du ja noch vom letzten Mal. Danach geh ich mit meinen Eltern und Claudis Familie essen. Und dann geh ich zu Claudi um die letzten Vorbereitungen zu treffen. Komm um halb acht da hin, muss jetzt keine Limo sein, aber ein Fahrrad tut es auch nicht …“

„Ich soll dich abholen?“

„Claudi und Thorsten und mich. Wenn wir schon nicht tanzen können … es ist immerhin mein Abschlussball. Also?“

„Klar, ich bekomm bestimmt das Auto meiner Mutter.“

„Ich hab zwei Karten, falls du noch jemanden mitbringen willst. Die Sitzordnung ist am Anfang noch recht steif, aber …“

„Hey, das ist nicht mein erster Abi-Ball …“

„Okay … sorry, ich bin nur irgendwie nervös …“

„Das wird schon. Das wird ein denkwürdiger Tag. Und ich freu mich schon drauf, dich im Anzug zu sehen.“

„Du weißt immer genau was du sagen musst, damit es mir besser geht …Verdreh nicht die Augen, ich mein es ernst. So, ich halt dann morgen im Publikum nach dir Ausschau.“

Ohne dass ich sie fragte, bot meine Schwester an, mit zur Zeugnisverleihung zu gehen, also fragte ich sie auch gleich noch, ob sie auf den Ball wollte. Sie war sofort Feuer und Flamme. Schließlich wollte sie wissen, worauf sie sich in zwei Jahren einzustellen hatte. Um viertel vor zwei kamen wir in schicken, aber nicht zu schicken Klamotten in die Turnhalle. Mir lief es kalt den Rücken runter. Zurück in der Schule … hm.

„Das da vorne sind seine Eltern. Die die mit Herrn Neuberger reden.“

Mein alter Mathelehrer konnte mich nie leiden … Herr Weller war groß, dunkelhaarig, seine Augen wirkten irgendwie kalt … Wie die eines Immobilienhais, der er ja war. Frau Weller war hübsch, aber auch sie sah Max nicht wirklich ähnlich. Aber sowas hatte er ja schon mal erwähnt. Wir setzten uns in eine der hinteren Reihen, von wo aus man aber immer noch gut sehen konnte.

„Ich glaub da vorn ist Max, ja. Daneben ist Claudi. Ich dachte immer die zwei seien zusammen …“

Ich verrenkte mit den Hals und sah einen kupferbraunen Hinterkopf und daneben hochgesteckte, dunkelbraune Haare. Ja, da waren sie. Und schon ging es los. Eine lange und langweilige Ansprache über die Zukunft der Abiturienten vom Direktor, dann eine kürzere vom Kollegstufenbetreuer, dann zwei Vertreter der Abiturienten. Mann, die Leute hörten sich wohl gerne reden … Und dann kam die Zeugnisübergabe. Claudia Bechthold in einem definitiv zu kurzen Rock. … Thorsten Finger … noch ein paar andere bekannte Gesichter … und als einer der letzten: Maximilian Weller. Ich genoss seinen Anblick, als er selbstbewusst nach oben, auf den Direktor zuging. Eine schwarze Hose, weißes Hemd. Klassisch, es stand ihm. Sein Zeugnis war blau umwickelt. Der Direktor reichte es ihm mit besonders breitem Lächeln.

„Meine Damen und Herren, Herr Weller ist nicht nur Jahrgangsbester, er erhält für besondere Leistungen im Bereich der Quantenphysik den Max-Planck-Schüler-Preis und ein Stipendium im Wert von 5.000 Euro. Unsere Schule gratuliert dem nationalen Sieger.“

Ich kann gar nicht sagen wie platt ich in diesem Moment war. Herr Weller stand auf und schoss ein Foto. Als Max sich zur Kamera drehte, sah ich etwas Blaues aus seiner Brusttasche blitzen. Unsere Blume. Ich flüsterte Klara ins Ohr:

„Das ist mein Freund da oben.“

Sie drückte meine Hand. Und lächelte mich an.

Nach dem traditionellen Abschiedslied war das Zeremoniell auch wieder vorbei. Es gab Sekt und Orangensaft für alle. Max wurde von Herrn Neuberger und einigen anderen in Beschlag genommen. Sein Vater hatte stolz die Hand auf der Schulter seines Sohnes. Überall standen Familien beieinander. Mein Blick fiel auf einen Kerl, der kurz vor Max sein Zeugnis bekommen hatte. Seine Freundin gratulierte ihm gerade mit einem innigen Kuss, während seine Eltern nur lachend den Kopf schüttelten. Ich schluckte einen Kloß im Hals hinunter.

„Das ist irgendwie nicht fair, oder?“

Klara hatte meine Gedanken gelesen. Claudi winkte uns rüber zu ihrer Familie, die gleich neben den Wellers stand.

„Hallo ihr zwei. Mama, Papa, das sind David und Klara Lenz. Gute Freunde von Max und mir.“

„Hallo ihr zwei. Ihr habt euch ja gar nichts zu trinken geholt.“

Frau Weller stand auch dabei. Ich spürte das dringende Verlangen, einen guten Eindruck zu machen. So ein Schwachsinn. Wenn sie je erfahren würde, was ich mit ihrem Sohn so alles trieb … ich spürte, wie meine Ohren rot wurden.

„Ach, wir sind schon wieder auf dem Sprung …“

„Ihr habt doch Max noch gar nicht gratuliert! Die Lehrer lassen sicher bald von ihm ab. Die werden ihren besten Schüler bestimmt vermissen.“

„Also David, warst du auch auf dieser Schule?“

Warum in Gottes Namen sprach Frau Weller mich an?

„Ja, ich hab letztes Jahr abgeschlossen.“

„Und was studierst du?“

„Ab Herbst hoffentlich Psychologie.“

„Ah, interessant. Und jetzt warst du beim Militär?“

„Nein, ich wurde ausgemustert. Ich habe die zwei Wartesemester genutzt, um etwas Geld zu verdienen.“

„Sehr löblich. Unser Max hatte neben der Schule nie Zeit, etwas zu arbeiten. Hätte ihm bestimmt nicht geschadet.“

„Immerhin hat ihm das ein 5.000 Euro-Stipendium eingebracht.“

„Natürlich, ich will mich nicht beschweren. Das wird sich sicher besser in seinem Lebenslauf machen, als irgendein Kellner-Job.“

Die Frau war noch viel schrecklicher als ich es mir vorgestellt hatte. Wie konnte sie es wagen, immer noch was zum Nörgeln zu finden? Und der Seitenhieb mit dem Kellner-Job … Grrr. Zum Glück sprang Claudi mit Small-Talk ein und zwinkerte mir zu. Und dann kam Max endlich rüber. Meine Schwester gratulierte ihm mit einer Umarmung. Ich fragte mich, was das sollte, aber dann verstand ich. Damit hatte sie mir den Weg geebnet, ihn ebenfalls zu umarmen. Links stand Klara, rechts Claudi, deshalb riskierte ich es, ihm zuzuflüstern:

„Ich bin so stolz auf dich, mein Herz.“

„Danke.“

Ich konnte kaum seinen Geruch einsaugen, so kurz war die Umarmung. Und schon rief sein Vater ihn wieder zu sich. Klara und ich verabschiedeten uns in die Runde und machten uns zu Fuß auf den Heimweg.

„Was hast du ihm zugeflüstert?“

„Dass ich sehr stolz auf ihn bin.“

„Ich glaube, er liebt dich.“

„Wie kommst du drauf?“

„Die Art wie er dich anschaut, wenn er denkt, keiner guckt. Und wie seine Augen funkeln, wenn er dich irgendwo entdeckt … Hat er es dir schon gesagt?“

„Ja.“

„Liebst du ihn auch?“

„Mehr als ich mir je hätte träumen lassen.“

„Ich schätze die hier ist für dich.“

Sie hielt mir die kleine blaue Blume entgegen.

„Danke.“

„Er hat sie mir zugesteckt, als ich ihn umarmt habe. Wahrscheinlich wusste er nicht, ob du ihn auch umarmst. Alles okay?“

„Ja, klar … es ist nur … ihn da oben zu sehen … und zu wissen, dass er zu mir gehört. Und diese blöde kleine Blume in seiner Brusttasche … ich kann mein Glück einfach nur nicht fassen …“

„Ach, großer Bruder … Tut mir Leid dass ich mich am Anfang so angestellt hab …“

„Schon okay.“

„Dein Freund ist echt toll.“

Ich lachte los und wusste selbst nicht genau warum …

Mum saß im Garten und grinste.

„Na, war es schön?“

„Ja, Mama.“

„Klara, sag mir, ist sie hübsch?“

„David hat einen guten Geschmack …“

„Schön. Lerne ich sie heute Abend kennen? Wo du schon mein Auto benutzt …“

„Mum, lass es doch mal gut sein … Wenn ich so weit bin, lass ich es dich wissen.“

„Klara …“

„Mum, ich glaub er hat Recht.“

„Verschwört ihr euch jetzt gegen mich?“

„Wie wäre es mit ’ner Runde Karten?“

„Na schön …“

Kurz vor halb acht kam Klara endlich aus ihrem Zimmer. Mum und ich waren beide mehr als überrascht. Sie sah so erwachsen aus. Ihr schwarzes, langes Kleid saß perfekt, ihre Haare waren hochgesteckt. Mum zwang mich, mein Jackett anzuziehen und schoss ein paar Fotos.

Kurz nach halb parkten wir vor Claudis Haus. Wir klingelten. Claudis Mum machte auf.

„Gleich sind sie so weit. Mein Mann ist nicht da und niemand kann eine Krawatte binden.“

„Du kannst das doch, oder? Papa hat’s dir doch gezeigt.“

Frau Bechthold schielte kurz auf meinen Hemdskragen, wo sich keine Krawatte befand. In meinem Leben hatte ich genau drei Mal eine dran, und das hatte mir gereicht. Da wurde man ja klaustrophobisch …

„Na dann ruf ich sie mal runter.“

Thorsten kam zuerst, mit einer schlecht gebundenen Krawatte. Dann kamen Claudi und Max die Treppe runter. Ich bemerkte Claudis 20er-Jahre-Kordel-Kleid zwar, aber meine Augen blieben auf Max ruhen. Schwarze Hose, weißes Hemd, schwarzes Jackett. Keinem stand das so gut wie ihm. Und hatte der breite Schultern. Klara tuschelte mir zu:

„Mund zu, gleich sabberst du.“

Max schwenkte seine Krawatte.

„Ich hab gehört, du kannst mir damit helfen?“

„Klar, aber ich brauch einen Spiegel dazu.“

Frau Bechthold deutete aufs Bad. Max zog eine Augenbraue hoch.

Ich machte die Türe hinter uns zu.

„Verdammt, das steht dir.“

„Danke. Du siehst auch verflucht gut aus … also wie mach ich das jetzt?“

„Am einfachsten wäre es, wenn ich sie an mir selbst binden würde, aber das ist weniger sexy. Komm her, stell dich vor mich.“

Im Spiegel sah ich uns beide stehen, kein schlechtes Bild. Ich legte Max die Krawatte um und band sie. Der erste Versuch gelang. Ich justierte sie noch länger als nötig und roch an seinen Haaren.

„David, hast du etwas einen Ständer? Ich bin entsetzt.“

„Das ist alles deine Schuld.“

„Denk schnell an was Abturnendes, wir sind spät dran.“

„Warte, du bist noch nicht fertig.“

Ich zog die Blume aus der Tasche, die ich auf eine Sicherheitsnadel gepiekst hatte. Damit befestigte ich sie an Max’ Jackett.

„Perfekt. Danke.“

Max’ Eltern saßen schon am Tisch. Klara und ich wurden am Nachbartisch platziert. Eröffnungstanz, kleine Ansprache, dann die übliche Standard-Musik. Alle tanzten. Aus dem Nichts tauchte der Kerl von meiner Schwester auf und schon saß ich allein am Tisch … Wunderbar. Da kam Claudi, meine Retterin.

„Na komm, tanz mit mir. Dann musst du Max nicht aus so weiter Ferne anschmachten.“

„Na gut …“

Er tanzte mit seiner Mutter. Sein Vater tanzte mit einer alten Deutschlehrerin und schien mäßig begeistert. Max suchte öfters meinen Blick, aber mehr war im Moment nicht drin.

Ich war froh, als sich das Ganze gegen zehn auflockerte. Inzwischen hatte ich es mir an einem Abiturienten-Tisch bequem gemacht und unterhielt mich mit der Asiatin deren BH den Wettbewerb gewonnen hatte. Max kam von irgendwo her und war nicht mehr nüchtern.

„Du trinkst ja gar nichts.“

„Ich hab mein Auto hier, weißt du noch?“

„Oh … hm … dann lass uns spazieren fahren.“

„Was? Jetzt?“

„Nur ne kleine Runde, komm schon. Wir sind zurück bevor uns jemand vermisst.“

„Na gut.“

Als wir auf dem Parkplatz waren, meinte er:

„Ich will sagen können ‚Ja, und am Abend meines Abschlussballs hatte ich noch geilen Sex im Auto, wie es sich gehört.’“

„Hast du Gummis?“

„Logo!“

„Na gut, wo soll ich hinfahren?“

„Zum Feldweg vor meinem Haus.“

„Können wir denn nicht gleich zu dir?“

„Stilechten Sex im Auto.“

„Na schön …“

„Aua … warte, mein Bein.“

„Ich mach mal den Sitz noch weiter zurück …“

„Vielleicht wenn wir auf die Rücksitz …“

TRÖÖÖÖÖÖÖT

„Ups, das war ich mit meinem Hintern …“

„Ma-hax, das wird nichts …“

„Aber …“

„Ich kann mich noch nicht mal in die richtige Lage bringen um dir einen zu blasen …“

„Ach Scheiße … war ja klar.“

„Hey, warum bist du denn so angepisst?“

„Ach, ich weiß auch nicht … Meine Eltern haben mich genervt. Die sind nie zufrieden … und die Lehrer mit ihrem Geschwätz. Wenn die so genial wären wie sie tun, dann wären sie wohl kaum Lehrer geworden sondern würden selbst forschen … und jetzt klappt nicht mal das hier … ich bin einfach genervt …“

„Und betrunken …“

„Ja, vermutlich.“

„Lass uns zurückfahren, hm?“

„Ist wohl das Beste …“

„Max?“

„Hm?“

„Du bist der tollste Mensch den ich kenne.“

„Ach du …“

Nach der Française um zwölf fuhren die meisten Eltern heim und die Musik wurde … nicht unbedingt besser aber moderner. Ich schaute Max und Claudi begeistert beim Abspacken zu, während ich an meiner Cola nippte. Plötzlich ließ sich Herr Neuberger neben mich auf einen Stuhl plumpsen.

„Herr Lenz! Mein ganz besonderer Liebling!“

Ich roch seine Fahne und suchte nach einer Fluchtmöglichkeit.

„Herr Neuberger. Was macht der kleine Daniel?“

„Wächst und gedeiht. Macht uns viel Freude. Und was führt sie hier her? Sehnsucht nach den alten Zeiten?“

„Nicht wirklich, nein. Ein paar Freunde von mir haben heuer abgeschlossen.“

Ich deutete auf Max und Claudia.

„Ja, die ist genau ihr Fall, nicht wahr? Sie spielt auch gern den Pausenclown. Allerdings sind ihre Beine viel unterhaltsamer als die ihren, Herr Lenz.“

Wenn Claudi sich schnell drehte, gaben die Kordeln den Blick auf ihr schwarzes Höschen frei.

„Geschmacksache, nehme ich an.“

Er schaute mich erstaunt an. Dann schüttelte er den Kopf und zog ab.

Gegen zwei hing Max Musterschüler, wie ich ihn inzwischen nannte, über der Kloschüssel. Ich reichte ihm Papier, streichelte ihm den Rücken und war fast froh, dass er doch nicht so perfekt war.

Als er wieder einigermaßen an sich halten konnte, fuhr ich Claudi und Thorsten nach Hause, während Klara auf Max aufpasste.

Als ich zurückkam, saßen sie schon vor der Tür.

„Max will bei uns schlafen. Seine Eltern, du weißt schon …“

„Na gut. In guten wie in schlechten Zeiten, hm?“

„Machst du mir einen Antrag?“

„Nicht solange du Kotze auf dem Shirt hast. Na dann ab nach Hause, hm?“

So leise wie möglich schafften wir Max in mein Bett, wo er sofort einschlief. Ich stellte noch einen Eimer hin und machte es mir dicht an die Wand gequetscht so gemütlich wie möglich.

„Aua … verdammt!“

Max war anscheinend über den Eimer gestolpert.

„Wer hat den denn da so dämlich hingestellt.“

„Verdammt, kannst du nicht mal bis neun schlafen wenn du bis zwei gesoffen hast?“

„Ich muss pissen.“

„Du kennst ja den Weg …“

„Ich hab Hunger.“

„Nicht dein Ernst! Es ist halb neun am Sonntag und du hast ’nen Kater. Leg dich wieder hin.“

„David! Wach auf.“

„Rüttle nicht an mir rum, Max Musterschüler.“

„Was bitte?“

„Filmriss, hm?“

Er dachte wohl kurz nach.

„Mitternacht … dann lange nichts mehr … oh, und dann eine Kloschüssel …War es sehr schlimm?“

„Du hast deine Klamotten angekotzt und einen neuen Tanz erfunden. Den Wuff-Mäh. War sehr amüsant. Ich war fast froh, dass niemand weiß, dass du zu mir gehörst …“

Seine Hand klatschte an meinen Oberarm. Ich zog ihn zu mir, aber er hatte nun mal Hunger …

„Wenn du dich an das Zeug erinnern könntest, das du gestern hoch gewürgt hast, dann hättest du jetzt keinen Hunger.“

„Tja, Glück für mich.“

Wir gingen kurz ins Bad und dann runter. Mum hatte sich schon Kaffee gemacht und saß mit einer Zeitschrift am Tisch.

„Morgen.“

„Guten Morgen. Du hast Besuch, oder?“

„Ja, ich hab Besuch. Hungrigen Besuch.“

„Na dann stell sie mir mal vor.“

„Klar, gern. Mum, hier kommt Max.“

„Guten Morgen.“

„Ach so, ich dachte schon … guten Morgen.“

Max plauderte locker mit meiner Mum während er drei belegte Brötchen verschlang. Ich erwähnte seine Ehrungen am vergangenen Tag und meine Mum war schwer beeindruckt, Max winkte bescheiden ab. Als er sich auf den Heimweg gemacht hatte … er hatte mein Angebot ihn zu fahren drei Mal abgelehnt, meinte meine Mum nochmal, was für ein netter Kerl er doch sei, und dass er ruhig öfter zum Essen vorbeikommen sollte. Naja, immerhin ein Schritt in die richtige Richtung …

Den restlichen Tag verbrachte ich mit packen und arbeiten, natürlich.

Am Montag stand ich um sechs Uhr Morgens mit meinem Seesack vor der Schule, wo der Bus losfahren würde. Fünf Stunden Schlaf waren definitiv zu wenig. Wir waren wohl so 20 Leute. Max und Claudi kamen zusammen und Claudi hatte sich bei ihm untergehakt. Kein Wunder, dass sie ein Paar seien …

„Morgen.“

„Wann kommt denn der Bus, ich will schlafen.“

„Okay, dann sitz ich neben Claudi. Ich brauche Unterhaltung.“

„Mir Wurst, ich schlaf jetzt eh noch mindestens vier Stunden.“

Thorsten kam rüber.

„Du Glücklicher. Ich wünschte, ich könnte im Bus schlafen. Mir ist immer sooo langweilig und die zwei hängen ständig beieinander. Man könnte meinen, die seien das Pärchen.“

Max warft mir tatsächlich einen schuldbewussten Blick zu, aber ich winkte ab.

„Ich hab die Nintendo DS dabei, wenn du willst …“

Thorsten war sofort begeistert. Damit war die Platzverteilung geregelt. Endlich kam auch der Bus. Thorsten ließ mich ans Fenster, Max und Claudi setzten sich hinter uns. Ich kramte meine DS raus und machte es mir bequem.

Als ich die Augen kurz wieder aufmachte, standen wir auf der Autobahn im Stau. Ich schlief gleich wieder ein, bis ich etwas am Mund spürte. Ich schlug überrascht die Augen auf und sah, dass Max sich zu uns vor lehnte.

„Du sabberst.“

„Ihh.“

„Nicht schlimm. Gab mir einen Anlass, dich anzufassen.“

Thorsten verdrehte die Augen, aber Max lächelte mich an und alles war gut.

„Wie spät ist es?“

„Viertel nach zehn.“

„Wie lang noch?“

„Eineinhalb bis zwei Stunden. Glaubst du, du schläfst wieder?“

„Mh … nö … aber ich hab Hunger …“

„Thorsten, wollen wir Platz tauschen?“

„Klar.“

Max kam mit seinem Rucksack nach vorne und kramte eine Pausenbox raus.

„Käsebrot von Mami.“

„Sehr praktisch.“

„Hat deine dir nix mitgegeben?“

„Die hab ich das letzte Mal gesehen, als ich gestern zur Arbeit gegangen bin.“

„Oh Gott, du musstest ja gestern arbeiten … Und ich hab dich die halbe Nacht wach gehalten. Tut mir Leid, da hab ich überhaupt nicht dran gedacht.“

„Du hast es dir ja nicht so ausgesucht, du warst halt besoffen. Deine Mami macht übrigens gutes Käsebrot. Was hast du gestern so gemacht?“

Irgendwie war es plötzlich zwölf geworden, während ich mit Max über Lehrer, Mitreisende und PC-Spiele geredet hatte.

Das Ferienhaus war groß, Es gab zehn Schlafzimmer auf drei Stockwerken, und in jedem Stockwerk ein kleines Bad. An der Tür hing eine Übersicht.

„Ganz oben sind die Zwei-Bett-Zimmer. Nichts wie hin.“

Von den drei Schlafzimmern im zweiten Stock war eines schon von einem Pärchen belegt. Claudi und Thorsten suchten sich was im ersten Stock. Offensichtlich wollten sie sich kein Zweit-Bett-Zimmer teilen. Bald kam ein Kerl, den ich vom Sehen kannte, mit der Asiatin im Schlepptau in unser Zimmer.

„Hey Max, ihr braucht doch kein Zweier-Zimmer. Wir schon. Können wir nicht tauschen? Im Erdgeschoss wären noch zwei Plätze in einem Vierer-Zimmer frei.“

„Sorry, Wolf, aber ich kann bei so vielen Leuten nicht schlafen. Mich nervt es voll, dass es keine Einzelzimmer gibt. Aber bei David weiß ich wenigstens, dass er nicht schnarcht …“

„Ich glaub dir geht’s eher darum, das Claudi sich hier rein schleichen kann und du nur einen statt dreien aus dem Zimmer schmeißen musst, hm?“

Max zog vielsagend die Brauen hoch. Die beiden verschwanden und er verdrehte die Augen. Ich versucht zu lächeln, aber langsam wurden mir die Gerüchte doch zu viel. Ich sah mich im Zimmer um. Helle Holzmöbel, ein Doppelbett, mehr brauchten wir nicht. Max fing an, seine Sachen in den Schrank zu räumen. Ich beschloss, dass sich das für die paar Tage nicht lohnen würde. Aus dem Fenster sah man zwischen anderen Häusern durch den See. Die Sonne glitzerte auf dem Wasser und Windsurfer mit bunten Segeln glitten darüber.

„Ich will da rein.“

„Lass dich nicht aufhalten.“

Ich holte meine Badehose und ein Handtuch raus und zog mich um. Ich genoss die Seitenblicke, die Max mir schenkte, während er seine Kleidung verstaute.

„Ich bin dann am See.“

„Ich komm bald nach.“

Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange und verschwand.

Der kühle Wind war mehr als angenehm nach der langen, stickigen Busfahrt. Das Wasser war frisch aber nicht kalt. Ich schwamm eine Runde und dann legte ich mich an den Rand, um den Windsurfern zuzuschauen. Langsam fragte ich mich, wo Max blieb. Mein Blick heftete sich an einen großen, blonden Kerl, der gerade ein paar Tricks auf seinem Brett versuchte. Er sah echt aus wie ein Surfer aus dem Bilderbuch. Blondes, von der Sonne gebleichtes welliges Haar hing ihm bis auf die Schultern, seine Haut was braun, seine Badehose zierten tropische Blumen. Er sah wirklich gut aus auf seinem Brett, wie seine Schultermuskeln hervortraten … kurz bekam ich ein schlechtes Gewissen, aber hey, gucken wird doch noch erlaubt sein. Jetzt kam er aus dem Wasser. Ich erkannte ein hawaiianisches Schriftzeichen an einer Kette auf seiner Brust baumeln und ein Tattoo über dem Bund seiner Hose aufblitzen. Plötzlich stand er vor mir.

“Wanna try?”

Er deutete auf sein Brett, das er am Ufer gelassen hatte.

“Well … I never did that.”

“I’ll show you. ”

Ich hatte nichts Besseres zu tun, als folgte ich ihm.

“I’m a teacher, so you’re in good hands.”

“Where are you from?”

“Netherlands. You?”

“Germany.”

“Yeah, I thought so.”

“Why?”

“All the pretty boys are from Germany.”

Überrascht schaute ich ihn an, während ich Trockenübungen auf seinem Board machte.

Nach kurzem Zögern fragte er:

“It that okay, I mean …?“

“Oh … Yes … no … well I don’t know.”

“You’re funny.”

“Sorry … so … is this right?”

”You’re a natural.”

“Heard that before.”

“I bet. So wanna try it in there?”

“Show me.”

“I have to adjust this to you.”

“Okay.”

Er schraubte irgendwas rum. Als er fertig war, fragte er:

“You can swim, right?”

“Sure. ”

“Okay, so we go till our knees are under water. Come on.”

“I’m getting nervous.”

“It’s safe now, try to step up.”

Das war nicht so leicht, das Board wurde ständig von den Wellen angehoben. Aber nach kurzer Zeit stand ich sicher drauf, meine Füße in den vorgesehenen Schlaufen.

“Okay, very good. Now’s the hard part. Try to lift up the sail.”

Ich beugte mich runter und konnte grad noch so mein Gleichgewicht halten.

“That’s heavy.”

“Just the water. I help you. Mind the wind.”

Nach ein paar nicht so eleganten Versuchen stand ich tatsächlich da, hatte das Segel in der Hand und wurde vom Wind angetrieben. Das war echt ein tolles Gefühl, bis der Wind drehte und ich das Segel nicht schnell genug wendete. Ich drehte mich im Kreis und mein Lehrer lachte.

“You are very far for your first lesson. You really are a natural. Need a break?”

“Maybe a short one …”

Wir stapften aus dem Wasser. Da saßen Claudi, Thorsten und Max. Warum fühlte ich mich so ertappt? Ich hatte doch nichts Schlimmes gemacht.

“Want a drink?”

“There are my friends, so …”

“Wanna do something this evening? ”

“I’m not sure. I’m with a group, don’t know what they are planning …”

“I’m at the Marine Sparks, if you change your mind. ”

“Okay. Thanks for the lesson. ”

“You’re very welcome.”

Ich holte mein Handtuch und setzte mich zu den anderen.

„So, wer war das denn?“

Claudi, die unverblümte.

„Verdammt, ich hab gar nicht nach seinem Namen gefragt.“

„Er hat ja heftig mit dir geflirtet.“

Ich spürte wie meine Ohren rot wurden.

„Ach Quatsch, er hat mir nur ein bisschen was gezeigt …“

„Ja, so kann man es auch nennen.“

„Jetzt lass ihn halt in Ruhe, er ist schon ganz verlegen …“

Warum kam gerade Max zu meiner Rettung? Er las wohl meine Gedanken.

„Das ist schon okay, David, echt. Der war echt heiß …“

„Aber ich hab doch nicht …. ich wollte doch nicht …“

„David, ich sagte es ist okay.“

„Okay …“

„Also, du hast eine Vollversammlung verpasst. Wir wurden über die Events in dieser Woche und über Sport- und Freizeitmöglichkeiten gebrieft.“

„Und, war was Brauchbares dabei?“

„Scheint dass jeder der was auf sich hält heute Abend ins Marine Sparks geht.“

„Oh nein.“

„Was denn?“

„Da geht der Typ auch hin …“

„Macht doch nichts.“

„Aber er wird denken …“

„Dann stellst du das eben richtig, jetzt hab dich nicht so.“

„Und was soll ich ihm sagen? My secret boyfriend is watching us?“

„Bessere Idee?“

„Neeee …“

„Echt schrecklich mit dir. Kaum lass ich dich mal fünf Minuten alleine, schon angelst du dir ’nen heißen Surfer. Ich seh schon, ich muss besser auf dich aufpassen …“

Um drei bekamen wir Hunger und suchten uns eine Pizzeria. Sonst war niemand aus unserer Gruppe zu sehen.

„Ihr macht viel ohne die anderen, hm?“

„Ja ja … wir isolieren uns ja so … fügen uns gar nicht richtig in die Klassengemeinschaft ein … das haben meine Eltern auf jedem Elternabend seit wir hier her gezogen sind zu hören bekommen …“

„Aber warum seid ihr dann mit hier her gefahren?“

„120 Euro ist echt billig und wir wollten sowieso noch zusammen wegfahren. Also. Und es ist ja auch nicht so, dass wir die anderen bewusst meiden. Das ergibt sich einfach.“

„Die Mädels sind alle ziemlich dämlich, ich teil mir ein Zimmer mit dreien, und die reden die ganze Zeit nur darüber, wie toll ihre Kerle doch sind …“

Den Spruch über den Neid der Besitzlosen sparte ich mir lieber …

„Willst du was von meiner probieren?“

Max hielt mir ein aufgespießtes Stück Pizza hin.

„Da ist aber sehr Paar-isch …“

„Wie du meinst …“

„Nein, halt, ich will ja kosten …“

„Vergiss es.“

„Ich muss mich an diese ständigen Umschwünge von Kumpel auf Liebhaber erst gewöhnen …“

„Liebhaber, … hui.“

„Jetzt … du weißt schon was ich meine …“

„Sollen wir euch zwei alleine lassen?“

Das war nicht wirklich ein Angebot von Claudi, sondern eher eine Ermahnung, nicht rumzunerven.

Danach legten wir uns noch ein bisschen an den See und gingen um sieben auf die Zimmer, um uns für den Abend fertig zu machen. Alleine mit Max auf dem Zimmer. Irgendwie seltsam …

„Max?“

„Ja David?“

„Alles okay zwischen uns?“

„Ja … ich weiß auch nicht. Die Kumpel-Nummer macht mir auch irgendwie zu schaffen.“

Ich ging zu ihm rüber und streichelte ihm über die Wange.

„Ach Max … mein Max …“

„Und zu sehen, wie leicht du dir was Besseres an Land ziehen könntest, hat mich auch etwas verunsichert …“

„Ach komm schon, du bist das Beste, das mir je passiert ist. Du bist das ganze Paket. Du bist perfekt für mich. Wenn du willst, dann bleiben wir heut Abend einfach zu Hause …“

„Nein, Claudi und Thorsten rechnen doch mit uns. Solang du heute Nacht mit mir ins Bett gehst, ist alles gut.“

„Ach Max, darum machst du dir doch nicht wirklich Sorgen, oder?“

„Ich weiß auch nicht …“

„Ich liebe dich, nur dich. Lass uns keine Eifersuchtsszenen schieben, ja?“

„Nein, natürlich nicht … vor den anderen hätte ich auch nie was gesagt …“

„Ich bin froh, dass wir drüber reden … weißt du, ich bin auch ein bisschen eifersüchtig …“

„Was? Auf wen?“

„Darauf dass alle denken dass Claudi und du …“

„Verbring ich zu wenig Zeit mit dir?“

„Nein, das ist es nicht … ich will mich auf keinen Fall zwischen euch drängen. Es ist nur dieses Paar-Image, das ihr habt …“

„Glaubst du, das lässt sich irgendwie ändern?“

„Keine Ahnung … Vielleicht wenn Claudi einen anderen hätte.“

„Alles klar: Die Mission ist also ‚findet einen Kerl für Claudi‘.“

Kurz nach acht machten wir uns zu Fuß auf den Weg zu diesem Marine-Ding. Wie sich herausstellte, war es eine große Disco mit drei Areas, für zwölf Euro Eintritt konnte man saufen so viel man wollte. Oh Mann, spätestens um Mitternacht würde es hier nicht mehr schön sein. Der Laden war jetzt schon fast voll und die ersten hatten schon genug getrunken. Wir schauten uns mal um. Es dauerte nicht lange und ich spürte eine Hand auf meiner Schulter.

“Hey, you came.”

“Well, yes … my whole group came, so …”

”I would buy you a drink, but they are free, so …”

“Oh, that’s okay …”

“So, you wanna make out or something? ”

Erst dachte ich, ich hätte mich verhört …

“Oh … well …”

“You’re not gay? ”

“I am … and I really think you’re hot … but I’m in a relationship and I’m not the cheating kind of guy, so … sorry.”

“What a shame … well see you around then.”

So schnell hatte er das Interesse an mir wieder verloren. Ich warf einen Blick zu Max, der angestrengt so tat als hätte er überhaupt nichts bemerkt.

Nach ein paar Drinks wurde es mir zu blöd, ständig mit dem stillen Thorsten und dem verschworenen Pärchen rumzuhängen. Ich streunte durch die Gegend und fand bald draußen bei den Bierbänken ein paar andere Leute aus unserer Gruppe.

„Hey.“

„Hey, David, richtig?“

„Ja, genau.“

„Alex, Bernd, Sina, Sandra, Kathi und ich bin Tobi.“

„Alles klar.“

„Na, wird dir schon langweilig mit den drei Musketieren?“

Bernd fing sich dafür einen Stoß in die Rippen von Sina ein.

„Ehrlich gesagt schon, ja …“

„Wir haben uns schon gefragt wie du da reinpasst. Du wirkst eigentlich ja ganz normal …“

„Ehm, okay … danke, glaub ich …“

Dann folgte der übliche Small-Talk, bis Sandra meinte:

„Und, sind sie jetzt ein Paar, oder sind sie keines?“

„Wer?“

„Na Max und Claudi.“

„Nein, nicht dass ich wüsste.“

„Naja, das merkst du spätestens, wenn du heute Nacht ausquartiert wirst …“

Ich zuckte mit den Schultern und kochte innerlich. Dann kam die Krönung. Der Surfer. Er hatte einen jungen Kerl im Schlepptau und blinzelte mich an, als wolle er sagen ‚Tja, das könntest du sein‘. Sie setzen sich auf eine freie Bank und fingen sofort an, wild rumzuknutschen. Neben mir vernahm ich gespielte Würggeräusche, aber ich war so gebannt von dem Anblick der beiden knutschenden Männer. Er zog den Jungen auf seinen Schoß. Neben mir stand jemand auf.

„Kommt, lasst uns hier verschwinden.“

Die Bank kippte ein wenig, als alle außer mir aufstanden.

„Kommst du?“

„Hm? … Ja …“

„Eklig, hm?“

„Was?“

„Na die Kerle.“

Ich zuckte nur die Schultern.

„Ich sollte mal wieder die anderen suchen …“

Ich steuerte eine Weile durch die Massen, fand aber niemanden. Außerdem merkte ich langsam den Alkohol … Ich brauchte frische Luft und steuerte langsam aber zielstrebig zu den Bierbänken zurück. Dort kannte ich niemanden. Ich setzte mich und ließ den Kopf zwischen die Beine hängen. Ich hätte heulen können, verdammt. Ich hasste es, mir vorzukommen wie ein Monster, ich hasste es, dass das die schönen Gefühle ruinierte, die ich für Max empfand. Ich hasste es, dass er und Claudi so ein gutes Paar abgaben. Ich hasste es, dass all meine Freunde so weit weg waren, und dass sie keine Ahnung hatten, wer ich wirklich war. Ich spürte eine Hand auf der Schulter. Ich dachte es sei Max, aber als ich aufschaute, sah ich blonde Haare.

“Need a friend?”

Ich nickte.

“Where’s that guy?”

“Did him, now he moved on, as usual … where’s your boyfriend?”

“No idea …”

“What’s wrong?”

“Guess I’m just drunk …”

“Everybody here is drunk, but nobody looks as sad as you …”

“I wish I was as brave as you …”

“What do you mean?”

“Being open about … it.”

“So you’re not out?”

“No …”

“What about your boyfriend?”

“Neither.”

“That can be hard …”

“Everybody thinks he and his best friend are a couple …”

“No wonder you look sad. Is he with her now?”

“I guess ….”

“Can I help you?”

“No … I just … I would like to be out sooo much, but then I see the reactions you get and I get scared.”

“It looks worse than it is …”

“Still … what about my family …?”

“You should tell them first. Maybe they’ll surprise you …”

“Maybe in a bad way …”

“You should be independent … earn some money, have your own place and stuff. Then they have time to be angry and you are not in trouble …”

“Still, it’s a really huge step. Maybe I’ll lose people I love …”

“You won’t lose people who love you back. They will just want you to be happy. And you don’t look happy now.”

„David?“

Da stand Max. Er sah leicht angepisst aus.

“Boyfriend?”

Ich nickte.

“Well, I’m off then. Take care.”

Der Surfer verzog sich und ich hatte ihn schon wieder nicht nach seinem Namen gefragt …

Max setzte sich mir gegenüber hin.

„Wo warst du denn?“

„Hier draußen. Zwischendurch hab ich euch gesucht aber nicht gefunden.“

„Hattest du was mit ihm?“

„Nein. Und ich bin grad echt nicht in der Stimmung für die Art von Gespräch.“

„Was ist los?“

„Nicht hier, okay?“

„Dann lass uns zurückgehen …“

„Einfach so?“

„Du hängst hier draußen und siehst aus als würdest du jeden Moment losheulen …Komm, ich bring dich nach Hause.“

Er schrieb Claudi eine SMS und wir machten uns auf den Weg zurück. Als die Straße weniger belebt war, griff er nach meiner Hand.

„Also, was ist los?“

„Ich weiß es selbst nicht genau … Ich will einfach etwas, das ich nicht haben kann.“

„Den Surfer?“

„Dich, du Idiot! Dich, wann immer ich will, egal ob in der Öffentlichkeit, bei mir zu Hause oder sonst wo. Ich will jedem der dutzend Menschen, die mich fragen, ob du und Claudi zusammen sind sagen: ‚Nein, er ist mit mir zusammen. Ich hab mir diesen tollen Kerl geangelt.‘ Ich will es meinen Freunden ins Gesicht sagen, aber die sind sonst wo. Ich will es meiner Mutter und ihrer Schwester sagen, wenn sie mich wieder wegen einer Freundin löchern. Verdammt, weißt du wie sehr ich mir gewünscht hätte, heute Abend mit dir zusammen zu sein? Dich festzuhalten, mit dir zu tanzen, dich zu küssen … Der Gedanke daran macht mich ganz verrückt!“

Ich trat gegen einen Baum am Straßenrand und prellte mir den Fuß.

„Du weißt, dass das nicht so einfach ist.“

„Ja, verdammt. Sonst wäre ich ja nicht so wütend!“

„Ich seh keinen Weg, David. Und du machst mir Angst.“

Ich sah die Sorge und auch sowas wie Furcht in seinen Augen.

„Mein Herz, es tut mir Leid …“

Er flog fast in meine Umarmung.

„David … ich liebe dich so sehr. Und ich will das alles auch. Aber wie? Es geht nicht … aber in der großen Stadt wird alles besser. Wir müssen nur bis dahin durchhalten …“

„Okay …“

„Ich liebe dich.“

„Ich weiß.“

„Zusammen schaffen wir das alles.“

„Ich weiß, ich bin bloß betrunken, ignorier mich einfach …“

Er lächelte mich an und nahm wieder meine Hand. Auch wenn es dunkel war und uns kaum jemand bemerkte, ich hatte trotzdem das Gefühl, endlich zu meinen Gefühlen zu stehen und zu zeigen, wen ich liebte. Ich war in dieser Nacht einfach nur ein emotionales Chaos-Bündel. Deshalb wunderte es mich auch nicht, dass ich, nachdem Max in mir gekommen war, anfing zu heulen, weil ich so glücklich war. Er nahm mich in den Arm und streichelte mich in den Schlaf.

Am nächsten Tag war mir das Ganze wirklich peinlich, aber Max meinte nur, dass ich ihm kein größeres Kompliment hätte machen können, als nach dem Sex in Glückstränen auszubrechen. Da war was dran …

Wir frühstückten, gingen an den See, am Nachmittag gingen wir auf den Dienstags-Markt im Ort, dann Essen und danach Minigolf spielen. Max gewann und musste uns alle drei auf ein Eis einladen, das war Tradition, weil er immer alles konnte und dafür büßen sollte, erklärte mir Claudi.

„Also, mal sehen. Thorsten: Schoko und Stracciatella, Claudi: Erdbeere, Zitrone, David?“

„Walnuss, Amarena.“

Alle drei gleichzeitig meinten „Echt jetzt?“

„Ehm … ist das keine erlaubte Kombi oder sowas?“

Die drei hatten so viele seltsame Regeln, dass mich das nicht gewundert hätte …

„Nein, doch … die ist nur schon besetzt. Das ist meine Kombi.“

„Echt? Cool. Dann nehm ich Amarena-Walnuss.“

„Das sollte in Ordnung gehen, oder Leute?“

Die zwei waren immer noch ganz baff.

„Hey, wir stehen auf das gleiche Eis … Zufall, mehr nicht.“

„Max, erklär es diesem Frevler.“

„Claudi hat da so ein Buch … was deine Eissorte über dich aussagt. Und da drinnen steht ganz klar, dass die am besten zusammenpassen, deren Eis-Geschmack möglichst ähnlich ist. Wir sind also quasi füreinander bestimmt.“

„Und dafür brauchtest du die Eissorten? Das wusste ich vorher schon.“

„Aaaaahhh …“

Ich ließ das Verlangen, ihn zu Küssen erst gar nicht aufkommen, sondern konzentrierte mich auf mein Eis.

„Du hast da noch … nein, weiter nach da … immer noch nicht …“

Ich unterdrückte den Impuls es ihm wegzuwischen. In der belebten Fußgängerzone könnten überall bekannte Gesichter lauern … Ich sprang über meinen Schatten und gestand mir ein, dass ich Hilfe brauchte, um meinen Freund von Kirsch-Resten zu befreien.

„Claudi, mach’s ihm mal weg.“

Aber er drehte sich zu mir.

„Nein, mach du es weg. Ich geh das Risiko ein.“

Ich rieb ihm den roten Fleck von der Wange. Unsere erste Berührung, seit wir heute Morgen das Zimmer verlassen hatten. Mein Körper verlangte nach mehr.

„Wisst ihr, ich bin echt ziemlich müde …“, meinte Max plötzlich grinsend. „Ich glaub, ich leg mich ein bisschen hin …“

„Oh, was dagegen, wenn ich auch gleich mitkomme? Ich bin auch recht fertig“, sagte ich genau so grinsend.

„Geht nur, mein Gott …“

Wir ließen die beiden zurück und joggten zum Ferienhaus, wo wir, sobald die Türe zu war, übereinander herfielen.

Als ich die Augen aufmachte, war es hell im Zimmer und Max trug ein schrecklich biederes weißes Polohemd und einen hellgrünen Pulli um die Schultern.

„Äh …“

Nein, dazu fiel mir so früh am Morgen kein blöder Spruch ein.

„Guten Morgen. Herrliches Wetter für ein kleines Freundschaftsmatch, nicht wahr?“

„Bist du auf Drogen?“

Das war kein blöder Spruch, sondern ernste Sorge.

„Nun bekleide dich und folge mir auf den Sandplatz.“

„Tennis?“

„Ganz genau. Sehr scharfsinnig, mein lieber Freund.“

„Reden du und Claudi jetzt den ganzen Tag so?“

„Wir werden sehen, was der Tag uns bringt, nicht wahr?“

Claudi trug einen zu hoch gebundenen Pferdeschwanz der bei jedem Schritt rumbaumelte, ebenfalls ein weißes Poloshirt und Shorts mit Bügelfalten.

„Ich bin echt froh, dass ich nicht mehr der einzige normale Mensch hier bin. War ganz schön einsam“, flüsterte Thorsten mir zu.

Wie sich herausstellte, war die Show der beiden auch nötig, denn spielen konnten sie überhaupt nicht. Bald hatten Thorsten und ich genug von dem „homo-hetero-gemischten Doppel“ bei dem mehr psychologische Kriegsführung betrieben wurde als tatsächlich Bälle übers Netz kamen. Wir mieteten uns den Platz nebenan und spielten richtig. Es stellte sich heraus, das wir in etwas gleich gut waren und uns ein hartes, zwei-stündiges Match lieferten, das ich am Ende 6:4 4:6 6:4 für mich entscheiden konnte. Es zog sich bis in die größte Mittagshitze und Max und Claudi hatten seit dem Beginn des zweiten Satzes nur noch gemurrt, dass sie endlich an den See wollten. Mein Shirt lag auf der Bank und mein Oberkörper war von der Sonne aufgebrannt. Beim letzten Aufschlag wäre ich fast der Länge nach hingefallen, aber am Ende hatte es doch noch gereicht. Ich trank einen halben Liter Wasser und kippte mir den Rest über den Kopf. Max schaute mich lüstern an, aber ich warnte ihn davor, mich anzufassen. Ich hatte das Gefühl, 1000 Nadeln würden mich stechen und hatte schon Angst vor dem Tag, an dem meine Haut sich schälen würde.

Kühles Wasser und Schatten bis die Sonne endlich unterging. Daran, ein Shirt anzuziehen war nicht zu denken. Ich wollte aber auch nicht halb nackt durch die Gegend laufen, also beschloss ich, den Abend im Haus zu verbringen. Max bot an, bei mir zu bleiben, aber das wäre totaler Schwachsinn gewesen. Ich hatte die DS, den Herrn der Ringe und After-Sun-Lotion, die Max mir besorgt hatte. Thorsten hatte sein Hemd angelassen und hatte nur leichten Sonnenbrand an Armen und Beinen. Grrr. Dafür hatte ich gewonnen.

Als ich mir gegen zehn noch einen Snack holen wollte, stellte ich fest, dass Kathi auch zu Hause geblieben war, weil sie Halsschmerzen hatte und nicht wollte, dass es schlimmer wurde und sie gar nichts mehr vom Urlaub hatte. Wir spielten Karten und ich erzählte von dem Match, das ich gewonnen hatte. Kurz nach elf ging die Tür auf und Max kam rein.

„Hey, was machst du denn schon hier?“

„Ist sonst noch jemand da?“

„Nur wir beide.“

„Gut. Ich wollte mal nach dir schauen. Ich hatte kein gutes Gefühl dabei, dich alleine zu lassen.“

Er beugte sich runter und küsste meine Wange.

„Ehm?“

„Das ist schon okay, oder Kathi?“

„Klar … ich hab es mir fast schon gedacht.“

„Hallo?“

„Kathi und ich waren mal zusammen, mit 15. Sie war nach Claudi die zweite, der ich es erzählt hab.“

„Okay … das ist grad ein bisschen viel Info auf einmal …“

„Wie geht’s dir?“

„So lang ich mich nicht anlehne ganz okay.“

„Soll ich dich nochmal einsprühen?“

„Würde nicht schaden …“

„Ich hol’s mal …“

„Also seid ihr zusammen?“

„Ja.“

„Keine Sorge, ich werd es nicht ausplaudern.“

„Okay …“

„Du hättest dein Gesicht sehen sollen …“

„Ich hab mir echt gedacht, ob er jetzt zu besoffen ist, um zu merken, dass da noch jemand ist … Du hättest auch mal was sagen können …“

„Ich wusste ja nicht sicher, ob du es weißt … Ich dachte, vielleicht ist das eine einseitige Geschichte oder so …“

„So, dann lass dich mal einsprayen.“

„Aber nicht anfassen.“

„Ja, keine Sorge … das wird eine spannende Nacht …“

„Ich glaub ich schlaf in der Badewanne …“

Max erzählte Kathi ein bisschen was drüber, wie wir zusammen gekommen waren und hielt währenddessen meine Hand. Dann spielten wir noch bis zwölf Karten. Im Zimmer packten wir beide unsere Bücher aus.

„Wie ein altes Ehepaar, hm?“

„Tut mir echt Leid …“

„Ich hab auch nicht damit gerechnet, dass die Sonne so krass ist. Armer Liebling.“

Er gab mir einen vorsichtigen Kuss auf die Nase und drehte sich um, um zu schlafen.

Am nächsten Tag liehen wir uns Fahrräder und erkundeten die Gegend. Den Nachmittag verbrachten wir am See, im Schatten. Essen, Minigolf, Max’ Siegeseis. Dann noch ein bisschen Party im Marine.

Das war es dann schon wieder. Am Freitagmorgen konnte Max ganze Hautfetzen von meinem Rücken ziehen. Nach dem Frühstück um acht kam auch schon der Bus. Diesmal war es eine echte Quälerei. Ich konnte mich kaum anlehnen und mir war viel zu heiß. Max tat sein möglichstes mit guten Ratschlägen und Unterhaltungsprogramm, aber ich war einfach nur knatschig und wollte nichts mehr als eine kalte Dusche. Das waren lange fünf Stunden. Aber Max beschwerte sich nicht.

Der Bus setzte uns alle an der Schule ab.

„Ich komm noch mit zu dir. Du kannst deinen Sack nicht tragen.“

„Ach, ich bekomm das schon hin.“

„Ich will aber noch ein paar Minuten mit dir verbringen, bevor ich nach Hause geh.“

„Wenn das so ist, danke.“

Max hatte schwer zu schleppen, während ich nur seinen Rucksack in der Hand hatte.

„Hat dir der Urlaub gefallen?“

„Na klar. Ich glaub wir haben viel übereinander gelernt und so.“

„Ja, das stimmt. David?“

„Ja, Max?“

„Du bist wirklich wunderbar.“

„Sagte er und schleppte meine Taschen …“

„Dich auf dem Tennisplatz zu sehen, war … interessant.“

„Inwiefern?“

„Du warst so verbissen, ehrgeizig.“

„Ja, das stimmt wohl …“

„Wo hast du spielen gelernt?“

„Mein Dad wäre fast Profi geworden. Er hat mich oft mit auf den Platz genommen …“

„Echt, cool …“

„Da ist er ja. Hey Dad!“

„Ah, bist du schon wieder zu Hause? Wie siehst du denn aus?“

„Ich hab die Sonne auf dem Sandplatz wohl etwas unterschätzt.“

„Du hast endlich mal wieder Tennis gespielt?“

„Ja, war schon eine Weile her. Das ist übrigens Max.“

„Ah, hallo. Max Weller, richtig? Ich hab dich in der Zeitung gesehen. Oh, das ist ja mein alter Seesack, gib her, ich trag den schon rüber.“

Max verabschiedete sich und mein Dad begleitete mich rein und brachte den Sack in mein Zimmer. Klara grüßte ihn halbwegs höflich, dann riss sie ein paar blöde Sprüche über sich häutende Reptilien und verschwand wieder. Mein Dad setzte sein „Gespräch unter Männern“-Gesicht auf.

„Du schützt dich doch, oder?“

„Keine Sorge, in der Beziehung bin ich nicht so nachlässig wie mit Sonnencreme.“

„Gut. Dann werde ich mal wieder rüber gehen … Nächste Woche hab ich Urlaub, wegen dem Umzug. Wenn du dir die neue Wohnung anschauen willst …“

„Vielleicht komm ich am Mittwoch mal vorbei, da bin ich eh mit Max in der Stadt.“

„Gut. Ich schreib dir mal die Adresse auf.“

Der Alltag hatte mich schnell eingeholt. Max sah ich erst am Montag wieder, als er sich morgens für zwei Stunden zu mir schlich. Wir planten die Woche. Dienstag würde er tatsächlich laufen gehen und am Nachmittag konnten wir uns für ein paar Stunden am Weiher sehen, mit viiiiel Sonnencreme. Mittwoch würden wir unsere Ergebnisse abholen und meinen Dad besuchen, und am Donnerstag würde er seine Eltern zum Flughafen bringen, und dann gehörte das Haus für drei Wochen uns.

Die Tests waren negativ, die neue Wohnung echt schön und zentral gelegen. Mein Zimmer war zwar nicht groß, aber ich plante ja sowieso, die meiste Zeit bei Max zu verbringen. Mein Dad war als Ingenieur natürlich sehr an Max’ Forschungsarbeit interessiert. Ich schaute mir solange die Aussicht vom kleinen Balkon an. Als Max im Bad war, meinte mein Dad:

„Ein feiner Kerl. Halt dir den warm.“

„Äh … okay..“

„Wo ist dein Hippie-Freund eigentlich?“

„Paul ist immer noch in Indien unterwegs.“

„So, naja, immer noch auf der Suche nach sich selbst, hm? Max ist mir da schon lieber …“

„Okay … zur Kenntnis genommen …“

Am Donnerstag hatte ich schon einen Rucksack in der Arbeit dabei und Mum und Klara gesagt, dass ich wohl ein paar Tage woanders bleiben würde. Mum hatte inzwischen zum Glück aufgehört, mich zu löchern. Ich konnte es kaum abwarten, bis es zehn war und ich gehen konnte. Ich hatte vor, die vier Zimmer und die Garage endlich durchzubringen. Und trotz Max’ Anmerkungen, dass wir drei Wochen Zeit hatten, schaffte ich es noch in der ersten Nacht, wobei wir in der Garage anfingen und wegen der Spinnen nicht lange dort blieben.

Im Büro seines Vaters, auf dem Drehstuhl meinte Max:

„Sag mal, warum benutzen wir eigentlich immer noch Gummis?“

„Gute Frage … So hinterlassen wir zumindest mal keine verräterischen Flecken …“

„Dreh nochmal.“

Am Morgen verzichtete Max aufs Laufen, stattdessen hatten wir das erste Mal Sex ohne Gummi. Anschließend frühstückten wir und ich machte mich auf den Weg in die Arbeit. Ja, so ließ es sich leben …

„Na, schöne Nacht gehabt?“

„Tante Cora!“

„Man wird doch noch fragen dürfen …“

Um elf konnte ich gehen und auch noch ein bisschen Gemüse abstauben. Max hatte mir einen Schlüssel gegeben, und so konnte ich einfach reinkommen. Claudi und Thorsten waren da.

„Hallo, ich bin zu Hause.“

„Endlich!“

Max zog mich zu sich auf den Sessel und wollte mich offensichtlich auffressen.

„Wir lassen uns selbst raus. Schönen Abend noch.“

„Und du willst jetzt echt noch kochen?“

„Das macht Spaß. Und du hast für morgen auch gleich noch was Richtiges. Ich lass nicht zu, dass du dich drei Wochen lang von Fertigfraß ernährst.“

Max fand tatsächlich Gefallen am Kochen und schmecken tat es ihm auch noch.

„So wird es ab Oktober jeden Tag. Ich kann es kaum noch erwarten. Ich hab dich so gern um mich, vor Allem bei so alltäglichen Dingen … Und ich mag es, dass du dich hier inzwischen so gut auskennst. Du weißt, wo alles steht, so als wärst du hier mit mir zu Hause …“

Am Samstag waren Thorsten und Claudi wieder da. Mit gewisser kindischer Genugtuung stellte ich fest, dass Claudi sich hier nicht so gut auskannte wie ich. Max’ endgültiger Ausmusterungsbescheid war in der Post gewesen, das musste gefeiert werden.

Den freien Montag genossen wir in vollen Zügen. Abends würden ein paar Leute vorbeischauen. Singstar spielen und sonstige Gesellschaftsspiele. Ich war zwar nicht sonderlich begeistert, aber einen Abend würde ich schon mal teilen können. Es war faszinierend, wie sehr Max und ich in den letzten Tagen zusammengewachsen waren. Wir hatten zum Beispiel beim Frühstück schon richtige Routine entwickelt. Wir waren ein eingespieltes Team. Wir fuhren ein paar Snacks kaufen, hielten im Auto heimlich Händchen … ach, verliebt sein ist so herrlich …

Claudi, Thorsten, Kathi, Bernd und ein paar andere aus der Klasse kamen gegen neun. Irgendwie langweilten mich die ganzen Spiele, Singstar hätte ganz lustig sein können, aber die Mädels waren zu ehrgeizig, was schon fast in Stutenbissigkeit ausuferte. Außerdem tranken alle trockenen Weißwein, wie spießig. Irgendwie fühlte ich mich fehl am Platz, aber Max schien sich prima zu amüsieren. Kurz nach zehn klingelte es.

„Seltsam, wer fehlt denn noch?“

„Niemand, glaub ich.“

Max ging zur Tür. Als er zurückkam traute ich meinen Augen nicht.

„Paul!“

Mit drei Schritten war ich bei ihm. Ich war so froh, ihn zu sehen, meinen besten Freund, der die letzten zehn Monate irgendwo in Indien unterwegs gewesen war, dessen letzte Postkarte auch schon wieder vier Monate alt war … Wir umarmten uns. Ich spürte, wie dünn er geworden war, und er roch so exotisch. Seine braunen Haare waren zu einem Zopf gebunden, er trug eine zu weite Leinenhose, die ich wieder erkannte und ein leichtes Baumwollhemd mit Stickereien drauf. Wie immer hatte er seinen dunkelgrünen Beutel umhängen. Es war so schön, wieder sein Gesicht zu sehen, und sein verwegenes Lächeln.

„Was machst du denn hier?“

„Klara hat mir gesteckt, dass du dich hier rumtreibst. Schicke Bude.“

„Max, Claudi, Thorsten, Kathi … alle halt … das ist Paul. Gerade zurück aus Indien.“

„Vor drei Stunden gelandet.“

„Und da kommst du erst jetzt?“

„Hatte Probleme am Zoll. Aber jetzt bin ich ja hier. Also, was macht ihr?“

„Singstar spielen.“

„Unterhaltungselektronik, hm? Ist das ein Pool?“

„Allerdings.“

Ich folgte ihm nach draußen, genau wie Claudi, Kathi und Max.

„Wow, echt schön hier. Wer wohnt denn hier?“

Max hob die Hand.

„Max, richtig? Was dagegen wenn ich rauche?“

„Nein, nur zu.“

Ich fing von Max keine guten Vibes auf …Paul kramte in seinem Beutel rum und zog eine selbstgedrehte Zigarette raus. Zum Glück bot er mir keine an …

„Hey, die Bälle.“

„Ja logo. Ich hab viel geübt.“

„Oh je, ich überhaupt nicht.“

Er legte die Zigarette bei Seite und fing an zu jonglieren. Ja, er hatte schon immer diese selbstdarstellerische Ader gehabt.

„Bereit, David?“

„Oh je …“

Wie immer durchfuhr mich dieses ängstliche Kribbeln, kurz bevor er mit die Bälle zuwarf. Vier Stück flogen zwischen uns hin und her. Das hatten wir mal einen Sommer lang geübt, seitdem beherrschten wir es. Er zeigte seine Tricks, während ich ihm nur immer die Bälle zurück warf. Als sein Repertoire durch war, fing er die Bälle nacheinander.

„Du bist immer noch der beste Zurückwerfer. Du hast den Rhythmus und die Ruhe.“

„Ich find es einfach nur stressig.“

„Du kommst schon wieder rein.“

„Habt ihr noch mehr so Zeug drauf?“

Claudi war offensichtlich begeistert.

„Fire Poi hätte ich noch anzubieten, aber dazu sollten wir weiter vom Haus weg.“

Als er es anzündete kamen auch noch ein paar andere aus dem Haus und schauten den Feuerspiralen zu. Paul war echt gut darin, seine Figuren machten echt was her. Es hatte was magisches, dieser Feuertanz …

„Na David, hast du’s noch drauf?“

„Mal sehen …“

Max sog hinter mir scharf die Luft ein.

„Sein vorsichtig.“

Ich machte ein paar einfache Figuren und ließ es dann lieber gut sein. Claudi übte mit den Bällen, war aber schnell frustriert. Die Playstation lockte bald wieder alle nach drinnen. Paul saß neben mir und hörte sich die schiefen Töne an. Ich merkte, dass Max uns immer wieder beobachtete, während wir rumalberten. Bald wurde Paul unruhig.

„Verziehen wir uns?“

Natürlich konnte ich nicht einfach abhauen, deshalb sagte ich:

„Es gibt einen Balkon …“

„Na gut.“

Als wir außer Hörweite waren fragte er belustigt:

„Wo hast du denn die Spießer aufgegabelt?“

„Hey, ihr habt mich alle allein gelassen … und ein paar davon sind echt in Ordnung. Du hast nur einen echt blöden Abend erwischt um hier aufzutauchen.“

Wir setzten uns auf den Balkonboden und schauten eine Weile zu den Sternen.

„Jetzt erzähl mal, wie war’s? Mein Dad lässt fragen, ob du dich jetzt gefunden hast.“

Er lachte. Die Vertrautheit zwischen uns war immer noch da. Langsam erinnerte ich mich wieder an dieses Gefühl.

„Sag ihm, dass ich begriffen habe, dass ich die falschen Fragen stelle.“

„Was hast du so erlebt? Irgendwelche großen Erkenntnisse?“

„Wir sind alle gleich. Überall. Das ist wohl die größte Erkenntnis gewesen. Eigentlich sind wir alle gleich. Aber du hattest bestimmt auch viel Zeit, dich selbst zu suchen, hm? Muss ziemlich einsam hier gewesen sein …“

„Man gewöhnt sich irgendwie dran.“

„Du wirkst irgendwie verändert.“

„Ja? Du auch. Du bist dünn geworden.“

„Ich meine nicht äußerlich. Irgendwie bist du selbstsicherer … so als hättest du deinen Mittelpunkt gefunden.“

Ich musste mich wohl erst wieder an Pauls esoterischen Sprachstil gewöhnen …

„Ja? Schon möglich …“

„Wie hast du’s gemacht?“

„Ich hab festgestellt, dass mein Mittelpunkt nicht in mir selbst liegt, wenn du so willst.“

„Ah, die Liebe …“

Ich grinste nur. Paul kramte wieder in seiner Tasche rum. Die mir altbekannte Pfeife kam zum Vorschein, und ein Tütchen Gras.

„Hattest du deshalb Stress beim Zoll?“

„Also, so blöd bin ich auch wieder nicht. Das ist guter alter deutscher Stoff …. Auf die Liebe, hm?“

Ich sog den Rauch tief in meine Lungen und hielt ihn da für ein paar Sekunden. Diese kleine Zeremonie hatte schon viele gute Gespräche eingeleitet, und dieses würde ein besonders wichtiges werden …

„Also, die Liebe, hm? Was für eine? Die körperliche? Die freundschaftliche?...“

„Die ganz große. Alles zusammen. Die, auf die manche eine ganzes Leben umsonst warten … die, die nie wieder weggeht …“

„Ach die.“

Wir rauchten schweigend weiter. Ach, warum war Paul immer so … langsam. Warum war er nicht neugieriger? Ich brannte darauf, ihm endlich alles zu erzählen …

„Ach hier seid ihr …“

Max stand plötzlich in der Balkontür. Er schaute auf die Pfeife in meiner Hand, dann schaute er von mir zu Paul und zurück.

„Das ist jetzt nicht euer Ernst, oder? Verdammt, David!“

Er war echt sauer, damit hatte ich nicht gerechnet.

„Jetzt stell dich nicht so an, das ist nur ein bisschen Gras zur Feier des Tages.“

Ich hatte offensichtlich genau das Falsche gesagt.

„Von mir aus kifft euch doch die Birne voll, aber nicht in diesem Haus. Geht.“

„Jetzt warte doch mal …“

Paul stand auf und ging an Max vorbei. Ich folgte ihm, aber war echt wütend, dass Max das Gespräch unterbrochen hatte. Ich war so kurz davor gewesen …

„Du bist ja sowas von scheinheilig. Willst du jetzt echt einen auf Unschuldslamm machen?“

„Das ist ja wohl echt was anderes. Jetzt verschwinde. Bekiffte Leute brauch ich hier echt nicht.“

„Wie du willst. Viel Spaß noch bei den Gesellschaftsspielen, Max Musterschüler.“

„Verpiss dich doch einfach.“

Ich zeigte ihm den Mittelfinger und bereute es im gleichen Moment. Wo kam nur meine Wut so plötzlich her?

Wir schlenderten den Feldweg entlang. Ich beschloss, mir den Abend nicht verderben zu lassen und nahm von Paul meine erste Zigarette seit zehn Monaten entgegen.

„Tut mir Leid wie das gelaufen ist.“

„Schon okay, der kriegt sich schon wieder ein …“

„Setzten wir uns an den Weiher?“

„Gute Idee.“

Wir legten uns ans Ufer und ich spürte das feuchte Gras unter mir. Paul kramte die Pfeife wieder raus.

„Also, wo waren wir?“

„Bei der Liebe …“

„Ach ja richtig. Die Liebe, die nie wieder weggeht, hm?“

„Die Liebe, die von einem Moment auf den anderen auch in ganz andere Gefühle umschlagen kann …“

Paul lachte.

„Ich geh davon aus, dass er nicht in allen Fragen so konservativ ist, hm?“

Ich traute mich nicht, etwas zu antworten.

„David?“

„Ja?“

„Ich weiß es schon seit einer Weile … oder hab es zumindest geahnt. Es ist okay.“

Ich musste das erstmal eine Weile sacken lassen, bevor ich ein „Danke“ herausbekam.

„Also … wie schlimm war das heute?“

„Der erste große Streit … ich versteh echt nicht, warum er so überreagiert hat … Mal sehen wann er sich morgen meldet.“

„Arbeitest du immer noch im Restaurant?“

„Klar.“

„Morgen ist Dienstag, also hast du am Nachmittag frei.“

„Genau.“

„Weiher?“

„Klar.“

„Das hier ist zu Hause. Der alte Weiher, gutes Gras, du …“

„Ich bin echt froh, dass du wieder da bist.“

„Jetzt werden nach und nach alle wieder hier einlaufen …“

„Und ich hab mich kein Stück von der Stelle bewegt.“

„Dafür hast du deinen Max gefunden. Das ist mehr als die meisten anderen vorweisen können …“

Er erzählte von Indien, von den Leuten, die er kennengelernt hatte, von Anschauungen, Ideen, Meditationen, Gurus, Frauen …

„Dämmert es da hinten?“

„Ganz wie in alten Zeiten, hm?“

„Ich sollte noch ein bisschen Schlaf bekommen.“

„Okay … ich komm so gegen zwei zum Restaurant.“

Um halb sechs schlich ich mich ins Haus, bald würden Mum und Klara aufstehen … Ich merkte jetzt erst, dass ich vom Tau total durchnässt war …

Um Zehn klingelte mein Handy-Wecker. Keine Nachricht von Max. Online auch nicht. Ich hatte vor, noch eine Weile stur zu bleiben. Er hatte einfach total überreagiert, mich rausgeschmissen … ich spürte dieses wütende Kribbeln im Bauch und ging erst mal duschen bevor ich los musste.

„Hallo. Du siehst nicht gut aus. Stressige Nacht gehabt?“

„Mum hat dich angerufen, oder?“

„Sie hat gesagt, dass du heute früh plötzlich in deinem Bett lagst. Streit gehabt?“

„Nichts Ernstes …“

„Sei nicht stur, ja? Warte nicht zu lange, bis du dich meldest.“

„Aber es war einfach total … grrr …. saudämlich …“

„Rede bald mit ihr, ja?“

„Ich warte noch ein bisschen ab …“

„Wie du meinst …“

Ich merkte selber, wie ich mich immer mehr hineinsteigerte. Zum Glück war der Laden voll und ich hatte nicht viel Zeit, wütend zu sein. Außerdem fehlte mir Schlaf. Nachher würde ich mich an den Weiher legen und das nachholen.

Langsam wurde es Zeit für eine „Lass uns reden“- SMS von Max, aber scheinbar hatte er auch auf stur geschalten. Bitteschön, in dem Spiel war ich gut.

Als um halb zwei der große Ansturm vorüber war, klingelte endlich mein Handy. Aha.

Aber die Nummer kannte ich nicht.

„Ja hallo?“

Eine weibliche Stimme:

„Mit wem spreche ich bitte?“

„David Lenz, ehm …“

„Diese Nummer steht auf dem Notfallausweis von Herrn Maximilian Weller, ist das richtig?“

Zuerst dachte ich an einen von Claudis und Max’ Scherzen um die Funkstille zu brechen.

„Ja, das stimmt.“

„Gehören sie zur Familie?“

„Nicht direkt.“

Langsam wurde mir mulmig zumute.

„Was ist denn los?“

„Herr Weller war in einen Verkehrsunfall verwickelt und liegt im Kreiskrankenhaus.“

„Ist das ein Scherz?“

„Nein, mein Name ist Schwester Theresa Neumeier. Wir konnten bisher keine Familienangehörigen erreichen.“

„Die sind im Urlaub. Was ist passiert? Wie geht es ihm? Kann ich mit ihm sprechen?“

„Am Telefon darf ich keine solchen Auskünfte erteilen.“

Meine Tante stand vor mir und schaute mich fragend an.

„Ich bin auf dem Weg.“

„Gut. Fragen sie nach Doktor Mooser.“

„Doktor Mooser, verstanden.“

Ich legte auf und dachte für einen Moment, meine Beine würden nachgeben. Ich spürte die Hand meiner Tante auf der Schulter.

„Was ist los?“

„Fahr mich ins Krankenhaus.“

„Ist was mit Klara? Mona? Deinem Vater?“

Ich schüttelte den Kopf. Sie schob mich durch die Küche hinters Haus, wo ihr Auto stand.

„In unser Krankenhaus?“

„Das Kreiskrankenhaus.“

Ein Verkehrsunfall. Und gleich ins Kreiskrankenhaus. Mein Kopf wurde mit den schlimmsten Horrorszenarios überflutet. Ich hatte Angst, dass die 20 Minuten mir wie Stunden vorkämen, aber eigentlich konnte ich mich später kaum noch an die Fahrt erinnern. Ich sah alles wie durch Milchglas.

Wir gingen direkt zur Pforte.

„Doktor Mooser?“

„Station 5A. Mit diesem Lift.“

Meine Beine bewegten sich von selbst. Ich fragte mich, wie lange der Arm meiner Tante schon um meiner Taille lag. Sie übernahm das Reden.

„Wir suchen Doktor Mooser.“

Ich las, dass wir auf der Intensivstation waren. Meine Tante hatte es offensichtlich auch schon gelesen und drückte meine Hand.

„Er ist gerade bei einem Patienten. Ihr Name, bitte.“

„David Lenz.“

Ich konnte den Blick nicht deuten.

„Herr Lenz, wir haben telefoniert. Moment, ich sehe nach, ob sie rein können.“

Ein paar Sekunden später kam sie wieder aus der Tür neben dem Schwesternzimmer.

„Er ist gerade aufgewacht. Bitte.“

Max lag in diesem Krankenhausbett, unter einer Krankenhausdecke in einem typischen Krankenhauszimmer. Ich sah den Verband um seinen Kopf. Sofort war ich bei ihm. Er schlug müde seine Augen auf. Als ich näher kam, sah ich die Schrammen auf der mir abgewandten Seite. Seine grünen Augen waren Blutunterlaufen. Er wirkte so verloren in diesem großen weißen Bett. Aber er lächelte schief, als er mich sah.

„Ich hätte dich nicht rausschmeißen sollen … tut mir Leid.“

Ich lachte kurz auf und nahm seine Hand. Ich musste stark sein, durfte mir nicht erlauben, zu weinen. Sein Gesicht verzerrte sich kurz vor Schmerz, als er sich bewegte. Ich küsste vorsichtig seine Hand. Sie sah ganz heil aus.

„Was ist denn passiert?“

„Ich weiß nicht so genau …“

Ein Arzt war aufgetaucht.

„Ich erkläre ihnen draußen alles in Ruhe.“

„Okay … ich bin gleich wieder da, mein Herz.“

Ich küsste nochmal die heile Hand und folge dem Arzt auf den Gang. Meine Tante stand wieder hinter mir.

„Herr Weller wurde heute Morgen beim Joggen von einem abbiegenden Auto erfasst.“

„Heute Morgen schon? Jetzt ist es nach zwei.“

„Der Geldbeutel wurde erst später auf der Straße gefunden und hergebracht. Herr Weller war ein paar Stunden nicht ansprechbar. Weil die Lage recht kritisch aussah, wurde er hier her gebracht. Die Untersuchungen haben allerdings ergeben, dass keine Knochenbrüche vorliegen. Er hat eine Gehirnerschütterung erlitten, ein Hämatom am linken Oberschenkel und einige Schürfwunden. Vor Allem die Schürfwunden müssen noch weiter behandelt werden, damit keine Entzündung entsteht. Kleinere Steine befinden sich noch in den Wunden am Oberschenkel und dem rechten Arm. Nachdem ein Schädelbruch ausgeschlossen wurde, ist der nächste Schritt, die zu entfernen. Herr Weller wird ein paar Tage bei uns bleiben müssen. Wir brauchen einige medizinische Unterlagen, wenn sie uns die besorgen könnten. Wir haben noch keine Angehörigen erreicht.“

„Ich weiß wo alles ist, kein Problem. Seine Eltern sind in den Staaten. Eine Kontaktnummer pinnt zu Hause am Kühlschrank.“

„Gut, dann wäre das geklärt.“

„Ich wäre gern dabei, wenn die Steine entfernt werden.“

„Gut, das mit den Unterlagen reicht bis heute Abend. Herr Weller wird dann jetzt auch auf eine normale Station verlegt. Er hat wirklich großes Glück gehabt.“

Max schaute mich mittlerweile klarer an. Eine Schwester kam. Meine Tate wartete im Flur.

„Gut, Herr Weller, wir müssen sie ein wenig auf die Seite drehen.“

Die Bewegung schien ihm große Schmerzen zu bereiten. Die Schwester zog vorsichtig die Decke ein Stück nach unten. Ich erschrak, als ich den Arm sah. Rote und lila Kratzer waren fast gleichmäßig auf dem ganzen Arm verteilt. Dazwischen sah man dunkle Erhebungen. Rollsplitt. Mit einer Pinzette rückte sie ihm zu Leibe. Max lief rot an und seine Augen wurden glasig. Er schaute mich so verzweifelt an, aber ich konnte seine Hand nicht halten ohne im Weg zu sein. An manchen stellen musste sie die Haut mit einem kleinen Skalpell aufritzen. Blut mischte sich mit etwas, das wie Staub aussah und dem klaren Desinfektionsmittel.

„David …“

„Ich weiß … bald ist es vorbei.“

Ich ging um das Bett herum, aber auch so kam ich nicht an ihn rann. Ich stellte mich wieder da hin, wo er mich sehen konnte und fühlte mich so unendlich hilflos, als ihm die Tränen über die Wange flossen.

„Gut, der Arm ist sauber.“

Sie sprühte noch eine orange Flüssigkeit drauf.

„Je schneller wir weiter machen, umso schneller ist es vorbei. Jetzt müssen wir den Kittel aufmachen.“

Zum Glück waren die Schürfungen an den Rippen minimal und es waren keine Steine zu sehen.

„Dann nur noch der Oberschenkel.“

Sie zog die Decke ganz nach unten. Max hatte nur noch eine transparente Krankenhaus-Netz-Unterhose an. Wieder musste ich die Tränen niederkämpfen, als ich die zerfetzte Haut am Bein sah. Und die vielen dunklen Erhebungen.

„Ich halte das nicht aus.“

„Doch, mein Herz. Doch.“

„Halt mich fest.“

Ich schaute die Krankenschwester Hilfe suchend an. Aber ich wäre ihr überall im Weg gewesen. Aber irgendwie musste ich ihm beistehen …

Ich setzte mich so nah wie möglich neben seinen Kopf und er vergrub das Gesicht in der Kellnerschürze, die ich immer noch trug. Als wieder ein Schnitt gesetzt werden musste, krallten sich seine Finger in meinen Oberschenkel. Seine heile Hand drückte meine. Es dauerte ewig, bis die Prozedur vorbei war. Ich war für ihn stark, während er in meine Schürze weinte. Ich zog ihm den Kittel wieder an und deckte ihn zu.

„Du warst so tapfer. Jetzt hast du es überstanden. Und ich bringe dir deine eigenen Klamotten.“

„Lass mich nicht allein.“

„In einer Stunde bin ich wieder da. Das ist gleich vorbei.“

Ich war erstaunt, wie ruhig meine Stimme klang.

Meine Tante wartete im Flur.

„Ich muss ein paar Sachen für ihn holen.“

„Natürlich, komm.“

Immer noch ganz gefasst ging ich zum Lift, zum Ausgang hinaus und stieg ins Auto. Meine Tante wandte sich zu mir. Ich sah den nassen Fleck, den seine Tränen auf meiner Schürze hinterlassen hatten. Ich sah sein schmerzverzerrtes Gesicht, seinen zerschrammten Körper. Ich sah die Wut in seine Augen, als er mich rausgeschmissen hatte. Ich sah das Auto, das ihn rammte, hörte den Aufprall, sah ihn seitlich über den Asphalt schlittern. Ich fühlte Coras Hand an meiner Wange. Die Tränen strömten aus mir raus, ich konnte die starke Fassade nicht mehr wahren. Sie nahm mich in den Arm.

„Wenn er gestorben wäre … Tante Cora, was, wenn ich ihn verloren hätte? Es hat nicht viel gefehlt. Überall diese tiefen, dunklen Furchen. Was wenn das letzte Mal, dass ich mit ihm gesprochen hätte im Streit gewesen wäre?“

„Er wird wieder gesund, das ist alles, was zählt. Sei dankbar dafür und sei für ihn da.“

„Ich muss immer wieder daran denken, was gewesen wäre, wenn … ich könnte nicht ohne ihn leben, Tante Cora.“

„Schon gut, mein Schatz. Wein dich aus. Ich bring dich schnell wieder zu ihm zurück.“

Ich lief durchs Haus, holte die Nummer vom Kühlschrank, den Ordner mit den wichtigen Unterlagen aus der unteren Schreibtischschublade, das Buch vom Nachttisch, ein paar Boxershorts, ein paar lockere Shirts, eine lockere Hose … Zahnputzzeug, die Brille in der Hülle, das Handy … Handtücher …Pantoffeln. Das war wohl erst mal das Wichtigste.

Dann fuhren wir wieder zurück. 45 Minuten hatte ich ihn alleine gelassen. Er hatte geschlafen. Gut. Eine Schwester stellte das Kopfende des Bettes höher. Max hatte wieder Farbe bekommen. Ich setzte mich neben ihn, ich wollte ihn beschützen, wollte, dass er sich sicher fühlt. Ich legte meinen Arm vorsichtig um ihn. Bestimmt tat ihm die Bewegung weh, trotzdem legte er seinen Kopf an meine Brust. Meine Hand ruhte ganz sanft auf seiner Schulter. Meine linke Hand hielt seine linke Hand, der Ellbogen lag auf meinem Bauch. Jede einzelne Stelle, an der ich ihn berührte, war mir fast unangenehm bewusst. Er schien sich zu entspannen. Meine Tante ging zum Fenster und schaute über die Stadt. Max schlief ein. Ich wagte es nicht, mich zu bewegen.

„Fahr nach Hause, Cora. Ich bleibe so lang sie mich lassen und dann nehm ich mir ein Taxi.“

„David, du bist wie mein eigenes Kind. Ich lass dich nicht allein.“

Ich schaute auf den schlafenden Max hinunter. Seine Gesichtszüge waren ganz entspannt. Der Kopfverband war durch ein großes Pflaster ersetzt worden. Die Schrammen an der Wange verkrusteten sich langsam.

„Ich bin nicht allein, Cora. Ich hab alles, was ich brauche.“

„Bist du sicher? Soll ich deiner Mutter Bescheid sagen?“

„Dann würde sie herkommen. Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um ihr zu sagen, wer Max ist …“

„Okay. Aber ruf an, wenn du was brauchst. Und hier leg ich dir Geld fürs Taxi hin …“

Sie kam rüber und gab mir einen Kuss auf die Wange.

„Du bist so erwachsen geworden, mein Kleiner. Du bist ein guter Freund“

„Wenn wir nicht gestritten hätten, wäre er nicht Laufen gegangen …“

„Mach dir keine Vorwürfe. Es war ein Unfall. Wichtig ist, dass du jetzt für ihn da bist. Armer Junge. Sag bald seinen Eltern Bescheid.“

„Jetzt fahr schon. Du wirst im Restaurant gebraucht.“

Max schlief, bis es draußen dämmerte und das Abendessen gebracht wurde. Während der ganzen Zeit hatte ich zugesehen, wie sich sein Brustkorb hob und senkte und hatte das Leben in ihm gespürt. Die Wärme und die leisen Geräusche. Nach diesem Tag wusste ich, dass ich diesen Menschen nie wieder im Zorn verlassen würde, dass ich alles tun würde, um ihn froh zu machen und dass ich ihn niemals gehen lassen würde.

„Hey.“

„Hallo.“

„Es wird ja schon dunkel …“

„Und es gibt Essen.“

Er streckte sich und dabei schien ihm nichts weh zu tun. Dann setzte er sich ein wenig auf. Ich klappte die Essenablage aus und stellte das Tablett drauf.

„Mhm … Hackbraten …“

„Guten Appetit.“

„Bist du nicht hungrig?“

„Ich hab schon was gegessen.“ … heute morgen.

Er aß tatsächlich alles auf und seine Züge wurden schon viel lebhafter.

„Brauchst du noch irgendwas?“

„Ich glaube nicht …“

„Was ist mit deinen Eltern?“

„Denen sag ich Bescheid, wenn ich wieder zu Hause bin. Sie können ja eh nichts machen.“

„Und Claudi?“

„Die könnte ich mal anrufen.“

„Dann lass ich solange deinen Fernseher frei schalten.“

Dazu musste ich runter zur Pforte, das Ganze dauerte ein wenig, aber als ich zurück kam, telefonierte Max immer noch mit Claudi.

„Okay, ich muss Schluss machen, dann bis morgen. … Sie ist fast ausgeflippt, weil ich sie nicht früher angerufen habe …“

„Du warst ja gut versorgt.“

„Ich hab gestern ganz schön Dampf bei ihr abgelassen. Ich war so sauer auf dich und wusste selber nicht, warum …“

„Lass uns das einfach vergessen, ja? Ich rühr kein Gras mehr an, wenn dir das so wichtig ist.“

„Es war nicht bloß das, glaub ich … ich glaub es war auch Paul … er ist aus dem Nichts aufgetaucht und plötzlich warst du so ganz anders … Auch die Feuer-Nummer und dass du dich über die anderen beim Singen lustig gemacht hast …“

„Das war doch nur Spaß.“

„Ich weiß … aber ich hab dich irgendwie nicht wiedererkannt. Paul und du, ihr habt eine Vergangenheit, die ich nicht teile … das ist irgendwie … bedrohlich.“

„Jetzt weißt du, wie es mir mit dir und Claudi geht …“

„Ja, stimmt, das kann ich jetzt besser nachvollziehen.“

„Ich sollte Paul mal anrufen. Wir wollten eigentlich am Nachmittag was machen. Aber erst helf ich dir noch, was Richtiges anzuziehen. Ich hab deine Snoopy-Boxershorts dabei.“

Das Hämatom an seinem Oberschenkel war fast tellergroß und in der Mitte fast schwarz.

„Hallo, hier ist David. Ist Paul zu Hause?“

„Hallo! Ja, warte, ich hol ihn.“

„Ja hallo?“

„Hey. Sorry.“

„Wo warst du denn?“

„Max hatte beim Joggen einen kleinen Zusammenprall mit einem Auto.“

„Oh, wie schlimm?“

„Prellungen, Schürfungen und eine Gehirnerschütterung. Ich bin immer noch im Krankenhaus. Ich wollte nur, dass du dich nicht wunderst.“

„Okay. Dann reden wir morgen, hm? Sag ihm gute Besserung von mir. Oder besser nicht, nicht dass er sich zu sehr aufregt …“

„Ihr habt euch auf dem falschen Fuß erwischt. Das nächste Zusammentreffen kann nur besser werden.“

„Da hast du Recht. Also, bis Morgen.“

„Bis Morgen.“

„Paul wünscht dir gute Besserung.“

„Der muss auch einen tollen ersten Eindruck von mir bekommen haben.“

„Ihr werdet euch noch oft genug sehen. Übrigens, warum ich gestern so angepisst war, dass du uns ‚unterbrochen‘ hast …“

„ … freundlich gesagt …“

„Das war, weil ich kurz davor war, ihm von uns zu erzählen.“

„Oh … tut mir echt Leid. Das ist echt Scheiße gelaufen …“

„Ich hab es ihm dann später noch gesagt, oder viel mehr: er hat es erraten.“

„Und?“

„Er hat kein Problem damit, keine Ahnung, warum ich mich so angestellt hab …“

„Das freut mich.“

„Bist du müde?“

„Nein, überhaupt nicht.“

„Willst du drüber reden, was passiert ist?“

„Ich kann mich eh kaum noch erinnern …“

„Willst du fern schauen?“

„Auch nicht …“

„Soll ich dir was vorlesen?“

„Nö …“

„Was willst du denn?“

„Also nochmal zum kiffen …“

„Max, was soll ich denn noch sagen?“

„Ich weiß. Es ist nur … sowas können wir halt absolut nicht nachvollziehen.“

„Wir?“

„Claudi, Thorsten und ich …“

„Moment, also ihr drei habt euch darüber unterhalten?“

„Sie haben noch beim Aufräumen geholfen und ich war total durch den Wind. Ich musste mit ihnen darüber reden …“

„Okay … und Claudi hat gesagt, dass sie das mit dem Kiffen nicht nachvollziehen kann?“

„Ja. Genau wie ich und Thorsten.“

„Schatz, ich sag es nicht gern, aber dann ist Claudi eine ganz schöne Heuchlerin.“

„Was?“

„Letztes Jahr hat sie sich öfter mal zu uns gesellt und einen durchgezogen. Daher kannte ich sie auch.“

„Was? Da musst du sie verwechseln.“

„Ich verwechsle sie doch nicht. Letzten Sommer, am Weiher, ganz sicher, mehr als ein Mal.“

„Das glaub ich einfach nicht.“

„Warum sollte ich lügen?“

„Vielleicht sieht irgendwer ihr ähnlich … oder du kannst dich nicht mehr erinnern, weil du ja schließlich gekifft hattest oder so …“

„Max, wenn du nicht im Krankenhaus wärst … aber so bin ich nachsichtig. Frag sie selbst, mal sehn was sie sagt. Aber jetzt lass uns nicht über so ’nen Mist reden …“

Zum ersten Mal trat eine peinliche Stille zwischen uns.

„Ich bin doch irgendwie müde.“

„Mach das nicht. Nicht nachdem ich solche Angst um dich haben musste. Bitte, schick mich nicht wieder weg.“

„Es tut mir Leid, ich kann damit einfach gerade nicht umgehen.“

„Dann vergiss, dass ich was gesagt habe. Lass uns einfach nur hier liegen, ja? Lass mich bei dir sein, bitte.“

Ich schmiegte mich eng an ihn.

„David … ach … verdammt …“

„Pscht. Genug geredet. Ich bleibe hier, bis sie mich rausschmeißen und morgen früh um acht bin ich wieder da. Ich lasse dich nie wieder allein, wenn ich nicht muss.“

„Du zitterst ja. Komm unter die Decke.“

Irgendwann kam eine Schwester rein.

„Die Besuchszeit ist seit einer halben Stunde um.“

„Kann ich nicht bleiben? Im Einzelzimmer störe ich doch niemanden.“

„Tut mir Leid, Krankenhaus-Regeln. Morgen früh ab acht wieder.“

Sie gab uns noch kurz Zeit, uns zu verabschieden. Dann stieg ich in eines der letzten Taxis, die noch rum standen.

Ich überlegte kurz, ob ich in Max’ Haus schlafen sollte, um den Fragen meiner Mutter zu entgehen … aber das wäre zu seltsam gewesen …

Mum und Klara saßen vor dem Fernseher.

„Was machst du denn schon zu Hause?“

„Ich war bei einem Freund im Krankenhaus.“

„Welchem Freund denn?“

„Max Weller.“

Klara sprang halb auf.

„Was? Warum? Was ist denn?“

„Ein Auto hat ihn angefahren, aber er ist mit einer Gehirnerschütterung davon gekommen. In ein paar Tagen kann er wieder nach Hause. Aber seine Eltern sind in Amerika … ich hab ihm eine paar Sachen vorbeigebracht und so.“

„Ah, gut …“

„Kann ich morgen früh das Auto haben?“

„Ich muss zur Arbeit …“

„Wenn ich dich hinbringe?“

„Und abholst?“

„Das kann ich nicht versprechen …“

„Wozu brauchst du es?“

„Ich will nochmal ins Krankenhaus.“

„Morgens um acht?“

„Wenn ich dich zur Arbeit bringen soll ja.“

„Ich wusste gar nicht, dass ihr so gut befreundet seid, du und Max.“

„Doch, schon ziemlich gut. Ich geh jetzt schlafen, gute Nacht …“

Als ich aus dem Bad kam, wartete Klara schon in meinem Zimmer.

„Wie geht’s ihm?“

Ich zuckte die Schultern.

„Jetzt besser als nachmittags. Es sieht glaub ich schlimmer aus, als es ist …“

„Du siehst fertig aus.“

„Ich hab ’nen ziemlichen Schreck bekommen …“

„Kann ich irgendwas tun?“

„Nein, aber danke für das Angebot …“

„Dann lass ich dich mal in Ruhe … Ach, Paul hat dich heute gesucht.“

„Ich weiß, ich hab ihn schon angerufen.“

Mein Wecker klingelte um sieben, aber ich war schon lange vorher wach. Ich wollte nicht noch einen Albtraum riskieren.

„Morgen.“

„Morgen.“

„Morgen.“

„Wir haben schon lange nicht mehr alle drei zusammen gefrühstückt.“

„Stimmt.“

„Mhm …“

„Ihr seid immer noch nicht gesprächiger geworden.“

„Sorry …“

„Schreib heut Mathe. Muss los.“

„Aber die Cornflakes …Willst du Cornflakes?“

„Ich bin schwul.“

„Hab ich es doch gewusst. Raus aus meinem Haus, du Missgeburt! Wegen dir hat euer Vater uns verlassen!“

Mein Wecker weckte mich zum Glück. Verdammt, solche im-Traum-aufwach-Träume sind echt unfair.

Zum Glück bot sich mir unten eine ganz andere Szene dar. Mum schlang eilig ihr Frühstück hinunter und Klara war nicht zu sehen.

„Nimm dir Obst mit, wir müssen los.“

Drei Minuten nach Acht war ich wieder auf der Station. Max schlief noch und ich legte mich einfach zu ihm.

„Hey, du bist da.“

„Natürlich.“

„Ich hab von dir geträumt.“

„Was schönes?“

„Es ging um den Drehstuhl …“

„Alles klar. Gut dass du ein Einzelzimmer hast … Wie fühlst du dich?“

Er setzte sich auf.

„Viel besser. Mein Kopf dröhnt nicht mehr so, die Muskeln tun nicht mehr weh … ich will nach Hause.“

„Mal langsam … die Ärzte meinen …“

„Mir geht es besser und Untersuchungen stehen auch keine mehr an. Warum sollte ich noch hier bleiben?“

„Um sicher zu gehen …“

„Du wirst doch auf mich aufpassen, oder?“

„Schon, aber …“

„Na also. Ich hasse Krankenhäuser. Die Vorstellung, dass so viele kranke Menschen in diesem Gebäude sind … und das Bett ist sooo unbequem und ich will dich nachts bei mir haben.“

Dieses Argument zog.

„Vielleicht können wir mal fragen, wie es so wäre, wenn du mit zu mir kommst … Nicht zu dir heim … Ich will, dass nachts noch jemand anderes im Haus ist …“

„Mir egal, Hauptsache von hier weg.“

Nach dem Frühstück kam eine Schwester und desinfizierte nochmal die Schürfungen. Außerdem ließ sie auch eine Creme für den riesigen blauen Fleck da. Als sie weg war, cremte ich Max vorsichtig ein.

„Mann, wir werden Wochen lang keinen Sex haben können …“

„Seh ich so abstoßend aus?“, fragte er kokett. Er wollte nur ein paar Komplimente einfahren. Ich tat ihm den Gefallen.

Um elf kam Dr. Mooser.

„Guten Morgen, Herr Weller. Ich würde sie gerne untersuchen. Würden sie uns kurz entschuldigen?“

„Kann er bleiben, bitte?“

„Na gut, Ausnahmsweise. Wie geht es ihnen heute?“

„Viel besser. Mein Kopf dröhnt nur noch ein bisschen und ich hab ganz gut herausgefunden, welche Bewegungen ich mit Armen und Beinen vermeiden sollte …“

Pupillenreflex, Blutdruck … Blutabnehmen …

„Das sieht alles gut aus.“

„Wann kann ich nach Hause?“

„Sie müssen sich noch schonen.“

„Das kann ich zu Hause auch.“

„Ihre Eltern sind verreist.“

„David kümmert sich um mich.“

„Er käme mit zu meiner Familie. Das was die Schwester heute gemacht hat, krieg ich auch hin. Ich sorge für drei Malzeiten am Tag und dafür, dass er so wenig wie möglich aufsteht.“

„Generell wäre das schon möglich. Sprechen sie das mit ihrer Familie ab und lassen sie sich von einer Schwester unterweisen. Wenn bis heute Nachmittag alles so gut bleibt wie jetzt, bereiten wir die Entlassungspapiere vor.“

„Gott sei Dank. Danke Doktor.“

Max strahlte, als der Arzt ging.

„Danke, dass du das für mich tust.“

„Hey, ich kümmere mich gern um dich. Hauptsache du bist bei mir.“

Es klopfte und Claudi steckte ihren Kopf zur Türe rein.

„Was machst du nur für Sachen, du Wahnsinniger?“

Ich blieb gerade lange genug, um die innige Umarmung zu sehen. Dann ging ich raus um ein paar Anrufe zu erledigen.

„Hey Mum.“

„Hallo. Was ist denn jetzt los? Wann hast du mich denn das letzte Mal im Büro angerufen?“

„Ich wollte sagen, dass ich Max mit nach Hause bringe. Seine Eltern sind ja weg und er braucht jemanden, der sich ein wenig kümmert.“

„Okay, kein Problem. Wenn dir sowas passieren würde, während ich weg bin, wäre ich auch froh wenn du bei jemandem bleiben könntest.“

„Ich weiß nicht genau, wie lange das dauert …“

„Ruf an, wenn du was Genaueres weißt. Zur Not komme ich auch allein heim.“

„Okay. Danke.“

„Klar.“

„Hey Cora.“

„Hallo. Gibt es was Neues?“

„Ihm geht es viel besser. So wie es aussieht, kann er heute noch nach Hause. Allerdings unter Bettruhe … Er wird erst mal bei uns zu Hause bleiben.“

„Und was sagst du deiner Mutter?“

„Dass er ein Freund ist, der Hilfe braucht. Das ist ja auch nicht gelogen …“

„Ich fühl mich nicht wohl dabei, etwas zu wissen, das sie nicht weiß.“

„Schon klar, aber vorerst … wie denkst du, wird sie reagieren?“

„Keine Ahnung. Wirklich nicht …Ich hoffe, wir können uns bald in Ruhe unterhalten.“

„Ja, ich auch. Also, warum ich eigentlich anrufe … Ich schätze ich brauche den Rest der Woche frei …“

„Kannst du nicht versuchen, zu den Stoßzeiten da zu sein?“

„Abends vielleicht. Aber Mittags ist er sonst alleine …“

„Weißt du, die Hälfte des Personals ist im Urlaub …“

„Ich weiß. Ich mach es irgendwie wieder gut.“

„Da bin ich gespannt.“

Ich wollte irgendwie nicht zu Max und Claudi rein, deshalb schlenderte ich zum Schwesternzimmer.

„Ah, Herr Lenz. Ich habe gehört, Herr Weller möchte gern nach Hause?“

„Ja, das stimmt. Doktor Mooser hat gesagt, ich soll mich noch unterweisen lassen, was auch immer das bedeutet.“

„Kommen sie rein.“

Schwester Theresa schrieb mir den Namen einer Creme auf, die ich besorgen sollte, und machte noch eine Liste mit anderen Sachen. Desinfektionsmittel, Tupfer, Gaze, große Pflaster …

„Dr. Mooser wird dann noch ein Rezept für das Schmerzmittel schreiben. Die Dosierung teilt er ihnen mit. Ansonsten sollte er keine Medikamente nehmen, ohne es vorher mit seinem Hausarzt abzusprechen. Der sollte ihn morgen und dann jeden zweiten Tag sehen. Sie bekommen nachher die Unterlagen für ihn mit. Am besten setzten sie sich gleich mit ihm in Verbindung. Hausbesuche wären am besten. Bis morgen sollte Herr Weller nur aufstehen, um auf die Toilette zu gehen. Alles Weitere sagt ihnen dann der Hausarzt.“

„Okay … gut dann ruf ich jetzt Dr. Berger an und danach geh ich in die Apotheke runter … Was ist mit duschen?“

„Vorerst nicht, morgen vielleicht ein Sitzbad.“

„Das wird ihm nicht gefallen.“

„Sie müssen ihn in seine Grenzen weisen. Er ist einer von denen, der sich gerne überschätzt, das seh ich schon. Er soll sich viel ausruhen und seine Augen möglichst nicht anstrengen, das macht die Kopfschmerzen nur schlimmer. Ein kühles Tuch auf die Augen hilft. Wenn ihnen irgendetwas seltsam vorkommt, wenn er verwirrt ist oder er übermäßigen Schwindel empfindet, wenn seine Pupillen ständig erweitert sind …“

„Dann ruf ich an und bring ihn her.“

„Gut. Ich bin sicher, dass sie sich gut kümmern werden. Ich glaube die größte Gefahr ist er selbst.“

„Das wird sicher interessant.“

„Praxis Dr. Berger, Silvia am Apparat, Grüß Gott.“

„Guten Tag. Ich rufe im Auftrag von Herrn Max Weller an. Er liegt nach einem Verkehrsunfall im Kreiskrankenhaus und bräuchte Nachsorge.“

„Natürlich. Wann wird er entlassen?“

„Heute Nachmittag. Der Hausarzt sollte ihn morgen sehen. Er hat eine Gehirnerschütterung. Wäre ein Hausbesuch möglich?“

„Sicher, um 13 Uhr. Bringen sie die Unterlagen am besten heute noch vorbei.“

„Gut. Danke.“

In der Krankenhaus-Apotheke zeigte ich meine Liste vor und bekam alles. Dann hatte ich keine Ausrede mehr, mich noch länger irgendwo rumzutreiben. Claudi saß neben Max auf dem Bett, der aß gerade zu Mittag.

„Hey.“

„He, na, was hast du in der Tüte?“

„Lauter ganz tolle Sachen aus der Apotheke. Und morgen um 13:00 kommt Dr. Berger. Heute Abend soll ich da noch deine Unterlagen vorbei bringen. Ich hab den Rest der Woche frei. Jetzt muss der Mooser nur noch sein endgültiges Okay geben. Wie geht’s dir?“

„Immer besser. Ich würde gern ein bisschen an die frische Luft …“

„Ich kann ein Fenster aufmachen.“

„Das ist doch nicht das Gleiche …“

„Sorry, strikte Bettruhe.“

„Aber ich könnte ihn im Rollstuhl durch den Garten schieben. Wie in Entscheidung aus Liebe.“

„Nein. Die Schwester hat es mir gerade nochmal gesagt. Er soll nur aufstehen, um auf die Toilette zu gehen.“

„Dann piss ich halt ins Blumenbeet.“

Claudia prustete los. Ich fühlte Wut in mir aufsteigen. Aber ich beherrschte mich.

„Bitte, klingelt nach einer Schwester und fragt die. Aber ich nehm dich nicht mit nach Hause, wenn du dann so unvernünftig bist. Dafür übernehme ich nicht die Verantwortung. Wenn du bei mir bist, müssen meine Regeln gelten.“

„Hört sich langweilig an, hm Max?“

Claudi alberte immer noch rum wie ein kleines Kind. Ich drehte mich zum gehen.

„Warte … du hast ja Recht, tut mir Leid.“

Gott sei Dank.

Als ich mich umdrehte, schaute Max mich reumütig an, Claudis Blick war eher von der Sorte, über die man sagt, dass sie töten könnten …

Ich ging rüber und küsste die heile Seite seiner Stirn. Am liebsten wäre ich neben ihm ins Bett gekrochen, aber da saß Claudi schon drin … Ich setzte mich ans Fenster, bis es mir zu blöd wurde. Ich merkte genau, dass Claudi sich zurückhielt und absichtlich nur über langweilige Dinge redete und mich immer wieder abschätzig musterte.

„Ich geh nochmal telefonieren …“

„Hallo, hier ist David. Ist Paul zu Hause?“

„Er ist gerade aufgestanden, warte.“

Es war nach eins …

„Guten Morgen.“

„Ich bin seit sieben auf den Beinen, also sag nicht guten Morgen.“

„Warum das denn?“

„Die Liebe, weißt du noch?“

„Bist du im Krankenhaus?“

„Ja. …Wahrscheinlich kann ich ihn in ein paar Stunden mit heim nehmen.“

„Gut, das freut mich.“

„Das bedeutet aber, dass ich heute wohl nichts mit dir unternehmen kann.“

„Klar, das ist schon okay. Ich bin froh, dass es deinem Max wieder besser geht …“

„Da ist noch was. Claudi … kannst du dich noch an sie erinnern?“

„Von letztem Jahr meinst du? Klar. Ständig hat sie geschnorrt und nicht mal danke gesagt … seltsames Mädel, aber dein Max ist mit ihr befreundet, hm?“

„Beste Freunde, ihres Zeichens. Und zusammen haben sie über uns böse Kiffer hergezogen.“

„Ist sie über den Winter bekehrt worden, oder wie?“

„Scheinbar. Das Interessanteste ist, dass Max überhaupt nichts von ihren Eskapaden weiß … gewusst hat. Und jetzt stachelt sie Max gegen mich auf …“

„Sehr seltsam …“

„Und sie hängt die ganze Zeit an ihm dran, liegt bei ihm im Bett, setzt ihm Flausen in den Kopf und ich muss dann einen auf Über-Mama machen … Ich versteh nicht, warum sie plötzlich so ist …“

„Vielleicht hat sie gecheckt, wie ernst es euch ist …“

„Und weiter? Dann sollt sie sich doch erst Recht mit mir gut stellen.“

„Es sei denn …“

„Es sei denn, was?“

„Ach, keine Ahnung, das hört sich nur so an als hätte sie gehofft, dass er früher oder später wieder zum richtigen Ufer wechselt und sie ihre Chance bekommt.“

„Du denkst sie ist in ihn verknallt?“

„Keine Ahnung. Ich sag nur, dass das eine mögliche Erklärung wäre.“

Als ich die beiden so auf dem Bett sitzen sah, hielt ich Pauls Theorie für mehr als wahrscheinlich.

„So, jetzt bin ich mal wieder dran …“

Ich stellte mich auf Claudis Seite neben das Bett und forderte mein Recht ein. Mit Schnippigkeit, die gespielt wirken sollte, aber eigentlich nicht gespielt war, sagte sie:

„Du hast ihn die ganze Nacht. Der Tag gehört mir.“

Sie rührte sich keinen Millimeter. Keine Ahnung was passiert wäre, wenn es nicht an der Tür geklopft hätte. Dr. Mooser.

„So, guten Tag, die Herrschaften. Darf ich sie kurz aus dem Zimmer bitten? Sie diesmal auch, Herr Lenz.“

Claudi schaute mich voller Genugtuung an. Am Gang verzog jeder sich in eine andere Richtung. Ich bildete mir ihre Feindseligkeit also auf keinen Fall nur ein. Das war der Beweis.

Nach ein paar Minuten rief Dr. Lenz mich rein. Er ermahnte uns nochmal, beim geringsten Zweifel einen Arzt zu konsultieren und jegliche unnötige Anstrengung zu vermeiden. Dann erklärte er sich einverstanden, Max zu entlassen. Das Bürokratische würde noch mal ein bis zwei Stunden dauern. Ich hatte nicht vor, bis dahin nochmal aus dem Bett zu gehen. Claudi saß am Fenster und schmollte während ich Max ausfragte, was seine Lieblingsspeisen seien und mir eine Einkaufsliste machte. Um halb vier kam eine Schwester mit den Unterlagen und erklärte mir, was wohin gebracht werden musste. Außerdem gab sie mir das Rezept. Ich schickte Claudi in die Apotheke runter und half Max ins Bad und beim Umziehen.

„Ohne dich wäre ich ganz schön verloren, weißt du das?“

„Du hast mich ja … verdammt, wie konnte ich nur vergessen, dir einen Pulli mitzubringen?“

„Das ist schon okay. Draußen ist es wärmer als drinnen, so wie die Sonne scheint …“

„Ich muss noch meine Mum anrufen. Vielleicht können wir sie auf dem Weg abholen.“

Sie sagte zu.

Claudi bestand darauf, den Rollstuhl zu schieben. Schwester Theresa schaute den beiden missmutig hinterher.

„Das Mädchen bedeutet Ärger, das kann ich förmlich riechen. Passen sie gut auf Herrn Weller auf. Und hier ist die Kleidung, die er getragen hat, als er eingeliefert wurde.“

Ich warf einen Blick in die Tüte und sah ein blutiges Shirt.

„Ich darf gar nicht dran denken …“

„Ist ja nochmal gut gegangen. Auf Wiedersehen, Herr Lenz.“

„Auf Wiedersehen. Aber nicht hier.“

Max saß neben mir, seine Hand lag auf meiner am Schaltknüppel. Seine heile Hand. Immer wenn der Verkehr es zuließ, schaute ich zu ihm rüber. Ihm ging es nicht schlecht, aber mir würde wohler sein, wenn er in meinem Bett lag. Claudi motzte rum, dass ich das Radio anschalten sollte, aber ich wollte nicht riskieren, dass es Max zu viele Reize wurden. Meine Mum stand schon am Haupttor des Werksgeländes wo sie im Büro arbeitete.

„Hallo ihr … oh, drei.“

Im Rückspiegel sah ich, wie sie Claudi musterte. Mir zog sich der Magen zusammen.

„Mum, Claudi ist nicht die, die du denkst.“

„Nicht?... Ach so. Na gut. Also Max, wie geht es dir?“

„Schon besser, danke. Und danke, dass ich eine Zeit lang bei ihnen bleiben kann.“

„Das ist doch selbstverständlich. So und jetzt mach die Augen zu und entspann dich. Ich hatte als Jugendliche mal eine Gehirnerschütterung. Das heimtückische ist, dass du erst bemerkst, dass es dir zu viel wird, wenn die Kopfschmerzen schon nicht mehr aufzuhalten sind.“

„Okay … ich versuch es … aber mit geschlossenen Augen kann man eben nicht wirklich viel machen …“

„Wir haben ein paar Hörspiele. Das Silmarilion zum Beispiel. Und heute Abend gibt es Nudelauflauf. Essen kann man auch mit geschlossenen Augen.“

Wir hielten noch bei Dr. Berger und dann so nah wie möglich vor der Haustür. Claudi legte Max ihren Arm um die Hüften und stützte ihn, während ich nur zusehen konnte und die Tasche trug. Meine Mum brachte extra Kissen, damit Max bequem in meinem Bett sitzen konnte. Dann ging sie kochen.

„In 40 Minuten gibt es Essen.“

„Ich glaube, ich schlaf so lange noch ein bisschen …“

Endlich verabschiedete sich Claudi, kündigte aber an, am nächsten Vormittag mit ein paar CDs zurück zu kommen. Während Max schlief, packte ich seine Sachen ins Nachtkästchen, wo er selbst dran kam. Dann ging ich duschen.

Max wachte pünktlich zum Essen auf. Mum und Klara bestanden darauf, oben mit uns zu essen.

„Also, Max. Ist Claudia deine Freundin?“

„Nein! Um Gottes Willen. Wir sind seit zehn Jahren befreundet. Sie ist wie eine Schwester.“

Ich fand es schade, dass Claudi diese Antwort nicht gehört hatte.

„Ach so. Ich blicke zurzeit überhaupt nicht durch. David macht ja so ein Geheimnis aus dieser Beziehungskiste. Seit Wochen bettle ich ihn an, mir endlich seine Freundin vorzustellen. Aber er schaltet auf stur.“

„Ja, das kann er gut.“

„Allerdings. Oh, sieh ihn dir an, wie er mich mit seinem Blick durchbohrt. Ist ja schon gut, ich wechsle schon das Thema. Also, was sagen deine Eltern?“

„Ich hab ihnen noch nichts erzählt. Sie hätten sich bloß unnötig Sorgen gemacht. Jetzt kann ich sagen, dass ich schon wieder aus dem Krankenhaus raus bin.“

„Also wirklich … die Vorstellung, dass mein Sohn im Krankenhaus liegt und mir nichts davon erzählt … Gleich nach dem Essen rufst du sie an, ja?“

„Na gut …“

„Und wie war die Schule, Klara?“

„Wie immer.“

„Irgendwas rausbekommen?“

„Nein, aber morgen schreib ich Mathe.“

Ich musste an meinen Albtraum denken und fragte mich, was passieren würde, wenn ich es jetzt einfach sagen würde … Vielleicht würde das Mitleid mit Max den Ärger dämpfen und es würde keine richtige Explosion geben … oder vielleicht würde sie uns beide vor die Tür setzen. Ich hätte nicht mal ein Auto. Max müsste die ganze Strecke bis zu seinem Haus laufen, würde schreckliche Kopfschmerzen bekommen und …

„Hallo? Erde an David!“

„Hm?“

„Ich hab gefragt, was Paul so zu berichten wusste, aus Indien. Was für düsteren Gedanken bist du denn nachgehangen?“

„Ach, … egal … Paul hat recht viel erzählt. Das Meiste war das, was man sich eh schon denken konnte wenn man ihn kennt …“

Mir kam eine Idee.

„Das Interessanteste war wohl das, was er über die Unterschiede erzählt hat. In Indien gibt es ja das so genannte dritte Geschlecht. Menschen die als Männer geboren wurden, aber als Frauen leben. Das ist total anerkannt. Und mit Homosexualität ist es ähnlich.“

Ich machte eine Pause, und wie ich gehofft hatte, sagte Mum ihre Meinung.

„Ist es bei uns nicht auch so? Ich glaube nicht, dass hier in Deutschland jemand noch ernsthaft was dagegen hat.“

„Nicht? Also ich weiß nicht.“

„Ich hab euch beide dazu erzogen, alle Menschen gleich zu behandeln. Ich bin in den 60ern und 70ern aufgewachsen. Und ich würde schon sagen, dass die Meisten denken wie ich.“

„Ja, diese political Correctness ist eine Sache. Die Leute wissen, wie man damit umzugehen hat. Aber sei mal ehrlich, wenn Klara oder ich jetzt heimkämen und dir sagen würden, dass wir das eigene Geschlecht bevorzugen …“

„Dann würde ich euch sagen, dass ihr noch zu jung seid, um wirklich zu wissen, was ihr wollt. Aber ich würde euch nicht verstoßen oder sonst was.“

Ich schaute vorsichtig zu Max. Jetzt wäre der Zeitpunkt da. Aber er schüttelte kaum merklich den Kopf.

„Na gut. Vielleicht bist du die Ausnahme … Also Klara, was ist mit Mathe? Hast du alles drauf? Wir haben ja jetzt ein Mathe-Genie im Haus.“

„Ich komm klar, danke.“

Nach dem Essen überließ ich Max das Zimmer, um mit seinen Eltern zu telefonieren. Ich ging unten Mum ein wenig beim Aufräumen zur Hand.

„Sag mal, all das Gerede über Homosexualität …“

Oh oh …

„Ja?“

„Hatte das einen bestimmten Grund?“

„Warum fragst du?“

„Nur so ein Gefühl …“

„Was für ein Gefühl?“

„Setz dich.“

„Was kommt denn jetzt?“

„Kann es sein, dass Max schwul ist?“

Ich überlegte kurz meine Antwort.

„Wenn, dann ist es nicht meine Sache, darüber zu reden.“

„Natürlich. Aber rein hypothetisch … weißt du, ich denke … ich denke er könnte in dich verschossen sein.“

„Ist das auch wieder so ein Gefühl?“

„Ja.. und ich hab ihn beobachtet wie er dich ansieht. Vielleicht irre ich mich auch, aber ich wollte es angesprochen haben. Sei vorsichtig.“

„Was meinst du denn jetzt damit?“

Ich verfluchte den gereizten Tonfall in meiner Stimme. Ich musste endlich lernen, das zu beherrschen …

„Ich meine nur, dass du ehrlich zu ihm sein solltest.“

„Ich bin immer ehrlich zu ihm.“

„Gut. Weißt du, wenn meine Vermutung stimmt, dann könntest du ihn sehr verletzen.“

„Ist mir klar.“

„Ich will nur nicht, dass du einer von den Kerlen bist, die angeekelt gucken und auf nimmer Wiedersehen verschwinden.“

Wenn ich etwas darauf geantwortet hätte, dann hätte es mich verraten. Denn alles was mir einfiel war, dass ich Max niemals verlassen würde.

„Hör mal David … wenn ich was tun kann, mit Max reden oder so …“

„Nein! Nein … wir klären das unter uns. Danke für deine Sorge.“

„Natürlich … soll ich dir die Couch zu Recht machen?“

„Häh, warum? Ach so … nein, ich hatte eigentlich vor, oben zu schlafen.“

„Bei Max?“

„Er will nachts nicht alleine sein.“

„Spiel nicht mit seinen Gefühlen, David.“

„Das hier geht mir langsam zu weit, Mum … Ich bin alt genug um zu wissen was ich tue.“

„Natürlich … Also holen wir die extra Matratze vom Dachboden?“

Dagegen konnte ich wohl nichts mehr sagen.

Kaum war die Tür zu, kroch ich zu Max unter die Decke. Ich kannte inzwischen die Stellen, an denen meine Hände ihm nicht wehtaten.

„Endlich. Darauf hab ich schon den ganzen Tag gewartet. Endlich mit dir alleine.“

„Wie geht’s dir?“

„Wird schon. Ich bin froh, dass ich meine Eltern davon überzeugen konnte, den Urlaub nicht abzubrechen. Ich bin froh, dass ich meine Ruhe vor ihnen habe. Die würden wahrscheinlich fünf verschiedene Ärzte anrücken lassen, um doch noch irgendwas Schlimmes zu finden …“

„Naja, sie wollen dich halt beschützen, das kann ich schon gut nachvollziehen …“

„Ich hab mich bei dir sehr gut aufgehoben gefühlt. Du hast das alles toll gemacht. Und ich wollte mich nochmal entschuldigen wegen dem Blumenbeet-Spruch. Mir ist einfach die Decke auf den Kopf gefallen … aber hier ist das nicht so. Hier riecht alles nach dir. Da will ich nirgends anders hin.“

„Gut, denn du wirst hier wohl auch noch eine Weile bleiben. Was willst du morgen frühstücken?“

„Rührei!“

„Mit frischen Zucchini aus dem Garten?“

„Gern.“

„Gut, und danach fahr ich kurz einkaufen. Und um eins kommt der Doktor.“

„Ich schätze duschen wird nix, hm?“

„Nein, aber vielleicht ein kurzes Bad, wenn es dir gut genug geht.“

„Na gut … Und ab Mittag musst du arbeiten?“

„Nein, ich hab mir natürlich frei genommen.“

„Aber zurzeit ist doch so viel los …“

„Jetzt mach dich nicht lächerlich, ich geh doch nicht arbeiten und lass dich hier alleine. Da kann noch so viel los sein.“

„Claudi kommt doch eh vorbei.“

Innerlich zählte ich von fünf abwärts.

„Ja, aber ich will auf jeden Fall da sein, wenn der Doc kommt. Vielleicht helfe ich abends aus, mal sehen.“

„Na gut … kannst du das große Licht ausschalten?“

„Klar. Aber zuerst muss ich dich noch eincremen. Sonst seh ich ja nichts mehr …“

Am nächsten Tag machte ich Frühstück, desinfizierte die Schürfwunden, tauschte die Pflaster und die Gaze, cremte das Hämatom ein, das sich außen gelb verfärbte und als Claudi kam, ging ich einkaufen und holte noch ein paar von Max’ Sachen.

Als ich heim kam, meinte Max zu Claudi, dass er jetzt noch etwas Ruhe braucht bevor der Arzt kam. Als sie weg war, ließ ich ihm ein lauwarmes Bad ein und tupfte mit einem Waschlappen über seine Wunden.

„Ich bin ganz schön armselig, hm?“

„Machst du Witze? Ich muss all meine Selbstbeherrschung aufwenden, um nicht zu dir in die Wanne zu springen und …“

Den Rest flüsterte ich ihm ins Ohr. Es tat so gut, ihn lachen zu hören.

Dr. Berger war zufrieden und sagte auch, dass Max ruhig das Bett verlassen konnte, aber nicht ohne Hilfe, da ihm immer noch manchmal schwindlig wurde.

Am Nachmittag las ich ihm aus dem Herrn der Ringe vor und machte Pfannkuchen, wie gewünscht. Um fünf schickte er mich ins Restaurant. Klara war ja gleich nebenan falls er was brauchte und Mum würde auch jeden Moment heim kommen. Cora war froh mich zu sehen. Die drei Stunden waren echt stressig. Als ich um acht zurückkam, war Claudi da. Sie hatte ihren Laptop dabei und die beiden schauten sich ganz gebannt irgendeinen Scheiß auf YouTube an. Als ich kam, verzog sich Claudi. Es dauerte keine fünf Minuten und Max beklagte sich über Kopfschmerzen.

„Ja kein Wunder mit dem Flimmerding auf dem Schoß, wo du eigentlich deine Augen schonen sollst. Leg dich hin, ich bring dir ein feuchtes Tuch.“

Er hatte nicht Abend gegessen, von den Kopfschmerzen wurde ihm schlecht und seine Pflaster durfte ich auch nicht mehr wechseln. Toll gemacht, Claudi. Zum Glück schlief er bald ein …

Freitag, Samstag, Sonntag … am Montag lief er schon wieder rum, Dr. Berger sagte das sei okay. Ich musste arbeiten … Claudi verbrachte den Nachmittag bei Max. Um vier schaute ich mal kurz vorbei. Sie lagen im Garten und lasen … Cosmopolitan. Oh mein Gott.

„Hallo ihr zwei. Ich hab euch Paella mitgebracht …“

„Cool, danke!“

„Hey, wo ist dein Pflaster?“

„Ich dachte ich sollte mal ein bisschen Sauerstoff dran lassen.“

„Sieht schon viel besser aus. Na gut … ich wollte das nur vorbei bringen. Bis heute Abend dann …“

„Bekomm ich keinen Kuss?“

„Schau mal, da im Nachbarsgarten, das ist meine Großmutter.“

„Oh … okay … dann aber heute Abend …“

„Übernimm dich nicht, ja?“

„Ich fühl mich gut.“

„Okay … also noch viel Spaß mit der Cosmo …“

Die beiden kicherten vor sich hin. Auf dem Weg kam mir Thorsten entgegen.

„Hey! Willst du zu Max?“

„Jep.“

„Überlegs dir noch mal. Claudi ist da und die zwei schmökern grad in der Cosmopolitan.“

„Und ich dachte, mich könnte nichts mehr überraschen …“

„Tja … komm lieber zu mir ins Restaurant mit. Kriegst auch eine Cola aufs Haus. Heute ist nicht so viel los, ich wollte fast zu Hause bleiben, aber die Cosmo hat mich in die Flucht geschlagen …“

„Gut, dann schau ich dir ein bisschen bei der Arbeit zu.“

Ich konnte noch eine Cola mit Thorsten trinken und wollte die nutzen, um Infos aus ihm raus zu bekommen. Leider wurden die Leute schnell mehr und ich hatte keine Zeit für vorsichtiges Herantasten …

„Sag mal, denkst du Claudi ist so seltsam zu mir, weil sie was von Max will?“

Sein Schweigen war mir Antwort genug.

„Okay … das ist echt wunderbar … ganz toll.“

„Ich weiß … aber du hast sie erlebt. Wenn sie sich was in den Kopf gesetzt hat …“

„David, kommst du?“

„Ja, gleich … irgendwelche Tipps?“

„Sorry, aber Claudi ist für mich genauso ein Rätsel.“

„Toll. Genieß die Cola. Ich muss dann mal wieder was tun …“

Um acht hatte ich aus. Ich schaute bei den Wellers noch nach der Post, nahm die zwei Briefe für Max mit, legte den Rest auf die Treppe und machte mich auf den Heimweg.

Max schlief … toll. Claudi hatte den ganzen Spaß gehabt und ich durfte das Chaos beseitigen. Schnipsel waren am Boden verteilt, und Klamotten … ich räumte ein bisschen auf, dann setzte ich mich bei Kerzenschein in die hinterste Ecke des Gartens. Bald drauf klingelte mein Handy. Es war Paul. Zehn Minuten später saß er neben mir auf der Hollywood-Schaukel und ich klagte ihm mein Leid. Die Pfeife lehnte ich ab, genau wie die Zigarette.

„Ich bin heute keine gute Gesellschaft, was?“

„Du hattest ne scheiß Woche.“

„Allerdings. Richtig scheiße. Und wie war deine erste Woche zu Hause?“

„Chillig …mein Bruder hat eine neue … ehm … da schleicht jemand ums Haus …“

„David?“

„Hier hinten. Was machst du denn auf?“

„Konnte nicht schlafen … oh, hallo Paul … ich wollte euch nicht stören …“

Er wollte schon wieder abziehen.

„Max, warte … ich hab gehört was passiert ist. Wie geht’s dir?“

Ich war so stolz auf Paul. Wir rutschten zusammen und machten für Max Platz.

„Immer besser. Schon fast wieder gut, würd ich sagen.“

Im Kerzenschein sah ich, dass er nur ein T-Shirt und seine Jogging-Hose trug. Er war barfuß. Ich zog meinen Pulli aus und legte ihn ihm um die Schultern.

„Warum hast du denn nichts angezogen?“

„Vorher war mir noch warm …“

Ich legte meinen Arm über die Lehne und er legte den Kopf an meine Schulter. Ich gab ihm einen kurzen Kuss in die Haare. Er zog die Beine hoch und machte es sich bequem.

„Tut einfach so als wäre ich nicht da …“

„Na gut … also, dein Bruder hat eine neue …Freundin?“

„Nein immer noch die alte. Er hat eine neue Maschine. Wir sind ein bisschen in den Alpen rumgegurkt und so, was sehr spaßig …“

Während ich mich mit Paul unterhielt, spürte ich Max’ Kopf immer schwerer werden.

„Schläft er?“

„Ja …“

Ich streichelte seine Wange, um zu sehen ob ihm kalt war, aber er war angenehm warm.

„Die Schrammen im Gesicht scheinen gut zu heilen.“

„Ja. Aber sein Bein schaut immer noch schlimm aus. Aber das wird schon wieder. Ich sag’s dir, ich habe mich selbst dabei ertappt, wie ich Gott dafür gedankt habe, dass er ihn mir nicht weggenommen hat.“

„Was, du? Mein Lieblings-Atheist?“

„Ich weiß … es war nur einfach beruhigend, nicht nur an Glück zu glauben, sondern daran, dass eine höhere Kraft ihn verschont hat, und ihn auch nächstes Mal verschont …“

„Verstehe …“

„Ich glaub es nicht, dass ich hier sitze, mit der Liebe meines Lebens im Arm und ich endlich mit dir darüber reden kann …Ist es wirklich okay, ich meine …“

„David. Es ist wirklich okay. Wer könnte irgendwas dagegen haben, wenn er euch beide so sieht? Jetzt lass uns nicht sentimental werden.“

„Das ist schwer mit Max im Arm …“

Ich spürte an meiner Schulter wie sich Max’ Wange beim Lächeln bewegte.

„Hey, du schläfst ja gar nicht.“

„Doch.“

„Na gut … Also Paul, was ich dir noch erzählen wollte, letzte Woche, während mein Freund ahnungslos im Krankenhaus lag, da hab ich diesen tollen Kerl kennengelernt …“

„Hast du gar nicht!“

„Genau so wenig wie du schläfst.“

„Du bist blöd …“

Er hob seinen Kopf und drückte sich an mich.

„Ihr habt über mich geredet.“

„So? Vielleicht …“

„Das ist aber unhöflich.“

„Du hast ja eh nicht geschlafen.“

„Das wusstest du aber nicht.“

„Doch natürlich. Die ganze Zeit über.“

„Jaja, blabla … Ich hab Hunger.“

„Was hast du denn zu Abend gegessen?“

„Paella, aber das war ja schon vor fünf …“

„Das ist natürlich schon viel zu lang her. Was magst du denn essen?“

„ChickenMcNuggets.“

„Aber Max, wir können doch heute nicht mehr zum Mäcky fahren …“

„Warum nicht?“

„Ja, warum nicht? Du könntest das Auto von deiner Mum nehmen, wir holen das Zeug am Drive Through und essen im Auto mit Aussicht über Kleinding.“

„Oder bei mir zu Hause am Pool.“

„Noch besser. Lass uns das machen!“

„Dann bin ich wohl überstimmt, was?“

Ich holte den Schlüssel und Max’ Schuhe aus dem Haus und wir machten uns auf den Weg.

Mit drei großen Tüten kamen wir bei Max an.

„Home Sweet Home. Wow, ganz schön viel Post.“

„Zwei Briefe für dich liegen jetzt bei mir zu Hause.“

„Ach, das ist eh bloß Werbung. So, Essen, Essen, Essen.“

„Draußen?“

„Jaaaah!“

„Du warst heute zu viel mit Claudi zusammen, das färbt ab.“

„Mir egal. Gib mir Essen.“

Nachdem wir total voll waren, legten wir uns auf die Liegen und schauten in die Sterne. Ich hatte ein paar Decken geholt, es war richtig gemütlich. Wir redeten über Gott und die Welt und Max und Paul verstanden sich gut. Paul rauchte seine Zigaretten und wenn der Wind den Rauch in meine Richtung blies, saugte ich ihn so unauffällig wie möglich ein. Aber Max war schließlich nicht dumm …

„Weißt du, wenn du eine Rauchen willst, dann halt ich dich nicht ab …“

„Nicht?“

„Solang es bloß Tabak ist …“

„Cool, dann …“

„Allerdings kannst du dann nicht erwarten, dass ich dich vor morgen früh nochmal küsse …“

„Ich wusste, da muss ein Haken sein …dann verzichte ich lieber ….“

„Wie du willst …“

„Aber dann musst du mich auch küssen, damit es sich lohnt …“

„Reicht es nicht, dass ich dir Millionen von Lungenbläschen gerettet hab?“

„Nein, davon merk ich ja nichts …“

Er kam rüber auf meine Liege und kroch unter meine Decke. Ich machte ihm so viel Platz wie möglich, weil er ja nicht seitlich liegen konnte …dann holte ich mir einen Kuss.

„Ihr habt echt Glück, wisst ihr das?“

„Oh ja, das weiß ich.“

„Ich meine, was glaubt ihr, wie viele schwule Männer es in diesem Kaff gibt?“

„Statistisch gesehen zehn Prozent …“

„Also bitte … praktizierend schwule Männer dann eben … und dann auch noch im richtigen Alter … gleiches Bildungsniveau …“

„Max ist viel schlauer als ich. 1,2 sag ich da bloß.“

„Echt jetzt? Krass … naja, gut jedenfalls ist es ein Riesenzufall, dass ihr beide im gleichen Kaff lebt und so … Deshalb solltet ihr echt dankbar sein …Boah, ich würd jetzt echt gern was rauchen …“

„Ja, das Gefühl kenn ich … unter den Sternen liegen und über die wirklich wichtigen Dinge reden … da gehört’s einfach dazu …“

„Oh Mann … wie ihr wollt …“

„Ja? Ich meine, streng genommen sind wir ja auch nicht in deinem Haus …“

„Jajaja …“

„Mach schon, bevor er sich’s anders überlegt. …Oh Mist.“

„Was denn?“

„Ich bin mit dem Auto hier.“

„Ach Fuck, stimmt ja …“

„Na gut … dann halt nicht.“

„Was dagegen, wenn ich …?“

„Nein nein, mach nur ….“

Dafür schmiegte ich mich eng an Max. Das war mindestens genau so gut.

„Mann, wir hatten vor einer Woche das letzte Mal Sex …“

„Äh, hallo? Das glaub ich interessiert Paul nicht wirklich …“

„Ach, stell dich nicht so an … Ich glaub er kann es sich denken …“

„Trotzdem …“

„Heil schneller.“

„Ich geb mir Mühe.“

„Sag mal, David, wissen deine Eltern eigentlich Bescheid?“

„Nein, noch nicht. Klara und Cora wissen es … meiner Mum hätte ich es fast gesagt, aber Max hat mich abgehalten …“

„Ich hab ihr ihre Verständnis-Nummer nicht so ganz abgekauft und hatte grad echt keinen Bock auf Stress …“

„Aber du willst es ihnen schon bald sagen, oder?“

„Ja klar, wenn es sich ergibt …“

„Und du, Max?“

„Ich werd es meinen Eltern so lang wie möglich verheimlichen. Wenn ich Glück hab, erfahren sie es nie.“

„Okay, krass …“

„Sie würden sich damit nicht abfinden und kein Mittel unversucht lassen. Ich bin ihr einziges Kind, wo sollen denn die Erben herkommen?“

„Verstehe …“

„Sag mal, David, was mir grad einfällt: Du hast doch mal was von dem Klassiker erzählt. Verliebt in den …“

„Das müssen wir jetzt nicht breittreten.“

„Ah … hehe, alles klar.“

„Was?“

„Nichts.“

„Sag schon.“

„Niemals.“

„Jetzt David, sag es ihm schon. Ich finde er hat ein Recht drauf.“

„So? Dann reden wir doch erst mal über Claudi und dich.“

„Häh? Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?“

„Das ist genau das Gleiche.“

„Was?! Ich war nie … oh du meinst sie in m…, das ist doch absurd.“

„So … na wenn du meinst.“

„Du bist bloß eifersüchtig.“

„Ich hab keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Ich weiß, dass du nur mich willst. Aber ob sie das auch weiß?“

„Natürlich. Ich erzähl ihr die ganze Zeit, wie perfekt du bist.“

„Tja, man hört, was man hören will.“

„Schwachsinn. Du bildest dir was ein.“

„So wie mit dem kiffen, hm? Frag Paul, er erinnert sich auch noch an sie.“

„Die Sache haben wir geklärt, das ist gegessen.“

„So? Was hat sie denn zu sagen gehabt?“

„Das war was Persönliches.“

„Natürlich, nicht dass ich sie nochmal als Lügnerin entlarve.“

„Hör mal, du hast keine Ahnung, wovon du da redest, also lass es lieber. Können wir jetzt aufhören, bitte? Mein Kopf tut schon weh.“

„Okay … tut mir Leid.“

„Ja, mir auch …“

STILLE

„Ihr zwei habt echt dieses fruchtbarer-Konflikt-Ding am laufen, hm?“

„Naja, ich weiß echt nicht, wie fruchtbar unsere Konflikte immer sind …“

„Aber der Versöhnungssex …“

„David! Hör auf unser Sexleben vor anderen auszubreiten!“

„Mein Gott, ich hab mir Jahre lang den Scheiß von anderen anhören dürfen. Jetzt will ich eben auch mal.“

„Das ist was anderes …“

„Warum?“

„Du weißt, warum.“

Ich konnte es nicht fassen.

„Weil wir schwul sind etwa? Das ist nicht dein Ernst, oder? Soll ich mich dafür schämen?“

„Du sollst es nur niemandem aufzwingen.“

„Mich hat auch keiner gefragt, ob ich die ganzen Geschichten hören will.“

„Das ist einfach was anderes. Man geht ja davon aus, dass du’s hören willst …“

„Weil hetero normal ist und schwul nicht?“

„Jetzt spiel nicht den Aktivisten solang wir in der Öffentlichkeit noch nicht mal Händchen halten.“

„Oh, das liegt aber bitteschön nicht nur an mir.“

„Das sag ich ja gar nicht, aber es liegt auch nicht nur an mir.“

„Ihr tut es schon wieder. Und ihr redet so schnell, dass ich kaum hinterher komm …“

„Jetzt ist aber Schluss. Ich will nicht, dass du mich die ganze Nacht volljammerst weil du Kopfweh hast.“

„Sehr rücksichtsvoll, danke.“

„Oh, eine Sternschnuppe. Schnell, wünscht euch was.“

„Versöhnungssex.“

„Ein großes Heftpflaster für deinen Mund.“

„Hey, tritt du nicht unser Sexleben breit.“

„Du bist so blöd.“

Wir blieben dort, bis es dämmerte. Dann brachten wir Paul heim und legten uns schlafen, bis um viertel nach zehn der Wecker klingelte. Verschlafen machte ich ihn aus und schmiss irgendwas runter.

„Musst du arbeiten?“

„Ich fürchte schon …schlaf weiter. Ich komm gegen zwei und bring was zu essen mit. Und ich hab mein Handy dabei.“

„Ich komm schon klar.“

„Okay. Dann auf Wiedersehen, mein Herz. Ich hatte eine tolle Nacht mit dir. Ach, da am Boden liegen deine Briefe.“

Ich verschwand kurz im Bad. Als ich wieder kam, saß Max im Bett und las in einem Brief.

„Was Wichtiges?“

„Kann ich ein Telefon haben?“

Ich holte es von unten.

„Was ist denn los?“

„Bin nicht sicher. … Ja hallo, Max Weller. Ich sollte mich bei einer Frau Weinsteiger melden. Okay, danke. … Warteschleife. Der Brief ist von Landratsamt Kreuzach, wo ich früher gewohnt hab. Da steht, dass ich mich wegen … Ja guten Morgen, Max Weller. Ich habe einen Brief bekommen und … ja genau. Persönlich? Um was geht es denn? … Verstehe …. Ja, ich denke schon. Und sie können mir nicht … okay, ja, … natürlich. … Ja, die stehen drauf. Okay, gut, dann komm ich bald vorbei. … Danke ihnen auch. Auf Wiederhören.“

„Was war das denn?“

„Eine Mitarbeiterin des Amts für Jugend und Familie bittet mich vorbeizukommen, wenn ich Interesse habe, Kontakt zu meiner leiblichen Mutter aufzunehmen.“

„Was?!“

„Ich weiß auch nicht …“

„Du wusstest davon, oder?“

„Gerüchteweise … aber ich bin grad schon … schockiert, glaub ich.“

„Verständlich. Und jetzt?“

„Ich soll während der Öffnungszeiten da hinkommen um weitere Schritte einzuleiten … zumindest hab ich es so verstanden …“

„Okay … und? Willst du?“

„Keine Ahnung. Was fragst du mich da? Woher soll ich das wissen?“

„Okay. Du hast Zeit. Denkt drüber nach.“

Max ging erst mal duschen und dann kam er mit ins Restaurant.

„Ah, hallo ihr zwei. Du siehst schon viel besser aus, Max.“

„So fühl ich mich auch.“

„Hier, such dir aus, was du willst. Die Küche ist in einer viertel Stunde so weit.“

„Danke.“

„David, dich bräuchte ich beim Tische aufstellen.“

„Klar, dafür bin ich da …“

Max saß eine Stunde lang an der Bar und nippte an seinem O-Saft. Zu essen hatte er nichts gewollt. Der Laden war gerammelt voll, mehr als ein Lächeln zwischendurch konnte ich ihm nicht geben. Irgendwann wurde es mir zu blöd und ich stellte ihm einfach einen Teller Nudeln hin.

„Iss. Für Diskussionen hab ich keine Zeit.“

Er verdrehte die Augen, dann musste ich schon wieder weiter. Allerdings konnte ich eine halbe Stunde später einen leeren Teller abräumen.

„Danke.“

„Schon gut. Wir reden nachher, ja?“

„Okay.“

Bis halb zwei saß er einfach nur da und starrte Löcher in die Luft. Meine Tante trat neben mich, als ich ihn gerade aus der Entfernung musterte.

„Die ganze Sache hat ihn ziemlich mitgenommen, hm?“

„Der Unfall ist Schnee von gestern. Wir sind schon wieder beim nächsten Problem.“

„Coming Out?“

Sie hatte wohl recherchiert oder sowas …

„Nein, das steht auf der ‚später erledigen‘ – Liste …“

„Kann ich was tun?“

„Nein, da muss Max so ziemlich allein durch. Ich muss an Tisch vier kassieren …“

Endlich konnte ich mich mit einem Teller Nudeln neben ihn setzen.

„Na, hast du dir schon was überlegt?“

„Kannst du mich morgen nach Kreuzach fahren?“

„Natürlich, ich muss nur sehen, wie ich das mit dem Auto regle.“

„Wir können eines von mir zu Hause nehmen.“

„Stimmt. Gut. Dann fahren wir also morgen nach Kreuzach, und dann?“

„Dann hör ich mir an, was die Frau vom Jugendamt zu sagen hat.“

„Sicher, dass du das schon schaffst?“

„Glaub mir, die ewige Grübelei würde mich viel mehr mitnehmen.“

Ich brachte ihn nach Hause, er legte sich hin. Ich legte mich zu ihm. Ich spürte, dass er Schmerzen hatte. Und er hatte auch Angst. Ich zog ihn nah an mich, bis wir beide einschliefen.

Ich wachte auf, als ich die Haustüre unten hörte. Meine Mum war nach Hause gekommen. Kein Wunder, es war fast fünf.

„Max? Ich muss los. Meine Mutter ist unten, falls du was brauchst. Ich komm so bald wie möglich zurück.“

„Hm … mhm …“

Als ich nach Hause kam, spielte Max mit Klara und Mum Karten.

„So, dann geht es dir wohl besser, hm?“

„So ein langes Nickerchen wirkt Wunder.“

„Und, wie viel hast du den Damen schon abgespielt?“

„Ich glaub, die schummeln … die haben ständig alle guten Karten …“

„Stimmt gar nicht, wir haben nur die bessere Taktik“, schoss Klara hervor.

„Und ihr habt euch gegen mich verschworen …“

„Ich geh kurz duschen, dann komm ich dir zu Hilfe, ja?“

„Sehr gut.“

Erst als ich meine Hand von seiner Schulter nahm, bemerkte ich, dass sie dort gewesen war … Mum schaute auf ihre Karten … vielleicht eine Spur zu angestrengt? Ich beeilte mich und kam ein paar Minuten später dazu, als Klara ihre Punkte zählte. Es war nichts ungewöhnlich. Wir machten noch ein paar Spiele und gingen ins Bett.

„Ich hab dich vorhin angefasst.“

„Ich weiß … aber es war nur eine freundschaftliche Geste …“

„Sowas kann uns trotzdem verraten …“

„Ich weiß … aber wir müssen uns auch mal entspannen können. Dieses ständige auf der Hut sein ist echt ungesund …“

„Können wir nicht wieder zu dir ziehen?“

„Doch, das wollte ich dir auch vorschlagen, ab morgen bleiben wir wieder bei mir.“

„Gut.“

„Da ist noch was … Ich hab heute per e-Mail die Zusage für ein Praktikum bekommen. Den ganzen September lang. Das heißt, ich such mir schon zum 1.9. eine Wohnung.“

„Okay … Je früher, desto besser.“

„Wie ist das denn mit dem Restaurant?“

„Ich frag meinen Vater, ob ich schon zum 1. September zu ihm ziehen kann. Ich sag, ich will mich eingewöhnen, bevor der Uni-Stress anfängt, und mir einen Job suchen und so …“

„Okay, wenn das alles so klappt … Was für einen Job denn?“

„Als Kellner vermutlich wieder … sonst wüsste ich nichts.“

„Was ist mit irgendwas, das dir fürs Studium was bringt?“

„Da verdient man ja nichts … mal sehen …“

Ich merkte, dass Max absichtlich immer mehr nachfragte, um sich abzulenken. Morgen würden wir diesem ominösen Brief auf den Grund gehen.

Wir standen um acht auf, machten uns auf den Weg zu Max und da stiegen wir in das BMW-Coupé seiner Mutter. Während der fast einstündigen Fahrt redete Max nicht viel. Er sagte mir nur den Weg.

„Also, hier bist du aufgewachsen, hm?“

„Da vorne musst du rechts … Ja. Wir kommen an meiner alten Schule vorbei.“

„Vielleicht können wir ein paar alte Freunde besuchen oder so?“

„Weiß nicht … zu spontan … Das da ist die Schule …“

„Hübsch … und so zentral …“

„An der übernächsten Ampel links …“

„Wir sollten noch klären ob wir heute Kumpel sind, oder ein Paar.“

„Kommt drauf an, was ich erfahre, schätz ich … Vielleicht reicht dann ein Kumpel nicht.“

„Okay, alles klar.“

Vom Parkplatz musste man über eine breite Holzbrücke gehen, um zum Haupteingang des Landratsamtes zu kommen. Ich ging einen halben Schritt hinter Max, der sich an den Schildern orientierte und zielstrebig in den zweiten Stock marschierte. Dort studierte er die Türschilder und klopfte schließlich, ohne zu zögern. Von drinnen hörte man ein leises „Ja?“

Wir traten durch die Türe. Eine Frau mittleren Alters saß hinter einem Schreibtisch. Ihre Haare waren kurz und schwarz gefärbt.

„Guten Tag, wir sind auf er Suche nach Frau Weinsteiger.“

„Sie haben mich gefunden. Was kann ich für sie tun?“

„Mein Name ist Max Weller, ich …“

„Ah, Herr Weller! Schön dass sie da sind. Setzen sie sich.“

Ich schloss die Tür und setzte mich auf den Stuhl neben Max. Frau Weinsteiger trat um den Schreibtisch und zog sich einen dritten Stuhl heran.

„Gut, also Herr Weller. Wie viel wissen sie denn über die Umstände bei ihrer Geburt?“

„Meine Eltern reden nicht viel darüber, aber im Laufe der Jahre habe ich mir einiges zusammengereimt …“

„Möchten sie gerne mehr erfahren?“

„Ja, natürlich.“

„Na mal sehen, wo fange ich an … also, ihre leibliche Mutter war noch sehr jung. Sie hat die Entscheidung getroffen, sie zur Adoption freizugeben. Schon vor ihrer Geburt waren die Wellers als Adoptiveltern gefunden worden. Sie bestanden damals auf eine anonyme Adoption. Doch jetzt, da sie seit einiger Zeit volljährig sind, haben sie die Möglichkeit, ihre Unterlagen einzusehen. Ihre leibliche Familie hat das hiesige Amt kontaktiert. Sie würden sie gerne kennenlernen. Daher der Brief. Ich durfte ihnen natürlich nicht einfach ihre Adresse geben. Darum sind sie heute hier. Um zu entscheiden, ob sie diesen Kontakt wollen, oder nicht.“

Max schob seine Hand in meine. Sie war schweißnass und kalt.

„Okay … sowas dachte ich mir schon … aber ich kann das jetzt nicht sofort entscheiden.“

„Natürlich nicht. Lassen sie sich Zeit. Sie haben 20 Jahre gewartet, auf etwas mehr kommt es auch nicht an.“

Bald würde Max 20 werden. Was würde ich ihm wohl schenken? Nichts konnte nur annähernd dem gerecht werden, was ich für ihn empfand. Ich drückte leicht seine Hand.

„Wie würde das denn laufen?“

„Also sie könnten einfach nur die Unterlagen durchsehen und sich die Adresse aufschreiben, nur für den Fall. Oder ich könnte für sie ein Treffen arrangieren. Wann sie wollen, wo sie wollen.“

„Lebt die Familie hier?“

„Nein. Adoptionen müssen bezirksübergreifend sein. Die Familie lebt in einem Bezirk weiter nördlich … im Landkreis Kleinding.“

„So wie ich.“

„Ja, zufällig. Also, sie haben meine Nummer und auch meine e-Mail-Adresse. Lassen sie es mich wissen, wenn sie sich entschieden haben.“

„Okay, gut … Danke und auf Wiedersehen.“

Wir standen auf und Max gab ihr die Hand.

„Was ist denn mit ihrem Arm geschehen?“

„Verkehrsunfall. Halb so wild.“

Die Untertreibung des Jahrhunderts …

„Ach du meine Güte. Passen sie gut auf sich auf. Wir hören voneinander.“

„Ja, danke nochmal. Auf Wiedersehen.“

„Darf ich?“

Er nickte und ich legte meinen Arm um ihn. Er sagte nichts, deshalb fragte ich auch nichts. Schweigend gingen wir zurück zum Auto.

„Wie spät ist es?“

„Gleich elf.“

„Um fünf nach elf beginnt die zweite Pause. Können wir doch zu meiner alten Schule fahren?“

„Klar, wenn du willst …“

Genau zum Pausengong betraten wir das Schulgebäude.

„Also, was machen wir hier?“

„Ich würde gerne einen alten Lehrer wieder sehen.“

„Okay …“

„Ich weiß nicht, ob er noch hier ist. Vielleicht ist er auch schon in Pension …Jedenfalls war er in der Unterstufe mein Mathe-Lehrer und in der Mittelstufe mein Physik-Lehrer. Er hat mich immer gefördert, hat mich zu Wettbewerben angemeldet, sich nachmittags für meine Experimente Zeit genommen und so … Wenn ich schon hier bin, will ich mich blicken lassen … Da geht’s zum Lehrerzimmer … Mann, ist das lang her …“

Vor dem Lehrerzimmer hatte sich eine Schüleransammlung gebildet. Das war wohl an jeder Schule gleich. Max drängelte sich ein Stück vor und versuchte zu sehen, ob der Lehrer da war. Ich wartete am Ende der Schlange. Da kam noch eine Horde an und ein älterer Lehrer mit buschigen Augenbrauen und grauem Zopf. Man sah den Haaren noch an, dass sie einst pechschwarz gewesen waren. Ich stand ihm im Weg.

„Permiso.“

„Naturalmente.“

„Ah, hablas español?“

„Un poco.“

„Eres un alumno?“

„No, solamente un visitador.“

„Hallo Herr Comez.“

„Max Weller? Ja Wahnsinn! Bist du groß geworden! Das gibt es ja nicht! Was machst du denn hier?“

„Ich war in der Stadt und dachte ich schau mal vorbei. Ich hab ihren Artikel in der Spektrum gelesen. Sehr inspirierend.“

„Und ich habe gehört, dass der Planck-Schülerpreis heuer an dich gegangen ist. Ich war ja so stolz. Ich muss dir unbedingt unser neues Solarzellenprojekt auf der Sonnenterasse zeigen, komm mit.“

„David, kommst du?“

„Ah, der junge Mann gehört zu dir?“

Max streckte mir die Hand entgegen. Irritiert nahm ich sie.

„Ja, der gehört zu mir.“

Herr Comez zog erstaunt die Augenbrauen hoch, lächelte aber.

„Wo hast du spanisch gelernt, David?“

„Im Urlaub und durch eine spanische Brieffreundin.“

„Sehr gut, sehr gut. Oh, Max! Was ist denn mit deinem Arm passiert?“

„Ein Verkehrsunfall, halb so …“

„Wag es nicht wieder zu sagen ‚halb so wild‘. Du hattest Glück, aber von einem Auto angefahren zu werden ist nicht ‚halb so wild‘.“

„Angefahren? Was fehlt dir sonst noch?“

„Schürfwunden am Bein. Ein großer blauer Fleck am Oberschenkel und das hier.“

Er zeigte auf das Pflaster am Kopf, das halb von Haaren versteckt war.

„Oh je … solltest du dich nicht ausruhen, statt hier rumzulaufen?“

„Ich hab mich lange genug ausgeruht …“

„Trotzdem. Wenn wir nach Hause kommen, dann legst du dich hin. So war es abgemacht.“

„Ja-ha ….“

Herr Comez war sichtlich amüsiert und hielt uns die Tür zur Dachterrasse auf.

„Wow!“

Max war sofort hinter der Solarzellen-Schrägwand-Ding und schaute sich die Kabel und das Alles an.

„Teilt ihr die Leidenschaft zur Physik?“

„Ich hab Physik nach der Elften abgelegt …“

„Verstehe. Na gut, wir werden versuchen, dich nicht zu langweilen.“

Gelang ihnen nicht … aber ich wartete gerne, während Max und der Lehrer begeistert über Möglichkeiten diskutierten, den Wirkungsgrad zu erhöhen … Scheinbar hatte Herr Comez die fünfte Stunde frei … Ich lehnte mich gegen die Wand, genoss die Sonne und ertappte mich dabei, wie ich mich nach einer Zigarette sehnte. Danke Paul …

„War es sehr schlimm?“

„Nein, gar nicht. Hat’s dir gefallen?“

„Ja, sehr. Weißt du, Herr Comez ist erst seit zehn Jahren Lehrer. Er war neu an der Schule als ich in der fünften war. Davor war er in der Forschung. Strahlenschutz. Dann bekam er Krebs. Nach der Behandlung musste er seiner Frau versprechen, dass er sich etwas Ungefährlicheres sucht.“

„Das glaub ich auch. Ich würde nie zulassen, dass du sowas machst …“

„Oh, ehm … hm …“

„Was?“

„Ach, ich glaube darüber sollten wir später reden … Wie spät ist es?“

„Kurz nach zwölf. Bist du hungrig?“

„Es gibt da einen asiatischen Imbiss in der Nähe.“

„Nichts wie hin. Wie geht’s dir? Hältst du noch durch?“

„Klar, keine Sorge.“

Max hatte schon rote Flecken im Gesicht.

„Ganz schön scharf, oder?“

„Meins nicht.“

„Lass mal kosten. … Boah … doch …“

„Dann verträgst du wohl nichts Scharfes … Also … ehm … ist jetzt später?“

„Du meinst wegen der Strahlen-Sache? Nein, jetzt ist noch nicht später …“

„Ich sag’s dir, wenn du irgendwas in der Richtung …“

„Später, David. Bitte.“

„Okay... Du hast dich vor Herrm Comez geoutet.“

„Das stimmt.“

„War das ein spontaner Entschluss, oder …?“

„Ich dachte, ich sollte es langsam üben, weißt du … und ich wusste, dass es sicher ist, an ihm zu üben …“

„Verstehe. …“

„Wie spät ist es?“

„Viertel nach zwölf. Warum fragst du ständig nach der Uhrzeit?“

„Weil Frau Weinsteiger bis halb zwei Mittagspause hat.“

„Du willst nochmal hin? Hast du dich entschieden?“

„Ich muss es einfach wissen … ich muss wissen, wem ich ähnlich sehe und ob ich von ihnen die Dinge geerbt habe, die mich von meinen Eltern unterscheiden …“

„Gut, okay … also soll sie für dich ein Treffen vereinbaren?“

„Ja. Aber zuerst will ich die Unterlagen sehen …“

„Okay. Dann esse ich mal langsamer …“

Wir bestellten uns Nachspeise und grünen Tee und Max versuchte mir wenigstens die Grundlagen einer Solarzelle näher zu bringen. Um viertel nach eins machten wir uns auf den Weg zurück zum Landratsamt.

„Ja bitte?“

„Hallo, nochmal.“

„Ah, da sind sie schon wieder. Was kann ich für sie tun?“

„Ich würde die Unterlagen gerne sehen.“

„Natürlich. Setzen sie sich.“

Sie zog eine Mappe aus ihrem Schreibtisch und reichte sie Max. Während er sich alles durchsah … Kopie der Geburtsurkunde, Verträge, Vereinbarungen … massierte er sich immer öfter die Schläfen.

„Brauchst du eine Tablette?“

„Ich hab keine dabei.“

„Ich schon. Hier. Ich schau mal nach einem Getränkeautomaten.“

„Danke.“

Er zog mich zu sich und gab mir einen kurzen Kuss auf die Lippen. Den ganzen Weg zum Automaten hatte ich Schmetterlinge im Bauch. Meinen Max küssen, egal wann und wo und vor wem. Wir kamen dem Ziel immer näher.

„Danke.“

Max schluckte und trank die halbe Flasche Wasser. Dann fragte er:

„Wann bekommst du am Wochenende eher frei? Samstag oder Sonntag?“

„Samstag Nachmittag, Sonntag Abend.“

„Dann lieber Samstag Nachmittag.“

„Gut, dann arrangiere ich das und rufe sie auf ihrem Handy an.“

„Okay, dankeschön.“

„Keine Ursache. Auf Wiedersehen, Herr Weller, auf Wiedersehen Herr …“

„Lenz. David Lenz.“

„Herr Lenz.“

„Du willst sie so schnell treffen?“

„Ich will das tun bevor meine Eltern zurückkommen.“

„Verstehe … okay … Also jetzt nach Hause?“

„Findest du den Weg? Ich kann kaum noch die Augen offen halten …“

„Klar, nach Hause find ich immer.“

Ich legte meinen Arm um ihn und spürte seine Erschöpfung. Er hatte sich zu viel zugemutet. Ich hätte besser aufpassen sollen.

Er schlief die ganze Heimfahrt über. Ich fuhr direkt zu seinem Haus. Dort küsste ich ihn wach.

„Mmmh … wir sind ja schon da.“

„Ja. Alles aussteigen, Endstation. Du kannst dich gleich auf die Couch legen, dann hol ich mit dem Auto unsere Sachen von mir zu Hause.“

„Okay …“

Klara war zu Hause und leicht reizbar, deshalb beschäftigte ich mich nicht großartig mit ihr, sondern sah zu, dass ich all meine Sachen zusammenpackte und wieder zu Max kam. Als ich schwer bepackt gerade ins Auto steigen wollte, rief meine Großmutter mich zu sich.

„Du hast dich schon so lang nicht blicken lassen.“

„Ja, ich weiß, tut mir Leid …. Aber mit der Arbeit und so … und ein Freund von mir hatte einen Unfall …“

„Ja, ich hab euch öfter im Garten gesehen. Das ist der Junge, der jetzt auf dem Heider-Anwesen wohnt, richtig?“

„Max Weller, genau.“

„Und das Mädchen, das immer so viel lacht?“

„Claudi? Das ist seine beste Freundin.“

„Achso, ich dachte schon, dass sei vielleicht deine Freundin.“

„Nein …“

„Du weißt schon, dass dein Großvater in zwei Wochen 70 wird, richtig?“

Das war mir neu …

„Ja, natürlich.“

„Er wünscht sich, dass du deine Freundin mitbringst.“

„So, das kann ich mir kaum vorstellen. Ich glaub, du wünscht dir das, hm?“

„Wir beide. Warum macht du denn so ein Geheimnis draus, mein Junge?“

„Ich glaub, eine Familienfeier ist nicht der richtige Zeitpunkt …“

„Du bist genau so stur wie dein Großvater. Und da kommt auch schon dein Vater.“

„Hallo Sohn.“

„Hey Dad.“

„Wem gehört denn das Auto?“

„Max’ Mutter. Ich hab nur ein paar Sachen geholt. Ich wohne bei ihm, bis seine Eltern wieder kommen.“

„So? Aber hör mal, nutz den Jungen nicht aus.“

„Was? Hast du mit Mum geredet?“

„Nein, warum?“

„Oh … nur so … also, was meinst du mit ausnutzen?“

„Als Alibi, um dich in Ruhe mit deiner Freundin zu treffen.“

„Dad, Max ist … mein bester Freund. Ich hab einfach kein gutes Gefühl dabei, wenn er alleine bleibt, nach dem Unfall.“

„Gut, ich wollte es nur gesagt haben. Du hast es nicht nötig, ein Alibi zu suchen. Deine Freundin ist jeder Zeit willkommen.“

„Ich weiß. Ach, da ist noch was … wäre es okay, wenn ich schon zum 1. September zu dir ziehe, um mir ein bisschen Zeit zu verschaffen, mich zu orientieren, mich einzuleben, mir einen Job zu suchen und so?“

„Klar, sehr gern.“

„Gut, dann klär ich das morgen mit Cora …“

„Und dann sagst du es deiner Mutter und Klara?“

„Lässt sich wohl nicht vermeiden …So, ich muss los, zu Max. Wir sehn uns.“

„Ja, spätestens in zwei Wochen …“

„Opas Geburtstag, ich weiß.“

„Aber wenn du vorher mal wieder vorbei schauen willst, gerne auch mit Max oder deiner Freundin …“

„Ja Dad, dann ruf ich dich an.“

Max lag auf der Couch, er schlief, aber sein Gesicht wirkte nicht entspannt. Für eine Weile setzte ich mich neben ihn und überlegte, was ich tun könnte, aber mir fiel nichts ein. Ich zog mich aus, sprang in den Pool und schwamm ein paar Bahnen. Max stapfte heraus und kniff wegen der Sonne die Augen zusammen.

„Hey …“

„Hey, mein Herz, wie geht’s dir?“

„Hör auf, mich das ständig zu fragen“, entgegnete er knautschig.

„So gut also? Kann ich was für dich tun?“

Er schüttelte den Kopf, überlegte es sich aber anders.

„Wir könnten den Herrn der Ringe anschauen …“

Bei dem herrlichen Wetter widerstrebte mir die Vorstellung, mich rein zu setzten und eine DVD anzuschauen, aber wenn es das war, was er jetzt wollte …

„Okay, dann trockne ich mich nur schnell ab …“

„Ich richte alles her …“

Ich blieb nackt, ja … vielleicht um zu sehen, ob er sich schon wieder bereit für sexuelle Aktivitäten jeglicher Art fühlte, und setzte mich neben ihn auf die Couch. Er hatte aber nur Interesse am Film. Während wir den ersten Teil anschauten, wurde es draußen dunkel. Ich musste zugeben, dass der Film dem Buch recht gut gerecht wurde. Wir diskutierten im Dunkeln noch ein bisschen darüber, dann führte ich Max’ Hand zwischen meine Beine, um ihm zu zeigen, was ich wollte.

„Ich glaub damit sollten wir noch warten …“

„Okay, klar …Ich geh mir das Chlor abduschen …“

„Sei nicht sauer, ja?“

„Ich bin nicht sauer, ich geh einfach duschen und mach, was ich vor dir gemacht hab.“

„Das ist echt nicht fair, David.“

„Ich weiß … aber was soll ich machen?“

„Hab bis morgen Geduld, okay?“

„Morgen, hm?“

„Ja, versprochen …“

„Na schön …“

In dieser Nacht hielt ich es kaum aus, neben Max zu liegen. Ich war selbst erstaunt, wie schwer es mir fiel, mich zu beherrschen.

Donnerstag und Freitag musste ich arbeiten. Wenn ich abends um elf zurückkam, schlief Max schon. Ich beseitigte noch die Spuren von seinen Unternehmungen mit Claudi und fiel ins Bett. Jaja, von wegen morgen, hm?

Am Samstag hatte ich bis fünf frei. Am Morgen war Max ein einziges Nervenbündel. Dass er Literweise Kaffee in sich hineinschüttet, machte es nur noch schlimmer.

„Entspann dich … komm her, setz dich.“

„Was machst du?... Ach David, an sowas kann ich grad überhaupt nicht d …. oh … hmmmm.“

Als ich vor ihm kniete und mein Gesicht in seinem Schoß versenkte, spürte ich seine Entspannung als wäre es meine.

„Ich hab so Schiss …“

„Ich weiß …“

„Was wenn sie ganz schrecklich ist?“

„Dann bist du um deine Eltern froh.“

„Und was wenn sie ganz toll ist?“

„Dann ist es doch gut!“

„Aber dann will ich sie bestimmt öfter sehen …“

„Und?“

„Und?! Das geht nicht!“

„Warum nicht?“

„Wegen meinen Eltern …“

„Dann halt es geheim … aber darum machen wir uns jetzt noch keine Gedanken, hm?“

„Was soll ich anziehen?“

„Das ist doch ganz egal.“

„Große Hilfe …“

„Na gut … Lange Hosen, damit deine Schürfungen sie nicht in Panik versetzen …“

„So schlimm?“

„Für eine Mutter …“

„Nenn sie nicht so.“

„Okay … jedenfalls nichts zu spießiges.“

„Findest du meine Klamotten spießig?“

„Ich glaub, ich kann gerade nichts Richtiges sagen, hm? Zeig mal, was du so hast …“

Am Ende entschied er sich für eine lange, olivgrüne Leinenhose und ein fuchsbraunes, einfaches Shirt. Bevor er sich nochmal umentscheiden konnte, machte ich darauf aufmerksam, dass wir los mussten. Am Vortag hatte er überlegt, auch noch Claudi als seelische Unterstützung mitzunehmen. Zum Glück hatte er sich dann selbst überlegt, dass drei zu viele wären …

„Max?“

„Ja David?“

„Kumpels oder mehr?“

„Ich hab mich noch nicht entschieden.“

„Okay.“

Die Adresse führte uns in eine kleine Ortschaft, etwa 10 Fahr-Minuten entfernt. Und dann in eine Schrebergarten-Siedlung.

„Haben wir uns verfahren?“

„Nein, die Adresse stimmt … Oh Mann.“

„Was?“

„Da wo die ganzen Autos stehen, das ist Nummer 17.“

„Na dann park ich mal …“

„David, lass uns einfach wieder fahren.“

„Wenn es dir ernst ist, dann mach ich das sofort, aber ich denke, wir sollten wenigstens mal einen Blick riskieren …“

Ich parkte den BMW zwischen einem alten FIAT Panda und einem VW-Käfer.

„Jetzt komm ich mir wirklich spießig vor …“

„Augen zu und durch, mein Herz.“

Wir stiegen aus und gingen durch ein verrostetes Gartentor. Grillgeruch stieg uns in die Nase und ein großer schwarzer Hund lief uns entgegen und kläffte uns an. Und dann kam eine junge Frau. Sie war schlank und nicht groß und ihre Haare hatten dieselbe rot-braune Farbe wie die von Max. Sie winkte und lächelte und pfiff den Hund zurück. Als sie näher kam, erkannte ich, dass sie doch schon Ende 30 sein musste.

„Unglaublich. Du bist Max, unverkennbar. Du hast die Augen deines Vaters.“

Ich musste daran denken, wie lange Max schon über seine strahlend-grünen Augen gerätselt hatte.

„Ich bin Sonia, deine … naja … leibliche Mutter.“

Sie zog Max in eine Umarmung, er war noch etwas überrumpelt.

„Und du hast auch noch jemanden mitgebracht. Das ist gut, ich brauchte auch noch ein paar liebe Menschen im Rücken.“

Sie streckte mir die Hand hin.

„David.“ sagte ich ohne weitere Erklärung, denn Max hatte sich ja noch nicht entschieden, wer ich heute war.

„Bitte, kommt mit. Ich hoffe ihr habt Hunger. Der Grill ist schon heiß.“

Sie hakte sich bei Max unter, der tapfer lächelte. Ich trottete mit dem Hund hinter ihnen her. Wir hörten fröhliche Stimmen und Kinder spielen. Als wir um ein paar Bäume traten, sahen wir auch die Quelle. Da, neben einem kleinen Teich standen zwei Festzelt-Garnituren, und sie waren fast voll besetzt. Ein paar Mädchen tollten mit Blumenkränzen auf dem Kopf um einen Baum herum.

„Hier kommt er, mein Max!“

Alle Gesichter wandten sich zu uns um. Ich trat neben Max, um ihm die Gelegenheit zu geben, meine Hand zu nehmen, was er aber nicht tat. Dann fing Sonia an, alle vorzustellen. Onkeln, Tanten, Cousinen … scheinbar war das alles Familie. Was musste wohl in Max vorgehen? Wir wurden gebeten, uns zu setzten, einander gegenüber und dann wurden wir erst mal gemästet wie die Weihnachtsgänse. Max fragte nochmal nach ein paar Namen und Verwandtschaftsgraden. Dann kam ein Mädchen in unserem Alter, mit einem Säugling auf dem Arm.

„Hallo, zusammen!“

„Maya! Max, darf ich dir deine Schwester vorstellen? Das ist meine Maya. Wie gut eure Namen zusammenpassen, was? Max und Maya.“

„Und das ist mein Sohn Orlando. Sein Papa ist Spanier.“

Sie legte ihm den Kleinen auf den Arm. Für einen Moment schaute er Hilfe suchend zu mir. Kinder erschrecken ihn, hatte er mir mal gesagt … Ich stand auf und trat neben ihn, um den Kleinen besser sehen zu können. Er war vielleicht drei Monate alt, der Winzling.

„Das ist David …“ sagte Sonia kurz und mit offener Betonung am Schluss, so als würde sie darauf warten, dass ich sagte, wer ich eigentlich war. Ich tat als hätte ich das nicht bemerkt und fragte stattdessen:

„Darf ich ihn mal nehmen?“

Maya schaute mich kurz aus den gleichen grünen Augen an, wie Max sie hatte, aber ihre Haare waren heller, vielleicht künstlich gebleicht.

„Klar.“

Ich nahm ihm Max ab und meinte kurz, Dankbarkeit in seinem Blick zu sehen.

„Hallo Kleiner. Wow, du kannst aber schon gut gucken. Ich bin gespannt, welche Farbe deinen Augen später bekommen.“

„Vermutlich braun, wie sein Vater.“

Kurze Zeit später bat Sonia Max, den Hund mit ihr Gassi zu führen. Ich vermutete, dass sie seine Fragen beantworten wollte. Zum Beispiel, warum sie ihn damals nicht behalten hatte und wer sein Vater ist. Währenddessen erfuhr ich von Maya, dass sie gerade 19 geworden war, also knapp ein Jahr jünger als Max. Wie ich schon vermutet hatte, hatten sie sowohl die gleiche Mutter, als auch den gleichen Vater. Allerdings hatten die beiden sich während der Schwangerschaft mit Max getrennt. Beide waren noch minderjährig und die Großeltern bestanden auf eine Adoption. Dann waren die beiden wieder zusammen gekommen und bei Mayas Geburt schon volljährig. Ein Jahr später trennten sie sich wieder, diesmal für immer. Der Vater lebte inzwischen mit einer neuen Familie weiter weg, hatte aber Interesse daran bekundet, Max kennenzulernen. Maya war scheinbar nicht gut auf ihn zu sprechen und ich hörte heraus, dass ihre Mutter und sie es nicht immer leicht gehabt hatten. Ich hatte die ganze Zeit über den schlafenden Orlando auf dem Arm.

„Normalerweise mag er keine Fremden. Aber er mag dich.“

Ich zuckte mit den Schultern, aber insgeheim war ich sehr stolz darauf.

Als Max und Sonia zurückkamen, sahen beide irgendwie mitgenommen aber zufrieden aus. Ich steckte Max eine Tablette zu, die er sofort einnahm. Max redete mit ein paar Verwandten, stellte Fragen und so weiter. Orlando wachte auf und kam zwecks Hunger wieder zu seiner Mutter zurück. Die beiden Mädels, anscheinend Cousinen von Max, wollten mir den Bach zeigen. Sie zerrten mich hinter die Hecke, dort ging eine kleine Betontreppe hinunter. Getränke waren dort kühl gestellt und ein paar Fische tummelten sich. Die Mädchen fütterten sie mit Brotkrumen. Da kam Sonia. Als wäre das ganze ein abgekartetes Spiel gewesen, hüpften die Mädchen davon. Ich schaute weiter den Fischen zu und merkte, dass Sonia sich neben mich setzte.

„Hallo David … stör ich dich?“

„Nein, natürlich nicht. Ich genieße nur etwas die Ruhe.“

„Ja, als jüngstes von sechs Kindern weiß ich Ruhe auch zu schätzen. Hast du Geschwister?“

„Eine jüngere Schwester, und zwei Eltern, die sich aufführen wie kleine Kinder …“

„Oh je, dann genieß die Ruhe.“

„Das hier ist echt eine schöne Ecke.“

„Im Sommer lebe ich quasi hier. Ich hab alles, was ich brauche. Seit Maya ihre eigene Wohnung hat, hält mich nichts mehr in der Zivilisation … aber eigentlich bin ich nicht hinter dir hergeschlichen, um über mich zu reden.“

Diese Ehrlichkeit honorierte ich mit einem Lächeln.

„Ich wollte dich ein paar Dinge über Max fragen. Dinge, die ich ihn selbst nicht so direkt fragen kann oder will.“

„Okay, was zum Beispiel?“

„Sind seine Eltern gute Eltern?“

Ich dachte kurz nach.

„Auf ihre Art sicher schon. Sie sind wohlhabend, lassen es ihm an nichts fehlen … sie haben seine Talente gefördert … er ist gut gelungen. Aber sie sind in manchen Dingen auch streng und altmodisch. Damit kommt er nicht immer klar.“

„Sie sind also das andere Extrem zu mir … na gut, ich denke das ist schon okay. Aber sie sind doch gut zu ihm, oder? Das mit seinem Arm …“

„Nein! Das war ein Unfall, beim Joggen. Ein abbiegendes Auto hat ihn übersehen.“

„Ach Gott, dann hatte er wohl Glück.“

„Ja, das stimmt …“

„Eines noch.“

Sie legte mir ihre Hand aufs Knie, so dass ich aufschaute und ihr ins Gesicht blickte.

„Ist mein Sohn ein guter Küsser?“

Für ein paar Sekunden schaute ich sie nur überrascht an. Dann sagte ich:

„Der beste.“

„Liebt ihr euch?“

„Sehr.“

„Machst du ihn glücklich?“

„Das sagt er, ja.“

„Kümmerst du dich gut um ihn?“

„Ich geb mir die größte Mühe, aber er neigt dazu, sich zu überschätzen, sich mehr aufzuhalsen als gut für ihn ist …“

„Was ist er für ein Mensch?“

„Ein sehr guter. Er ist immer freundlich und humorvoll und ehrlich. Außerdem ist er unglaublich klug. Er hat das Abi mit 1,2 gemacht, als Bester seines Jahrgangs. Ich hab den Zeitungsartikel im Geldbeutel …“

Ich faltete das Foto mit dem Schulleiter und dem kurzen Bericht auf und sie las ihn gebannt durch.

„5.000 Euro und einen wichtigen Nachwuchs-Forschungspreis. Mein Sohn ist genial.“

„Ja, das ist er.“

„Ich denke, ich hab damals das Richtige getan.“

„Das denke ich auch, sonst hätten wir uns wahrscheinlich nicht gefunden.“

Sie lachte.

„Willkommen in der Familie, David.“

„Woher wusstest du es?“

„Ich hab Max gefragt, ob er zurzeit verliebt ist, und er hat ja gesagt. Da war es mir klar. Man bringt zu sowas nicht den besten Freund mit, wenn man eine Freundin hat. Unsere Familie ist tolerant. Und ich bin froh, dass Max so einen guten Freund hat.“

„Danke.“

„Ich dank dir. Dann geh ich mal wieder zurück. Kommst du?“

Max wurde gerade von zwei Männern in Beschlag genommen, die versuchten, ein Thema mit ihm zu finden. Fußball, Auto, hübsche Frauen … Max sah etwas hilflos aus. Ich setzte mich wieder neben Maya, die mir den Kleinen gab und sich streckte.

„Na, hat meine Mutter dich in die Finger bekommen.“

„Ein bisschen …“

„Hast du’s gut überstanden?“

„Klar.“

Der Kleine übte ein paar unterschiedliche Gesichtsausdrücke und dabei lief ihm Sabber aus dem Mund, den ich mit seinem Tuch abwischte.

„Willst du auch Kinder?“

„Irgendwann schon, klar. Aber erst mal will ich studieren.“

„Ja, das wäre schön …“

„Was hast du gemacht, bevor der Kleine kam?“

„Kinderkrankenschwester. Jetzt bekomm ich erst mal Elterngeld, und dann schau ich weiter.“

„Und sein Papa?“

„Ist zurück nach Spanien.“

„Oh, tut mir Leid …“

„Das war besser so, glaub mir.“

Ich schaute wieder in ihre grünen Augen, eine Spur zu lange. Sie meinte.

„Du wirst mal einen guten Papa abgeben.“

„Danke. …“

Max lehnte gerade ein Bier ab. Die beiden Männer wurden zunehmend ratloser, was sie mit ihm anfangen sollten. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, aber Max schien sich zunehmend unwohl zu fühlen. Maya beugte sich zu mir.

„Er ist anders als die anderen Männer in unserer Familie …“

„Ja, ich merke es … vielleicht sollte ich ihm mal zu Hilfe kommen …“

Maya nahm mir den Kleinen ab und ich quetschte mich auf die andere Bank.

„Ah, David. Trinkst du wenigstens ein Bier mit uns?“

„Das Alkoholfreie da. Ich muss noch fahren.“

„Schickes Auto fährst du übrigens.“

„Ja, auf der Autobahn hab ich ihn mal ein bisschen ausgereizt. Ich sag’s euch, ich dachte ich heb gleich ab. Und sowas soll ein Familienauto sein …“

„Hast du den neuen X5 schon gesehen? Das ist so mein großer Traum. Eine Wüstenralley in einem X5. Ein Mann und sein Auto.“

Als ich das Gespräch fortführte, schaute Max mir mit einer Mischung aus Überraschung und … gerümpfter Nase zu. Ich ließ mal ein bisschen den Proll raus, mein Gott. Nur zum Socializing. Maya verwickelte ihn zum Glück bald in ein Gespräch über das Studium und dann kamen sie auf irgendwelche medizinischen Geräte zu sprechen. Dazu hatten beide viel beizutragen. Ich sagte gerade, dass ich leider kein Fußball schauen konnte, weil ich abends meistens arbeiten musste, als mir die Idee kam, mal wieder auf die Uhr zu schauen. Halb fünf. Ich unterbrach kurz das Gespräch, um Max das zu sagen. Er wirkte genauso überrascht wie ich, dass es schon so spät war und wollte sich offensichtlich noch nicht losreisen. Sonia hatte gehört, dass wir bald fahren würden müssen.

„Ach, Jungs, das könnt ihr doch nicht machen. Später machen wir ein Lagerfeuer und grillen nochmal auf offener Flamme. Dann geht der Spaß erst los. Ihr müsst schon bleiben!“

Max sah mich bittend an. Wie hätte ich an so einem wichtigen Tag fortschleifen können? Ich ging in eine ruhige Ecke des Gartens und rief im Restaurant an.

„Ich bin’s.“

„David? Sag nicht, dass du nicht kommst.“

„Tut mir Leid, aber es ist wirklich wichtig. Ich komm hier gerade nicht weg.“

„Weißt du was hier los ist?“

„Vielleicht kann jemand spontan aushelfen …“

„Am Samstagabend? Verdammt, wenn du früher was gesagt hättest …“

„Tut mir Leid, ich dachte einfach, ich würde es bis fünf schaffen.“

„Wo bist du?“

„Das …“

„ …kannst du nicht sagen, schon klar. Seid du mit Max zusammen bist, hast du viele Geheimnisse … Dann sei aber Montag und Dienstag durchgehend hier.“

„Tante Cora, am Donnerstag kommen Max’ Eltern zurück. Ich hätte gern ein paar Tage …“

„David!“

„Versteh mich doch, ich hab grad die beste Zeit meines Lebens. Das wird nie wieder vorkommen …“

„Vielleicht solltest du die fünf Wochen, die du noch hier bist lieber mit ihm verbringen und ich such Ersatz für dich ab sofort.“

„Tante Cora …“

„Ich muss ans Geschäft denken, David. Meine Leute sollen nicht denken, dass sie den schwarzen Peter zugeschoben bekommen, nur weil du mein Neffe bist.“

„Morgen bin ich ja da, und dann reden wir.“

„Spar’s dir. Ich hoffe du hast eine gute Zeit.“

Damit legte sie auf. Toll, wunderbar. Somit hatte ich den Job verloren, der mich seit fünf Jahren gut versorgt hatte. Es war weniger das Geld, das ich vermissen würde. In einem Monat hätte ich mir eh was anderes suchen müssen. Es war der unschöne Abschied, das hatte ich mir anders vorgestellt.

Als mir der freudige Lärm der Bierbänke entgegen schwappte, wurde mir fast schlecht, weil das meiner Stimmung so zuwider lief. Ich verzog mich an den Bach und warf kleine Steine ins Wasser.

„Hey.“

„Hey …“

„Sonia hat mir gesteckt, dass du hier bist. Alles okay?“

„Ich will jetzt nicht drüber reden.“

Er setzte sich trotzdem neben mich.

„Okay. Kann ich was tun?“

„Du hast dich noch nicht entschieden, ob ich heute Kumpel oder Freund bin, wie du es gerade brauchst. Was wenn ich dich aber heute als Freund brauche?“

Er zog mich in seinen Arm, hob mein Kinn und küsste mich zärtlich. Wir saßen ein paar Minuten nur da, hielten uns an den Händen und schauten den Fische zu, bis ich unruhig wurde, weil ich Max nicht so lange in Beschlag nehmen wollte. Er war schließlich hier, um seine Familie kennenzulernen.

„Wir sollten zurückgehen.“

„Ja, vermutlich.“

Aber er küsste mich nochmal lange, bevor wir aufstanden. Ich ließ seine Hand los.

„Was machst du? Ich bin dein Freund.“

„Ich glaube, ich hab genug getankt …danke.“

Er grinste über meine Ausdrucksweise.

Als wir um die Hecke kamen, schaute nur Sonia herüber. Sie lächelte wissend. Ich hatte Max noch gar nicht gesagt, dass sie es erraten hatte. Bald war jeder wieder in irgendwelche Gespräche verwickelt. Maya legte den Kleinen im Wohnwagen schlafen, der mit einer Ölheizung beheizt wurde. Es dämmerte. Ein Lagerfeuer wurde angezündet. Niemand ging, niemand kam. Die beiden Mädchen wurden von ihren Müttern nach langen Diskussionen in warme Hosen und Pullover gepackt. Die Bänke stellten wir näher ans Feuer. Irgendwie landete ich neben Max.

„Brauchst du eine Tablette?“

„Nein, mir geht’s gut.“

„Ist dir kalt?“

„Geht schon.“

„Im Auto ist eine Decke, hab ich gesehen.“

„Noch nicht, aber bald.“

„Okay.“

„Vielleicht könntest du mich ein bisschen wärmen …?“

„Sicher?“

Er nickte und ich schwang ein Bein über die Bank so dass ich ihn anschaute und er lehnte sich gegen meine Brust. Ich legte meine Arme um seine Taille und wunderte mich, wie natürlich diese Berührung sich inzwischen anfühlte.

„Hier, es sind genug Decken da.“

Sonia hielt uns eine raue graue Decke hin, die ich um uns warf. Max legte seine Beine über mein rechtes. ‚Wenn ich ihn nicht halten würde, würde er runterfallen.‘ ging es mir durch den Kopf. Es wurde so schön warm. Für einen Moment berührten meine Lippen seinen Hals. Dieser Geruch … Als ich aufsah, fing ich einen seltsamen Blick von Maya ein, die auf der anderen Seite des Feuers saß. Ich lächelte sie an, aber sie schaute weg. Ich konzentrierte mich wieder auf Max.

„Das ist schön …“

„Sag mir, wenn es dir zu unbequem wird …“

„Niemals.“

„Du gibst mir in letzter Zeit so viel Kraft.“

Er flüsterte, ich bekam Gänsehaut.

„Ach, ich bin einfach nur bei dir, das ist purer Eigennutzen.“

„Ich glaube, jetzt geht es mir wieder gut. Jetzt kannst du aufhören, den Starken zu spielen. Was war vorher los?“

„Willst du darüber wirklich jetzt reden?“

Er nickte nur.

„Na schön. Meine Tante sucht sich gleich jemanden, um mich zu ersetzen, nicht erst im September.“

„Was? Warum? …Oh … wegen mir, oder? Weil du so oft frei brauchtest …“

„Ich hab ihr gesagt, dass ich die Zeit lieber mit dir verbringen will. Ich hab mir einiges angespart, bekomme auch noch was von meinen Eltern … kann bei meinem Dad mietfrei wohnen … ich brauche gerade eigentlich keinen Job.“

„Das hast du so aber noch nie gesagt. Es war nicht deine Entscheidung, oder?“

„Irgendwie doch. Wenn ich wirklich gewollt hätte, dann hätte ich ihre Meinung ändern können. Es wird nur einfach ungewohnt sein, nach fünf Jahren nicht mehr dort zu arbeiten …“

„Kann ich dir helfen?“

„Verbring deine Zeit mit mir, das ist alles, was ich will.“

„Sehr gerne.“

„Gefällt es dir hier?“

„Es ist so anders als bei meinen Eltern … das ist wirklich irgendwie seltsam … es kommt mir alles noch irgendwie unwirklich vor …“

„Kann ich verstehen.“

„Aber das mit uns kommt mir überhaupt nicht mehr unwirklich vor, David. Es ist, als wären wir schon immer zusammen gewesen.“

„Ja, für mich auch.“

„In keine der zwei Familien passe ich wirklich. Aber ich passe zu dir.“

Ich konnte nichts sagen, sondern zog ihn einfach in einen langen Kuss, der sich anfühlte, als hätten wir nie etwas anderes getan. Ich kannte seine Bewegungen und er meine. Ich schmeckte ihn, wie immer und für immer. Wenn er eine Frau gewesen wäre, dann wäre ich in diesem Augenblick vermutlich vor ihm auf die Knie gegangen …

Maya schaute immer mal wieder mit diesem seltsamen Blick rüber. Als sie zum Wohnwagen ging, nutzte ich die Chance, überließ Max die Decke und ging ihr hinterher. Als ich nochmal über die Schulter zurückschaute, sah ich, dass zwei neue Leute kamen. Eine junge Frau, klein und dunkelhaarig … sie sah Sonia ein bisschen ähnlich, zumindest im Licht des Lagerfeuers …. und ein großer Kerl der mir irgendwie bekannt vorkam … Er war gut gebaut, vielleicht Mitte 20, trug ein dunkles Metallica-Shirt … mehr sah ich nicht mehr.

„Maya?“

„Ja?“

„Ich dachte, wir sollten vielleicht reden …“

„Komm mit zum Bach.“

Wir setzten uns ans Ufer und holten uns kühle Cola aus dem Wasser.

„Du hast so komisch rübergeschaut …“

„Ja, tut mir Leid … weißt du, seit der Kleine auf der Welt ist, hab ich nicht mehr die Gelegenheit großartig unter Leute zu kommen … ich dachte du … du wärst interessiert …“

„Was? An dir? Oh …“

„Ja, ganz schön abwegig, ich weiß …“

„Nein, überhaupt nicht … wenn ich auf Frauen stehen würde, dann wärst du genau mein Typ.“

„Das sagst du doch jetzt bloß so …“

„Nein, wirklich. Allein deine grünen Augen …“

„Die Max auch hat.“

„Eben, genau mein Fall …“

„Und Orlando würde dich nicht stören?“

„Im Gegenteil. Das ist doch ideal. Wenn er lieb ist, kann ich mich mit ihm beschäftigen, und wenn er stinkt, ist er wieder dein Sohn.“

Sie lachte.

„So hab ich das noch gar nicht gesehen …“

„Tut mir Leid, dass ich dir den falschen Eindruck vermittelt habe … es sind die Augen, davon kann ich mich einfach nicht losreißen …“

„Max hat echt Glück.“

„Ich bin der, der Glück hat. So, wollen wir jetzt nochmal nach dem Kleinen schauen?“

„Klar.“

Im Licht eines kleinen Nachtlichts sahen wir, dass er friedlich schlief und immer noch gut zugedeckt war. Als wir rausgingen kamen uns singende Stimmen und Gitarrenmusik entgegen. Der Kerl saß neben Max und spielte, während so ziemlich alle anderen Summer of 69 sangen …

„Wer ist das?“

„Keine Ahnung, meine Cousine hat ihn mitgebracht, noch nie gesehen. Ah, gegrillt wird auch schon wieder.“

„Boah, ich bin noch total voll …“

„Ja, ich auch … naja, nur keine Schwäche zeigen.“

Ich setzte mich auf eine andere Bank und schaute zu, wie Max die Griffe des Kerls studierte. Drei vier Songs später gab der Kerl die Gitarre an Max weiter und breitete sich ein paar Meter abseits eine Decke im Gras aus. Er tippte auf seinem Handy rum... warum kam er mir nur so bekannt vor? Man sollte meinen, an so einen … ja, gut aussehenden Typen würde ich mich erinnern … Sonia hielt mir ein Bier hin.

„Kannst du ihm das geben? Mein Englisch ist eingerostet …“

„Ach, er ist Engländer?“

„Amerikaner.“

Dann kannte ich ihn wohl doch nicht … ich ging rüber.

“Want some beer?”

“Sure, thanx. … Wanna sit down? ”

“Sure … I’m David. ”

“Jordan. ”

“So you’re from the States? ”

“Yes, from L.A. ”

“Really? Cool. I’ve been there once, but I hardly remember. Only the Universal Studios. ”

“Yeah, those are quiet memorable, aren’t they? So are you one of Nina’s many relatives? ”

“No … I haven’t even met her. I’m new to the family. ”

“So you can’t help me with the names? ”

“Not really, no … You’re good on the guitar. ”

“Thank you. Do you play? ”

“No, I tried it, but I’m not really talented …”

“You’re English is good. ”

“It’s been my major. ”

“What else do you speak? ”

“French, a little bit of Spanish, even less Italian …”

“Well, I’m half Italian. I understand almost everything, but I can’t find the words myself. ”

“That’s very common …”

Sein Handy vibrierte.

“Sorry …”

Er tippte kurz rum, lächelte und legte es weg.

“You were saying?”

“I lost it … you’re grinning. Girlfriend?”

“Husband. He just got out of bed.”

“Husband? You mean your husband?”

“My husband, yes … well not really … the law in California doesn’t allow gay marriage yet.”

Seit ich mit Max zusammen war, tauchten überall gutaussehende schwule Jungs auf.

“You’re gay? Really?”

“Last time I checked …”

“Sorry, I just don’t know if, in a situation like that, I’m supposed to just tell you that I’m too.”

“Really? Okay … you’re the first German gay guy I met.”

“Not really. You’ve met my boy-friend, Max. The one with the guitar.”

“Oh, okay … cute.”

“Isn’t he? He is the cousin of the girl you came with.”

“Okay, I’ll try to remember … Now it’s kind of getting cold here …”

“Now that you mentioned it …”

“Let’s get back to the fire …”

Max trat die Gitarre wieder ab und zog mich zu sich. Jordan setzte sich auf eine andere Bank und spielte leise vor sich hin.

„Na, worüber habt ihr geredet?“

„Das würde dich interessieren, hm?“

„Ja klar! Er schaut echt verdammt gut aus, hm?“

„Sag mal, Max, so hab ich dich ja noch nie reden hören …Ich hab eine gute und eine … nein sogar zwei schlechte Nachrichten für dich. Welche zuerst?“

„Schlecht gut schlecht.“

„Okay, die erste schlechte: du bist vergeben.“

„Oh, ja … na gut, damit kann ich leben.“

„Soso. Dann die gute: Er ist sogar schwul.“

„Natürlich ist er schwul. Hallo?“

„Was hallo?“

„Das weiß ja wohl jeder …“

„Häh?“

„Jetzt sag bloß, du hast ihn nicht erkannt.“

„Äh … hilf mir mal auf die Sprünge …“

„Mann, David! Das ist Jordan Bonanno! Der Sänger von Summerskin.“

Ich musterte ihn nochmal über das Feuer.

„Tatsächlich. Er kam mir gleich so bekannt vor.“

„Dann war wohl die zweite schlechte Nachricht, dass er verheiratet ist, hm?“

„Ja … wie war das noch gleich, das war doch irgendwie voll der Skandal.“

„Sein Mann saß ein paar Jahre im Gefängnis, weil seine Freunde und er auf ein paar schwarze Jungs losgegangen sind. Einer ist gestorben … Bilder sind aufgetaucht, von irgendwelchen Nazi-Tattos und so … Man hat sogar gemutmaßt, dass Summerskin sich deshalb getrennt haben. Am Ende hat Jordan ihn trotz aller Widerstände geheiratet. Das war im Frühjahr der große Aufmacher … von wegen, ob dieser Mann ein Happy End verdient hat und so …“

„Ja stimmt. Ich hab mir damals gedacht, wie sehr man einen Menschen doch lieben muss, wenn man für ihn seine Band und seinen guten Ruf und alles aufgibt und ihm seine Vergangenheit verzeihen kann …“

„Ja, schon krass. Und jetzt sitzt er da und zupft auf seiner Gitarre rum. Und er sieht wirklich so gut aus … irgendwie fast fehl-am-Platz-gut … wie die Elben oder so …“

„Weil er auch so groß ist und diese Selbstsicherheit von ihm ausstrahlt …“

„Sein Mann ist noch größer als er. Kannst du dir vorstellen, so ein Paar zu sein? Ich meine, wir beide, wir können in der Menge untergehen, wenn wir das wollen, aber die zwei ziehen die Aufmerksamkeit auf sich, wohin sie auch gehen.“

„Kein Wunder, dass man da selbstsicher wird. Man hat ja keine Wahl …“

Jordan lächelte zu uns rüber und wir fühlten uns total ertappt. Er kam rüber.

“Guess now you know who I am, huh?”

“Yes … you looked familiar right away …”

“Yeah, I always do …”

Er gab Max die Gitarre und verschwand Richtung Bach, vermutlich um sich was zu trinken zu holen. Das Baby weinte. Maya stand sofort auf.

„Wenn er alleine aufwacht, hat er immer Angst …“

„Dann leiste ich ihm ein bisschen Gesellschaft.“

„Cool, danke.“

Als ich in den Wohnwagen trat, sah ich zu meinem Erstaunen, dass Jordan bereits drin stand, er stieß mit dem Kopf fast an der Decke an und hatte den Kleinen auf dem Arm.

“I heard … him or her on the way.“

“Him.”

“Yours?”

Ich lachte auf.

“No! He is Max’s nephew. How could he be mine?“

“I have kids.“

“Really? I never heard that.“

“I try to keep them off the spotlight.“

“So, how did you manage to get them?”

“The old-fashioned way. Fell for a girl, and you know how the rest works.”

Er setzte sich mit dem Kleinen hin und bedeutete mir, auch Platz zu nehmen. Seine Attraktivität machte mir wirklich zu schaffen. Es war schon fast Furcht einflößend.

“How old are they?”

“Josh is 13 and Gwen is three and a half. Dylan and me are thinking about adoption.”

“Really? A third kid? ”

“Josh and Gwen live at their mother’s most of the time … besides: they are mines, but nor Dylans.”

Orlando war wieder eingeschlafen. Er sah auf Jordans Arm so winzig aus …

“I see …”

“You want kids? ”

“Sure … but later. ”

“How old are you? ”

“20. ”

“And your boyfriend? ”

“Turns 20 next month. ”

“How long have you been together? ”

“Not even two month, but it seems longer.”

“Wow, that’s fresh. ”

“But we’re very serious. ”

“Yeah, I often thought that, too. … Sorry, didn’t want to preach …”

“No, that’s okay. You’re a married man. Surely you’ve got some wisdom to share …”

Er lachte leise, um das Baby nicht zu wecken.

“Yeah, right. Well first things first: it’s not eternal sunshine. It’s not just fun. It’s work.”

“Got a taste of that, already. But still, the fun part weights heavier.”

“Exactly. Second: don’t trust destiny. You know like ‘Oh, we’re meant to be together, nothing’s gonna come between us.’ Bullshit. Again: it’s work. That’s the point I missed many times. I met people and maybe some of them really were meant for me. But I got careless. I trusted destiny and lost every single one of them … mostly to somebody else. Here’s what changed: For me and Dylan, we decided we are meant to be and that it is our responsibility to make it work. The secret sounds simple, but it really isn’t. Commitment. Making sacrifices, compromises, be loyal, no matter what. That’s why you can’t let destiny decide who you will be loyal to for the rest of your life. Well, done with the preaching. Amen. ”

“Amen. ”

“What do you think? ”

“I think Max is worth the effort. And he is always doing the right thing, is gentle and friendly. It’s easy to be loyal to him. ”

“Good for you. Well, this little fellow here is tightly asleep …”

Er legte ihn hin und ich deckte ihn zu. Als ich mich umwandte, standen Jordan und ich plötzlich sehr dicht beieinander. Ich konnte sein herbes Aftershave riechen und schaute zu ihm hoch … eigentlich war er höchstens zehn Zentimeter größer als ich, aber er wirkte so groß … Er schaute mir in die Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde stellte ich mir vor, wie er mich mit Leichtigkeit von den Beinen hob, an die Wand drückte und …

“I missed to tell you the most important third point: If you’re tempted to do something really stupid, get out your cell and call your husband.”

“Or get to your boyfriend near the fireplace as fast as you can.”

“Precisely.”

Er hatte schon sein Handy in der Hand, und als ich die Wohnwagentür schloss hörte ich ihn noch reden:

“Hey Dylan … Nothing special. Just calling to hear your voice …”

Grinsend ließ ich mich neben Max auf die Bank sacken. Er wickelte mir die Decke um die Schultern.

„Du bist ja eiskalt. Wo warst du?“

„Hab ne Lektion fürs Leben gelernt.“

„Häh?“

Ich küsste ihn, bevor er weiter nachfragen konnte.

Wir fischten Aluminium-Folie-Kartoffeln aus dem Feuer, lachten noch viel … Maya und der Kleine fuhren um acht, die ersten anderen brachen auch schon auf und ich sah Max an, dass er nicht mehr wirklich fit war.

„Na, mein Herz, ich glaub, ich bring dich jetzt nach Hause.“

„Aber …“

„Komm schon, wenn du hier schläfrig rumsitzt, hast du auch nichts mehr von dem Abend.“

„Stimmt schon …“

„Ich bin sicher, wir können hier mal wieder herkommen, hm?“

„Ja …“

Während Max sich in Ruhe von Sonia verabschiedete, kam Jordan nochmal rüber.

“Already leaving?”

“Yes, I better bring him home …”

“Is he sick? ”

“No, he was hit by a car two weeks ago. He gets tired early and should get some rest …”

“Sure. … Well I’m leaving the day after tomorrow, so we probably won’t meet again. But I enjoyed our chat. Thank you.”

“No, thank you, for your advise. ”

“Sure thing. I wrote you down my aol-address. If you ever feel like it, send word. ”

“I will. Thank you.”

“Well then … there he comes …”

Er verabschiedete sich noch höflich von Max und dann machten wir uns auf den Heimweg.

„Alles okay?“

„Glaub schon …“

„Willst du drüber reden?“

„Heute nicht mehr …“

„Okay.“

Die Heimfahrt über schwiegen wir also … Max’ Hand auf meiner am Schaltknüppel …

Es war noch nicht mal zehn, aber Max schlief zu Hause sofort ein.

Aber am nächsten Morgen, oh ja, da war es endlich soweit. Ich wurde mit einem Blowjob geweckt und dann hatten wir Sex. Das erste Mal dauerte genau zwei Minuten … hey, ich war total ausgehungert. Und dann taten wir bis zwei Uhr Nachmittag nichts anderes. Dann kochten wir und beim Essen erzählte ich alles, was Jordan mir im Wohnwagen gesagt hatte.

„Er war scharf auf dich!“

„Darum geht’s doch nicht. Es geht um das, was er gesagt hat. Ich denke, dass es stimmt.“

„Ja, er hat schon Recht.“

„Ich will, dass es zwischen uns funktioniert.“

„Tut es doch.“

„Ja, noch ist es ja leicht … aber ich meine, für immer.“

„Okay … ein schöner Gedanke.“

„Max, das ist nicht nur ein schöner Gedanke. Ich mein es ernst.“

Ich war total fertig von unserer Vormittagsaktivität, das merkte ich, als ich aufstand und zu ihm rüber ging. Er hatte immer noch ein Stück Zucchini auf der Gabel in seiner Hand, als ich mich hinkniete und seine heile Hand nahm.

„Ich liebe dich, Max. Und ich will für immer mit dir zusammen sein. Ich will während des Studiums dein Freund sein, mit dem du abschalten kannst vom Stress und den du zu Partys mitnimmst, auf denen du noch niemanden kennst, … ein Studentenpärchen eben. Und danach will ich dein Partner sein, wenn du Bewerbungen schreibst und in den Beruf einsteigst. Will mit dir in eine größere Wohnung ziehen, unsere ersten Gehaltsschecks verprassen … eine Katze anschaffen und es langsam ernster werden lassen … über Familie nachdenken, dich an den Gedanken gewöhnen, für ein Kind zu sorgen. Irgendwann sind wir dann beide bereit dafür und dann sind wir eine richtige Familie, mit Sonntagsausflügen und Elternabenden … und kinderfreien Wochenenden, und plötzlich sind 19 Jahre um und wir haben das Haus wieder für uns allein und noch knapp die Hälfte unseres Lebens vor uns, und dann können wir reisen und es im Beruf langsamer angehen lassen, und zusammen alt werden, und während all dieser Jahre werde ich jeden Tag neben dir einschlafen und neben dir aufwachen, und bei Spaziergängen deine Hand halten, und zusehen, wie sich unser Spiegelbild immer mehr verändert und werde dich lieben und ehren und immer gut und ehrlich zu dir sein, und unsere Freunde werden uns fragen, was das Geheimnis unserer Beziehung ist, und wir werden nur lächeln und sagen, dass das Schicksal uns zusammengeführt hat, und dass wir von da an übernommen haben und für die Mühe mit einem glücklichen Leben zusammen belohnt wurden …“

„David … das ist …“

„Warte. Max Weller, mein Herz und meine Seele gehören dir. Und ohne irgendeine Gegenleistung zu erwarten, schwöre ich hier auf Knien vor dir, dass ich dich bis zu meinem letzten Herzschlag lieben werde, dir geben werde, was du brauchst, dich glücklich machen werde. Ich will, dass du dir dessen sicher sein kannst: solange es mich gibt, wirst du niemals allein sein. Das ist ein Versprechen.“

Im nächsten Moment fand ich mich auf dem Boden wieder, Max lag auf mir und zog mich fest an sich. Er küsste meinen Hals stürmisch, dann meine Lippen. Dann flüsterte er mir bestimmt ein Dutzend Dankes zu. Und dann:

„Ich will Ringe.“

„Ja?“

„Ja. Lass uns Ringe kaufen gehen.“

„Du weißt, was Ringe bedeuten, oder?“

„Ewigkeit.“

„Dann lass es uns richtig machen. Lass mich mal aufstehen.“

Wir saßen im Schneidersitz am Boden neben dem Küchentisch und hielten uns bei den Händen.

„Max Weller, willst du meinen Ring tragen, zum Zeichen dafür, dass wir uns ewige Liebe und Treue geschworen haben, und diesen Schwur auch, sobald wir auf eigenen Beinen stehen, durch eine Hochzeit besiegeln wollen?“

„Ja, genau das will ich.“

Ich war nicht im Mindesten überrascht von seiner Antwort. Es war uns Beiden einfach klar, dass das unser Weg war, dass das genau das war, was wir wollten.

Am Montagnachmittag fuhren wir in die Stadt, liefen sämtliche Juweliergeschäfte ab, die wir finden konnten, und kauften die perfekten Ringe. Schlichtes Silber, unsere Preisklasse, leicht abgerundete Kanten. Wir steckten sie uns gleich im Geschäft an die Finger. Es war nicht wichtig, wie sie da hinkamen, nur, dass sie dort blieben, bis sie durch Eingetragene-Lebensgemeinschafts-Ringe ersetzt werden würden. Danach schauten wir noch zwei Wohnungen an, die Max im Internet gefunden hatte. Beide waren klein, alt, dunkel und dafür viel zu teuer. Und dann besuchten wir noch meinen Vater.

„Ah! Das seid ihr ja schon, kommt rein. Inzwischen ist alles fertig, außer Davids Zimmer natürlich.“

Ich erkannte ein paar alte Möbel wieder, alles war hell und freundlich und wirkte nicht mehr so leer wie beim letzten Mal.

„Also, setzt euch. Wollt ihr was trinken?“

„Wasser.“

„Für mich auch, bitte.“

Mein Dad holte eine große Flasche aus dem Kühlschrank.

„Was habt ihr denn gemacht? Wart ihr einkaufen?“

Ich drehte verträumt an dem schweren Silberring an meinem Finger rum, während Max antwortete:

„Ja, und Wohnungen anschauen.“

„Du suchst eine Wohnung?“

„Ab ersten September, ja … Das Pendeln ist doch ziemlich zeitaufwändig …“

„Was schwebt dir denn so vor?“

„Ein bis zwei Zimmer, nicht mehr als 500 Euro kalt.“

„Hier im Haus gibt es zwei neu renovierte Mansardenwohnungen. Ein echtes Schnäppchen. 450 Euro plus Nebenkosten für 1,5 Zimmer. Auch von meinem Vermieter, er hat sie mir mal gezeigt. Altbau, wie hier. Alles neu hergerichtet, interessanter Schnitt. Wenn du sie dir mal anschauen willst, der Vermieter wohnt auch hier im Haus. Er lässt uns bestimmt schnell mal rein.“

„Ja klar, das wäre Klasse.“

„Gut, dann trinkt in Ruhe aus, ich geh mal unten klingeln.“

Als wir die Haustüre hörten, fragte Max:

„Was meinst du? Würde das gut gehen? Im gleichen Haus wie dein Dad zu wohnen?“

„Warum nicht?“

„Würde er sich nicht fragen, warum du so viel Zeit bei mir verbringst?“

„Wir sind eben Freunde. Jetzt wart mal ab, wie die Wohnungen sind. Wenn sie so toll sind wie mein Dad sagt, und auch noch der Vermieter in Ordnung ist, dann wärst du ja blöd, sie nicht zu nehmen. Denk an die dunklen Löcher, die wir heute schon gesehen haben …“

„Ja, hast ja Recht …“

„Oder denkst du, dein Dad findet was besseres?“

„Nur wenn ich in irgendwelchen Geschäftsräumen leben will … Und außerdem will ich das lieber selbst regeln.“

„Okay … dann bin ich mal gespannt …“

Der Vermieter war etwa in Dads Alter und machte tatsächlich einen sympathischen Eindruck. Die beiden schienen sich gut zu verstehen. Max wurde als potentieller Mieter vorgestellt und wir stapften hoch in den vierten Stock.

„Die Wohnungen sind spiegelsymmetrisch angeordnet. Links oder rechts?“

Zwei Türen waren direkt nebeneinander.

„Links.“

Herr Kolber sperrte die linke Türe auf und es wurde sofort hell. Alle Türen standen offen. Wir standen in einem schmalen Flur. Zu unserer rechten gab es keine Türen. Da war die andere Wohnung. Die Decken waren bestimmt zwei Meter fünfzig hoch. Die erste Tür links führte ins Bad.

„Schauen sie sich ruhig um.“

Max ging hinein. Der Raum war recht lang, und auch nicht zu schmal. Gegenüber der Tür war ein großes Dachfenster, unter dem man aber stehen konnte. Links waren Waschbecken und Toilette, rechts eine Duschwanne. Baden! Hier könnte man baden. Die hellgelben Fließen strahlten … alles war sauber und neu. Und es gab einen Waschmaschinenanschluss und Platz für ein paar Regale. Ja, das gefiel mir, und Max schien auch begeistert.

Gleich daneben war das Schlafzimmer. Genau so lange wie das Bad und mit dem gleichen Dachfenster. Dunkler, edel aussehender Parkettboden und weiße Wände. Der Raum war allerdings nur zirka zwei Meter breit … Ich stellte mir ein großes Bett unter dem Fenster vor, das man nur über das Fußende verlassen konnte. Das hatte was, und Dank der Länge gab es genug Platz für einen Kleiderschrank und vielleicht ein Bücherregal oder sowas.

Mir fiel auf, dass es nur noch eine Türe gab. Küche und Wohnzimmer in einem? Ich sah durch die Türe, dass das Zimmer sehr groß war. Und es gab einen kleinen Balkon! Wow. Ich trat hinter Max ein. Links ging das Zimmer genau so weit hinter wie die anderen. Ich sah unter der Mansarde schon die Couch stehen, einen Fernseher … in der Ecke ein Regal … an der Balkonseite einen Schreibtisch. Und rechts war eine Küchenzeile, mit genug Arbeitsfläche und allem, was man so brauchte. Die Fronten waren ganz leicht hellblau, machte sich gut. Für einen Esstisch würde der Platz auch noch reichen, und ein Kühlschrank und eine Spülmaschine und einen Herd mit Backofen und Mikrowelle und Dunstabzug gab es auch, es sah aus wie im Ikea-Katalog. Ich war einfach nur begeistert.

„Na, was meinen sie, Herr Weller?“

„Ich bin begeistert. Und sie verlangen wirklich nur 450 kalt?“

„Ja, es gibt viele Interessenten, ich würde vermutlich auch mehr bekommen. Aber ich vermiete schon lange und hab gelernt, dass es besser ist, mit dem Preis etwas herunter zu gehen und sich den Mieter dafür aussuchen zu können.“

„Setzten wir uns doch zu mir runter, um über den Rest zu reden“, schlug mein Dad vor.

Herr Kolber löcherte Max mit Fragen. Was er studieren würde, was seine Eltern machten und so weiter. Am Ende schien er zufrieden. Kein Wunder, Max war ja auch ein Vorzeige-Mieter. Mein Dad ließ den Planck-Preis noch mit einfließen, und dann war eigentlich alles klar. Max wollte mit seinen Eltern so bald wie möglich vorbeikommen. Herr Kolber bot auch an, dass er die Wohnung für eine halbe Monatsmiete schon ab 1. August haben konnte, um sich mit dem Einräumen Zeit lassen zu können. Max bedankte sich überschwänglich, auch bei meinem Dad, und ich konnte es auch noch nicht wirklich fassen. Die Wohnung war einfach genial. Die ganze Heimfahrt über planten wir, was wir wo hinstellen würden und wo wir einkaufen wollten.

Abends kamen Claudi und Thorsten vorbei, und wir erzählten von der Wohnung und von Sonia und ihrer Familie. Die Ringe erwähnten wir beide nicht. Max sagte auch, dass er vorhatte, zu Sonia und Maya Kontakt zu halten, aber dass ihm die ganze restliche Verwandtschaft etwas zu viel wurde. Später telefonierte er noch mit seinen Eltern, während ich neben ihm lag und still war … Er erzählte ihnen von der Wohnung und Herr Weller schlug vor, gleich am Freitag alles unter Dach und Fach zu bringen, nachdem er sich die Wohnung dann persönlich angesehen hatte.

Am Dienstag rief meine Mutter an und bat mich, doch mal wieder nach Hause zu kommen. Um drei trudelte ich dort ein, nachdem Max und ich stundenlang im Internet nach Couchen und Betten gesucht hatten und es im Pool getan hatten. Coras Fahrrad stand in der Einfahrt. Na wunderbar, das bedeutete nichts Gutes …

Die drei Frauen saßen auf der Terrasse und tranken Kaffee.

„Ich bin da.“

„Schön … willst du Kuchen?“

„Eigentlich hab ich grad gegessen …“

„Setz dich, ich glaube wir sollten reden …“

„Okay … ?“

„Cora hat mir gesagt, dass du nicht mehr im Restaurant arbeitest.“

„Ja, das stimmt.“

„Wo verbringst du deine Zeit?“

„Bei Max, das weißt du doch.“

„Und bei deiner Freundin?“

„Nur bei Max.“

„Sind du und deine Freundin … seid ihr noch zusammen?“

„Ich hab keine Freundin.“

„Verstehe … deshalb bist du also so seltsam … aber weißt du? Da muss jeder mal durch … so eine Trennung ist nicht angenehm, aber es geht vorüber.“

„Danke für die Lebensweisheit …“

„Was ist bloß in letzter Zeit mit dir los? Du redest nicht mehr mit mir, bist nie zu Hause, gibst deinen Job auf …“

„Ich gebe meinen Job auf? So ein Schwachsinn! Alles was ich wollte, waren ein paar freie Tage! Ich hab das letzte Jahr fast durchgehend sechs Tage die Woche gearbeitet. Ich brauch mal eine Pause bevor die Uni losgeht. Ich wollte nur ein paar freie Tage!“

„Du hast ständig kurzfristig abgesagt!“ verteidigte sich meine Tante.

„Ein paar Mal vielleicht, aber du weißt, dass alles gerade kompliziert ist.“

Das machte meine Mum hellhörig.

„Cora, weißt du irgendwas? Hat er mit Drogen zu tun?“

„Hallo?! Drogen? Würdest du das vielleicht mich selbst fragen? Wie kommst du überhaupt auf so einen Schwachsinn?“

„Du hast Geheimnisse, David. Du siehst ständig ein wenig besorgt aus und du bist immer irgendwo unterwegs. Und Gott weiß, warum du uns deine Freundin nicht vorstellen wolltest! Ich mach mir Sorgen! Red mit mir!“

„Lass es sein, Mum.“

„Nein, David. Was belastet dich so? Was hat dich so verändert? Ich will es jetzt wissen.“

Ich lehnte mich zurück und schloss für einen Moment die Augen. Was sollte ich tun? Meine Schwester schaute mich bestärkend und kaum merklich nickend an. Cora mied meinen Blick, Mum flehte nochmal:

„Bitte, David.“

Ich atmete tief durch.

„Du willst wissen, was mich verändert hat? Ich hab mich verliebt. Und warum es mich belastet? Weil es ein Mann ist. Ich hab mich in einen Mann verliebt. In Max.“

Die Sätze standen für eine Weile einfach so im Raum. Meine Mutter schaute mich erstaunt an, ich konnte förmlich hören, wie ihre Gedanken rasten …

„Und er … ihr …“

„Wir sind zusammen, ja. Seit zwei Monaten.“

„Dann gab es gar keine Freundin?“

„Nur einen Freund.“

„Aber … du hast nie gesagt, dass du solche Gefühle hast … du hattest sogar Freundinnen.“

„Die Gefühle waren aber immer da. Ich wusste schon lange, dass ich schwul bin … Ich konnte es nur einfach nicht sagen …“

„Und die ganze Zeit über warst du bei ihm? Keine Drogen?“

„Keine Drogen, nur Max. Ich liebe ihn wirklich sehr, Mum. Es ist keine Phase … nichts in der Richtung. Und bitte sag jetzt nicht, dass ich noch nicht wissen kann, was ich will. Ich bin fast 21. Du warst in meinem Alter auch schon mit Dad zusammen.“

„Ich weiß … du bist erwachsen … ach David, warum hast du denn nie was gesagt? Ich hätte dir doch helfen können …“

„Wie denn? Wärst du mit mir aus diesem Kaff weggezogen, in ein fernes Utopia, in dem die Hälfte der Menschen homosexuell sind? Du kannst mir das nicht abnehmen, Mum … ich bin anders, Max ist anders. Wir haben uns zufällig gefunden und uns verliebt. Ich mach mir nur Sorgen, was passiert, wenn alle von uns erfahren … seine Eltern, Dad … Oma und Opa … meine Freunde …“

„Ach David …“

Sie nahm mich in den Arm … ich war so erleichtert, dass ich hätte weinen können.

„Das einzige, das mich stört ist, dass ich nicht einmal etwas geahnt habe, wirklich nicht … was für eine Mutter spürt sowas denn nicht? Da frage ich mich natürlich, was in meinen Kindern noch alles vorgeht, wovon ich keine Ahnung habe …Wie geht es Max? Kann er herkommen?“

„Ja, ich glaub schon.“

„Dann ruf ihn an. Mach schon.“

Ich rief ihn also an und sagte ihm nur, dass meine Mutter ihn gern bei Kaffee und Kuchen dabei hätte. Um uns nicht so lang warten zu lassen, kam er mit dem Auto, war also innerhalb von fünf Minuten da. Ich holte ihn in der Einfahrt ab und während wir zur Terrasse gingen, ließ ich die Bombe platzen.

„Ich hab meiner Mutter von uns erzählt.“

„Was?! Was hat sie gesagt?“

„Dass ich dich zum Kaffee einladen soll.“

„Du hättest mich ruhig vorwarnen können …“

„Mach ich doch jetzt.“

Als wir um die Ecke hinters Haus traten, nahm ich seine Hand. Als Mum uns sah, kam sie uns sofort entgegen, und zwar freudig lachend.

„Endlich lernen wir uns richtig kennen, Max. Komm her.“

Sie umarmte ihn und flüsterte ihm etwas zu. Er erzählte mir später, was sie gesagt hatte:

„Du bist einer von den Guten. Ich bin froh, dich an seiner Seite zu wissen.“

Sichtlich gerührt nahm er am Terrassentisch zwischen Klara und mir Platz. Die Stimmung war plötzlich gelöst und fröhlich und wir erzählten von der Wohnung und wie wir uns das alles vorstellten.

„Das heißt, du musst bald mit deinem Vater darüber reden.“

„Wenn ich erst mal bei ihm wohne, ja. Dann hab ich mehr Ruhe und treff ihn nicht immer nur zwischen Tür und Angel.“

„Was ist mit deinen Eltern, Max? Ich würde sie gern mal zum Essen einladen.“

„Das ist nett, aber sie wissen nichts von mir und David, also ist das vermutlich keine so gute Idee.“

„Aber du wirst es ihnen doch sagen, oder?“

„Lieber nicht. Sie wären nicht so verständnisvoll wie sie.“

„Nenn mich Mona. Und ich denke, dass deine Eltern dich überraschen würden …“

Er schüttelte bestimmt den Kopf.

„Nein, das wäre wirklich fatal so lang ich nicht auf eigenen Beinen stehe.“

„Na gut, dann sieh zu, dass du bald auf eigenen Beinen stehst. Diese Heimlichtuerei kann nicht gesund sein. Und du bist hier jeder Zeit willkommen, Max.“

„Danke, Frau L … Mona.“

„Was habt ihr heute noch vor?“

„Nichts Besonderes. Vielleicht nochmal online nach Möbeln schauen … oder schon mal ein bisschen aufräumen, weil ja die Wellers übermorgen zurückkommen …“

„Übermorgen schon? Und dann macht ihr das mit der Wohnung klar?“

„Genau.“

„Das hat ja gut geklappt.“

„Allerdings. Da hatten wir echt Glück.“

„Und Dad.“

„Ja, gut dass Herr Lenz so einen guten Draht zum Vermieter hat.“

„Und du ziehst dann auch schon in einem Monat um, David?“

„Ja, stimmt, das hab ich euch ja noch gar nicht gesagt. Ich hab es mit Dad schon abgemacht. Am ersten September zieh ich ein, genau wie Max.“

Wir blieben bis zum Abend und Cora musste wieder zurück ins Restaurant. Mum servierte uns Lasagne und frischen Salat. Dann fuhren wir wieder zu Max.

„Deine Mum ist toll. Warum haben wir es ich nicht schon früher gesagt?“

„Keine Ahnung … echt nicht.“

„Warum haben wir ihr nicht gesagt, dass wir uns verlobt haben?“

„Warum haben wir es Claudi und Thorsten nicht gesagt?“

„Seltsam, oder?“

„Ja … aber irgendwie will ich damit noch warten. Wir sind erst so kurz zusammen … für Außenstehende könnte es überstürzt wirken, ich will aber ernst genommen werden …“

„Ja, ich glaub das ist auch der Grund, warum ich nichts gesagt hab …“

„Schau mal, die hier, für 499.“

„Aber Terrakotta? Ich weiß nicht... und die Lehne schaut wieder so kurz aus …“

„Vielleicht sollten wir morgen mal in ein paar Möbelgeschäfte fahren und probe-sitzen …“

„Ja, können wir machen. Vielleicht müssen wir ja auch was bestellen … das dauert ja dann auch wieder …“

„Du, Max?“

„Ja, David?“

„ … wenn man uns so sitzen sieht, dann könnte man auf die Idee kommen, dass wir zusammenziehen …“

„Tun wir doch irgendwie auch, oder?“

„Aber … sollte ich dann nicht was beisteuern?“

„Meine Eltern zahlen die Miete.“

„Was ist mit der neuen Einrichtung?“

„Ich schätze, da werden sie auch was beisteuern.“

„Ich will das Bett bezahlen.“

„Das Bett?“

Er grinste.

„Ja … ich will mich dort auch zu Hause fühlen …“

„Du bist in meinem Bett immer willkommen.“

„Jetzt! Mir ist es ernst damit. Ich will für irgendwas bezahlen.“

„Okay. Dann schau ich mal, was meine Eltern beisteuern, und den Rest teilen wir irgendwie auf, okay?“

„Okay.“

„Daaaaaviiiiiiid!“

„Hm?“

„Wir ziehen zusammen!!“

„Irre, hm? Nach nicht mal zwei Monaten?“

„Überhaupt nicht irre. Ich freu mich so.“

„Du bist mein Verlobter.“

„Das hört sich echt uncool an. Freund hört sich viel cooler an. Wir sind cool, wir sind jung, wir haben Spaß.“

„Da hast du Recht, deshalb nenn ich dich Freund, aber der Ring an deinem Finger weiß es besser.“

„Pool?“

„Zu kalt.“

„Ich wärm dich danach schon auf.“

„Na dann …“

Am nächsten Morgen wurde ich von meinem klingelnden Handy geweckt.

„Hallo?“

„Waaaaaaaaah!“

„Häh?“

„Rat mal, wer da ist?“

„Flo?“

„Yeah! Heute Abend Party bei mir.“

„Krass! Okay.“

„Gibt ein paar Überraschungsgäste.“

„Wer ist denn schon daheim?“

„Überraschungsgäste, David! Ich hab Bier und ’nen Grill. Bring Gin und besorg mit Paul Gras.“

„Alles klar.“

„Dann bis heut Abend.“

„Saucool.“

Max war wohl schon auf. Ich ging runter und fand ihn in eine Zeitschrift vertieft.

„Morgen.“

„Guten Morgen. Du schläfst immer soooo lang. Ich will los, zu Ikea und ein paar billig Möbelhäusern.“

„Okay, gib mir zehn Minuten.“

Im Auto erzählte ich ihm von dem Anruf. Max ging es wieder gut, deshalb fuhr er.

„Flo … der laute?“

„Genau.“

„Und wer kommt da alles?“

„Ein paar alte Freunde, wer genau wollte er mir auch nicht sagen …“

„Okay …“

„Du kannst mitkommen, wenn du willst.“

„Und mich vor deiner halben Klasse outen? Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist … aber als Kumpel würd ich gern mitgehen …“

„Okay … aber ich warne dich, da herrschen raue Sitten.“

„Du bist je total … verwandelt.“

„Meine Freunde sind wieder da. Vorbei mit dem ruhigen Leben. Jetzt wird die Nacht wieder zum Tag gemacht.“

„Hoi, bei dem Funkeln in deinen Augen könnte man ja fast Angst bekommen …“

„Ich freu mich eben. Das Jahr der Einsamkeit ist vorbei! Ich bin so gespannt, wer alles da ist.“

Wir machten eine schnelle Tour durch vier Möbelhäuser und waren um zwei wieder zu Hause. Und wir hatten eine Couch gefunden, die wir reservierten. Ein Ausstellungsstück, fast um die Hälfte reduziert. 500 Euro für eine dunkelbraune Eckcouch die echt schick und modern aussah. Wir waren ja so stolz auf unseren Fund.

„Na dann geht’s jetzt wieder ans Aufräumen, was?“

„Ich hätte da noch was zu erledigen …“

„Was denn?“

„Etwas mit Paul. Du willst es nicht wissen.“

„David, was denn?“

„Wir müssen noch für heut Abend einkaufen.“

„Klar, dann komm ich mit.“

„Gras einkaufen.“

Er sagte erst mal gar nichts und schaute mich nur total geschockt an.

„Nicht wirklich, oder? Du machst Witze.“

„Nur ein par Gramm, für die Allgemeinheit … das heißt noch lang nicht, dass ich es rauchen muss …“

„Spinnst du? Du kannst doch kein Gras kaufen gehen! Hast du sie noch alle?“

„Max, jetzt reg dich nicht auf. So haben wir das schon immer gemacht. Das ist ganz harmlos.“

„Dann soll Paul halt alleine gehen …“

„Das ist zu viel für einen …“

„Ihr rechnet damit, erwischt zu werden?“

„Das ist nur so vorsichtshalber … und überhaupt, allein fahren ist langweilig.“

„Wohin denn fahren?“

„Eine halbe Stunde von hier, so ein kleines Kaff. Da wissen wir halt, dass das Zeug gut ist …“

„Hör dich mal reden! Das ist doch total … krass einfach nur!“

„Jetzt Max, lass mir diesen einen Abend, um in alten Zeiten zu schwelgen.“

„Bitte, wie du willst. Aber da geh ich bestimmt nicht hin.“

„Darüber können wir ja reden, wenn ich zurück bin …“

Zwei Stunden später war ich wieder da.

„Du hast das Zeug doch nicht mit hier her gebracht, oder?“

„Ne, wir haben alles bei Paul deponiert. Hey, hier schaut’s ja schon richtig gut aus. Dann mach ich mal oben weiter …“

Um sechs fragte ich Max nochmal.

„Na, kommst du mit?“

„Ich will ein Auge auf dich haben …“

„Hehe, na schön, vielleicht nicht so verkehrt …“

Warum hatte ich das jetzt bitteschön gesagt?

„Jedenfalls muss ich noch ein paar Sachen einkaufen. Kommst du mit?“

„Klar, ich brauch ja auch noch was …“

Wir besorgten Grillfleisch und zwei Flaschen Gin und O-Saft zum mischen. Max wollte Wein.

„Ernsthaft?“

„Ich dachte, ich lass es ruhiger angehn.“

„Dann trink Bier. Mit Wein bekommst du nur dämlich Sprüche.“

„Oh Mann, vielversprechend.“

„Frag halt Claudi, ob sie mitkommen will. Dann fühlst du dich bestimmt wohler …“

„Kann ich einfach so jemanden mitbringen?“

„Wenn dieser Jemand Brüste hat schon.“

„Oh Mann …“

Claudi kam um acht, um neun gingen wir los. Aus dem Garten hörten wir schon Stimmen.

Tatsächlich. Da saßen Flo, seine Freundin Chrissy, Tom, Michi, Anne, Jenny und Julia.

„David!!!“

„Hallo zusammen.“

Die Mädels bestürmten mich gleich und quasselten drauf los, von Schokokuchen, Filmen die ich hoffentlich gesehen hatte, von Rom, Berlin … ich weiß nicht was noch alles. Die meisten waren erst seit gestern wieder da. So ziemlich alle sahen sich also jetzt zum ersten Mal wieder. Aber von einer Sekunde auf die andere war es wieder wie früher. Die Kohlen im Grill glühten schon, Paul kam und legte die zwei Tütchen auf den Tisch. Die Mädels trugen Salate auf. Bier wurde verteilt, Geschichten ausgetauscht, über Filme, Musik und PC-Spiele geredet. Als ich auf die Uhr schaute, war es halb zwölf. Max und Claudi standen im Garten und schauten sich irgendwas am Himmel an. Ein Dübel machte die Runde … hach ja, herrlich. Inzwischen war ich zu Gin übergegangen.

„David!!! Ihr Schweine! Ihr habt doch gesagt … die haben gesagt, dass du nicht kommst!”

„Jana!! Und mir haben sie gesagt, dass du noch nicht daheim bist.“

Schon saß sie auf meinem Schoß und drückte mir lauter Küsse ins Gesicht. Ich weiß auch nicht, warum ich nicht sofort zu Max schaute oder so … jedenfalls war ich selig, Jana wieder bei mir zu haben. Sie war das erste Mädchen, mit dem ich geschlafen hatte … und sie war, nachdem wir Schluss gemacht hatten, sowas wie meine beste Freundin geworden … beste Freundin mit anfassen, nach wie vor. Das war bequem, weil die Jungs mich nicht nervten … sie war ein Alibi und Gesellschaft … wir mochten uns, aber wir wussten beide, dass wir nicht wirklich füreinander bestimmt waren … Und dann war sie ein Jahr nach Australien gegangen, als Au Pair … das, und Pauls zehn Monate in Indien waren ein harter Schlag gewesen. Und jetzt waren sie beide wieder da. Paul saß neben mir und gab mir den Dübel, Jana saß auf mir und schimpfte immer noch auf die anderen, weil sie uns so verarscht hatten. Erst als Flo schrie: „Jetzt halt’s Maul und knutsch ihn endlich, verdammt.“

Erst da schaute ich nach Max. Er saß nicht mehr auf seinem Platz, und Claudi auch nicht … Paul flüstere mir zu:

„Sie sind ins Haus Richtung Straße und sahen nicht gerade fröhlich aus …“

„Fuck … Lass mich mal aufstehen, Jana …“

„Was is denn jetzt los?“

„Bin gleich wieder da …“

Max und Claudi saßen auf dem Randstein. Als sie mich kommen sahen, stand Claudi auf und ging mit bösem Blick an mir vorbei, wieder zum Haus.

„Max …“

„Spar dir den Scheiß. Weißt du, all das was du gesagt hast, und die Ringe … du setzt alles aufs Spiel … Was erwartest du denn von mir? Soll ich mir das alles mit anschauen? Nein, sei still! Ich geh jetzt nach Hause. Komm, wenn du genug von den alten Zeiten hast. Mach, was du willst, aber lass mich nicht dabei zuschauen. Gute Nach, David.“

„Aber jetzt geh doch nicht einfach.“

„Wenn ich bleibe, dann endet das übel. Eins noch. Erklär deinen Freunden mal, dass schwul kein Synonym für scheiße ist.“

Er ließ mich stehen … Claudi huschte an mir vorbei und war wieder an seiner Seite. Wie ich diesen Anblick hasste. Ich setzte mich wieder hin. Was sollte ich jetzt machen? Ich konnte nicht einfach verschwinden … Ich musste mich wenigstens verabschieden.

„Da bist du ja wieder. Wir machen grad die Wahrheitsrunde.“

„Ich wollte eigentlich nur …“

„Setzt dich, spiel ein paar Runden mit. Das Motto ist ‚Alles, was ich im letzten Jahr gemacht habe.’ Wir haben einiges aufzuholen.“

„Na schön, aber nur kurz …“

„Okay, also, die Frage ist grad, wann hattest du das letzte Mal Sex. Michi?“

„Ach kommt’s, die Frage ist doch echt schwul. Was sagt der Scheiß denn aus?“

„Ah, doch schon so lang her?“

Ich sah meine Leute durch Max’ Augen. Saufen, Kiffen, Sprüche klopfen … und schwul als Synonym für Scheiße … das überhörte ich schon total …

„Vor drei Monaten … aber davor …“

„Interessiert uns nicht.“

„Flo?“

„Heute Nacmittag. Höhöhö.“

Chrissy wurde rot …

„David?“

„Gestern Abend.“

„Wir reden vom Sex mit einer anderen Person …“

„Ja. Gestern Abend.“

„Mit wem?“

„Keine Erweiterungsfragen!“

„Ach, schwules Spiel, Scheiß drauf. Jetzt sag schon. Wen hast du dir aufgerissen?“

Jana meinte: „Ja, das würde mich jetzt auch interessieren …“

„Nur wenn ihr mir schwört, dass das diese Runde nicht verlässt.“

„Klar …“

„Logo, Mann, verlass dich drauf.“

„Max.“

„Max? Ist das eine Abkürzung? Maxima oder so?“

„Nein, der Max, der gerade gegangen ist.“

„Moment. Du fickst einen Kerl?“

„Sieht so aus.“

„Fuck!“

„Immerhin hat er Kohle …“

„Ach, halt’s Maul, mir ist es ernst damit.“

„Also bist du ne Schw … also schwul?“

Ich nickte und stand auf. Als ich diesmal ging, hielt mich niemand zurück. Kaum war ich um die Ecke, rief ich schon Max an.

„Was willst du?“

„Warte. Ich bin auf dem Weg zu dir.“

„Dann warten wir hier an der Tankstelle …“

„Dann hab ich euch ja bald eingeholt … Bis gleich.“

Paul und Jana kamen hinter mir her.

„Na, zerreißen sie sich schon das Maul?“

„Davon kannst du ausgehen. Wo ist Max?“

„Wartet mit Claudi bei der Tankstelle …“

Jana meinte:

„Tut mir Leid … wenn ich gewusst hätte …“

„Schon okay … konntest du ja gar nicht wissen …“

„Sollen wir euch lieber allein lassen?“

„Solang Claudi eh noch dabei ist nicht, nein ….“

Also gingen wir schnellen Schrittes zur Tankstelle. Max und Claudi saßen mit einer Packung Gummibärchen davor. Ich zog ihn hoch und küsste ihn, in der Hoffnung, dass er mich nicht wegschubsen würde. Er erwiderte meinen Kuss. Ich schmeckte ein gelbes Bärchen.

„Ich war ein Idiot und es tut mir Leid.“

„Okay …“

„Ich hatte irgendwie mein Hirn ausgeschalten …“

„Vermutlich …“

„Das ist Jana. Wir waren zusammen, aber das ist schon eine ganze Weile her …“

Jana gab Max die Hand.

„Tut mir Leid, ich wusste nichts von euch … sonst hätte ich mich nicht so aufgedrängt.“

„Schon okay … wirklich.“

Ich sah, dass es nicht okay war, aber er hatte offensichtlich nicht vor, das vor den anderen breitzutreten.

„Wollen wir nach Hause gehen?“

„Nein, Claudi und ich wollten an den Weiher“

„Oh, achso …“

Ich wagte es nicht, zu fragen, ob wir uns anschließen dürften. Zum Glück fragte Paul und so gingen wir Richtung Weiher. Ich nahm immer wieder Max’ Hand, aber er fand … wie zufällig … immer wieder eine Gelegenheit, sie loszulassen. In meinem Magen rumorte es, ich war betrunken und breit und hatte Schuldgefühle. Ich wollte ihn nur in den Arm nehmen und ihm sagen, dass er nicht mehr verletzt sein sollte. Das war ich doch gar nicht wert. Entweder wurden die anderen schneller oder ich langsamer, jedenfalls sah ich sie weit vor mir, spürte, wie mein Magen sich verkrampfte und schmeckte bittere Galle. Im nächsten Moment kotzte ich an den Straßenrand. Es wollte gar nicht mehr aufhören. Meine Augen und die Nase liefen auch schon über. Ich konnte nur hoffen, dass ich mich nicht angekotzt hatte. Endlich schien es vorbei. Jemand hielt mir ein Tempo hin. Paul. Max war nicht zu sehen. Meine Knie fühlten sich so schwach an … und Max war nicht da.

„Geht’s wieder?“

Das war Jana. Ich nickte nur, weil ich nicht das Risiko eingehen wollte, den Mund zum sprechen zu öffnen.

„Max hat uns den Schlüssel gegeben. Du sollst ihn für ihn draußen lassen.“

Also bogen wir in den Feldweg zum alten Heider-Anwesen.

„Kommst du allein klar?“

„Ja, ja …“

„Wir können auch bleiben …“

„Ich will nur noch schlafen.“

„Okay. Vergiss nicht, den Schlüssel für Max draußen zu lassen.“

Beide umarmten mich und dann legte ich mich auf die Couch und schlief fast sofort ein.

„Morgen …“

„Wann bist du heimgekommen?“

„So gegen zwei.“

Ich setzte mich auf und bereute es sofort.

„Zu hell.“

„Hier, trink das. Aspirin Plus C.“

Ich trank es gierig, hätte es aber fast wieder ausgekotzt. Max setzte sich neben mich und streichelte meinen Rücken.

„Claudi rät mir, mich nicht weiter auf dich einzulassen …“

„Was?!“

„Keine Sorge, ich hab nicht vor, ihren Rat anzunehmen.“

Jetzt war ich aber wach.

„Verdammt, was bildet die sich eigentlich ein?!“

„Sie hat nur gesagt, was jede gute Freundin nach gestern Abend sagen würde … Aber ich weiß, dass du nicht du selbst warst. Ich hab dich ganz anders kennengelernt. Verantwortungsbewusst, nachdenklich, … treu.“

„Ich war nicht … ich hab nicht mit Jana rumgemacht oder sowas. Ich hab mit ihr nichts gemacht, was du nicht auch mit deiner besten Freundin tust.“

„Du warst mit Jana zusammen.“

„Was hat das denn damit zu tun?“

„Da ist es was anderes, wenn sie auf deinem Schoß springt und dein ganzes Gesicht abschleckt …“

„Sie wird es nicht wieder tun, jetzt wo sie weiß, dass ich vergeben bin.“

„Du wusstest, dass du vergeben bist.“

„Gut, vielleicht hätte ich früher stopp sagen sollen …“

„ … oh ja!“

„ …aber in dem Moment wusste ich nicht, wie ich das dann erklären sollte …“

„Jetzt komm nicht auf die Tour …“

„Doch, das war der Gedanke, der mir durch den Kopf schoss. Diese Geheimnistuerei bringt nichts als Ärger, deshalb hab ich allen die Wahrheit gesagt.“

„Was?! Spinnst du? Morgen weiß es die ganze Stadt!“

„Ich hab ihnen das Versprechen abgenommen, dass es die Runde nicht verlässt.“

„Ah, ja dann … ehrenhafte Männer, die sie ja sind …“

„Hey, sie sind immer noch meine Freunde. Sie werden dicht halten. Außerdem haben sie vermutlich kein Interesse dran, dass jemand erfährt, dass sich unter ihnen eine Schwuchtel befindet.“

„Warum umgibst du dich mit solchen Leuten?“

„Sie waren schon immer meine Freunde …“

„Kein Wunder, dass du nie jemanden was erzählt hast …“

„Du doch auch nicht.“

„Doch. Claudi und Thorsten. Ich musste bei den beiden keine Angst haben, dass sie mich hinter meinem Rücken Schwuchtel nennen.“

„Das würden Paul und Jana auch nie machen.“

„Warum hast du es ihnen dann nie gesagt?“

„Keine Ahnung, ich war halt noch nicht so weit … hör mal, ich hab Kopfweh. Können wir bitte nur über sinnvolle Sachen reden?“

„Ich will nicht, dass du kiffst, und ich will schon drei Mal nicht, dass du Gras kaufst. Versprich es.“

„Okay, Ich kauf nichts mehr und rauch nicht mehr exzessiv.“

„Nein, gar nicht mehr.“

„Auch nicht mit Paul?“

„Nein.“

„Das ist aber echt hart …“

„David, das sind meine Bedingungen.“

„Na schön, dann hab ich wohl keine Wahl.“

Ich ging duschen, während Max noch ein wenig sauber machte.

„In einer Stunde muss ich los um meine Eltern abzuholen. Willst du noch was essen?“

Ich schüttelte den Kopf und ließ ihn durch einen Blick wissen, dass er nicht vom Essen reden sollte.

„Okay … Geh ein bisschen an die frische Luft, hm? Ich muss noch Wäsche machen und so …“

„Kann ich dir helfen?“

„Nö, du siehst gar nicht gut aus … Leg dich raus …“

„Okay …“

„Hey, aufwachen … Ich muss los. Komm, dann fahr ich dich noch heim.“

„Okay …“

Ich fühlte mich schon viel besser. Nicht mal die kurvige Autofahrt machte mir was aus.

„Okay … ich ruf dich heute Abend an …“

„Okay … ich will nicht mit diesem mulmigen Gefühl im Bauch aussteigen …“

„Alles ist in Ordnung. Ein seltsamer Abend, damit kann ich leben … aber das reicht dann auch.“

„Ja, versprochen. Ich liebe dich, Max.“

„Und ich dich.“

Den restlichen Tag hing ich rum … las, zockte, … aß irgendwann mal was … Klara kam heim und fuhr gleich mal an den Weiher … sie erzählte nur kurz, dass es am nächsten Tag Zeugnisse geben würde … Irgendwann wurde es fünf und meine Mum kam heim.

„Heute alleine?“

„Max’ Eltern sind heimgekommen …“

„Ach ja. Willst du was essen?“

„Später.“

„Warum bist du so blass?“

„Gestern war bei Flo Grillen …“

„Alles klar … dann ist er also wieder zu Hause. Toll.“

Mum war auf den gesamten Freundeskreis nicht gut zu sprechen … ich verzog mich in mein Zimmer, bis es Essen gab. Da erfuhr ich, dass Klara jetzt auch einen Freund hatte … den Neandertaler. Mum wollte ihn kennenlernen, Klara weigerte sich … hin und her …

„Was hast du jetzt eigentlich für Leistungskurse genommen?“

„Französisch Geschichte.“

„Und wer übernimmt die?“

„Steht noch nicht fest … aber Franz wahrscheinlich die Höherer und …“

Damit war das Thema immerhin gewechselt.

Später fuhr ich mit Paul und Jana an den Weiher, mein Handy immer in Hörweite, falls Max endlich anriefe. Jana erzählte, dass die anderen versucht hatten, sie auszufragen, ob sie was geahnt hatte und so weiter. Scheinbar war mein Coming Out das Gesprächsthema schlechthin, aber mit mir redete niemand …Jana erzählte von ihrer Familie in Australien und den Reisen, die sie zwischendurch unternommen hatte. Paul erzählte ihr von Indien und ich erzählte von Max. Mein Handy klingelte einfach nicht. Um zwölf fuhr ich heim, was die beiden sehr untypisch für mich fanden … aber ich wollte schauen, ob Max online war oder zu Hause angerufen hatte oder sowas … Aber auch da war nichts. Ich legte mich schlafen, alleine … total ungewohnt … ich vermisste ihn so. Er war sicher noch immer sauer … was sollte ich bloß machen? Da vibrierte mein Handy. Eine SMS.

„Schlaf schön. Ich liebe dich. M.“

„Und ich dich erst. Hoff wir sehen uns morgen. Ich vermiss dich. Können wir noch reden?“

Mein Handy klingelte.

„Hallo, mein Herz.“

„Hallo David.“

„Allein schlafen ist Scheiße.“

„Ja, total.“

„Schleich dich zu mir.“

„Ach David … heute nicht mehr.“

„Was hast du so gemacht?“

„Mit meinen Eltern den Schreibkram für die Versicherung, und ihnen erzählt, woran ich mich erinnern kann, und ihnen ausgeredet, den Fahrer anzuzeigen … Und von der Wohnung erzählt. Mein Vater und ich fahren morgen Vormittag hin … Meine Eltern haben gesagt, dass sie 2000 für die neue Einrichtung springen lassen.“

„Wieviel?! So viel können wir ja gar nicht ausgeben …“

„Zählt als Geburtstagsgeschenk und als ‚Gut dass dir nicht mehr passiert ist‘-Geschenk. Meine Mutter besteht drauf, dass ich alle drei Stunden Creme auf den blauen Fleck schmiere, dabei ist der jetzt eh schon fast weg …Naja, Eltern halt … ach und noch was. Morgen Abend bist du hier zum Essen eingeladen.“

„Was?! Warum?“

„Keine Sorge, Claudi und Thorsten kommen auch. Meine Eltern machen das regelmäßig. Sie wollen doch wissen, mit wem ich mich rumtreibe. Und nachdem ich ihnen erzählt hab, dass du dich so gut um mich gekümmert hast …“

„Oh Gott … Hilfe.“

„Keine Panik. Die sind dir so dankbar, da musst du dir keine Sorgen machen. Außerdem ist mir eigentlich eh egal, was sie von dir halten …“

„Aber mir nicht. Was soll ich denn anziehen?“

„Normales Zeug, aber halt sauber und gebügelt und so … dann siehst du nicht zu bemüht aus …“

„Und was soll ich mitbringen?“

„Keinen Wein, das käme nicht gut. Meine Eltern sind der Meinung, dass ich immer noch Tafelwasser zum Essen trinken soll … Blumen wären nett, aber eigentlich musst du nichts mitbringen.“

„Welche Blumen?“

„Ganz egal …“

„Oh Gott … jetzt kann ich bestimmt nicht mehr schlafen …“

„Stress dich nicht. Das wird nur ein ungezwungenes Abendessen …“

„Ja, für dich vielleicht …“

„So, denken wir an die Handyrechnung … Gute Nacht, David. Ruf mich an, wenn du wach bist.“

„Okay, mach ich. Gut Nacht.“

„Morgen.“

„Guten Morgen.“

„Bist du im Auto?“

„Ja, mein Vater und ich sind gerade auf dem Weg zur Wohnung.“

„Ah, cool. Grüß meinen Vater, falls du ihn siehst. Um wie viel Uhr ist das heute Abend?“

„Um sieben.“

„Okay, dann sehen wir uns heute Abend, oder? Oder hast du vorher schon Zeit?“

„Nein eher nicht …“

„Okay, dann bis heute Abend.“

„Bis dann, ciao.“

Klara kam heim und ich ließ mich von ihr breitschlagen, den PC auszumachen und mit an den Weiher zu fahren. Paul und Jana kamen auch hin. Der Rest der Truppe blieb weiterhin verschollen …

Um sechs fuhr ich heim, duschte, bat Mama, ein paar Klamotten zu bügeln, fuhr mit ihrem Auto zu einem Feld, auf dem man Blumen selbst schneiden konnte, zog mich um, holte mein Fahrrad und Punkt sieben klingelte ich bei Wellers. Max’ Mutter machte auf.

„Ah, David. Willkommen.“

„Dankeschön für die Einladung.“

Ich gab ihr die Blumen und sie bedankte sich höflich. Claudi und Thorsten saßen schon am Tisch, genau wie Herr Weller und Max. Ich wurde neben Thorsten platziert. Und als hätten sie schon ewig auf mich gewartet, trug Frau Weller die Vorspeise auf. Bunter Salat mit Putenstreifen. Irgendwie sagte niemand etwas … Zum Glück lief im Hintergrund leise Musik … Dann, als alle fertig waren, sprang Frau Weller sofort auf, um das Geschirr wegzubringen. Ich stand auf, um ihr zu helfen. Sie winkte ab, aber ich nahm trotzdem die übrigen Teller und folgte ihr in die Küche. Im Ofen schmorte ein Braten.

„Danke, David. Stell einfach alles da drüben ab. Der Braten ist auch bald soweit, denke ich.“

„Kann ich noch was helfen?“

„Ach nein … obwohl … vielleicht könntest du den Rotkohl testen, während ich die Spätzle fertig mache.“

Scheinbar sollte es gleich das Hauptgericht geben. Alles wurde nett drapiert, Herr Weller kam, um den Reh-Braten zu zerlegen. Ich war mit Max’ Eltern alleine in der Küche und betete, nichts fallen zu lassen. Ich schaute für einen Moment auf den kleinen Küchentisch … nein, jetzt bloß nicht daran denken. Ich trug den Rotkohl raus, der irgendwie nach Weihnachten roch, und fing Max’ mitleidigen Blick auf, als ich wieder zurückging, um das Gemüse zu holen … Mann, war ich dankbar, als wir alle am Tisch saßen und uns die Teller vollluden. Das Essen verlief wieder schweigend, und ich versuchte, alles nicht zu schnell in mich hineinzustopfen, denn es schmeckte wirklich toll, aber ich wollte nicht der erste sein, dessen leerer Teller Frau Weller dazu veranlasste, aufzuspringen.

„Wieder mal wunderbar gekocht, Isa.“

„Ach hör auf. Du hast doch die Soße gewürzt.“

Die Wellers flirteten … ihh … offenbar hatte der Urlaub ihre Liebe erneuert oder sowas. Von Max fing ich auch einen … irritierten Blick auf.

„Also, David. Leider haben wir deinen Vater heute nicht getroffen, aber richte ihm meinen Dank aus. Die Wohnung ist wirklich ein Goldstück. Da hat Max Glück gehabt. Als ich studiert habe, hab ich in diesem Loch gehaust, mit drei anderen, nicht gerade appetitlichen Zeitgenossen.“

„Einer von ihnen ist immer noch dein bester Freund, mein Lieber.“

„Aber er hat inzwischen gelernt, sich zu waschen.“

Alle kicherten. Dann meinte Frau Weller ernster.

„Ich find es dennoch schade, dass Max diese Erfahrung nicht machen wird. Die Zeit in der WG war lustig und lehrreich zugleich … Alleine wohnen … wirst du nicht einsam sein?“

„Ach, Isa. Er soll sich ohnehin auf das Studium konzentrieren. Und er hat ja auch noch David.“

„Ja natürlich. Vermutlich wirst du mehr Zeit bei Max verbringen, als bei deinem Vater, was?“

Ich spürte meine Ohren rot werden …

„Wenn das Studium es zulässt vermutlich schon, ja.“

Vor dem Dessert, einer Birnencreme mit frischem Obst, musste ich noch von dem Unfall erzählen.

„Aber woher hatte das Krankenhaus denn deine Nummer?“

Max fiel mir ins Wort.

„Ich hab sie auf meinen Notfallausweis geschrieben, nur zur Sicherheit. Gerade erst eine Woche vor dem Unfall.“

„Das war wirklich gut mitgedacht. Uns hätten sie ja nie erreicht. Du hattest wirklich großes Glück, Max.“

„Ja, ich weiß, das hab ich oft genug gehört.“

Nach dem Dessert fragte Herr Weller, was wir denn noch vorhätten. Es war noch nicht mal neun und ich hatte das Gefühl, gleich zu platzen.

„David hat sturmfrei. Wir wollen den Herrn der Ringe anschauen, alle drei Teile.“

„Ohjeh, das dauert ja die ganze Nacht.“

„Ja, ich denke, ich komm dann morgen so gegen Mittag heim.“

„Na gut, dann viel Spaß euch vieren.“

Und damit war es überstanden.

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