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Christmas in July...

oder wie angel ich mir einen Freund

Weihnachtschallenge 2012

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Inhaltsverzeichnis

Januar 2006

Montag, 2. Januar, mein erster Arbeitstag an meiner neuen Arbeitsstelle an einer Frankfurter Klinik als Chirurg.

Nach meinem Studium in Frankfurt, nach meiner Promotion und Facharztausbildung in den Staaten und in der Schweiz, sowie nach einer unglücklichen Beziehung bin ich nun wieder zurück. Aufgrund eines Hinweises meiner Mutter, die an selbiger Klinik als Anästhesie-Oberärztin arbeitet, bewarb ich mich und erhielt die Zusage.

Freitag, 6. Januar 2006

Ich hatte Rufbereitschaft, es war früher Nachmittag, die Leitstelle der Berufsfeuerwehr rief bei uns an und bestellte aufgrund der bevorstehenden Landung von Christoph 2, dem Frankfurter Rettungshubschrauber, einen „großen Bahnhof“.

Großer Bahnhof bedeutete, dass ein Oberarzt und ein Assistenzarzt der Chirurgie, sowie ein Oberarzt, ein Assistenzarzt und ein(e) Fachschwester, -pfleger der Anästhesie den/die PatientIn in Empfang nahmen und nach entsprechender Diagnoseerhebung die weiteren erforderlichen Maßnahmen einleiteten.

Ich stand nun mit unserem Assistenzarzt in der Ambulanz. Dabei tranken wir einen Kaffee. Eine Oberärztin und ein Anästhesist erschienen und wir hielten noch einen kurzen Plausch.

Die Tür ging auf und herein kam ein Kerl, grüne OP-Kleidung, herunterhängender Mundschutz, hektisch umherblickend. Er überprüfte das Narkosegerät, die Anschlüsse für Druckluft, Sauerstoff, den Halothan-Verdampfer, schraubte am EKG-Monitor herum und brummelte die gesamte Zeit vor sich hin. Die Sprache verstand ich nicht, ich hatte aber den Eindruck, dass es sich um einen bayerischen Dialekt handelte.

„Entschuldigung?“

„Hä?“

„Verzeihung, wer sind sie?“

„Aha, sie sind neu?“

„Mh, ja, bin ich. René Gundlach, Funktionsoberarzt Chirurgie, seit einer Woche hier. Nur mal so nebenbei erwähnt.“

„So? Koppsi. Stellvertretender leitender Anästhesiepfleger. Nur mal so nebenbei erwähnt. Wo ist der 2er? (er meinte damit Christoph 2) Habt ihr die Messer und das Fallbeil schon gewetzt?“

Er wartete meine Antwort gar nicht ab, drehte sich weg und brummelte weiter vor sich hin.

<Was war denn das für ein Programm jetzt?>

Christoph 2 landete mit einem Bahnmitarbeiter, dem bei Rangierarbeiten beide Beine abgetrennt wurden. Der OP-Saal stand bereit, das Personal war informiert, der Patient wurde übernommen und 20 Minuten später begann ich mit der OP.

Nach 7 Stunden wurde ich von meinem Chef abgelöst. Auch in der Anästhesie wechselten die Ärzte. Nach 13 Stunden war die OP beendet. Am Tag darauf diktierte ich den OP-Bericht und stellte bei der Durchsicht von OP- und Anästhesieprotokoll fest, dass Koppsi als Einziger die gesamte OP durcharbeitete.

<Ein Arschloch, aber er imponierte mir.>

In Gesprächen bei der Arbeit und bei Kaffestunden im Haus meiner Eltern erfuhr ich, dass Koppsi schwul war, einen Freund hatte und dass er ein eifriger Demogänger war. Er arbeitete bei der Antifa mit und wenn eine Nazi-Demo im Rhein-Main-Gebiet stattfand, war Koppsi hundertprozentig bei der Gegendemo zu finden.

Die Zeit verging. Bei einer Operation verabreichte meine Mutter dem Patienten die Narkose – und herein kam ER. Koppsi. Im ersten Moment wäre mir fast die Klemme aus der Hand gerutscht. Ein ausgeprägtes Hämatom am rechten Auge, etliche Schrammen an Stirn und Wangen – der Rest war durch den Mundschutz verdeckt. Anscheinend wusste meine Mutter bereits Bescheid über die Hintergründe, denn sie reagierte keineswegs erstaunt.

„Verzeihung Koppsi, was ist denn mit dir passiert?“

„Musst dich nicht entschuldigen. Ich bin wieder solo.“

Sein folgendes Lachen war garantiert im benachbarten OP-Saal zu hören.

„Deswegen bist du so übel zugerichtet?“

„Wie? Nein. Die Trennung war sehr ruhig und gediegen. Aber die gestrige Demo war es nicht.“

<Das hätte ich mir ja sofort denken können. Eigentlich war meine Frage unnötig.>

„Und mit wem hast du dich geprügelt?“

„Ich wollte gerade einer Glatze eine einschwenken. Habe ausgeholt und plötzlich stand ein Bulle vor mir. Bis ich das geschnallt habe, war es zu spät. Ich konnte nicht mehr bremsen. Jetzt hat er ein blaues Auge. Na, und dann kamen seine Kollegen. Da fragt mich doch dann einer ob ich schwul wäre, weil ich ihn wohl etwas ausgezogen habe, so blicktechnisch meine ich, so mit den Augen halt. Habe ihm dann geantwortet: It’s cool to be schwul, but it’s higher to be a Bayer. Also den Joke haben die gar nicht verstanden. Egal, nix kaputt. Verheilt wieder.“

<So, Koppsi war also wieder solo. Nun denn.>

Er mutierte in meinen Augen von einem Oberarschloch zu einem lieben, chaotischen, spontanen, hibbeligen, aufgewühlten, wuseligen, schnuckeligen Kerl. Ich begann mich für ihn zu interessieren, um nicht zu sagen ich verliebte mich von Tag zu Tag ein klein wenig mehr in ihn. Ich fühlte mich immer mehr zu ihm hingezogen und es begann das Stadium, in dem ich mir in den verschiedensten Alltagssituationen vorstellte, dass er dabei wäre oder ich mich fragte, wie er wohl nun reagieren würde.

Ich stand unter der Dusche und dachte an ihn.

Ich saß am Esszimmertisch und stellte mir vor, wie schön es wäre, wenn er neben mir sitzen würde.

Ich sah TV/DVD, und stellte mir vor, dass er neben mir sitzen würde, aneinander gekuschelt.

Ich kam mir hilflos vor. Ich wusste nicht, wie ich an ihn privat rankommen sollte.

Ich wohnte im selben Ort, außerhalb von Frankfurt, in dem meine Eltern ihr Haus hatten. Ich besuchte sie oft, meistens zu einem gemütlichen Abendessen und stellte fest, dass Koppsi ein häufig anwesender Gast in meinem Elternhaus war. Ab und zu stand er sogar in der Küche und kochte ein 3-Gänge-Menü. Er war ein begnadeter Hobbykoch. Sein Cordon-Bleu? Eine sehr eigenwillige Kreation, und eine äußerst schmackhafte dazu.

Eines Abends besuchte ich kurz meine Mutter.

„Mum, wie alt ist eigentlich Koppsi? Wann hat er Geburtstag?“

„Das weiß ich doch nicht. Warum möchtest du das wissen?“

„Ich meinte nur. Einfach so. Kein bestimmter Grund.“

„Erzähle mir keinen Mist. Ich schaue morgen bei uns im Bereitschaftszimmer nach. Wir haben einen Geburtstagskalender unserer Abteilung. Er müsste eigentlich dort vermerkt sein. Bist du scharf auf ihn? Er ist als Schwiegersohn genehmigt.“

„Blöde Kuh. So meinte ich das nicht.“

„Die blöde Kuh kostet dich eine Flasche Wein. Und halte mich nicht für blöder, wie ich eh schon bin.“

Am folgenden Wochenende war ich bei meiner Mutter. Mein Vater war beruflich im Ausland unterwegs. Meine beiden Schwestern wohnten weiterhin in unserer norddeutschen Heimat und waren nun zu Besuch. Als ich kurz mit der Klinik telefonierte, schob mir meine Mutter einen Zettel zu: „21. Juli 1960“.

<Danke Mum. 13 Jahre älter? Na und. Ist mir doch egal.>

Es wurde ein denkwürdiger, sehr informativer Abend. Meine Schwester Sarah war mit Koppsi in einem Gespräch vertieft. Koppsi erzählte von seinem Leben und ich hörte mehr als interessiert zu.

Er erzählte von seiner Kindheit im Waisenhaus in Bad Tölz, von seiner Schulzeit in Offenburg, von seiner Lehre in Freiburg, von seiner Bundeswehrzeit in Koblenz, von seiner Zeit in Rheinfelden, von seiner Zeit in Genf und von seinem jetzigen Leben in Frankfurt.

<Was war in Rheinfelden passiert? Bei dieser Lebensstation geriet seine Stimmung in ein bedenkliches Stadium.>

Es kam der 14. März 2009, ein Samstag. Meine Mutter kuschelte, wie so oft, mit Koppsi.

„Koppsi, was hast du heute noch vor?“

<Ich muss ja nun endlich mal etwas anleiern.>

„Ich? Nix. Aber der Herr Doktor könnte sich ja mal im Garten etwas betätigen. Muss ja nicht immer ich machen.“

Meine Mutter schoss in die Höhe und verabschiedete sich mit der Bemerkung:

„Ich geh noch shoppen. Tschüss ihr beide.“

<War ich endlich allein mit ihm? Privat. Konnte ich mich endlich mal mit ihm unter 4 Augen ernsthaft unterhalten?>

„Gundi, nimm mich mit.“

<Bitte, nein. Bleib hier.>

„Geht nicht Koppsi. Ich fahr mit dem Fahrrad und fahr noch bei Isabelle vorbei.“

<DANKE MUM>

Zwei Stunden später lag ich auf der Couch und sagte immer noch nichts. Er auch nicht.

„Koppsi?“

„Mh“

„Bist du wach?“

„Was für eine bescheuerte Frage. Nein, ich schlafe tief und fest.“

„Wie geht es dir?“

<Mein Schwachsinnsdialog war sicherlich nicht Grimme-Preis verdächtig.>

„Mir geht es glänzend, du Depp.“

„Koppsi?“

„Mh“

„Wer bist du?“

„Wie meinst du?“

„Wer du bist? War doch eine einfache Frage.“

„Inwiefern?“

„Du bist ein lebenslustiger Typ. Gehst zum Eishockey. Du bist gesellig. Du bringst mit deiner Art den gesamten OP zum Lachen. Ich habe dich einmal in der Bahn morgens beobachtet. Alle ziehen eine missmutige Grimasse. Du kommst herein und verbreitest gute Laune. Letzte Woche war ich in der Kaiserstraße auf dem Markt. Du warst in der Bierbrezel...“

„Du beobachtest mich?“

„Irrtum. Ich war auf dem Markt, und habe dich zufällig gesehen. Ich war keine 10 Meter von dir entfernt. Die Bedienung begrüßt dich mit Kuss. Aber alle weiteren Gespräche blockst du ab. Wer bist du? Bist du so introvertiert wie an diesem Tag? Oder war das ein Schauspiel? Ist deine lebensfrohe Art ein Schauspiel? Warum bist du aus Rheinfelden geflüchtet? Dein Umzug nach Genf war doch eine Flucht? Wer bist du wirklich? Ich möchte den Menschen, den ich liebe, gerne verstehen.“

<Wumms. Ich habe es endlich geschafft.>

„Lieben? Vergiss es. Du bist gar nicht meine Gewichtsklasse.“

„Was? Wieso? Ich wiege 76 kg.“

„Du Arsch. Du bist 13 Jahre jünger. Du wirst mein Freund, wenn mein Geburtstag und Weihnachten zusammen fallen. Und jetzt fahren wir nach Frankfurt, gehen ins Schweijk, anschließend zu Bärbelchen ins Birmingham, und dann suche ich dir mal einen Mann. Den darfst du dann nach Herzenslust liebhaben. Bekommst dann von mir auch meinen persönlichen Segen.“

<Geburtstag und Weihnachten zusammen fallen? Koppsi, du Arschloch, das hättest du nicht zu mir sagen dürfen.>

„Was sagst du zu meinen Fragen?“

„Du hast anscheinend einiges mitgehört, und einiges beobachtet. Kennst du das Lied von Mary und Gordy, “Es ist nicht leicht ein Clown zu sein“? Hör es dir mal an...

Es ist nicht leicht ein Clown zu sein

Wer immer lacht, dem glaubt man nicht,

dass er auch weinen kann.

Und wenn ihm fast das Herz zerbricht,

man sieht es ihm nicht an.

Und von mir erwartet ihr

nur Spaß und schönen Schein;

es ist nicht leicht ein Clown zu sein.

Wer immer lacht, dem glaubt man nicht,

dass er auch weinen kann.

Und wenn ihm fast das Herz zerbricht,

man sieht es ihm nicht an.

Und von mir erwartet ihr

nur Spaß und schönen Schein;

es ist nicht leicht ein Clown zu sein.

Der Mensch liebt Freunde, die gerne lachen,

die ihm das Leben leichter machen.

Doch mit Problemen, mit unangenehmen

ist man doch meistens irgendwie ganz allein.

Wer immer lacht, dem verzeiht man nicht,

dass er auch einmal weint.

So wie man auf das Wetter schimpft,

wenn die Sonne mal nicht scheint.

Jeder möcht' von mir mit Recht

ein Lächeln wär's auch klein.

Es ist nicht leicht ein Clown zu sein.

Wie soll ich euch nur zum Lachen bringen

wenn mir die Späße nicht gelingen?

Und würd' ich mich zwingen zu lustigen Dingen

es ginge daneben, ich bin auch nur ein Mensch.

Wer immer lacht, dem glaubt man nicht,

dass er auch weinen kann.

Und wenn ihm fast das Herz zerbricht,

man sieht es ihm nicht an.

Dass mich heut die Welt nicht freut,

könnt ihr mir das verzeih'n?

Es ist nicht leicht ein Clown zu sein

© Mary und Gordy

„...ich hatte drei Beziehungen. Der 1. war Patrick. Er hat mich nach zwei Jahren einfach verlassen. Ohne Vorwarnung, Ankündigung. Wir hatten keinen Streit, keinen Ehekrach. Nix. Das Ganze passierte vier Monate vor meinem Staatsexamen. Ich hätte fast alles versemmelt. Der 2. war Schappi. Mit ihm war ich über vier Jahre zusammen. Es war meine Rheinfeldner Zeit. Dann kam sein kleiner Bruder bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Schappi und sein Bruder. Sie waren ein Traumduo. Er schenkte ihm einen Discman. Mit diesem ist er über die Straße gelaufen und hatte wegen der Musik wohl das Auto nicht gehört. Schappi machte sich Vorwürfe. Ich konnte reden, reden, reden. Ich habe in der gesamten Zeit alle ehrenamtlichen Tätigkeiten ruhen lassen. Mit Ausnahme vom Bereitschaftsdienst war ich nur noch zuhause. Es half nichts. 7 Wochen später hat er sich aufgehängt.“

<Eine Stunde lang heulte Koppsi und sagte keinen Ton. Ich hielt ihn im Arm.>

„Schatz“

„SCHNAUZE“

„Verzeihung Koppsi. Es sind 15 Jahre vergangen. Wie lange möchtest du dich noch quälen? Was ist mit Cappi? Mit ihm warst du 12 Jahre zusammen?“

„Cappi? Ja. Da habe ich auch versagt. Altenpfleger. Er kam nicht mehr mit der beruflichen Alltagssituation zurecht. Gearbeitet. Besoffen. Zum Schluss war er nicht mehr in der Altenpflege, sondern in einem psychiatrischen Pflegeheim in Oberursel. Da waren keine Alten. Der jüngste Patient war 26. Auf dem Weg vom Bahnhof zum Pflegeheim ist er in den Penny rein und hat sich zwei Flachmänner gekauft. 5 Minuten später waren sie gesoffen. Ich hatte kapituliert. Ich hatte nicht mehr die Kraft alles zu regeln. Sollte ich meine Arbeit auch noch aufs Spiel setzen? Du siehst also, dass du dich in einen Versager verliebt hast. Such dir einen anderen. Ich fahre jetzt heim.“

„Schatz?“

„Von wem redest du?“

„Koppsi?“

„Ja?“

„Von dir natürlich!“

„Oh weia.“

„Ist mir egal. Ich liebe dich.“

„Welch ein großer Satz“

„Ich weiß.“

„Du weißt? Dann weißt du ja auch: mein Geburtstag und Weihnachten. Tschüss.“

„Warum gibst du mir keine Chance? Insgeheim möchtest du dir doch selbst keine Chance erteilen. Darunter soll ich leiden? Darunter willst du leiden? Koppsi, einen solch bescheuerten Menschen wie dich habe ich noch nicht getroffen.“

„René, lass mich einfach in Ruhe.“

„NEIN“

„Unterhalte dich doch mit Ignatius.“

„Wer zum Donnerwetter ist Ignatius?“

„Das ist der Rosenstrauch neben eurem Fischteich im Garten.“

„WAS?“

„Das habe ich doch eben erklärt.“

„Koppsi, lass mich dein Psychotherapeut sein. Wer ist Ignatius?“

„Ignatius ist der Rosenstrauch...“

„STOP. Ich weiß, Gartenarbeit beruhigt...“

„Richtig.“

„HALT DEIN MAUL. Eine Rose ist weiblich. Wieso Ignatius?“

„Hast du mal erlebt, dass ein Mann Widerworte von sich gibt? Eine Frau sehr wohl. Ich stutze Ignatius und er erduldet meine...“

„STOP. Koppsi, Schatz, du bist doch nicht normal.“

„Das stimmt. Ich liege ja schon stundenlang mit dir hier herum.“

<Was ist denn das für ein irrer Typ?>

Er stand auf, rief sich ein Taxi und fuhr heim.

Ich saß da. Sprachlos, hilflos, tatenlos, willenlos.

Meine Mutter kehrte irgendwann zurück.

„Mum, warum? Bin ich nicht attraktiv? Bin ich solch ein Arschloch?“

„Nein. Im Gegenteil. Er liebt dich.“

„Wie? Dann habe ich aber etwas Gravierendes verpasst.“

„Er gibt dir doch ständig Signale...“

„Spinnst du?“

„...hör mir einfach mal zu. BITTE. Er sagt dir, dass er Gartenarbeit liebt. Das sieht man ja auch bei uns. Er war selten so gepflegt. Hast du ihm ein einziges Mal angeboten, dabei zu helfen?“

„Nein.“

„Er hat nach der Trennung von Cappi Stoffel übernommen.“

„Wer ist Stoffel?“

„Siehst du. Du hörst ihm gar nicht richtig zu. Stoffel ist der Jack-Russell-Terrier. Hast du ihm ein Mal den Vorschlag gemacht, ihn beim Gassi gehen zu begleiten?“

„Nein.“

„Er sagt, dass er zum Eishockey der Frankfurt Lions geht. Hast du ihm ein einziges Mal den Vorschlag gemacht, ihn zu begleiten?“

„Nein.“

„Er sagt, dass er St.-Pauli-Fan ist. Hast du ihm ein einziges Mal den Vorschlag gemacht, ein schönes Wochenende in Hamburg zu verbringen und dabei ein St.-Pauli-Spiel zu besuchen?“

„Nein.“

„Er sagt, dass er immer nach Garmisch in den Urlaub fährt. Hast du ihm ein einziges Mal den Vorschlag gemacht, mit ihm zusammen dort unten Ski zu fahren?“

„Nein.“

„Wie viele Signale möchtest du eigentlich noch? Wenn es zwischen dir und Koppsi nichts wird, kannst du dich vor den Spiegel stellen und laut schreien ‘ICH BIN SELBST SCHULD‘. Ich muss in die Klinik. Tschüss.“

Es war Anfang Juni. Heiß. Montag. Koppsi sprang frohgelaunt im OP herum.

„Koppsi, ist etwas Außergewöhnliches passiert?“

„ES WAR SO GEIL“

„Mh, was denn?“

<Bitte erzähle jetzt nichts von einem berauschenden Sex-Erlebnis.>

„Ich wohne doch im Gutleut-Viertel. Gegenüber von mir hat ein Marokkaner bei diesem Wetter immer das Fenster geöffnet und seinen Vogelkäfig auf der Fensterbank. Zu all dem Gezwitscher lässt er dann noch marokkanische Volksmusik laufen, aber derart laut, dass die gesamte Straße beschallt wird.“

„Mh, und?“

„Gestern (ein Sonntag) habe ich meine Boxen an die Balkontür gestellt, Richtung Straße, volle Lautstärke, und habe „O du fröhliche, o du selige“ abgespielt. In zwei Minuten war beim Marokkaner Totenstille. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.“

„Koppsi, ich liebe dich.“

„Ja, du weißt. Geburtstag und Weihnachten an einem Tag. Dann bin ich dein Schatz.“

<Koppsi, ich bekomme dich. Du weißt es nur noch nicht.>

Es folgten arbeitsintensive, hektische Tage.

Telefonate, Blitzbestellungen, Faxe, Mails, Besprechungstermine.

Mittwoch, 21. Juli 2010

Mein geliebter Koppsi wird 50.

„Koppsi, feierst du eigentlich deinen 50.?“

„Nein. Ich habe auch schon mal meinen Geburtstag vergessen. Bedeutet mir nichts. Ich mache am 23. im OP-Bereitschaftsraum einen Umtrunk mit Buffet. Das war es.“

„Und was machst du am 21.?“

„Nichts. Ich muss doch am Donnerstag arbeiten.“

„Mh, ok.“

Am 20. hatte ich alles beisammen. Zwei Engelskostüme und ein Nikolauskostüm von den Städtischen Bühnen. Adventskranz binden lassen. Die Materialien bekamen wir vom Kronberger Revierförster. Eine kleine Tanne hatten wir im elterlichen Garten ausgegraben. Die Nachbarn von Koppsi waren informiert. Wir warteten auf den 21.7., 21.30 Uhr. Da war es bereits einigermaßen dunkel.

Wir kamen um 23.35 Uhr bei Koppsi an.

Warum so spät?

Ein Nikolaus, zwei Frauen im Engelskostüm (meine Mutter und eine befreundete Internistin), eine Tanne auf der Rückbank – das Ganze in einem Cabrio. Und hinter uns ein Polizeiwagen.

Koppsi hätte wohl gesagt: GANZ GROSSES KINO.

„Allgemeine Personenkontrolle.“

„Verzeihung, ich habe in der Hektik keine Papiere mitgenommen. Ich habe nur meinen Arztausweis dabei. Neben mir sitzt meine Mutter und hier hinten, das ist eine Kollegin von mir, Fr. Dr. Schwarzbach.“

„Aha. Sie befinden sich auf einem Betriebsausflug? Sie arbeiten sicherlich in der Psychiatrie?“

„Nun ja, also nicht so ganz wirklich.“

<Was erzählt man eigentlich in solch einer Situation? Ich war echt überfordert.>

Nach 40 Minuten Alkoholkontrollen, Drogen-Schnelltest, Diskussionen und Erklärungen wurden wir „entlassen“ und durften weiterfahren.

Mittlerweile war es richtig dunkel.

Meine Mutter mit zwei Glöckchen und brennendem Adventskranz, Birgit mit Ghettoblaster und brennendem Tannenbaum und ich mit dem Geburtstagsgeschenk für Koppsi (eine Woche für zwei Personen in Garmisch-Partenkirchen).

Ich klingelte.

<Lass ihn bitte zu Hause sein und wenn es einen Gott gibt, dann bitte bitte allein.>

Treppenhausbeleuchtung

Türsummer

Meine Mutter voraus

Birgit hinterher

Ghettoblaster in Betrieb genommen und „Stille Nacht, heilige Nacht“ erschallen lassen.

Andere Wohnungstüren öffneten sich und Nachbarn schauten dem Spektakel zu.

Im 1. OG stand Koppsi, Shorts, nackter Oberkörper.

„WAS IST DENN HIER LOS?“

„Schatz, alles Gute zum Geburtstag. Du sagtest mal etwas von Geburtstag und Weihnachten an einem Tag? Happy Chrismas. ICH bin dein Weihnachtsgeschenk.“

Mum und Birgit gratulierten ihm zum Geburtstag und wünschten „Frohe Weihnachten“, nahmen meine Autoschlüssel, und ließen uns allein.

Ich stand immer noch vor seiner Wohnungstür und schaute ihm nur in die Augen.

„Was bist du ein wahnsinniges, deppertes Arschloch.“

Er stand da und heulte.

„Koppsi, ich liebe dich.“

„Jetzt glaub ich es auch. Herrgott, lecks mich doch am Arsch...“

Wir lagen uns in den Armen.

„Schatz, es gibt Äußerungen, die sollte man gegenüber einem Schwulen, geschweige denn gegenüber seinem Freund tunlichst unterlassen.“

Wir sind immer noch ein glückliches Paar.

Ich wünsche allen ein frohes Weihnachtsfest.

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