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King of the Road

Teil 3 - Die Jagd / Tragische Weihnachten

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Nach einer hektischen Arbeitswoche bin ich nicht dazu gekommen, schon einmal den vorgesehenen, dritten Teil einzusenden. Dafür reicht es jetzt dazu, die Teile 3 und 4 zusammenzufassen.

Jordan, 23.12.2007, Nachmittag

Es war kein anderer Fahrer mehr gekommen. So saß Jordan nun neben Samuel, dem Fahrer, den er vorhin angesprochen hatte, in dessen Mack auf dem Weg nach Seattle. Da er diesmal wach war, strengte die Fahrt ziemlich an. Denn er musste sich eine Story ausdenken, dass er zu seinem Onkel unterwegs wäre und dauernd irgendwelche Details erfinden. Dabei musste er auch noch aufpassen, dass er sich nicht selbst widersprach. Vielleicht sollte er sich zumindest schlafend stellen. Sie hatten Yakima hinter sich gelassen und die Bergkette kam näher. Auf einmal gab es einen Knall und die Entscheidung über das Schlafen wurde Jordan abgenommen. Samuel ruderte mit dem Lenkrad und versuchte, den Truck auf der Straße zu halten. Wenn einfach nur ein Reifen geplatzt wäre, dann wäre ja alles gut. Aber der Grund war der Pickup, der sich vor sie setzte. Das Auto gehörte Raymond, dem Nazi-Kumpel seines Bruders. Und sein Bruder selbst wedelte mit einer Pumpgun vor ihrer Nase herum, während Raymond an die Beifahrertür kam und ihn aus dem Führerhaus riss. Unsanft stopften sie ihn in das Fahrerhaus des antiquierten Kleinlasters, schlugen auf Samuel ein, der sie zur Rede stellen wollte, und Raymond fuhr los. Sein Bruder, der übrigens Nathan hieß, fesselte ihn inzwischen mit einem Nylonseil, band ihm ein Halstuch als Knebel um und legte ihm den Sicherheitsgurt an, damit er sich nicht mehr bewegen konnte.

So fuhren sie auf Spokane zu. Was würde ihn da erwarten? Das schien auch Raymond zu interessieren: "Was willst Du machen, wenn wir da sind, Nathan? Ihn Deinen Eltern geben, damit sie ihm in der Kirche das Gehirn waschen lassen?" – "Nein, ich dachte wir vergnügen uns mit ihm und lassen ihn für Dave bezahlen." – "Und wenn er uns dann verpfeift?" – "Das wird er nicht. Der wird danach niemanden mehr verpfeifen." – "Du willst ihn umbringen? Nicht dass was dagegen spräche, eine Schwuchtel zu killen. Aber was passiert dann bei Euch in der Familie?" – "Nichts. Meine Eltern wissen inzwischen von seiner Perversion. Die haben mir freie Hand gelassen, denn sie hätten jetzt nur noch einen Sohn, mich. Außerdem ist noch unklar, ob Dave durchkommt. Immerhin hat dieser Sozialheini aus dem Tuntenclub ihm mit dem Baseballschläger den Schädel gebrochen, bevor wir ihn ausgeschaltet haben." Der Betreuer. Jordan fragte sich, was wohl aus Jim geworden war, als sie ihn 'ausgeschaltet' hatten. "Ich rufe mal Martin an und frage nach Dave." Nach ein paar "Ja" und "Aha" berichtete Nathan: "Dave liegt im Koma und seine Werte werden schlechter. Es sieht aus, als käme er nicht durch. Martin ist jetzt im Verbandshaus. Er wartet da auf uns und im Keller rächen wir dann Dave an dieser Missgeburt, von der ich nicht glauben kann, dass sie auch mein reines Blut in den Adern haben soll."

Jordan murmelte etwas hinter seinem Knebel. Nathan nahm ihm das Tuch daher kurz ab: "Was willst Du? Um Gnade winseln?" Jordan schluckte seine Emotionen runter. Es war aus, das wusste er. Und auch wenn er heulen könnte, wollte er ihnen diesen Triumph nicht lassen. Sein Problem war auch rein menschlich: "Ich muss pissen, dringend." Natürlich hatte er den Hauch einer Hoffnung, dass er außerhalb des Autos eine Chance hatte, irgendwie Hilfe zu bekommen. Aus eigener Kraft fliehen war gegen diese beiden und die Pumpgun eh nicht drin. Raymond antwortete aber eiskalt: "Die Karre hat Kunstledersitze, Gummiboden und daheim wartet übermorgen der Zündschlüssel von einem neuen Pickup unterm Weihnachtsbaum auf mich und einen Tag nach Weihnachten die Schrottpresse auf den Hobel hier. Piss dich doch voll. Bist Du wenigstens bis Spokane schön wund." Jordan bemühte sich deshalb so lange wie möglich einzuhalten. Wo kam die Flüssigkeit überhaupt noch her? Ihm stand der Angstschweiß auf der Stirn, sein Shirt war auch unter den Armen und auf der Brust klatschnass. Eigentlich müsste sein Körper schon ausgetrocknet sein. Sie passierten gerade Lake Wanapum und das Schild wies noch 117 Meilen aus. Raymond schien ihn quälen zu wollen, denn er rollte jetzt mit nur noch 40 Meilen dahin. Bei dem Tempo würde es noch 3 Stunden dauern, bis sie in Spokane waren. Nathan kommentierte das nur mit: "Wir haben Zeit."

Inzwischen überholte sie ein Van mit einigen Metal-Fans drin und "Blind Guardian" Airbrush auf der Seitenwand. Sie regten sich wohl über Raymonds Schleichtempo auf, denn sie hatten gehupt. Als sie auf gleicher Höhe waren, zeigten sie Raymond einen Vogel. Der gab daraufhin Gas und schnitt den Van. Dessen Fahrer versuchte, nach rechts auszuweichen und auch Raymond ging wieder nach rechts, trat dann voll auf die Bremse. Die Lichter des Dodge verschwanden und die Rückleuchten tauchten im Spiegel auf. Raymond und Nathan lachten lauthals los.

Nach der Stadt Moses Lake, wo der Highway längst zu einer endlosen Gerade nach Osten geworden war, hielt Jordan es nicht mehr aus. Er hoffte, dass sie es nicht sofort merken würden, aber unter dem Gelächter seiner Peiniger wurde der nasse Fleck auf seiner Jeans immer größer. Es lief ihm am Bein runter und in den Stiefel. Und nach dieser Demütigung fing er doch an zu heulen. So sah er erst nach einigen Minuten, was sich da aus dem kleinen Punkt im Rückspiegel entwickelte.

Benjamin, 23.12.2007, Nachmittag

Als Benny auf dem Truck Stop in Kennewick ankam, war alles leer. Die Truckerin war weitergefahren in Richtung Heimat, auch von dem Punk war keine Spur. Vielleicht hatte er ja doch erreicht, was er wollte. Inzwischen war Benny sich nicht einmal sicher, was ihm lieber war. Dass er weg war, oder dass er nicht wusste, wo der Junge jetzt war. Tanken musste er ohnehin mal, inzwischen waren alle vier Tanks auf Reserve angekommen. Schwer schluckend sah er dem Zähler zu, wie er kletterte, während der Brennstoff in die drei riesigen, 270 Liter fassenden Tanks und den kleineren mit "nur" 160 Litern Inhalt gurgelte. 3,60$ pro Gallone, eine Unverschämtheit. Gut 900 Dollar würden gleich auf der Kreditkarte belastet, rechnete er im Kopf aus. Nach Hause würde er auch mit einem der drei großen Tanks locker kommen. Aber sein Bauchgefühl war nicht besser geworden, eher im Gegenteil. Sein Unterbewusstsein schien sich dafür entschieden zu haben, dass es ihm lieber gewesen wäre, der Junge wäre noch hier gewesen. Und für seinen Kreuzzug brauchte er vielleicht Sprit. Wenigstens wurde das Zeug nicht sauer und zur Not konnte er es im Frühjahr immer noch in seinen neuen Truck umpumpen.

Als er zum Bezahlen in den Shop ging, fragte er den Kassierer: "War hier vorhin ein Junge? So um die 14 Jahre und Punk?" – "Hier war ein junger Punk, ja. Hat geduscht und dann gewartet. Der hat aber zu einem Fahrer aus Kanada gesagt, er wäre schon 17, auch wenn er nicht so aussah. Mit dem ist er auch vor gut anderthalb Stunden weggefahren. Er wollte nach Seattle, ist mit einem blau-silbernen Mack Fischtransporter weg." Benny traf eine sprichwörtliche Faust in den Magen. Der nächste, in dem er sich getäuscht hatte. Klar, mit 17 war er immer noch minderjährig und hatte sich dem Gesetz nach nicht alleine herumzutreiben. Aber Benny hatte die Situation trotzdem wegen Äußerlichkeiten falsch eingeschätzt. "Was wollen denn eigentlich alle von dem Jungen?" – "Ich habe ihn heute Morgen nicht mitgenommen und wollte eigentlich nur schauen, ob er vielleicht jetzt hier fest sitzt und dann meine Unfreundlichkeit von vorhin wiedergutmachen. Aber wieso alle?" – "Vor 20 Minuten waren zwei Jugendliche mit einem alten Ford Pickup da. Die haben auch nach ihm gefragt. Komische Typen, stoppelkurze Haare und Pilotenjacken. Deutsch aussehende Embleme auf Brust und Schultern." Das klang nicht gut. Nazis und Punks waren eine explosive Mischung. "Na ja, er ist ja jedenfalls jetzt unterwegs. Dann kann ich auch weiter fahren", zwang Benny sich zu sagen. Weil es ein längerer Einsatz zu werden drohte, deckte er sich noch eben mit Sandwichs und Cola ein.

Noch unruhiger ging es dann mal wieder mit weit mehr als der erlaubten Höchstgeschwindigkeit den Highway in Richtung Yakima und Seattle, der Sonne entgegen. Immerhin würde er so, vorausgesetzt der fuhr vorschriftsmäßig, den Mack in gut zwei Stunden eingeholt haben. Das Gesicht des kleinen Punkers schwebte vorwurfsvoll vor Bennys innerem Auge. Und das schlimmste war, dass er ihn irgendwie von Minute zu Minute mehr neugierig machte. Sein Blick hatte etwas geheimnisvolles. Was steckte hinter der Fassade des Rebellen?

Das Blaulicht war weit zu sehen. Dort vorne standen ein LKW und daneben ein Krankenwagen und die Highway Police. Benny erkannte einen Auflieger der Vancouver White Fish Co, einer der größten Speditionen an der Westküste für Frischfisch-Transporte und ging vom Gas. Die Zugmaschine war ein Mack Hauber, der Vorderreifen war platt und die Motorhaube durchsiebt. Ein Sanitäter verband den Kopf des afrikanischstämmigen Fahrers, während der Polizist die Einschüsse untersuchte. Von dem Punk weit und breit nichts zu sehen, aber dafür das Wissen im Hinterkopf, dass er von Nazis gejagt wurde. Also stieg Benny wieder aufs Gas und überlegte den nächsten Schritt. Vor Ellensburg gabelte sich der Highway. Der Junge hatte ihn fast am Ostrand des Staates angesprochen und wollte nach Westen, Süden war ihm auch recht. Vermutlich kam er aus der Richtung von Spokane. Und wenn ihn jemand suchte, dann vermutlich auch von da. Also bog Benny in die Richtung ab und gab seinem Truck wieder Vollgas.

Ein Dodge Van stand mit Warnblinker gegen die Fahrtrichtung auf dem Seitenstreifen. Eigentlich müsste er jetzt anhalten, aber er griff nur zum Funk, denn er hatte die CB-Antenne gesehen: "An den Dodge auf dem Pannenstreifen bei Moses Lake. Könnt Ihr mich hören?" Die schienen den Truckerkanal mitzuhören, was auch normalerweise besser als jedes Radioprogramm über die Verkehrslage informierte, denn sie antworteten: "Ja. Wer bist Du?" – "Der Truck, der gerade an Euch vorbei ist. Ich hab es leider eilig, aber kann ich irgendwie Hilfe rufen?" – "Nein, wir sind okay, müssen uns nur erst mal beruhigen. Solltest Du aber auf einen uralten, blauen Ford Pickup stoßen, dann darfst Du ihn auch gerne mal in unserem Namen anstoßen!"

Endlich, hinter Moses Lake tauchte ein Fahrzeug vor ihm auf. Langsam dämmerte es auch. Es war wirklich ein alter Ford Ranger. Nach endlosen 15 Minuten auf der schnurgeraden Straße hatte er aufgeschlossen. Und es saßen drei Leute drin. Angestrengt versuchte er bei dem miserablen Dämmerlicht mehr zu erkennen. Erst ein entgegenkommender Wagen brachte trotz des Mittelstreifens genug Licht in die Sache. Die beiden außen hatten schon mal kurze Haare, auch der Iro in der Mitte war nicht zu übersehen.

Leider waren die beiden Nazis nicht auf den Kopf gefallen. Er hatte natürlich Gas wegnehmen müssen, um die Situation zu überblicken, obwohl er mit seinem Tempo normal hätte überholen müssen. Knapp 5 Minuten folgte er dem Pickup jetzt schon mit wenig Abstand. Nun zog dessen Fahrer das Tempo an und Benny zog nach.

Immerhin hatte das alte Ding Mühe, auf Geschwindigkeit zu kommen und so fuhren sie ihm nicht weg. Benny wäre sogar noch ein paar Meilen schneller. Der Beifahrer beugte sich vor. Der Kollege war doch mit einer Pumpgun beschossen worden. Alles, nur das nicht.

Jordan, 23.12., früher Abend

Da hatte man einen Spiegel vor der Nase und nutzte ihn nicht. Aus dem Lichtpunkt am Horizont waren längst zwei weiße Scheinwerfer und ein ganzer Weihnachtsbaum gelber Positionsleuchten geworden, dazwischen steckte eine bullige Motorhaube und… Nein, nicht der schon wieder. Eine Reihe Rauten ging mitten durch den Kühlergrill. Das zweite Mal, dass er diesen Typ heute sah, aber der nichts für ihn tat. Okay, dieses Mal konnte er nicht wissen, dass er hier drin saß und das erlebte, wovor er heute Morgen so eine Angst hatte.

Moment, der war doch eben mit einigem Überschusstempo gekommen und jetzt statt zu überholen vom Gas gegangen. Das fand Jordan sehr merkwürdig. Und es ging schon seit ein paar Minuten so. Warum überholte der nicht. Es kam Jordan so vor, als würde er das Auto untersuchen. Nathan leider auch, denn er holte die Pumpgun aus der Ablage in der Tür und begann nach Patronen zu suchen. Raymond fragte: "Was ist?" – "Fährst Du noch oder schläfst Du schon? Uns klebt seit ein paar Minuten ein Truck an der Ladeklappe. Vermutlich hat der Nigger doch weniger abbekommen als wir dachten und den jetzt auf uns gehetzt." Jordan dachte, jetzt würden sie den nächsten unschuldigen LKW-Fahrer zu töten versuchen. Und ausgerechnet diesen, wie er inzwischen fand, niedlichen Jungen von heute Morgen. Er hielt nichts von der radikal-konservativen Kirche seiner Familie, generell hielt er bisher nichts von Gott. Aber nun begann er zu beten, dass dem Fahrer, der wohl von seinem verletzten Kollegen auf sie angesetzt war, nichts passierte. Und dass er ihn retten möge.

Nathan kurbelte die Scheibe runter, löste den Sicherheitsgurt und lehnte sich aus dem Fenster. Es knallte, aber nicht nur der Schuss, sondern auch blechern. Ein Ruck ging durch den Pickup und Raymond hatte Mühe, die Karre auf der Straße zu halten. Nathan hatte den Schuss komplett verrissen, denn Jordan sah, wie im Rückspiegel ein zerfetztes Straßenschild vorbeizog. Jetzt lud sein Bruder durch und lehnte sich wieder aus dem Fenster, der Truck zog auf die Überholspur. Verzweifelt drückte Raymond aufs Gaspedal und schrie: "Nathan, mach die Sau fertig, bevor er uns fertig macht. Wer zum Teufel ist der Kerl?"

Nathan hing jetzt bis zum Bauch aus dem Fenster und wieder krachte es, aber diesmal nur blechern. Raymond kurbelte verzweifelt am Steuer, dann schlug der Wagen in der Leitplanke ein. Nathan war noch nicht ganz im Auto, Jordan sah, wie die Hand seines Bruders mit der Pumpgun gegen die Leitplanke schlug. Die Waffe fiel runter, aus dem Unterarm stand hässlich ein Knochen hervor. Das war zu viel für ihn, er würgte sein Mittagessen an dem Knebeltuch vorbei auf seinen Pullover. Nathan starrte seinen Arm an. Er war jetzt verzweifelt, während er sich mit links anschnallte und dabei rief: "Bring mich ins Krankenhaus, Raymond! Schnell!" Der verzweifelte aber an seinem übergroßen Schatten: "Wie denn? Sobald ich bremse, haut der uns von der Straße!"

An der Abfahrt Shrag dann gab Raymond alles. Im letzten Moment zog er in die Ausfahrt, aber der Truck schaffte es auch noch. Raymond gab nun auf der asphaltierten Nebenstraße weiter Vollgas, der Truck arbeitete sich wieder unbarmherzig heran. Kurz vor dem Örtchen Batum riss Raymond das Steuer herum und bog auf eine geschotterte Straße ab. Nathan schrie laut auf, Jordan spürte, dass seine nasse Hose wirklich schmerzhaft auf der Haut scheuerte, aber Raymonds Taktik schien zu funktionieren. Der Truck brauchte lange, um nach der scharfen Kurve wieder aufzuschließen. Aber bis zum Ende der Straße war er schon wieder auf wenige Meter heran und Raymond musste hier stark Bremsen. Es krachte laut, der Pickup schoss über den State Highway und schlug auf der gegenüberliegenden Seite im Acker ein. Raymond war mit dem Kopf auf das Lenkrad geschlagen und sehr benommen, Nathan und Jordan hatten bei der Aktion nichts abbekommen, während Jordan im Spiegel sah, dass der Truck gestoppt hatte. Nathan allerdings schrie trotzdem laut, vermutlich hatte er mit seinem Bruch die Fensterkurbel oder den Türgriff erwischt.

Benjamin

Tatsächlich, der Kerl hatte eine Pumpgun und wollte schießen. Benny zog den Kopf ein und gab Vollgas. Es reichte noch, er traf den Pickup ins Heck, als der Nazi abdrückte. Die Ladung schlug in der Schilderbrücke ein. Der Typ zog sich in die Kabine zurück und schien durchzuladen. Benny wechselte auf die Überholspur und kam langsam neben den Pickup. Wenigstens dürfte das Opfer angeschnallt sein, denn das und Fesseln zusammen war vermutlich die einfachste Methode, jemanden in einem Auto ruhig zu stellen.

Der Beifahrer lehnte sich nun ganz weit aus dem Fenster und legte wieder an. Benny rammte die hintere Ecke des Leichtlasters. Der Fahrer schien das Auto nicht mehr unter Kontrolle zu haben, denn er schleuderte auf die Leitplanke zu. Der Beifahrer kam dadurch in ernste Probleme und beeilte sich, in die Fahrgastzelle zurückzukommen. Aber der Arm war nicht schnell genug. Es sah aus, als hätte er die Waffe verloren und dabei die Leitplanke gestreift.

Der Fahrer verlegte sich nun aufs Flüchten. Aber der untermotorisierte Wagen war langsamer als der unbeladene Truck. Vor jeder Abfahrt rechnete Benny damit, dass er abfahren würde. So überraschte es ihn nicht, als der Wagen vor ihm plötzlich einen Haken schlug und eine Ausfahrt nahm. Problematischer war nun, dass er nicht mehr so einfach dran bleiben konnte, denn was er an Endgeschwindigkeit übrig hatte, fehlte an Beschleunigung. Der Typ stand plötzlich, als er wieder auf Schlagweite herankam, quer und schoss auf eine Schotterstraße. Es kam Benny ewig vor, bis er ebenfalls abgebogen war. Die Rückleuchten des Ford waren nur noch ein kleiner, roter Punkt in der Ferne. Aber irgendwie schien der schwere LKW hier im Vorteil zu sein, denn er kam rasch wieder näher. Ebenso rasch kam aber auch das Ende des Weges. Hier würde er wieder viel Zeit verlieren, wenn er nichts unternahm. Ein prüfender Blick mit dem Fernlicht, aber kein festes Hindernis zu sehen. Also bremste Benny nicht, sondern schoss dem bremsenden Pickup mit voller Wucht ins Heck, bevor er dann das gesamte Programm aus Pedal- und Dekompressionsbremse auslöste und mit quietschenden Reifen quer auf der Hauptstraße zum stehen kam. Die Vorderreifen waren sogar schon auf der Bankette. Einige Meter vor ihm auf der schlammigen Wiese war der Ranger bis an die Radlager im Schlamm eingegraben.

Benny sprang auf die Straße. Jetzt wurde es spannend, denn er wusste nicht, was ihn erwartete und seine einzige Waffe war ein 1-Zoll Schraubenschlüssel, was im Nahkampf sicherlich an der Waffenscheinpflicht kratzte. Aber er wusste nicht, ob die da drin vielleicht noch eine Schusswaffe hatten. Vorsichtig näherte er sich dem hilflos da stehenden Auto. Er hörte laute Schreie. Der Fahrer lag mit dem Oberkörper auf dem Lenkrad und atmete flach, der Beifahrer schrie und starrte einen offenen Armbruch an, wie erwartet saß der Punk angegurtet in der Mitte.

Der Fahrer richtete sich auf und fragte: "Was willst Du?" – "Am liebsten Rache!" Benny war klar geworden, dass er nicht einfach nur den Punk mitnehmen konnte, ohne einen "sinnvollen" Grund für sein Handeln zu haben. "Wofür?" – "Für den Kollegen, den Ihr zugerichtet habt und dessen Familie nun Weihnachten um das Leben ihres Ernährers zittern muss." – "Das war doch nur ein räudiger Nigger", presste der Fahrer hervor. Beiläufig schien Benny nun den Zustand des Jungen in der Mitte wahrzunehmen. "Und er? Ist er nur ein räudiger Punk?" – "Das geht Dich mal gar nichts an." Drohend schlug Benny mit dem Schraubenschlüssel genau vor dem Fahrer eine stattliche Beule in die Motorhaube. "Passt mal auf, Ihr zwei kurz geschorenen Hohlköpfe. Es gibt so ziemlich genau zwei Möglichkeiten. Entweder ich brate Euch einen mit dem Schraubenschlüssel über, bringe den Jungen in der Mitte vor Euch in Sicherheit und ihr könnt sehen, ob hier heute noch mal ein Auto vorbeikommt, Euch bemerkt und dann auch noch hält. Oder ich ziehe Euer Auto auf die Straße, Du bringst Deinen Kumpel nach Odessa ins Krankenhaus, wo man aber sicherlich den Sheriff dazu holen wird, der sich sehr für einen zerlöcherten Mack, den krankenhausreif geschlagenen Fahrer dazu, einen abgedrängten Dodge Van, ein ebenso zerlöchertes Schild und eine auf dem Interstate 90 liegende Pumpgun interessieren wird." Mit einem fiesen Lächeln fügte er noch hinzu: "Und ich bringe den Jungen in der Mitte vor Euch in Sicherheit."

Der Typ auf der Beifahrerseite quälte unter Schmerzen raus: "Diese Missgeburt kannst Du mitnehmen, wenn Du auf den Gestank von Pisse und Kotze stehst. Aber lass uns nicht hier im Acker verrecken."

Jordan & Benjamin

Der Trucker kam mit einem schweren Schraubenschlüssel auf das Auto zu. Er laberte die ganze Zeit mit Raymond über Samuel. Offenbar war er dem Wagen doch nur wegen ihm nachgestellt. Und Jordan hoffte inständig doch noch, er hätte es sich wegen ihm anders überlegt! Was war das? Der Trucker schlug eine Beule in die Haube und dann ging es darum, wie es weiter gehen sollte? "Passt mal auf, Ihr zwei kurz geschorenen Hohlköpfe. Es gibt so ziemlich genau zwei Möglichkeiten. Entweder ich brate Euch einen mit dem Schraubenschlüssel über, bringe den Jungen in der Mitte vor Euch in Sicherheit und ihr könnt sehen, ob hier heute noch mal ein Auto vorbeikommt, Euch bemerkt und dann auch noch hält. Oder ich ziehe Euer Auto auf die Straße, Du bringst Deinen Kumpel nach Odessa ins Krankenhaus, wo man aber sicherlich den Sheriff dazu holen wird, der sich sehr für einen zerlöcherten Mack, den krankenhausreif geschlagenen Fahrer dazu, einen abgedrängten Dodge Van, ein ebenso zerlöchertes Schild und eine auf dem Interstate 90 liegende Pumpgun interessieren wird. Und ich bringe den Jungen in der Mitte vor Euch in Sicherheit." Jetzt wollte er ihnen auch noch helfen? Aber immerhin wollte er Jordan doch mitnehmen.

Nathan meldete sich: "Diese Missgeburt kannst Du mitnehmen, wenn Du auf den Gestank von Pisse und Kotze stehst. Aber lass uns nicht hier im Acker verrecken." Jordan sank zusammen. "Na super. Heute Morgen habe ich nur nach Schweiß gestunken und hatte ein Bisschen Schlamm an den Beinen und er hat mich stehen lassen. So wie ich jetzt aussehe, nimmt der mich niemals mit!" ging ihm durch den Kopf.

Langsam ging Benny rückwärts zu seinem Truck. Dann brachte er eine Kette und wies Raymond an: "Mach die hinten an Deinem Auto fest, der Junge in der Mitte kann inzwischen auch mal aussteigen und her kommen!" Jordan atmete erleichtert auf, er wollte ihn doch mitnehmen. "Nein, kann er ohne Hilfe nicht. Warte!" Raymond hatte geantwortet, nun löste er den Sicherheitsgurt und dann die Fesseln. Jordan rannte erleichtert auf den Sattelzug zu, wo ihn der Fahrer anwies: "Bleib neben dem LKW stehen. Erst mal regeln wir jetzt das da. Dir kann nichts mehr passieren, ich habe alles im Auge." Raymond stieg wieder ein, auch Benny kletterte ins Führerhaus. Jordan blieb direkt neben der Fahrertür. Nach einigen Minuten stand Raymonds Pickup wieder auf der Straße. Der brachte sogar ein "Danke!" hervor, stieg ein und brauste in nördlicher Richtung los.

Benny schaute Jordan an und meinte: "Und nun zu Dir. Wir haben wenig Zeit, weil ich nicht weiß, was diese Freaks im Schilde führen. Zieh Dich komplett aus, ich hab Klamotten im Führerhaus." Er kramte die Sporttasche unter der Liege heraus. Jordan stieg draußen aus Hose und Pullover, bevor er in die Kabine kletterte: "Da drin sind zumindest Shorts, Unterhemd und T-Shirt. Hatte ich zwar gestern schon mal an, aber besser als Deine Sachen jetzt ist das allemal. Mit Hose und Pullover kann ich leider nicht dienen." Jordans dreckige Unterwäsche nahm Benny draußen in Empfang und steckte dann alles in den Trailer.

Als er ins Fahrerhaus zurückkam, saß Jordan in Shorts und Unterhemd auf dem Beifahrersitz und zog sich gerade das Shirt über den Kopf. Benny fuhr eilig nach Süden los, während er die Heizung an den oberen Anschlag hoch drehte, um seinen leicht bekleideten Beifahrer zu wärmen. Dann eröffnete er das Gespräch: "Erst einmal Entschuldigung für heute Morgen. Hätte ich gewusst, was Dich erwartete, dann hätte ich Dich mitgenommen. Ich bin übrigens Benjamin, aber sag ruhig Benny." – "Und ich heiße Jordan. Sei froh, dass Du mich da nicht mitgenommen hast. Denk nur an Samuel, den sie zusammengeschlagen haben." – "Wer sind die eigentlich?" – "Der mit dem gebrochenen Arm ist mein Bruder." Jordan erzählte nun die Ereignisse der letzten zwei Tage.

Als er endete, stellte er fest, dass Benny nicht auf den Interstate 90 gefahren war, sondern zunehmend engere Straßen benutzte. Also hatte er die Unterhaltung heute Morgen wohl doch nicht vergessen. Er seufzte leicht. Immerhin würde es ihn bei Benny nicht so sehr stören, wenn der Sex mit ihm hatte, wie bei der Qualle mit dem Honda gestern. Aber trotzdem war er enttäuscht, dass es seinem Retter nur um das Eine ging.

Benny merkte, dass Jordan sich plötzlich im Sitz aufrichtete und schwer atmete. "Was ist los?" fragte er. "Na ja. Du willst jetzt sicherlich mit mir…" Benny merkte, was sein neuer Begleiter dachte. "Keine Angst. Du denkst an Dein Angebot von heute Morgen? Du musst nichts machen, was Du nicht willst. Ich fahre nur Nebenstraßen, weil ich hundemüde bin und einen sicheren Platz für die Nacht haben will, ohne die Angst zu haben, dass uns Deine Nazi-Verwandtschaft auf einem Parkplatz am Interstate samt Truck abfackelt. Vermutlich bekäme ich nicht mal mehr einen hoch, wenn ich es versuchen würde…" Jordan war erleichtert.

"Bist Du hart im Nehmen? Dann könntest Du noch eben ins Wasser springen. Handtuch hängt in der Kabine überm Durchgang." Benny deutete auf den See rechts neben der Straße. Das Wasser war sicherlich bitter kalt. Aber es würde ihm nicht schaden, eher im Gegenteil. Also nickte Jordan, Benny hielt an und stellte den Motor ab. Jordan warf die Klamotten auf den Steinen ab, lief ins Wasser und schrie auf. Es war eiskalt. Nach einer kurzen Zeit allerdings gewöhnte er sich dran und begann, sich notdürftig zu waschen. Zitternd kehrte er in das Führerhaus zurück.

In einer Weggabelung schließlich setzte Benny den Truck zurück, zog die Handbremse an und machte den Motor aus. "Endstation für heute. Willst Du noch was essen?" Benny zog die Sandwichs hervor. Jordan nahm dankend eins an. Nach dem Abendessen zog Benny Jeans und Pullover aus, kletterte nach hinten auf die Liege und rief: "Komm her, wenn Du willst. Wir wollen zwar nicht miteinander schlafen, aber gegen zusammen schlafen hab ich zumindest nichts, weil der Sitz zum Schlafen ziemlich unbequem ist." Jordan dachte kurz nach und schaute in die Enge der Kabine. Die Alternative war der Sitz, der sich nur ein Bisschen nach hinten kippen ließ. Jordan schälte sich von dem Lederpolster und kletterte durch den Durchgang auf die Liege. Benny rückte ganz an die Rückwand, auch Jordan versuchte, ganz an der Vorderwand zu bleiben. Und trotzdem berührten sich, während Jordan sich bequem hinzulegen versuchte, ihre Schultern. Ein wohliges Kribbeln durchfuhr Jordan, während Benny bereits gleichmäßig atmete und nichts mehr mit bekam. Auch Jordan war schnell weggetreten.

Am nächsten Morgen wurde Benny durch Jordans Haare im Gesicht wach. Der Kopf des Punks lag nur ein paar Zentimeter vor seinem und ein paar Strähnen von dessen Iro kitzelten Benny an der Nase, überhaupt hatte sein Gast von der Koje die Zweidrittelmehrheit für sich gewinnen können. Umständlich kletterte Benny über Jordan aus der Schlafkabine, aber der wachte dabei dennoch auf. Also frühstückten sie gemeinsam aus dem Vorrat (Sandwichs und Cola zum Frühstück, bäh) und hörten dabei Radio, es liefen Nachrichten: "Und nun die Meldung des Tages aus dem State of Washington: Nazi-Ring in Spokane gesprengt. Nachdem sich letzte Nacht zwei Mitglieder der National Socialist Vanguards mit Unfallverletzungen in Odessa meldeten, nahm der örtliche Sheriff die Ermittlungen auf. Schnell waren Verbindungen zu Überfällen auf einen Jugendclub in Spokane und auf einen Fernfahrer in den letzten zwei Tagen hergestellt, weshalb die Staatspolizei den Fall übernahm. Die Ermittlungen dauern zur Stunde noch an und die Polizei hält sich mit Details zurück, um die Ergebnisse nicht zu gefährden. Allerdings nannte ein Polizeisprecher die jüngsten Ereignisse nur die Spitze des Eisberges. Die Polizei fordert alle Bürger, die in diesem Zusammenhang weitere Aussagen machen können, auf, sich auf der nächsten Wache zu melden." Vielsagend sahen sich Benny und Jordan an. Das Frühstück war beendet und Benny steuerte den Lastzug langsam wieder auf breitere Straßen, bis sie endlich den Interstate Highway erreichten.

Der Truck kletterte wieder den Bergkamm hinauf. Für Benny am gerade einmal dritten Tag seiner Fernfahrerkarriere schon alles Routine. Den Splitter bediente er inzwischen ohne Nachzudenken. Jordan schaute vom Beifahrersitz fasziniert zu. Nach der letzten Rast hatte Benny ihm auf Nachfrage das Getriebe erklärt. Jetzt guckte Jordan fast mehr auf Benny und seine Schaltmanöver, als aus dem Fenster. "Du magst LKW, scheint mir?" – "Ja. Und auch wenn es sich von jemandem, der bis gestern noch nie in einem Truck gesessen hat, blöd anhört, ich mag den Truckerberuf." – "Lagerfeuerromantik in der unendlichen Weite des mittleren Westens? Der moderne Cowboy? Vergiss die Hälfte und es passt." – "Ist mir schon klar, auch am Lenkrad geht es um Geld. Aber keinen Chef um die Ecke, keinen Sekretärinnentratsch, und so weiter." – "Das stimmt wohl. Ich kenne das seit ich ein Baby bin. Ich war 3 Monate alt, als ich das erste Mal mit meinen Eltern unterwegs war. Mein Opa war selber noch aktiv damals, meine Oma musste ins Krankenhaus und meine Tante tagsüber auch arbeiten. Also bin ich im Babykörbchen nach Nevada kutschiert worden. Und seit der Zeit hab ich schon die einen oder anderen 1000 Meilen als Beifahrer mitgemacht." – "Und wie lange fährst Du selbst?" – "Seit vorgestern." Lachend lehnte sich Benny an, Jordan stand der Mund offen. "Kein Witz, ich bin erst 18 Jahre und 5 Wochen. So viel Gelegenheit hatte ich noch nicht." – "Und wie geht das mit dem LKW-Führerschein?" – "Du brauchst nur einen PKW-Führerschein. Dann kannste Dich anmelden. Du musst eine Theorieprüfung bestehen und bekommst dann noch eine praktische Prüfung, bei der es aber mehr ums Rangieren geht. Zur Prüfung kannste zumindest hier an Deinem 18. Geburtstag antreten, wenn Du willst und einen Termin kriegst. Und dann darfst Du innerhalb vom Staat einen Lastzug fahren, so lange Du keine Gefahrenstoffe lädst. Dafür braucht man einen Extraschein, den gibt's erst mit 21. Und mit 21 gilt der Schein auch in den ganzen USA, Kanada und Mexiko. Wann wirst Du 18?" – "Gestern in genau einem Jahr." – " "Na dann herzlichen Glückwunsch noch nachträglich." – "Danke. Reich beschenkt hast Du mich ja gestern schon."

Irgendwann bemerkte Jordan: "Eigentlich fehlt nur noch Mundharmonikamusik, aber meine ist auf Samuels Truck liegen geblieben." – "Tja, dann werden wir wohl weiter mit Rock vom Band leben müssen", antwortete Benny lachend. Mit allerlei Unterhaltungsthemen verging die Zeit und am Nachmittag rollte der LKW durch den Hafen von Seattle und auf eine Fähre.

Immer näher kam Bennys Heimat und immer aufgeregter wurde Jordan daher. Die letzte Zeit hatten sie geschwiegen, jetzt ging es unaufhaltsam auf Bennys Elternhaus zu. Und so quälte Jordan dann die Frage heraus, die ihn schon längst beschäftigte: "Und wie geht es jetzt weiter?" – "Erst mal fahren wir zu mir nach Hause, meine Eltern sind eh nicht da. Über die Feiertage kannst Du erst mal da bleiben. Natürlich müssen wir noch zur Polizei und so. Du musst ja auch noch zu den Überfällen aussagen. Wie es dann weiter geht, hängt vermutlich nur ziemlich wenig von uns ab." – "Wann kommen Deine Eltern denn wieder?" – "Nach Neujahr vermutlich. Sie hatten einen schweren Unfall und sind in Colorado im Krankenhaus." – "Oh", entfuhr es Jordan nur noch.

In Port Angeles bog Benny von der Hauptstraße ab, rollte immer langsamer durch das Mischgebiet aus Wohnhäusern und Kleingewerbe und bog schließlich zwischen zwei Häusern in die Hofeinfahrt ab, über der das Schild Trethers Transports hing. Auf dem Hof wendete er den Truck und stellte ihn erst einmal auf dem Platz für den Lastzug seiner Eltern ab. "So, Jordan, wir sind da. Der Trailer ist offen, hol Deine Klamotten raus und komm dann ins Haus. Landest eh in der Waschküche, ich warte da, dann kriegst Du was Neues zum Anziehen und danach müssten wir mal einkaufen. Ich hab nämlich nix da und die nächsten zwei Tage ist auch hier Weihnachten." – "Ich kann auch alleine die Wäsche machen. Leg mir Sachen raus…" – "Ist es Dir peinlich, in einer fremden Stadt mit einem fremden Jungen einkaufen zu gehen?" – "Na ja. Ich weiß ja nicht, wie die Leute in der Kleinstadt so drauf sind, wenn die Eingeborenen plötzlich mit einem schrägen Typen einkaufen gehen." – "Locker. Die kannten hier sogar schon Punks, bevor ich Dich angeschleppt habe." Eigentlich wollte Jordan sich außerdem, wenn er alleine war, ein Taxi kommen lassen, ins Stadtzentrum fahren und ein Geschenk für Benny kaufen.

Nach 20 Minuten saßen sie in Bennys GMC Pickup und fuhren in Richtung Einkaufszentrum am Stadtrand. Hier schlug Benny als erstes den Weg in die Drogerie ein: "So, dann versorg Dich mal. Zahnbürste und Rasierer mindestens, ob Du eigenes Deo, After Shave und so brauchst, musst Du wissen. Kannst auch mit mir Synchrondufting machen." – "Wer weiß, was Du für Veilchenwasser hast. Aber zum Rasieren reicht bei mir ein scharfes Lineal."

Nach dem Drogeriemarkt murmelte Jordan schließlich: "Entschuldige mich für 10 Minuten", und marschierte alleine los. Benny sah ihm nach, in Richtung Toiletten ging er ja nicht gerade. Hm, vielleicht sollte er mal über ein Weihnachtsgeschenk nachdenken. Aber was schenkt man einem Punk, den man nicht mal richtig und persönlich kennt? Da war doch was… Sogar eine Musikhandlung gab es hier im Zentrum, schließlich war da auch Bennys E-Gitarre her. Der Inhaber schaute das kleine Instrument auf dem Tresen an, als Benny an die Kasse kam: "Na, Benny? Ist die LKW-Batterie nicht stark genug für den Verstärker?" – "Nee, nee, Bill. Die Mundharmonika ist ein Geschenk für einen Freund. Als solches kannst Du es auch gleich einpacken, sonst endet das bei mir nur mit in der Schleife festgebundenen Fingern."

Auch Jordan düste durch die Gänge und dachte verzweifelt an ein Geschenk. Er mochte Weihnachten zwar nicht, aber irgendwas musste er Benny einfach schenken. Der nahm ihn zu Hause auf, seine Eltern lagen weit weg im Krankenhaus und er hatte sich Weihnachten sicherlich anders vorgestellt. Romantisch in Familie, das übliche eben.

Und dann sah er dieses Gedicht in dem Bastelgeschäft. Es war auf Holz eingebrannt, die Standplatte mit Kastanien, Bucheckern und anderen Baumsamen herbstlich verziert. Es war kitschig, es entsprach nicht wirklich dem, was Jordan bisher empfand und dachte, aber er entdeckte Benny und sich irgendwie darin wieder. Nachdem er nie etwas von Kirche und Religion gehalten hatte, hatte er gestern das erste bewusste und freiwillige Gebet seines Lebens gesprochen, Benny möge ihn aus seiner Lage befreien und selbst unversehrt bleiben. Und genau das war passiert. Jordan konnte sich nicht erklären, wieso er seitdem so viel Positives erfahren hatte. Und wenn es wirklich von Gott kam, warum er ihm, der er nie etwas von Religion gehalten hatte, so viel Gutes an einem Tag tat. Ihre Wege hatten sich auf der ewigen Reise durch ihr Leben gekreuzt und Jordan konnte sich eigentlich gar nicht genug bei Benny bedanken, immerhin verdankte er ihm sein Leben.

If I am thankful for one thing,
I know that this is true;
I'm thankful God has blessed me,
With such a friend as you.
He has given to my life,
Blessings I cannot explain;
For I am least deserving,
And yet His love remains.

Still He saw fit to send you,
When He knew I needed a friend;
He set our paths so they would cross,
On a journey with no end.
So, I am thankful in this life,
For blessings tried and true.
But most of all I am thankful,
That God sent a friend like you.

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Er ließ sich von der Verkäuferin das Gedicht auch als Geschenk einpacken. Diese erzählte dabei: "Das hat mein Sohn Steven gemacht. Er ist 15 und sitzt im Rollstuhl seit er 4 ist. Basteln ist alles für ihn." Jordan wusste nicht, was er darauf sagen sollte, die Verkäuferin merkte es und half ihm darüber hinweg: "Du bist neu in Port Angeles? Dann wirst Du noch merken, wie offen hier alles ist. Hier redet jeder über seine Sorgen, damit erst gar keine Probleme daraus werden. Wenn Du morgen Nachmittag um 3 Uhr in die Baptistengemeinde kommst, kannst Du meinen Sohn sehen und ihn im Gottesdienst ein Chorsolo singen hören. So, bitte schön und frohe Weihnachten." Sie gab Jordan das Geschenk, er bezahlte von so ziemlich seinem letzten Bargeld und ging wieder raus.

Benny stand auch wieder an der Stelle, wo sie sich getrennt hatten und nun stand der Lebensmittelmarkt auf dem Plan. "Bist Du Allesfresser oder müssen wir irgendwas vermeiden?" – "Ich esse eigentlich alles." – "Okay, dann dachte ich an Putenschnitzel mit Pfirsich-Sahnesoße und Reis. Das können wir beide Tage essen. Wollen wir gleich noch Plätzchen backen?" – "So richtig mit bemehltem Tisch, Ausstechen, bunter Farbe, Silberperlen, Zuckerstreuseln und so?" – "Wenn Du willst auch die, ansonsten noch Walnuss-Brownies und eine Familientradition, die streng genommen nur aus paarweise mit Gelee aneinander gepappten, runden Plätzchen besteht. Ist eh derselbe Teig wie für die Ausstechdinger." So füllte sich der Wagen dann mehr und mehr, bis sie schließlich mit ihren Einkäufen am Auto ankamen.

Nach der Heimfahrt ging es gleich in die Küche. Zuerst die Teige vorbereiten, dann während der Ruhezeit schnell die Tiefkühlpizza in den Ofen und essen, schon startete die Backsession. Die Brownies kamen als erstes in den Ofen, danach begann der spaßige Kampf mit dem geruhten Teig, Mehl, Wallholz und Ausstechförmchen – oh, die riesengroße Kleckerei in der Weihnachtsbäckerei. Irgendwann hatten sie die Plätzchen bis zur maximalmöglichen Ausnutzung des Teiges ausgestochen und rangelten sich gerade um den Rest. Benny hatte nach der Schlacht einen Teigkrümel in seinem Goatee hängen und reichlich Mehl auf dem Pullover. Jordans Iro würde bestimmt auch nirgends mehr haften bleiben und das weiße Mehl bildete einen lustigen Kontrast zu seinen dunklen Haaren. Nach der kurzen Backzeit ging dann der Spaß mit Zuckerguss, Lebensmittelfarbe und Dekorstreuseln weiter. Schließlich brachten sie die Küche wieder in Ordnung, bevor Benny in sein Zimmer ging, seine dreckigen Klamotten auszog und in Unterwäsche ins Bad ging. Nach einiger Zeit kam er wieder raus und schickte Jordan rein. Inzwischen startete Benny die Waschmaschine mit den ganzen dreckigen Sachen und Jordans eingeweichter Kleidung von gestern.

Nachdem sie sinnlos ferngesehen und später die Plätzchen probiert hatten, ging es langsam in Richtung Bett. Wie würde das wohl ablaufen? Jordan war gespannt, besonders weil in Bennys Zimmer ein Doppelbett stand. Aber Benny machte sich am Sofa zu schaffen, das nach wenigen Handgriffen zu einem weiteren Doppelbett geworden war. Also getrennte Betten. Jordan fragte sich, ob Benny überhaupt an ihm interessiert war. Andererseits hatte er sich ja nicht einmal wirklich geoutet. Ein Sexangebot aus der Verzweiflung, das er am gleichen Abend quasi wieder zurückzieht ist ja nicht wirklich dazu geeignet, dass Benny annehmen könnte, Jordan wäre auch schwul.

An diesem Abend schlief Benny wieder auf Anhieb ein, während Jordan sich schlaflos im Bett wälzte. Er fand Benny interessant, er fand ihn attraktiv. Irgendwie hatte der freie Punk sich verliebt. Nun war aber die bange Frage, was Benny davon halten würde. Okay, der war dem Kettenanhänger zufolge schwul, immerhin diese Zitterpartie blieb Jordan erspart. Aber was empfand er für ihn? Aufgenommen haben konnte er ihn aus allen möglichen Gründen, Mitleid, schlechtes Gewissen, Interesse, Liebe. Wie sollte er vorgehen? Benny seine Liebe gestehen? Vorsichtig herantasten? Eigentlich war der Text auf seinem Geschenk ja schon eine halbe Liebeserklärung, auch wenn es beim ersten Lesen wie eine einfache Freundschaftsbekundung aussah. Wie würde Benny das aufnehmen? Irgendwann überkam auch Jordan ein unruhiger Schlaf.

Als Benny am nächsten Morgen wach wurde, schlief Jordan noch fest. Dieses Mal war es für Benny kein Problem, unbemerkt aufzustehen, sich zu duschen und das Frühstück vorzubereiten. Aufgeweckt vom Kaffeeduft kam Jordan auch in die Küche, nur in Shorts und Filzpantoffeln, mit nacktem Oberkörper und außermittig gedrücktem Iro gab er ein komisches Bild ab. "Willst Du Dich vielleicht vor dem Frühstück duschen und anziehen?" fragte Benny lachend. "Bevor Du Dich über mich tot lachst, ist's vielleicht besser", knurrte der Gefragte zurück.

Nachdem Jordan auch wieder so zivil aussah, wie das bei ihm eben möglich war, frühstückten sie mit Kaffee und den Plätzchen. Danach ging es an das Geschenke tauschen. Benny packte zuerst aus und erkannte natürlich als erstes, von wem dieses Kunstwerk gebastelt worden war. Immerhin kannte er Steven aus der Kirchengemeinde. Auch er stellte nur fest, dass der Text gut auf ihr kennen lernen passte. Danach war Jordan an der Reihe, der sich über die Mundharmonika freute wie ein kleines Kind und sofort Pachelbels Kanon anstimmte, das einzig feierliche Stück, das er konnte. Benny griff zur E-Gitarre und begann mit starker Verzerrung die Grundakkorde dazu zu spielen, dann das Thema mit leichten Variationen aufzunehmen. Hierbei hangelte er sich an der Rock-Version des Trans-Siberian Orchestra entlang und übernahm auch den Gesangspart, auch wenn seine Stimme dazu eigentlich zu tief war. Aber weder wusste er, ob Jordan diese Version kannte, noch war es dem möglich, gleichzeitig zu singen und Mundharmonika zu spielen. Da half auch die passendere Stimme nichts.

Nachdem sie den Vormittag mit Musizieren und Kochen verbracht hatten und ein spätes Mittagessen hatten, fragte Benny: "Wie sieht es mit Dir aus? Ich würde jetzt gerne in die Kirche gehen." – "Hm, ich bin kein großer Kirchgänger gewesen. Aber mitkommen würde ich vielleicht doch. Die Verkäuferin von Deinem Geschenk hat es mir empfohlen. Aber…" – "Was aber? Dann zieh Dir Schuhe und Jacke an, damit wir los können." – "Lässt man mich wirklich so hier in die Kirche?" – "Klar, warum nicht? Ich war in dieser Kirche schon als offen geouteter Schwuler Mitglied im Jugendchor und Trauzeuge meines Schulkameraden. Da werden wir mit ein Bisschen Gel in den Haaren und drei Piercings schon klar kommen. Dein Gassi-Halsband hast Du ja heute zum Glück gleich gar nicht um gemacht." Jordan antwortete mit einem Knurren, dass Benny beinahe versucht war, den "Kampfhund" doch anzuleinen. So saßen sie nach ein paar Minuten in Bennys Pickup und fuhren in Richtung Stadtzentrum.

Dort gingen sie in die Kirche, für Jordan einerseits alltäglich, aber andererseits auch neu. Alltäglich, weil seine Eltern ihn auch immer dorthin schleiften, neu wegen der Atmosphäre. In Spokane ging es immer sehr streng zu, alle waren sehr formell angezogen und ab der Kirchentür herrschte andächtige Stille. Er ging hier nun mit seiner extravaganten Frisur, der kunstvoll durchlöcherten Jeans und seiner reichlich gebrauchten Lederjacke in die Kirche, Benny trug wieder einmal eine blaue Jeans, heute einen weißen Pullover mit einem eingesetzten Streifen, auf dem ein dunkelrotes Tribal-Band zu sehen war und darüber eine Jacke mit Tarnfleckmuster. Alleine diese Jacke hätte gereicht, um achtkantig aus der Kirche von Jordans Eltern zu fliegen. In dem Gebäude standen die Leute vor dem Gottesdienst in losen Trauben und unterhielten sich angeregt. Ein ungefähr 14-jähriger Junge trug schwarz gefärbte Haare, die ihm bis auf Kinnhöhe quer durchs Gesicht hingen und war auch sonst völlig schwarz gekleidet. In Spokane ein heißer Kandidat für eine Teufelsaustreibung.

Benny, von dem hier jeder wusste, dass er schwul war, wurde freundlich begrüßt, einige Leute sprachen ihm kurz ihr Mitgefühl über den schweren Unfall seiner Eltern aus und ließen Grüße und eine gute Besserung ausrichten. Schließlich begrüßte er einen ungefähr gleichaltrigen Jungen, der bereits mit einem schwangeren Mädchen, ebenfalls in ihrem Alter, in einer Bank saß. Dann setzte er sich daneben und gab Jordan ein Zeichen, sich auch zu setzen und eröffnete die Vorstellungsrunde: "Das ist Jordan. Ich habe ihn gestern Abend auf meiner Tour mit dem LKW aufgesammelt und er bleibt jetzt erst einmal ein paar Tage bei mir. Jordan, das ist mein Schulfreund Tim und seine Frau Mandy." Auch die beiden fragten Benny, wie es seinen Eltern gehe. Der hatte offenbar mit ihnen telefoniert, als Jordan im Badezimmer war, denn er sagte, dass es ihnen heute Vormittag schon deutlich besser ging und sie würden wahrscheinlich schon am Tag vor Silvester entlassen, wenn sie sich hier regelmäßig vom Hausarzt untersuchen ließen.

Dann begann der Gottesdienst, auch dies war nicht die steife Zeremonie wie Jordan es kannte. Der Pfarrer verstand es, alle Altersgruppen anzusprechen, das Programm war mit modernen wie traditionellen Gemeindeliedern, sowie Aufführungen des Jugendchores, in dem Bastelkünstler Steven mitsang, eines Gospelchores und einiger junger Männer mit Konzertgitarren und Gesang, wobei auch Benny mitwirkte, aufgelockert und wirkte teilweise mehr wie ein Kirchenkonzert. Erstmals fühlte sich Jordan in einer Kirche wohl. Und als Benny nach dem Gottesdienst fragte, wie er es fand, antwortete Jordan entsprechend: "Genial. Das war der tollste Gottesdienst, den ich jemals erlebt habe. Ist das immer so hier?" – "Nicht ganz so sehr. An Weihnachten wollen natürlich die meisten Leute nicht von zu Hause weg sein, um sich lange Predigten anzuhören, also gibt es einen Konzertgottesdienst. Aber auch sonst ist es eher locker, mit viel Musik und interessant gestalteter Predigt und Lesung."

"Apropos viele Worte. Ist die Polizei weit weg von hier? Ich muss ja noch aussagen und dann habe ich es hinter mir." – "Nein, gleich in der Parallelstraße, knapp 500 Meter weiter." Also lenkte Benny seinen Pickup vor die Wache und sie gingen rein. Die Frau an der Rezeption fragte, was sie wünschten und Jordan antwortete: "Mein Name ist Jordan Cordell, ich möchte zu den National Socialist Vanguards in Spokane aussagen." – "Einen Moment. Und sie?" – "Ich bin nur der Fahrer." Sie hatten sich entschieden, dass Benny nicht aussagen würde, da er während der Jagd einige Male seine CDL gefährdet hatte. Jordan würde behaupten, dass er sich nach dem Unfall selbst befreien konnte und auf der Straße von Benny gefunden wurde. Selbst wenn Nathan und Raymond eine andere Version bringen würden, war die Frage, ob man dieser glauben würde oder nicht. Die Kratzer, Beulen und Rostspuren an Raymonds Auto waren auch vor Bennys Attacken schon zahlreich genug. Die Hälfte aller Autos des Bundesstaates musste die Karre schon mal gerammt haben. Bennys Lastwagen hatte gar nichts abbekommen, um die unlackierte Edelstahlstoßstange aus mehrere Millimeter dickem Blech zu beschädigen brauchte man eher panzerbrechende Waffen.

Jordan wurde von einem Polizisten in ein Büro geführt, wo er die hinlänglich bekannte Geschichte mit leichter Änderung des Showdowns erzählte. Der Polizist nahm ein Protokoll auf und gab das Papier dann an eine Schreibkraft zum Tippen. Anstatt sich zu verabschieden, öffnete er dann eine Schublade und zog eine Akte heraus. "Mr. Cordell, Sie sind mit 17 Jahren nicht volljährig. Ihre Eltern haben sich von Ihnen distanziert und werden obendrein der Unterstützung einer nicht verfassungskonformen Vereinigung beschuldigt. Daher hat die Kirchengemeinde von Spokane, der Sie angehören, angeboten, Sie in einer Einrichtung für Waisen aufzunehmen, bis Sie die Schule und eine Berufsausbildung abgeschlossen haben." – "Was?" schrie Jordan auf. "Sie dürfen nicht alleine leben, Ihre Erziehungsberechtigten sind in Untersuchungshaft und somit bleibt nur ein Waisenhaus. Entweder ein staatliches, oder ein kirchliches. Da sich die Kirche bereiterklärt hat, Sie aufzunehmen, ist dies also unsere bevorzugte Lösung." – "Aber ich will nicht zu dieser Kirche und in deren Heim. Kann ich nicht hier irgendwo in ein Heim oder bei einer Familie leben, die mich aufnimmt?" – "Dazu müssten Sie aus der dortigen Kirche austreten. Dann kommen Sie in ein staatliches Heim oder wenn Sie einer anderen Kirche beitreten und diese eins betreibt, in deren. Aber das muss bei der Kirche in Spokane erfolgen. Eine Aufnahme in eine Pflegefamilie müsste diese Familie dort beantragen. Also geht es jetzt erst einmal dorthin." Während der Polizist zum Telefon griff, liefen erste Tränen über Jordans Wangen. Aus und vorbei.

Ein Beamter kam rein, zog den protestierenden Jordan aus dem Stuhl und bugsierte ihn auf den Flur. Benny sah die Szenerie und sprang auf, Jordan schrie ihm zu: "Die Hunde bringen mich zurück nach Spokane. Ich komme in ein Heim von der Scheiß-Kirche meiner Eltern da!" Bevor Benny antworten konnte, war Jordan durch die Verbindungstür in Richtung Innenhof geschoben worden und er selbst wurde höflich, aber bestimmt durch die Vordertür hinausgebeten.

Niedergeschlagen fuhr Benny nach Hause, ließ sich mit einer Flasche Bier in den Sessel fallen und dachte über ihr kurzes Zusammensein nach. Hätte er es wirklich nicht verhindern können, wenn er Jordan sofort aufgenommen hätte? Hätte sein Bruder ihn dann aufgespürt und beschossen, oder wäre die Spur zu verwischt und der Vorsprung zu groß gewesen? Jordan war ein netter Junge, auch wenn er ziemlich verwegen aussah. Bestimmt hätte er das eine Jahr bis zu seinem 18. Geburtstag und darüber hinaus hier wohnen dürfen und hätte den Bruder ersetzen können, den Benny nie hatte.

Auf dem Tisch stand Jordans Geschenk, inzwischen von vier Bierflaschen eingerahmt. Benny sah sich den Text genauer an. Wie in jeder Sprache, war die Unterscheidung zwischen "Freund" und "Freund" auch im Englischen nicht ohne den Kontext möglich. Man konnte zwar für den Geliebten "Boyfriend" einsetzen, aber man musste es nicht. Aus Jordans Sicht war das Gedicht einerseits eine Danksagung für die Rettung, aber genauso gut mit dem geänderten Kontext eine Liebeserklärung an Benny. Noch einmal las er das Gedicht, jetzt stellte er fest, dass es auch umgekehrt passte. Auch er, Benny, konnte glücklich sein, dass er einen Freund wie Jordan gewonnen hatte. Noch auf der Auffahrt zum Stevens Pass hatte er sich einen Freund, gleich welcher der beiden möglichen Arten, gewünscht. Bilder der beiden vergangenen Tage kamen ihm wieder vor Augen. Die Unterhaltung neben seinem Truck, bei der Jordan Sex anbot, als Benny der Kettenanhänger aus dem Kragen rutschte. Dann die Bewunderung beim Fahren, er hatte weniger auf die Schalthand geguckt, er hatte ihn selbst angesehen. Auch die erwartungsvolle Haltung beim Weg ins Schlafzimmer und die interessierten Blicke, als Benny nur in Shorts ins Bad ging, waren ihm aufgefallen. Das war keine einfache Freundschaft, Jordan schien wirklich auf Jungs zu stehen und musste sich in ihn verliebt haben. Nun fielen ihm seine eigenen Gedanken ein. Der Entschluss nach Jordan zu suchen oder wie er abends zu ihm in die Schlafkoje krabbelte und seine letzte Wahrnehmung war, wie sie aneinander stießen, auch hier der Weg nur in Shorts ins Bad. Wie blind musste man sein, um sich selbst zu verlieben, ohne es zu merken? In den Jungen, der einen selbst liebt, ohne auch das zu merken? Bierflasche Nummer 8, die Benny inzwischen in den Händen hielt, schlug mit lautem Klirren am Kamin ein, während ein markerschütterndes "WARUM????" durch das Haus hallte. Danach fegte er, von Weinkrämpfen geschüttelt, die übrigen sieben vom Tisch, auch eine Schale mit ihren selbstgebackenen Plätzchen und ein Teller Nüsse lernte dabei fliegen. Während er seinen Schlüsselbund mit dem Flaschenöffner aus der Tasche geholt hatte, war ihm auch schon sein Portmonee dort hin gefallen und lag mit der CDL nach oben in der Mitte dieses Chaos.

Auf Streife fuhr ein Polizeiwagen durch die Siedlung und Benny schrie mit letzter Kraft seines Tobsuchtanfalls das geschlossene Fenster an: "Frohe Weihnachten, ich hoffe es geht wenigstens Euch gut!"

Nachwort

Komische Weihnachten, oder? Wie ich schon im Begleittext eines früheren Teils angedeutet habe und auch andere Autoren immer wieder berichten, haben diese Geschichte und ihre Charaktere ein ziemliches Eigenleben entwickelt. Eigentlich ist man selbst dieses Eigenleben, so ist auch die Idee für dieses ursprüngliche Ende in einem privaten Formtief entstanden. Weil es für ein wirkliches Ende aber zu weit im luftleeren Raum steht, sollte in einem kurzen Epilog noch der weitere Werdegang der Charaktere erläutert werden. Aber dieser Epilog hat ebenfalls Eigenleben entwickelt und steckt gerade noch "in der Pubertät", wo er von einem kurzen Abschlusstext zu einem vollwertigen Kapitel heranwächst…

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