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Auf der Tour

Teil 2

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Inhaltsverzeichnis

Chris: Kitzbühel ist nicht meine Welt

Die Fahrt nach Kitzbühel verlief ohne besondere Vorkommnisse. Maxi und Fynn waren während der Fahrt entweder mit dösen oder telefonieren beschäftigt.

Der amerikanische Kombi von Karl überzeugte mit Luxus und Leistung. Ich hatte nach kurzer Eingewöhnung meine Freude, dieses Fahrzeug zu fahren.

Als wir das Ortsschild passierten, wurde mir bewusst, in welchen Luxusort wir einfuhren. Überall waren Pensionsschilder mit teuren Luxusautos davor. Hier machte der Geldadel Urlaub.

Innerlich fühlte ich mich unwohl. Es war nicht meine Welt, mit Luxus und Geld zu protzen. Diese Art von Menschen war mir äußerst unsympathisch. Dass es auch anders gehen kann, hatte mir Marc mit seinen Kindern deutlich gezeigt.

Leider war ich ja nicht freiwillig an diesem Ort. Hier wurde ein Tennisturnier veranstaltet, dass auf der ATP-Challenger Tour ausgerichtet wurde. Natürlich war das für die Sponsoren sehr attraktiv, weil viel Geld von den Zuschauern mitgebracht wurde. Für mich war es ein Grund, keine Minute länger auf der Anlage zu verbringen als unbedingt nötig.

Während Fynn und Maxi ihr Zimmer im Hotel bezogen, nahm ich Kontakt mit der Turnierleitung auf. Ich benötigte für heute noch einen Trainingsplatz und unsere Ausweise.

Deshalb hatte ich meine Jungs gebeten, meine Tasche mit nach oben in ihr Zimmer zu nehmen. Ich würde direkt zum Turnierbüro fahren. Heute wurde bereits der zweite Tag der Qualifikation gespielt, deshalb konnte ich mein Vorhaben auch direkt angehen.

Auf dem Weg zur Turnierleitung klingelte mein Handy.

„Hallo Thorsten, was verschafft mir die Ehre?“

„Hi Chris. Seid ihr schon in Kitzbühel angekommen oder noch unterwegs?“

„Ich bin auf dem Weg ins Turnierbüro. Was liegt an?“

„Folgendes: Christoph hat Dustin die Freigabe erteilt, wieder auf dem Platz zu trainieren. Jetzt ist aber keiner mehr hier, der für ihn als Trainingspartner sinnvoll wäre. Tim und Carlo sind mit Toto auf einem Juniorenturnier und Burghard ist mit Petko unterwegs. Vielleicht hast du ja eine Idee.“

Zur Erklärung: Petko ist der Spitzname von Andrea Petkovic. Diesen letzten Satz hatte er mit einem lachenden Unterton gesagt. Das sagte mir, dass er sich eigentlich schon etwas ausgedacht hatte.

„Hm, aber du hast ja nicht vorgehabt, Dustin mit Petko trainieren zu lassen, oder? Da wäre Andrea vermutlich in einen Lachflash gekommen.“

„Nein, aber sie hat bereits vor ihrer Abreise eine Einheit mit Dustin gemacht und da hat Dustin sich sehr gut aus der Affäre gezogen. Trotz der Pause.“

Das überraschte mich schon etwas. Ich war eher davon ausgegangen, dass Dustin sich erst langsam wieder heranarbeiten müsste.

„Ok, und das war mit Christoph abgesprochen? Ich dachte, Dustin sollte sich langsam wieder herantasten.“

„Genau richtig. Das war auch das Problem. Dustin hat auf die Frage von Petko einfach zugestimmt und mit ihr trainiert. Es ist glücklicherweise nichts passiert.“

Dabei stockte mir ein wenig der Atem. Das hätte richtig böse enden können.

„Mist. Ich hoffe, Christoph hat ihn dafür ordentlich zusammengefaltet.“

„Allerdings, aber hier kann ihn kaum jemand beaufsichtigen. Wir hatten ja geplant, dass er nach Genf nachreist und dort vielleicht ein Doppel spielen könnte. Was hältst du davon, wenn ich ihn übermorgen auf die Reise nach Kitzbühel schicke, er mit euch trainiert und du dort entscheidest, ob er in Genf spielen kann oder nicht.“

Ich überlegte einen Augenblick und fand diese Idee allerdings gar nicht verkehrt.

„Wann würde er hier ankommen?“

„Ich hatte gegen Abend angedacht, dass ihr den ersten Tag noch in Ruhe spielen könnt. Abends würdest du ihn vom Bahnhof abholen.“

„Ich denke, dass wird aber nur funktionieren, wenn Dustin verspricht, seinem Freund nichts davon zu erzählen. Fynn soll sich auf sein Spiel konzentrieren.“

„Hab ich mir auch schon gedacht, deshalb habe ich das mit Dustin bereits geklärt. Er hat mir hoch und heilig versprochen, das für sich zu behalten.“

„Gut, dann machen wir das so. Hast du meinen Bericht über München schon gelesen? Wir haben einiges erlebt.“

„Allerdings, das kannst du wohl laut sagen. Marc scheint ein echt cooler Typ zu sein. Ich finde es bemerkenswert, wie normal er seine Kinder erzieht und dies vor allem auch so positiv bei den Kindern angekommen ist. Ich bin davon überzeugt, dass Marc genau der richtige Förderer ist. Ich gebe Dustin übrigens einen Umschlag für Marc mit. Ich gehe mal davon aus, dass er sich in Genf sehen lassen wird.“

„Hat er bereits angekündigt und fünf Karten für das Turnier erbeten. Er wollte die Karten sogar bezahlen.“

„Hallo? Das hast du ihm hoffentlich ausreden können.“

„Ja, ich werde mich dort darum kümmern. Sollte kein Problem werden. Ich freue mich ehrlich gesagt darauf, die restliche Familie kennenzulernen.“

„Das glaube ich dir gern. Also gut. Ich schicke Dustin übermorgen früh auf die Reise und maile dir dann die genaue Ankunftszeit.“

Ich steckte das Handy wieder ein und setzte meinen Weg in das Turnierbüro fort. Dort bekam ich meine Ausweise und auch noch einen Trainingsplatz zugewiesen. Wenn auch der Ort, bzw. die Besucher des Ortes mir unsympathisch waren, die Organisatoren machten einen tollen Job.

Ich beeilte mich, zurück ins Hotel zu kommen. Dort nahm ich endlich eine heiße Dusche und informierte meine beiden Jungs über den weiteren Verlauf. Mittlerweile spielte sich das immer besser ein. Sie wussten genau, was sie zu tun hatten und was ich erwartete. Heute hatte ich mir vorgenommen, die Jungs richtig zu scheuchen. Auch mental forderte ich sie deutlich mehr als sonst. Ich wollte damit bereits heute den Fokus auf das Turnier legen. Hier bestand eine gute Möglichkeit, wertvolle Punkte für die Weltrangliste zu ergattern.

Eine gute Stunde später stand ich bereits mit den beiden auf dem Platz und scheuchte sie ordentlich hin und her. Sie waren voll dabei und es machte Freude, sie so arbeiten zu sehen. Ich brauchte sie nicht anzutreiben, eher war das Gegenteil der Fall. Manchmal musste ich gerade Fynn etwas bremsen, damit er nicht zu ungestüm wurde. Er wollte mir unbedingt zeigen, dass er aus den Erfahrungen in St. Peter Ording gelernt hatte.

„Stopp! Haltet bitte den Ball an und kommt einmal hier zusammen.“

Der Schweiß lief bei beiden in Strömen und zum Abschluss wollte ich noch eine Konzentrationsübung machen.

„Zum Abschluss folgende Übung. Ich gebe das Tempo vor und ihr müsst mir den Ball immer mit der gleichen Geschwindigkeit präzise zurückspielen. Ihr spielt abwechselnd.“

Sie nickten und schon ging es weiter. Jetzt konnte ich sehen, dass es auch Fynn wirklich gelang, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Mir gab es zum Abschluss ein gutes Gefühl und daher beendete ich mit dieser Übung das heutige Training.

Was mir nicht verborgen geblieben war: Wir hatten ständig Beobachter am Zaun stehen. Teilweise waren es Jugendliche, aber auch andere Spieler schauten uns beim Training zu. Das fand ich doch etwas ungewöhnlich, zumal wir ja eher Außenseiter und unbekannt in der Profiszene waren.

Ich hatte meine Jungs zum Auslaufen und Duschen geschickt und war selbst auf dem Weg in die Umkleide, als mich ein Spieler ansprach:

„Sorry, wenn ich Sie anspreche, aber ich habe euch beim Training beobachtet und wollte anfragen, ob einer der Jungs vielleicht Lust hätte, mit mir morgen früh zu trainieren.“

Erst als ich genauer hinsah, erkannte ich ihn. Andreas Seppi. Ein bereits sehr erfolgreicher Profispieler, der leider eine schwere Verletzung zu verkraften hatte.

„Hallo Andreas, ich heiße Chris. Ich denke, dass meine Jungs sich sicher geehrt fühlen und gern mit dir trainieren würden. Wann hast du gedacht?“

„Ich trainiere mit meinem Coach um halb neun. Kommt doch um halb neun zu Platz neunzehn.“

„Sehr gut. Danke. Ich werde pünktlich mit beiden dort sein.“

Ich wollte schon weiter in Richtung Dusche gehen, aber mir ging ein Gedanke nicht aus dem Kopf:

„Warum hast du gerade uns gefragt? Hier gibt es viele, weit bessere Spieler für dich.“

Lächelnd erwiderte er: „Richtig, aber ich mag es, wenn junge Nachwuchsspieler hart arbeiten und sich durchkämpfen wollen. Außerdem kenne ich deinen Bruder sehr gut. Er hat mir auch schon geholfen. Jan ist ein hoch angesehener Coach auf der Tour.“

Jetzt unterhielten wir uns doch noch ein paar Minuten, aber ich musste unter die Dusche, weil mein Rücken drohte, kalt zu werden.

„Sorry Andreas, aber ich muss unbedingt unter die heiße Dusche. Mein Rücken wird mich sonst morgen böse bestrafen. Ich bin ja schon etwas älter als du.“

Er lachte kurz, gab mir die Hand und wir verabschiedeten uns bis morgen.

Unter der Dusche musste ich doch etwas schmunzeln. Ausgerechnet meine beiden Nachwuchsspieler wurden von einem erfahrenen ehemaligen Top zwanzig Spieler als Trainingspartner ausgesucht. Das war schon etwas Besonderes. Jetzt musste ich meine Jungs vorsichtig darauf vorbereiten. Ich entschloss mich aber, das erst morgen früh bekannt zu geben.

Nach dem Duschen wartete ich wie besprochen auf die Jungs, um mit ihnen die Auslosung zu besprechen. Hier war es nämlich so, dass die Auslosung bereits während der Qualifikation veröffentlicht wurde. Fynn hatte eine Aufgabe, die auf dem Papier als nicht unlösbar erschien. Ein junger Grieche, Rangliste um die 200.

Maxi hatte gleich einen ganz dicken Brocken bekommen. Er musste gegen Dustin Brown antreten, den deutschen Rasta-Man. Ich war sehr gespannt, ob Maxi sich beeindrucken lassen würde. Da war das Training mit Andreas sicher ein guter Test.

Für uns war der Tag sehr anstrengend gewesen und deshalb hatte ich einen freien Abend genehmigt. Wobei frei hieß, dass kein Programm anstand, aber die Jungs im Hotel bleiben und sich ausruhen sollten.

Ich saß unten in der Lobby und studierte insbesondere die Daten von Fynns Gegner. Viel wusste ich nicht über ihn und es gab auch nur wenige Informationen. Da fiel mir ein, dass Jan eine der größten Datenbanken erstellt hatte, die es in der Trainerszene gab. Vielleicht konnte er mir weiterhelfen. Ich nahm deshalb mein Handy und schrieb ihm eine SMS, in der ich ihn um Auskünfte über Stefanos Tsitsipas nachfragte. Da ich nicht genau wusste, wo und was er gerade tat, war das so üblich. Er würde sich bei mir melden, sobald er die Zeit dafür hatte.

Ich hatte mir gerade einen alkoholfreien Cocktail bestellt und es mir in der Lounge bequem gemacht, da meldete sich mein Handy.

„Na, das ist aber ein prompter Service. Hi, Jan.“

„Hallo Bruderherz, du bist in Kitzbühel, richtig?“

„Genau, morgen haben wir noch einen Trainingstag und dann geht es am Montag richtig los. Du hast ja in der SMS gelesen, was für ein Anliegen ich habe.“

„Klar, ich schicke dir die Daten gleich per Mail rüber. Habe aber gerade etwas Zeit und dachte, wir quatschen mal ein wenig.“

„Ja, das finde ich sehr schön. Wie läuft es bei dir mit Gilles?“

„Ganz gut, morgen spielt er Finale. Ich bin also sehr zufrieden mit dem Turnier hier. Wie läuft es mit deinen Jungs? Sind sie immer noch fleißig?“

„Auf jeden Fall. Ich habe keinen Grund zur Klage. Manchmal sind sie noch zu leicht abzulenken, aber meine Güte, sie sind noch sehr jung. Ich bemühe mich, sie an ihre Grenzen zu bringen.“

„Das tust du ganz sicher. Ich habe von Thorsten die Berichte gelesen. Da habe ich ein gutes Gefühl. Wie geht es Dustin? Wann kann er wieder spielen?“

„Oh, er kommt übermorgen hier an. Fynn weiß davon noch nichts. Ich verspreche mir einen Motivationsschub für ihn. Auch, wenn Dustin hier noch nicht spielen wird, aber er fährt mit in die Schweiz und soll dort vielleicht im Doppel spielen.“

„Na, da wird sich aber jemand freuen. Hoffentlich lenken sie sich nicht zu sehr ab.“

Danach mussten wir beide lachen.

„Nein, ich denke, da werde ich schon aufpassen, aber ich glaube sie werden beide sehr froh sein, wieder gemeinsam unterwegs sein zu können.“

„Ganz sicher. Außerdem gibt es keinen besseren Coach für die beiden als dich. Ich befürchte nur, es wird nicht immer so problemlos ablaufen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Tenniswelt schon für einen homosexuellen Spitzenspieler bereit ist.“

„Da bin ich mir auch nicht sicher, aber bis zum Spitzenspieler haben wir auch noch ein großes Stück Weg vor uns. Ich werde meinen Teil dazu beitragen.“

„Davon bin ich überzeugt. Ich habe dir die Daten geschickt, außerdem habe ich dir einen Zugang eingerichtet für meine Datenbank. Dann kannst du von überall auf alle Daten zugreifen.“

„Danke, das ist eine erhebliche Erleichterung. Ich melde mich bei dir, bevor wir in die Schweiz fahren.“

„Alles klar und viel Erfolg.“

Damit war das Gespräch mit meinem Bruder beendet. Es war eigenartig. Ich hatte nicht viele so harmonische Gespräche mit ihm in der Vergangenheit. Erst seit etwa zwei Jahren wurde unser Verhältnis spürbar besser. Komisch, meine Gedanken gingen nach Hause und in die Zeiten, wo wir uns ständig stritten und ich ihm irgendwann nur noch aus dem Weg gegangen bin. Heute hatte ich das starke Gefühl, von ihm akzeptiert und unterstützt zu werden. Das tat mir gut. Gerade, seit ich allein unterwegs war.

Wie vereinbart erschienen Maxi und Fynn zur Gegner-Besprechung. Es war deutlich spürbar, dass gerade Fynn viel aufmerksamer und konzentrierter war, als noch in St. Peter Ording.

Ich stellte ihnen meine Überlegungen vor und Maxi war überhaupt nicht erfreut über seinen Gegner:

„Boah, das ist echt mies. Gleich so ein Los zu bekommen. Glaubst du ernsthaft, dass ich das schaffen kann?“

„Ich glaube, dass du ein tolles Spiel zeigen kannst. Mehr erwarte ich nie. Ein gutes Spiel. Allerdings bin ich überzeugt, wenn du ein gutes Spiel zeigst, ist alles möglich.“

Er kniff für einen Augenblick seine Augen zusammen und fixierte mich sehr skeptisch. Dann nickte er und kommentierte meine Aussage:

„Ok, ich verstehe. Es geht dir nicht darum zu gewinnen, sondern nur das Maximum zu geben. Was als Ergebnis herauskommt, ist sekundär.“

Nachdem alles geklärt zu sein schien, fragte Fynn:

„Glaubst du, dass ich das besser hinbekomme als in St. Peter Ording. Ich bin mir nicht sicher. Weißt du, ich schreibe und telefoniere regelmäßig mit Dustin, aber er fehlt mir einfach. Klar, du bist immer für mich da, aber du kannst mir Dustin nicht ersetzen. Seine Nähe und das Zusammensein fehlt.“

„Pass auf Fynn, da Maxi keine weiteren Fragen hat, lass uns beide doch einfach mal einen Spaziergang draußen machen. Da können wir uns in Ruhe darüber unterhalten.“

Ich nahm mein Handy und verließ mit Fynn das Hotel zu einem Spaziergang in lauer Abendluft.

„Wie geht es eigentlich deiner Familie? Du hast in letzter Zeit wenig erzählt. Was macht dein Verhältnis zu deinem Vater?“

„Warum habe ich eigentlich gewusst, dass du das irgendwann fragen würdest?“

Dabei mussten wir beide lachen. Er empfand meine Frage nicht als unangenehm, nur scheute er sich häufig, von zu Hause zu berichten.

„Weil wir uns schon gut kennen. Also, erzähl mir etwas.“

„Ich bin sehr zufrieden. Papa ist immer noch trocken und er hat mir vor zwei Wochen einen tollen Brief geschrieben. Er hat mir zum ersten Mal offen geschrieben, dass er stolz auf mich ist und sich heute viel besser fühlt. Er arbeitet wieder und wenn alles klappt, werden wir zusammen in Urlaub fahren.“

„Oh, das hört sich wirklich gut an. Wo und wann wollt ihr Urlaub machen?“

„Tja, das ist das Problem. Wir müssen ja eine Zeit abpassen, wo wir keine Turniere spielen. Weil, Dustin soll auch mitfahren.“

„Jetzt ehrlich? Deine Eltern möchten Dustin mit in den Urlaub nehmen? Das ist klasse. Gut, Termin ist tatsächlich nicht so einfach. Wollt ihr in den Sommerferien fahren oder wann?“

„Nein, Sommer wird ja wohl gar nicht gehen. Aber Papa hatte die Herbstferien ins Auge gefasst. Hast du für diese Zeit schon einen Turnierplan?“

„Nein, nicht so konkret. Also es sind noch keine Meldungen dafür erfolgt. Frag doch deine Eltern mal, wie konkret dieser Termin wäre. Ich würde diesen Plan unterstützen. Das würde ich sicher mit Thorsten und Jan geklärt bekommen, dass ihr da zwei Wochen zusammen Urlaub machen könnt, wenn nicht ein super wichtiges Turnier ansteht.“

„Das wäre echt klasse. Ich finde es gerade auch für Dustin ganz wichtig. Also…“

„Ach komm, du willst doch mit deinem Freund nur deinen Spaß haben.“

Diese kleine Spitze konnte ich mir nicht verkneifen. Vor einiger Zeit hätte ich mir das nicht getraut, weil Fynn darauf vermutlich sehr empfindlich reagiert hätte. Heute schaute er mich lachend an und erwiderte sehr entspannt:

„Klar, irgendwann müssen wir ja auch mal unseren Saft loswerden und gegen frischen auffüllen. Sonst werden meine Eier ja nie leer.“

Ich war perplex. Diesen Text hatte ich nun wirklich nicht erwartet. Wenn Dustin dabei gewesen wäre, hätte Fynn sich das auch niemals getraut. Ich musste lachen.

„Cooler Spruch. Da sage ich jetzt nichts mehr drauf. 1:0 für dich.“

„Nein, Chris. Ich will einfach für Dustin eine stabile Situation haben und mein Papa hat begriffen, dass Dustin mittlerweile etwas ganz Wichtiges für mich geworden ist. Ohne ihn fehlt mir einfach etwas.“

„Das ist genau der Punkt, worüber ich mit dir sprechen möchte. Wie geht es dir heute? Hier spielen viele sehr gute Leute mit. Ich hoffe, du konntest aus den Erfahrungen aus dem letzten Turnier etwas mitnehmen.“

„Es geht mir viel besser als dort. Klar, Dustin fehlt mir schon, aber ich kann mich beim Training viel besser konzentrieren. Ich glaube, ich kann hier wieder gutes Tennis zeigen. Du wirst sicher auf mich aufpassen, damit ich nicht wieder den gleichen Fehler mache und mich nicht bei dir melde, wenn ich Probleme bekomme.“

„Nein, ich werde nicht den Aufpasser spielen, weil ich davon überzeugt bin, dass du es besser machst.“

In diesem Augenblick überlegte ich, ob ich Fynn nicht sagen sollte, dass Dustin am Montagabend hier eintreffen würde, aber entschied mich dagegen. Es sollte ja auch ein Test für Fynn sein. Er sollte sich selbst beweisen, dass er allein spielen kann.

Wir gingen noch einige Zeit durch den Ort. Es gab noch eine Sache, auf die ich hinweisen musste:

„Denk morgen beim Training auch daran, dass die Bälle deutlich weiter und schneller fliegen, als in München.“

„Warum das denn? Haben wir hier andere Bälle?“

„Ja auch, aber in erster Linie liegt Kitzbühel höher als München und im Gegensatz zu St. Peter Ording erheblich höher. Also ist der Luftwiederstand kleiner durch die dünnere Luft. Vielleicht müssen wir auch mit der Besaitungshärte etwas nach oben gehen. Wir werden das morgen genau ausprobieren.“

„Meine Güte, woran du alles denkst. Da hätte ich jetzt nicht dran gedacht. Aber gut, das werde ich mir merken.“

Wir gingen durch kleine Straßen und überall standen teure Autos aus ganz Europa. Hier machte wirklich der gesamte Geldadel Europas Urlaub. Auch Fynn spürte meine Abneigung gegen diese Art des Auftretens.

Der Gipfel war dann eine aufgetakelte Frau mittleren Alters, die sich von Fynn belästigt fühlte, weil er auf dem engen Bürgersteig nicht sofort an die Seite gegangen war. In einem unmöglichen Wortschwall mit russischem Akzent, machte sie Fynn an. Da riss bei mir der Gelassenheitsfaden und ich machte ihr unmissverständlich deutlich, dass wir kein Stück zurückweichen würden und schon gar nicht auf diesen Ton hin. Das schien diese Dame nicht gewohnt zu sein, denn ihr Mund blieb offen stehen und es folgten einige Wörter auf Russisch, die wir nicht verstanden. Allerdings musste sie nun klein beigeben.

Mit Kopfschütteln über so viel Arroganz, gingen wir zurück zum Hotel. Als wir uns an der Rezeption zurückmeldeten, bekam ich meinen Zimmerschlüssel. Maxi war bereits auf ihrem gemeinsamen Zimmer und ich bat darum, dass wir noch ein kurzes gemeinsames Gespräch haben.

Einige Minuten später saß ich bei den beiden im Zimmer.

„Ich möchte auf die Begebenheit eben eingehen. Hat Fynn dir schon berichtet, Maxi?“

„Du meinst diese Tussi, die Fynn so angemacht hat? Ja, darüber hat er mir schon berichtet. Ätzend solche Typen, die meinen, nur weil sie Kohle haben, können sie sich alles erlauben.“

„Ja, ich sehe das genau so. Aber denkt bitte daran, lasst euch nicht provozieren. In solchen Situationen sich zwar nicht alles gefallen lassen, aber dabei nicht ausrasten. Das ist es nicht wert. Betrifft vor allem Fynn, wenn er mal mit Dustin unterwegs ist. Schwule sind immer besonders gern Ziel solcher Anfeindungen. Bitte reagiert dann besonnen.“

„Geht klar, Chris. Allerdings fällt das bei solch bösartigen, geistigen U-Booten sehr schwer.“

„Sicher, aber gerade diese U-Boote versenken sich meist selbst.“

Damit ließ ich das Thema auf sich beruhen und verabschiedete mich von den beiden. Sie sollten den Abend für sich sein können und ich konnte auch mal etwas abschalten. …..

Am nächsten Morgen musste ich meinen Cracks erklären, mit wem sie heute trainieren würden, ohne dass sie in Panik verfielen. Ich hatte mich dafür entschieden, es ihnen erst am Platz zu sagen.

Wir saßen beim Frühstück und Fynn schrieb natürlich mit Dustin. Maxi hatte sich eine Tageszeitung geholt. Das erstaunte mich allerdings schon etwas.

„Seit wann liest du denn eine Tageszeitung?“

„Seit Luc uns gestern geschrieben hat, dass wir Aufsehen erregt haben. Hier, sieh doch mal. Es gibt einen Bericht über das Turnier hier und über ein deutsches Nachwuchsteam. Ganz witzig, was hier geschrieben wird. Ich habe zwar keine Ahnung, von wem sie diese Informationen haben, aber lustig ist das schon.“

Er legte mir die Zeitung, passend gefaltet, auf den Tisch und ich las den Bericht. Je mehr ich aufnahm, desto mehr wunderte ich mich über den Inhalt. Mit uns hatte schließlich kein Pressevertreter gesprochen. Entsprechend unvollständig und teilweise falsch waren die Informationen, die dort standen.

„Unglaublich was sich Presseleute so alles zusammenspinnen können. Ich glaube, ich sollte mal mit dem Veranstalter sprechen, ob er dazu etwas sagen kann.“

Kopfschüttelnd legte ich das Papier an die Seite. Maxi schaute mich fragend an und auch Fynn hatte mitbekommen, dass ich nicht besonders gut auf diesen Artikel zu sprechen war.

„Kann man eigentlich gegen diese Presseleute nichts unternehmen, wenn sie so einen Unsinn schreiben?“

„Sehr schwierig, Maxi. Leider muss das immer mit Rechtsstreitigkeiten verbunden werden. Wir müssten sie verklagen auf Verleumdung oder bewusste Falschdarstellung. Das führt zu nichts und kostet viel Geld. Und so gravierend falsch ist es jetzt auch nicht. Also ignorieren und am besten mit guten Leistungen auf uns aufmerksam machen. Dann werden die wirklich wichtigen Presseleute aufmerksam und richtig berichten.“

Das Frühstück nutzte ich kurz, den Tagesablauf zu klären und zu fragen, ob sie an der Doppelkonkurrenz teilnehmen möchten.

„Wenn wir nicht spielen würden, müssten wir doch bestimmt eine Trainingseinheit zusätzlich machen.“

„Gut erkannt, Maxi.“

„Dann spiele ich lieber Doppel. Das macht mehr Spaß.“

„Komm, so schlimm ist das Training mit Chris nun auch nicht. Aber wenn ich schon wählen kann, dann lieber Doppel spielen.“

Diese lockere Stimmung zeichnete unsere Beziehung mittlerweile aus. Ich brauchte keine Autorität raushängen zu lassen, um gute Arbeitsergebnisse zu erzielen. Das machte mir natürlich die Arbeit deutlich einfacher. Deshalb war das für mich alles in Ordnung. Ich meldete also beide für die Doppelkonkurrenz und hatte mich mit beiden im Anschluss an Platz neunzehn verabredet. Dass Andreas Seppi dort auf uns warten würde, hatte ich noch nicht gesagt.

Wenige Minuten später marschierten wir in unseren Teamanzügen in Richtung Platz neunzehn. Überall auf den Plätzen herrschte schon reger Spielbetrieb. Heute war der letzte Tag der Qualifikation und viele Spieler bereiteten sich ebenfalls auf das morgen beginnende Turnier vor.

„Du Chris“, wunderte sich Maxi, „auf Platz neunzehn wird bereits gespielt. Bist du dir sicher, dass wir diesen Platz haben?“

„Ja, bin ich. Ich habe es gerade noch bestätigt bekommen. Allerdings nicht allein, wir teilen uns den Platz. Ihr werdet heute mit einem anderen Spieler gemeinsam arbeiten.“

Wir waren mittlerweile am Platz angekommen und Andreas schlug sich bereits mit seinem Coach ein. Maxi stutzte, denn er kannte Andreas Seppi aus vielen Turnieren, die er im Fernsehen gesehen hatte. Er flüsterte Fynn etwas ins Ohr und bevor sie auf komische Ideen kommen konnten, begrüßte ich Andreas auf dem Platz.

„Guten Morgen, schon so früh fleißig? Ich bringe dir deine Trainingspartner für heute.“

Dabei zeigte ich auf Maxi und Fynn und die beiden erstarrten förmlich. Andreas hielt den Ball an und begrüßte mich am Netz. Anschließend gab er meinen Jungs das Zeichen, auf den Platz zu kommen.

„Moin, ihr beiden. Keine Angst, ich beiße nicht. Ihr seid hier schon richtig. Ich hatte euch gestern beim Training beobachtet und Chris gefragt, ob ihr heute meine Trainingspartner sein könntet. Also was ist?“

Maxi hatte immer noch ganz große Augen, während Fynn seinen ersten Schock überwunden hatte und als erster reagierte:

„Da bin ich sofort dabei, aber du weißt ja sicher, dass wir dein Niveau noch nicht haben. Auch wenn du lange verletzt warst.“

„Los, nicht lange quatschen. Rauf auf den Platz. Wir schlagen uns locker ein. Chris wird es mit Massimo zusammen beobachten und das Training dann auch leiten. Wenn ihr Fragen oder Probleme habt, meldet euch. Wir wollen euch nicht überfordern, es soll auch Spaß machen. Schließlich wollen wir morgen ein gutes Turnier spielen.“

Dann schlug er die Hände der Jungs ab und es ging los.

Es begann recht gemäßigt und nahezu unmerklich erhöhte Andreas das Tempo. Sein Coach neben mir hatte ein Lächeln im Gesicht und kommentierte, was er da sah:

„Deine Jungs stellen sich gut an. Ich bin überrascht, wie gut sie das hohe Tempo mitgehen. Mein Gefühl ist sehr positiv. Wir werden von ihnen noch etwas mehr zu sehen bekommen. Gute Talente, die gut ausgebildet sind.“

Ich nickte wortlos. Mein Erstaunen gerade über Fynn wuchs ständig. Er war unglaublich auf den Ball fokussiert. Nach einer guten Stunde hartem Training fragte Andreas:

„Habt ihr noch Power für einen Satz?“

Maxi schüttelte den Kopf.

„Boah, wenn ich nicht morgen ein Turniermatch spielen würde, ja. Aber so, besser nicht. Was meinst du Chris?“

„Ich finde, etwas Spaß könnte uns gut tun. Ich schlage deshalb einen Satz Doppel vor. Ich spiele mit Andreas gegen euch. Verliert ihr, müsst ihr heute Abend kochen. Gewinnt ihr, lade ich euch zum Essen ein. Was meint ihr?“

„Deal“, sagten beide synchron und begannen zu lachen.

Ich war mir natürlich im Klaren, dass wir da auf verlorenen Posten standen. Selbst ein Andreas Seppi konnte eigentlich nicht allein gegen zwei hochtalentierte Jungprofis spielen. Ich hing mich zwar richtig rein und es machte auch einen Höllenspaß, aber letztlich verloren wir knapp. Andreas hatte sichtlich Freude an unserem Doppel. Er bedankte sich für das gute Training zuvor und wir verabredeten uns am Abend zum Essen. Ich musste wohl bezahlen, Wettschulden sind Ehrenschulden.

Unter der Dusche war natürlich gute Stimmung bei den beiden Jungs. Ich genoss das heiße Wasser auf meinem Rücken. Der morgige Tag würde mich für den Spaß heute bestrafen. Ich wusste das, aber es war mir den Spaß wert.

Eine Stunde später war Mittagspause und ich saß auf einer Bank auf der Anlage und hatte meinen Laptop aufgeklappt. Thorsten hatte mir eine ganze Reihe von Mails geschickt. Darunter auch die neueste Rangliste, sowohl die Deutsche als auch der ATP. Die Positionen der drei waren in Ordnung. Dustin war nicht sehr abgerutscht und Fynn und Maxi waren deutlich gestiegen. Vor allem in der deutschen Rangliste.

Am Nachmittag war leichtes Lauftraining und etwas Physio angesagt. Der Abend sollte zum gemeinsamen Essen genutzt werden. Heute würden die Jungs früh in die Nachtruhe gehen. Schließlich wurde es morgen ernst.

Dustin: Endlich zu meinem Schatz

Die letzte Woche war sehr hart und anstrengend. Durch meine Verletzung konnte ich die geplante Turnierreise nicht mitmachen und durfte zu Hause in einem harten und intensiven Reha-Programm arbeiten. Ich hatte gute Fortschritte gemacht und die letzten beiden Tage mit Carlo und Tim trainiert. Sogar eine Einheit mit Andrea Petkovic durfte ich machen. Das war schon etwas Besonderes. Sie war sehr nett und hat mich nicht vorgeführt.

Heute hatte ich mit Chris telefoniert und mit ihm die Reisedaten besprochen. Ich konnte endlich wieder zu meinem Schatz fahren. Die Woche in Kitzbühel sollte ich nur trainieren, um vielleicht in der Schweiz wieder aktiv spielen zu können. Ob nur Doppel oder nur Einzel würde Chris vor Ort entscheiden. Für Fynn und mich hieß das vor allem aber, endlich wieder gemeinsam unterwegs zu sein. Diese Tage der Trennung waren nicht schön. Manchmal habe ich nach den abendlichen Telefonaten mehrere Minuten gebraucht, um mich in der Realität wiederzufinden.

Carlo hat mich immer ganz toll unterstützt und es war schön zu spüren, dass da jemand für meine Lage Verständnis hatte. Martina versuchte auch, mich immer mit Aufgaben abzulenken, wenn ich wieder so eine Depri-Phase hatte.

Fynn hatte mir gestern Abend noch von einem blöden Ereignis mit einer reichen „Russentussi“ berichtet. Ich war froh, dass ich nicht dabei war. Bei solchen Ereignissen wurde ich sofort aggressiv. Heute sollte ich also die Reise nach Kitzbühel antreten, damit ich am nächsten Tag Fynn und Maxi unterstützen konnte. Chris wollte, dass Fynn heute sein erstes Spiel noch ohne mich spielte. Chris hatte mir das auch erklärt. Ich habe es zwar nicht verstanden aber akzeptiert. Ich hätte es schöner gefunden, ihn gleich unterstützen zu können. Es wäre in meinen Augen für Fynn besser gewesen. Aber Chris hatte seine Gründe, also habe ich das akzeptiert.

Für Fynn hatte ich ein paar Kleinigkeiten besorgt, um unser Wiedersehen feiern zu können. Was genau, verrate ich hier noch nicht. Es soll etwas ganz Persönliches werden.

In einem Punkt hatte ich Fynn und Maxi sogar etwas voraus. Ich hatte meine Arbeiten in der Schule bereits geschrieben und konnte mich jetzt ganz auf Tennis konzentrieren. Zumindest auf dieser Reise.

Meine Tasche hatte ich gepackt und in den Flur gestellt. Allerdings war Martina noch nicht da. Sie sollte mich zum Flughafen nach Paderborn bringen. Von dort ging es nach München und dann weiter mit dem Zug nach Kitzbühel. Ein wenig aufgeregt war ich schon, denn den ganzen Tag allein unterwegs zu sein, das war ich nicht gewohnt und mit Fynn schreiben konnte ich auch schlecht, da er ja heute sein erstes Match spielen würde.

Es war früher Morgen und die WG war wie leergefegt. Ich war die letzten Tage schon allein gewesen, weil die anderen auch unterwegs auf anderen Turnieren waren. Deshalb war auch Martina weniger Stunden anwesend. Sie konnte auf diese Weise Überstunden abbauen. Heute kam sie nur, um mich auf die Reise zu schicken. Ich schrieb Fynn noch eine Nachricht, wünschte ihm darin viel Glück für sein Match und plötzlich hörte ich, wie die Haustür aufging und Martina den Flur betrat:

„Dustin?“, hörte ich sie rufen.

„Ich bin im Wohnzimmer.“

Sie betrat das Wohnzimmer und hatte ein Lächeln im Gesicht. Für mich war sie zur Ersatzmutter geworden. Wir waren ein tolles Team in der WG und sie hatte großen Anteil daran.

„Na, freust du dich schon auf dein Wiedersehen mit Fynn?“

„Aber hallo! Weißt du, es ist total nervig, ihm nicht sagen zu dürfen, dass ich heute zu ihm fahre. Aber ich habe es Chris versprochen und es auch gehalten. Umso größer ist die Vorfreude jetzt.“

„Klar, das verstehe ich. Allerdings hat dir Chris auch erklärt, warum er das so möchte. Also sei nicht sauer. Hast du alles gepackt?“

„Jap, die Tasche steht schon im Flur und ich habe sogar eine neue Rolle Saiten eingepackt. Darum hatte mich Chris gebeten.“

„Sehr schön, dann lass uns aufbrechen. Sonst verpasst du deinen Flug.“

Ich nahm meine Tasche, legte sie in den Wagen und stieg ein. Die Fahrt dauerte nur etwa zwanzig Minuten. Wir sprachen über die Schule und ich hatte ihr als einziger Person gesagt, was ich für Fynn vorbereitet hatte. Als wir ausstiegen am Flughafen, fragte sie mich:

„Hast du an das Geschenk für Fynn gedacht?“

Ich musste lachen, denn ich hatte dreimal überprüft, ob ich es tatsächlich noch in der Tasche hatte.

„Ja, das wäre wohl äußerst peinlich, wenn ich ausgerechnet das vergessen hätte.“

Ich zeigte ihr das kleine Kästchen und sie nickte.

Mittlerweile waren wir am Schalter angekommen und ich checkte ein. Martina umarmte mich noch einmal kurz, wünschte mir eine gute Reise und bat mich, sie zu informieren, wenn ich angekommen sei. Dann war ich allein auf dem Weg in die Wartezone.

Die Reise war eher langweilig, lediglich der Flug war spannend. Dort hatten wir leichte Turbulenzen und mein Sitznachbar und ich waren die Einzigen, denen nicht schlecht wurde.

Die Bahnfahrt hingegen war absolut uninteressant und ich habe die Zeit genutzt, auf Nickstories einige Geschichten zu lesen. Ich fand es immer wieder erstaunlich, was für tolle Stories es dort zu lesen gab.

Als wir kurz vor Kitzbühel waren, wurde ich doch wieder etwas nervös. Meine Vorfreude, Fynn endlich wieder in die Arme schließen zu können, wuchs.

Chris: Der erste Turniertag

Morgens nach dem Frühstück hatte ich meine beiden Cracks zum Aufwärmen geschickt. Das Einschlagen sollte im Anschluss auf Platz achtzehn sein. Fynns Partie war für dreizehn Uhr angesetzt und Maxi sogar noch später. Deshalb konnten wir heute etwas länger schlafen. Von Thorsten wusste ich bereits, dass Dustin unterwegs war und alles nach Plan lief.

Ich saß auf der Terrasse, die als Players Zone ausgelegt wurde. Das bedeutete, hier durften nur Spieler und ihre Trainer oder Betreuer hinein. Zuschauer hatten hier keinen Zutritt mehr.

Ich konnte also alle bereits anwesenden Spieler gut beobachten und in Ruhe meine Spieltaktiken noch einmal überdenken. Die Zeit war allerdings schnell gekommen, dass ich in Richtung Trainingsplatz aufbrechen musste.

Plötzlich sprach mich ein junger Mann unterwegs an und bat mich um ein Interview, weil ein so bekannter Trainer bei so einem kleinen Turnier wäre ja schon außergewöhnlich. Er fragte mich, ob Gilles auch in Kitzbühel spielen würde und warum ich hier sei.

Nachdem ich einige Augenblicke höchst irritiert war, machte es bei mir `Klick`. Der gute Mann hatte mich mit Jan verwechselt. Erst überlegte ich einen Moment, dieses Missverständnis aufzuklären, aber dann überkam mich die Neugier, ob er es irgendwann bemerken würde. Also sagte ich ihm ein Interview nach unserem Einschlagen zu. Allerdings hatte ich zur Bedingung gemacht, meine Spieler dabei haben zu wollen. Das würde sicherlich ein großer Spaß werden.

Meine Jungs waren bereits auf dem Platz, als ich zu ihnen stieß.

„Hi Chris. Du bist zu spät.“

Das war wieder der Fynn, wie ich ihn aus Halle kannte. Immer für einen Schabernack zu haben. Ein gutes Signal, wie ich empfand.

„Ja, stimmt. Ich habe aber auch einen guten Grund. Kommt bitte kurz zusammen.“

Neugierig, wie sie eben waren, kamen sie sofort zum Netz. Beide schwitzten bereits reichlich.

Ich erklärte ihnen den Sachverhalt mit dem Interview und dass sie bitte das Spiel mitspielen sollten. Maxi fing sofort an zu grinsen und Fynn lachte laut auf.

„Du bist echt cool. Hoffentlich wird Jan nicht sauer sein, wenn dieses Interview irgendwo in der Öffentlichkeit auftaucht.“

„Keine Sorge, ich weiß schon damit umzugehen. Es ist nicht das erste Mal, dass ich für Jan gehalten werde. Ist mir schon einmal in Paris bei den French Open passiert. Damals war es Eurosport, die ein Interview machten und mich für Jan hielten. Der Clou war, dass Jan mitten im Interview meine Rolle übernahm und sie es dann bemerkt hatten.“

„Boah, wie geil ist das denn? Da wäre ich gern dabei gewesen. Gerade in dem Moment, in dem sie das bemerkten, hätte ich gern die Gesichter gesehen.“

Fynn bekam sich kaum wieder ein und schnell war klar, dass sie dieses Spiel mitspielen würden.

„Ok, alles klar. Dann schlagt euch weiter ein und bereitet euch gut vor. Ich schau mir das jetzt mal an, was ihr so macht.“

Ich setzte mich auf die Bank und beobachtete die beiden. Je länger ich zuschaute, desto sicherer wurde ich. Sie hatten große Fortschritte in ihrer Einstellung gemacht. Hier konnte ich zwei Jungprofis beobachten, die genau wussten worauf es ankam. Jetzt stieg meine Neugier, inwieweit sie das auch im Match abrufen konnten.

Das Interview wurde wirklich sehr lustig für uns. Für den Pressemann eher weniger, denn er fragte plötzlich:

„Trainieren Sie eigentlich nicht mehr Gilles Simon? Er hat gestern gerade ein Finale gespielt. So schnell können Sie ja nicht an zwei Orten gleichzeitig sein.“

Fynn und Maxi schauten sich an und für einen Augenblick dachte ich, sie würden ihre Fassung verlieren, dann kam von Maxi eine geile Antwort:

„Warum denn nicht? Er ist wie „Genschman“. Immer und überall gleichzeitig.“

Ich war so perplex, dass ich lachen musste. Ich konnte überhaupt nicht mehr aufhören mit Lachen. Das führte dazu, dass unser Gespräch unterbrochen werden musste.

Einige Augenblicke später, hatte ich mich gefangen und sagte:

„Sorry, aber auf diese Bemerkung war ich nicht vorbereitet. Aber bevor das Ganze hier noch schwieriger wird, möchte ich etwas erklären. Jan trainiert natürlich immer noch Gilles Simon und war gestern beim Finale vor Ort. Ich bin also nicht Jan de Witt. Ich bin sein Bruder.“

Entgegen meiner Befürchtung, er könnte jetzt sehr böse werden, begann er herzlich zu lachen.

„Ok, das ist echt gut. Ihr habt mich total auf den Arm genommen und ich habe es nicht einmal gemerkt. Nicht schlecht. Ihr kennt euch aber gut, sonst wäre diese Nummer so nicht möglich.“

Ich schaute meine Jungs an und Fynn antwortete:

„Ja, Chris kennt uns sehr gut. Es war vorher abgesprochen, dass wir das Spiel mitmachen würden. Wir sind natürlich nur Nachwuchsspieler.“

„Nein“, sagte ich bestimmt, „Ihr seid mittlerweile sehr engagierte Jungprofis, die wissen, was sie wollen.“

Das nahm unser Interviewer zum Anlass, jetzt ein neues Gespräch zu führen und das über Maxi und Fynn. Ich wurde nur hin und wieder zu einer Sache befragt. Nach einer weiteren Viertelstunde waren wir fertig. Wir gaben uns die Hände und trennten uns. Mit einem Blick auf die Uhr erklärte ich:

„Entspannt euch noch ein wenig und dann sollte sich Fynn langsam auf sein Spiel vorbereiten. Maxi, du kannst dich hier noch umsehen oder tun was du möchtest. Wenn du die Anlage verlassen willst, sagst du mir aber bitte Bescheid.“

Allerdings passierte genau das nicht, sondern er blieb bei Fynn. Ich fand, das war ein deutliches Signal, dass ich ein Team hatte. Das hatte ich erhofft. Wenn Dustin heute Abend bei uns sein würde, wusste ich ein ganz starkes Team hinter mir als Coach.

Mein Handy vibrierte und eine Whatsapp Nachricht ging ein: „Wir wünschen euch in Kitzbühel viel Erfolg und sammelt viele Punkte für die Rangliste. Viele Grüße Luc, Stef und die Steevens.“

Das war eine Überraschung, mit der ich so nicht gerechnet hatte. Umso erfreuter war ich und würde das auch an Fynn und Maxi weitergeben.

Ich nutzte für mich die letzten Minuten der Ruhe, mich noch einmal zu sammeln und bestellte mir einen Ingwertee. Auf einer Bank vor dem Clubhaus sitzend, genoss ich die Sonne und den Tee. Diese ruhigen Minuten vermisste ich manchmal schon. Ruhe war ein seltenes Gut für mich geworden, seit ich mit meinen Spielern unterwegs war.

Etwa zwanzig Minuten später wurde es ernst. Ich hatte auf meinem vorgesehenen Sitz auf der Tribüne Platz genommen. Fynn hatte bereits begonnen, sich mit Tsitsipas einzuschlagen. Der junge Grieche war der beste Junior im aktuellen Jahr. Ich war davon überzeugt, dass Fynn spielerisch mithalten konnte.

Meine Gelassenheit wich jetzt der Anspannung. Ich war nervös und gespannt, wie sich Fynn mit der Situation zurechtfinden würde. Äußerlich ließ ich mir nichts anmerken. Je unruhiger ich sein würde, desto schlechter würde es für Fynn sein.

Der Schiedsrichter gab die letzte Minute bekannt und dann wurde es richtig ernst. Fynn hatte die Wahl gewonnen und sich für Rückschlag entschieden. Ein wenig erstaunt stellte ich das fest. Er hatte einen exzellenten Aufschlag und hätte sich damit gleich einen kleinen Vorteil verschaffen können. Warum er sich für Rückschlag entschied, sollte er mir später erklären. Ich notierte das in meinen Aufzeichnungen.

Erstaunlicherweise begann Fynn äußerst aggressiv und innerhalb weniger Minuten hatte er sich eine 2:0 Führung erspielt. Bevor sein Gegner richtig im Spiel gelandet war, hatte sich Fynn einen Break erkämpft und spielte sehr selbstbewusst auf. Das war überhaupt kein Vergleich zu dem konfusen und fahrigen Fynn in St. Peter Ording.

Er spielte weiter sehr offensiv und beherrschte das Match. Immer wieder suchte er den Blickkontakt zu mir. Seine Körpersprache beruhigte mich aber. Ich war mir sicher, sollte er das Niveau halten, würde er dieses Match gewinnen.

Es war beeindruckend, wie er den Griechen wegspielte. Den ersten Satz hatte Fynn bereits mit 6:2 gewonnen und nicht einmal den Faden verloren. So fokussiert hatte ich das nicht erwartet. Das war ganz großes Tennis, was er hier zeigte. Maxi musste sich aufwärmen gehen und verließ unseren Tribünenplatz, nicht ohne Fynn beim Seitenwechsel den Daumen zu zeigen. Fynn lächelte auf seiner Bank, als Maxi die Tribüne verließ. Ich überlegte ernsthaft, was genau bei Fynn passiert war? Er spielte, als hätte er das Programm gefunden, was er benötigte, um sein Können auch abzurufen. Außerordentlich beeindruckend.

Sein Gegner verließ den Platz in der Satzpause und ich konnte etwas durchatmen. Obwohl Fynn das Match gut unter Kontrolle hatte, wusste ich zu gut, dass sich das sehr schnell ändern konnte. Deshalb war ich immer bis zum Matchball mit maximaler Anspannung am Platz. Dieses kurze Durchschnaufen tat mir gut.

Der zweite Satz begann genauso wie der erste geendet hatte. Erst bei 4:1 im zweiten Satz gab es einen Moment, an dem ich Zweifel bekam. Fynns Saite war gerissen und er musste einen neuen Schläger nehmen. Hoffentlich war das jetzt kein Problem. Die ersten Punkte waren schnell für seinen Gegner. So stand es 4:2 und bei 40:15 für seinen Gegner, nahm er erneut einen anderen Schläger. Ich befürchtete, er würde jetzt komplett den Faden und sein Selbstvertrauen verlieren.

Er warf den ersten neuen Schläger wütend auf seine Tasche und nahm sich den neuen Schläger, spielte direkt einen genialen Punkt und sich danach in einen Rausch. Er zerlegte seinen Gegner förmlich und gab kein Spiel mehr ab.

Als der Matchball gespielt war, hatte Fynn bereits seinem Gegner die Hand gegeben, bevor ich aus meiner Starre der totalen Verwunderung aufwachte. Fynn hatte seine Tasche geschultert und verließ den Platz, als ich ebenfalls von meinem Standort in Richtung Umkleide aufbrach. Wir hatten die Regel, dass der Spieler immer auf mich warten sollte, bevor er in die Umkleide ging. Die Umkleide war für mich unmittelbar nach dem Spiel tabu. Dort sollten die Jungs für einen Augenblick allein sein können.

Wie vereinbart wartete Fynn auf mich. Er strahlte über das ganze Gesicht, hatte aber seinen Schläger noch in der Hand.

„Ich bin total geflasht von diesem Spiel, Fynn. Grandios und ganz großes Kompliment.“

Fynn strahlte und ich umarmte ihn. Das tat ich selten nach einem Spiel, aber heute war mir danach. Es war für mich ein außergewöhnliches Match.

„Danke, Chris. Ich bin auch sehr zufrieden und ich habe bewiesen, dass ich deine Worte verstanden habe. Oder nicht?“

„Äh, ja. Kannst du wohl so sagen. Was war mit deinem Schläger? Warum hast du den gleich wieder weggelegt?“

„Ich hatte überhaupt kein Gefühl damit. Hier, nimm mal. Ich glaube, der ist viel zu hart geworden.“

Ich nahm den Schläger und testete mit der Hand die Saiten.

„Hm, ok. Ich werde das prüfen lassen. Jedenfalls hast du alles richtig gemacht und sofort reagiert. Sehr gut.“

„Auslaufen? Kann ich danach bei Maxi mit dir auf der Tribüne sitzen?“

„Erst auch noch duschen. Nicht, dass du noch eine Verletzung riskierst. Dann natürlich gerne.“

„Ok, dann bis gleich. Wann geht Maxi auf den Platz?“

„Genau weiß ich das gar nicht. Ich muss erst einmal schauen, wo er gerade ist.“

Das tat ich auch umgehend. Ich musste mich beeilen, denn sein Match war bereits angesetzt auf Platz zwei. Ein Showcourt, dort wurden sogar TV-Kameras aufgebaut. Hoffentlich würde das für Maxi kein zusätzliches Problem werden.

Wir konnten noch kurz miteinander sprechen. Er war zwar angespannt, aber auch locker genug, um nicht in Ehrfurcht zu erstarren. Immerhin hatte Dustin Brown bereits im Davis Cup für Deutschland gespielt.

Das Spiel hatte noch nicht begonnen, als Fynn mit einem fetten Grinsen im Gesicht neben mir auf dem Stuhl Platz nahm.

„Welchen Breitmaulfrosch hast du denn gefressen. So, wie du grinst, muss was passiert sein.“

„Ich freu mich einfach. Jetzt habe ich für uns schon ein ordentliches Ergebnis gebracht und dir gezeigt, dass ich auch allein spielen kann. Ohne Dustin.“

Er hatte das nicht ganz ernst gemeint, aber ich konnte seine Erleichterung schon spüren. Zu recht. Für ihn war es eine tolle Selbstbestätigung und das sollte er auch genießen können. Ich legte also meinen Arm um ihn und sagte:

„Ich freue mich auch für dich und bin sehr froh, dass du mir zuhörst und wir gemeinsam nach Lösungen suchen können. Ich habe jetzt auch noch eine gute Nachricht für dich.“

„Das finde ich auch. Es ist ein gutes Gefühl, dich als Coach und Freund zu haben. Danke dafür. Weißt du eigentlich, wie viele Punkte ich für diesen Sieg bekomme?“

„Das kannst du nachschauen. Aber schön, dass wir so gut zusammen harmonieren und wir ein gutes Team sind. Möchtest du die gute Nachricht gar nicht hören?“

„Äh, doch, klar. Wir bekommen weniger Schulaufgaben, weil wir gute Leistungen zeigen?“

„Nein“, musste ich lachend erwidern, „ich glaube, dass dir das viel besser gefallen wird.“

„Na, mach es nicht so spannend.“

„Hast du mit Dustin schon Kontakt gehabt, nach deinem Spiel?“

„Nein, nicht direkt. Nur eine Whatsapp Nachricht geschrieben. Aber er hat sein Handy wohl gerade aus. Er wird wohl beim Training sein.“

„Nein, er ist nicht beim Training. Denn es ist keiner zuhause da zum Trainieren. Von daher haben Thorsten und ich entschieden, dass er bereits heute zu uns stoßen wird. Ich hole Dustin heute Abend vom Bahnhof ab.“

Was jetzt passierte, war sehr interessant. Fynn schaute mich ungläubig an und für einige Sekunden blieb er regungslos sitzen. Plötzlich umarmte er mich und wurde unruhig.

„Wow, wann genau wird er hier ankommen? Ich meine, ich hab doch gar nichts vorbereitet. Wo wird er untergebracht? Und kann er denn schon wieder spielen? Sorry, aber das finde ich so geil. Du hast es schon vorher gewusst, oder?“

„Hey, beruhige dich wieder. Das klappt schon alles. Ja, sicher habe ich das schon gewusst. Dustin ist ja schon seit heute früh auf dem Weg. Ich freue mich, dass er wirklich nichts gesagt hat. Ich wollte, dass du in Ruhe dein Match spielen konntest.“

„Du bist echt fies. Und mein Schatz hat das auch noch mitgespielt. Wie gemein. Das wird nachher aber Ärger geben. Ich leide hier unter schweren Entzugserscheinungen und….“

Ich konnte nicht mehr an mich halten und fing an zu lachen. Es dauerte nur Augenblicke, bis Fynn auch zu lachen begann. Er zeigte mir den Daumen hoch und stand von seinem Stuhl auf. Mit einem Lachen im Gesicht ging er, uns etwas zu trinken holen. Ich hatte meine Flasche bereits bei seinem Spiel ausgetrunken.

Leider entwickelte sich das Spiel von Maxi weniger positiv. Dustin Brown war ein ganz anderes Kaliber und zeigte uns sehr deutlich Grenzen auf. Der erste Satz ging förmlich an Maxi vorbei. Allerdings traf sein Gegner auch alles. Ich konnte Maxi keine Vorwürfe machen. Er spielte das, was er konnte.

Ich kannte Dustin Brown aber auch als „Wundertüte“. Manchmal verlor er komplett seinen Faden und traf plötzlich überhaupt nicht mehr das Feld. Diesen Moment musste man als Gegner genau treffen und sofort bereit sein, das nutzen zu können.

Leider war das heute nicht der Fall. Maxi hatte einfach keine Chance, dieses Match auch nur ansatzweise ausgeglichen zu gestalten. Entsprechend frustriert kam er nach dem Match zu mir. Fynn hatte sich angeboten, ihn ebenfalls aufzubauen, aber zuerst wollte ich mit Maxi allein über das Spiel sprechen.

„Das war eine Lehrstunde Chris. So bin ich schon Ewigkeiten nicht mehr verprügelt worden. Tut mir leid, aber…“

„Hey, wofür willst du dich entschuldigen? Für eine Niederlage, die absolut in Ordnung geht? Du hast gut gespielt und einen Gegner gehabt, der heute zwei Klassen besser spielte. Das ist ok. Ich verstehe deinen Frust, aber sieh es anders. Diese Matches bringen dich weiter, nicht die einfachen Siege. Es zeigt doch nur, dass wir noch einen langen und harten Weg mit viel Arbeit vor uns haben. Aber mehr auch nicht.“

Maxi schaute mich verdutzt an und fragte vorsichtig: „Du bist nicht enttäuscht? Ich meine, ich habe richtig böse verloren.“

„Warum sollte ich enttäuscht sein. Du hast das gespielt, was du momentan kannst. Das hat gegen diesen Gegner nicht gereicht. Das wird uns noch häufiger passieren, dass wir auf übermächtige Gegner treffen.“

„Hm, ok. Da wirst du vermutlich recht haben. Aber Spaß machen solche Spiele eher weniger.“

„Das glaub ich dir gern. Allerdings gibt es nur eine Möglichkeit, nämlich besser werden und weiter ganz hart arbeiten.“

Danach legte ich einen Arm um seine Schulter und wir gingen einige Meter in Richtung Umkleide. Er bat mich, seine Tasche in die Umkleide zu stellen, damit er sofort auslaufen konnte. Das tat ich gern und Fynn begleitete mich.

„Chris, wie lange dauert es noch bis Dustin hier sein wird?“

„Er wird gegen sieben Uhr am Bahnhof eintreffen. Ich werde ihn dort abholen. Ob du mitkommen möchtest, brauche ich vermutlich nicht zu fragen.“

Fynn strahlte und das genügte mir als Antwort.

„Aber denk dran, du musst morgen wieder ein Einzel spielen. Außerdem spielt ihr morgen noch ein Doppel. Also verausgabe dich heute Nacht nicht zu sehr.“

Fynn wurde rot wie eine Tomate. Das war zu niedlich und ein fieses Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen.

„So, wenn Maxi vom Auslaufen zurück ist, fahren wir direkt ins Hotel. Wir müssen noch die Zimmer tauschen. Maxi bekommt ein Einzelzimmer und Dustin soll zu dir ziehen. Ihr solltet euch bei Maxi bedanken, dass er von sich aus das angeboten hat. Ich finde das nicht selbstverständlich.“

Fynn nickte, war aber gedanklich schon ganz weit weg.

Ich brauchte mich nicht weiter um die Zimmeraktion zu kümmern. Das regelten die beiden ganz allein. Ich hatte lediglich ein weiteres Einzelzimmer gebucht, welches Maxi jetzt bezog. Fynn wurde immer unruhiger, je näher die Ankunft von Dustin rückte. Da war ein großer Junge, der hier wieder zu einem Pubertierenden wurde. Ich fand das interessant und beobachtete die Situation mit einem immer größer werdenden Lächeln. Es war einfach nur niedlich.

Ich saß in meinem Zimmer auf dem Balkon, als es klopfte. Ich rief „Herein“ und beide Jungs kamen herein.

„Ich bin hier, auf dem Balkon“, rief ich.

„Hallo Chris, wir haben alles vorbereitet. Möchtest du dir das noch ansehen?“

„Was ansehen? Ob ihr die Zimmer getauscht habt? Nein, das solltet ihr allein hinbekommen. Wenn es Dustin nicht gefällt, werde ich das schon merken.“

Dabei zwinkerte ich Fynn zu und wir mussten lachen.

„Wie ist dein neues Zimmer? Alles in Ordnung?“

„Auf jeden Fall, richtig schönes Zimmer. Ich habe sogar einen kleinen Balkon.“

„Sehr schön, dann ist ja alles Bestens.“

„Nein, ist es noch nicht“, kam von Fynn ein energischer Einwand.

Ich schaute ihn fragend an: „Was hast du denn zu meckern?“

„Dustin fehlt noch.“

Das war wieder typisch und auch so klasse. Meine Jungs hatten richtig Humor und Witz entwickelt. Das gefiel mir sehr gut. Ich schaute zur Uhr und erwiderte:

„Na, das werden wir dann mal ändern fahren. Möchtest du mitkommen, Maxi?“

„Nein, ich würde doch eh nur stören bei den beiden. Ich werde lieber hier noch etwas entspannen. Morgen steht das Doppel an. Da möchte ich gut spielen.“

Auch hier zeigte sich das gute Verständnis der Jungs füreinander. Maxi wusste genau, dass Dustin und Fynn die erste Zeit mit sich beschäftigt sein würden.

Wir verließen mein Zimmer und Maxi ging nach unten in den Hotelgarten und ich mit Fynn in die Tiefgarage zum Auto.

Der Verkehr hielt sich in Grenzen und so konnte ich mich gut mit Fynn unterhalten. Er war sehr aufgeregt und immer wieder schaute er nervös aus dem Fenster.

„Hey, warum so nervös? Was soll schon schief gehen?“

„Ach, ich bin einfach nur froh, dass Dustin kommt. Ich weiß, es ist vielleicht kindisch, aber ich habe ihn so vermisst. Jetzt sind wir wieder zusammen und darauf freue ich mich halt sehr.“

„Das ist schon in Ordnung. So wie ich von Martina gehört habe, geht es Dustin genauso. Seit klar war, dass er zu uns fahren wird, war er total aufgedreht und kaum noch zu bremsen. Ich möchte dich nur um eine Sache bitten. Er ist noch immer verletzt und kann nicht voll trainieren. Also wenn du mit ihm etwas spielst, ist das in Ordnung. Seid bitte vorsichtig. Bei allem was ihr macht. Auch im Bett.“

Das war natürlich eine kleine Spitze und vor einigen Wochen wäre das keine gute Idee gewesen, aber heute mussten wir beide lachen.

„Ja, es ist halt so. Die meisten Unfälle passieren eben im Haushalt. Seid bitte aufmerksam.“

„Chris, was denkst du über unsere Beziehung? Wir sind nicht ständig notgeil im Bett. Wir..“

„Es ist doch alles gut, Fynn. Lass dich nicht immer so auf den Arm nehmen. Ich weiß, dass ihr hart und verantwortungsbewusst arbeitet. Lasst euch den Spaß nicht nehmen.“

Ich hatte mittlerweile den Wagen geparkt und schaute Fynn in die Augen. Er war emotional angefasst. Ich zwinkerte ihm zu: „Komm, lass uns Dustin entsprechend empfangen. Er freut sich genauso wie du. Lassen wir ihn also nicht warten.“

Auf dem Bahnsteig ließ ich Fynn in Ruhe. Der Zug hatte zehn Minuten Verspätung und er lief wie ein aufgescheuchtes Huhn auf und ab. Ich hatte mich auf eine Bank gesetzt und beobachtete den Jungen. Einmischen wollte ich mich aber nicht. Wenn er mit mir sprechen wollte, hätte er das jederzeit tun können.

Dustin: Wieder dabei

Der Zug rollte aus, ich hatte schon den ganzen Bahnsteig versucht abzusuchen, ob Fynn vielleicht doch mitgekommen ist. Eigentlich wusste er ja nicht, dass ich kommen würde. Ich öffnete die Tür und stieg mit einem großen Kribbeln im Bauch aus. Ich blickte mich um, aber für einen Moment waren zu viele Menschen auf dem Bahnsteig. Kitzbühel war auch im Sommer von vielen Urlaubern bevölkert. Ich orientierte mich in Richtung Ausgang, hatte meine Tasche über der Schulter, als ich Chris auf einer Bank sitzen sah.

Schade, dachte ich. Er hat es Fynn doch nicht gesagt, dass ich komme. Plötzlich spürte ich von hinten zwei Hände auf meinen Schultern. Erschrocken drehte ich mich um und sah in zwei wunderschöne Augen.

Bevor ich nur einen Laut von mir geben konnte, küsste und umarmte mich Fynn. Es war unbeschreiblich, meinen Freund wieder zu umarmen und zu küssen. Mir war es mittlerweile vollkommen egal, dass wir noch mitten auf dem Bahnsteig standen und Leute um uns herum liefen. Natürlich blieb auch die Reaktion in meiner Hose nicht aus. Bei Fynn konnte ich jedoch dieselbe Erregung fühlen. Erst nach einigen Augenblicken lösten wir uns und konnten wieder sprechen.

„Endlich sind wir wieder zusammen, Dustin. Wie war deine Fahrt? Wie geht es deinem Fuß?“

„Ja, endlich. Die Tage sind vorbei, dass ich alleine war. Ich freue mich so sehr. Die letzten Tage waren echt schlimm. Ich musste Chris versprechen, dir nichts davon zu sagen.“

„Das hat ja auch gut geklappt“, vernahm ich die Stimme von Chris.

Ich drehte mich um und schaute in ein lachendes Gesicht. Er umarmte mich zur Begrüßung. Das war auch ein schönes Gefühl, vom Trainer willkommen geheißen zu werden. Chris nahm mir sogar meine Tasche ab und meinte:

„Bevor wir hier Wurzeln schlagen, lasst uns ins Hotel aufbrechen. Dort bekommt ihr Zeit genug, euch auf den neuesten Stand zu bringen. Aber Maxi wartet auf uns zum Essen.“

Arm in Arm ging ich mit meinem Schatz hinter Chris her. Das Auto stand auf dem Parkplatz und ich staunte nicht schlecht über so einen Luxuskombi.

„Das war Karls Idee. Er hat uns den mitgegeben.“

Ich schaute Fynn an und Chris grinste. Fynn hielt mir die Tür auf und setzte sich dann zu mir auf die Rückbank. Chris hatte meine Tasche schon im Kofferraum verstaut und stieg vorn ein. Er drehte sich um und fragte:

„Wohin möchten die Herrschaften denn gefahren werden?“

Wir schauten uns an und Fynn fing laut an zu lachen. Ich schüttelte den Kopf und Fynn sagte nur noch:

„Bitte ins Hotel. Wir haben noch viel vor.“

Dabei gab er mir erneut einen Kuss.

Wie sehr hatte ich dieses Gefühl vermisst.

Von der Fahrt ins Hotel bekam ich nicht mehr viel mit, weil ich mich intensiv mit Fynn beschäftigte. Allerdings nur, was den Informationsaustausch betraf. Nicht, dass jetzt falsche Gedanken entstehen. Für alles Andere gab es später noch genug Zeit.

Ich berichtete von Tim und Carlo. Sie hatten gute Fortschritte gemacht und auch sonst hatten sie sich sehr angenähert. Fynn fragte mich:

„Denkst du, dass sich da zwischen den beiden was anbahnt? Sie sind noch sehr jung.“

„Keine Ahnung, kann aber sein. Jedenfalls sprechen sie nicht darüber. Einmal bin ich in ihr Zimmer gekommen, das war schon komisch, denn Tim hatte seine Hose offen und hatte es offenbar nicht bemerkt. Carlo war auf die Toilette gegangen. Aber ich habe nichts gesehen. Komisch fand ich es dennoch.“

„Hihi, das könnte ja spannend werden. Sind die beiden jetzt eigentlich zusammen unterwegs?“

„Das weiß ich gar nicht so genau. Chris? Weißt du, ob Carlo mit Tim unterwegs ist oder ob sie einzeln auf Turnierreise sind?“

Chris hatte natürlich alles verfolgt. Sein Grinsen sprach für sich. Wir waren auch etwas blöd, so ein Thema im Auto zu besprechen. Wir hatten ja Carlo versprochen, nichts darüber zu verraten.

„Das kommt darauf an, wie du das gemeint hast mit dem zusammen unterwegs sein. Ich weiß, dass sie gemeinsam unterwegs sind. Was ihr sonst meint, dazu kann ich nichts sagen.“

Er wusste mit Sicherheit wieder mehr, aber er tat unwissend. Das machte mich misstrauisch, aber ich reagierte nicht weiter darauf. Fynn drückte einmal meine Hand. Das war das Zeichen, das Thema zu wechseln. Ich wollte natürlich das Versprechen gegenüber Carlo nicht brechen.

Die letzten Minuten zum Hotel erzählte mir Chris noch die aktuellsten Informationen zum Turnier. Als wir endlich am Hotel waren und ich meine Tasche aus dem Kofferraum genommen hatte, gab Chris uns noch einen Satz mit auf den Weg.

„Ich möchte euch morgen früh um acht zum Frühstück sehen. Beide ausgeschlafen und pünktlich. Jetzt essen wir zusammen. Maxi hat extra etwas vorbereitet. Anschließend macht euch einen schönen Abend.“

Er ging einfach vor und ließ uns stehen. Das fand ich total cool von ihm. Fynn fing an zu lachen. Ich war etwas irritiert.

„Warum lachst du jetzt?“

„Na, was Chris jetzt wohl denkt, das möchte ich gern wissen. Allerdings finde ich seine Art, unser Wiedersehen feiern zu können, total genial. Er lässt uns einfach allein. Das ist echt cool.“

„Chris ist einfach cool. Das habe ich schon lange gemerkt. Er lässt uns immer so viele Freiheiten, wie es möglich ist. Allerdings ist er gnadenlos, wenn wir das übertreiben und seine Regeln brechen. Also morgen früh sollten wir auf keinen Fall zu spät sein. Aber jetzt lass uns auf unser Zimmer gehen, deine Tasche wegbringen und dann zum Essen.“

Fynn nahm mich in den Arm und wenige Augenblicke später stand ich in unserem Zimmer.

„Boah, was ist denn hier passiert?“

Ich stand in einem Raum, der in wundervollem Licht von zig Duftkerzen gehüllt war. Auf dem Tisch hatte Fynn zwei Gläser platziert, in denen der Sekt perlte.

Nachdem er mir meine Tasche abgenommen und auf dem Boden abgestellt hatte, nahm er beide Gläser, gab mir eines in die Hand und sagte:

„Endlich sind wir wieder vereint und ich möchte mit dir anstoßen auf eine tolle und schöne gemeinsame Zeit. Ich liebe dich.“

Damit hatte ich nicht gerechnet und war emotional entsprechend angefasst. Ich musste schwer schlucken, aber glücklicherweise umarmte mich Fynn wieder und wir küssten uns leidenschaftlich.

„Ich dich auch, aber hast du etwa die Kerzen brennen lassen, während du mich abgeholt hast?“

Fynn lachte.

„Nein, so blöd bin ich nun auch wieder nicht. Ich hatte Maxi gebeten die Kerzen anzuzünden und den Sekt zu öffnen. Ich hatte ihm kurz vor unserer Ankunft eine Whatsapp Nachricht geschrieben.“

Wir tranken den Sekt und Fynn nahm mich mit auf den kleinen Balkon.

Ohne dass er es bemerkte, hatte ich die kleine Schachtel mit meinem Geschenk mit nach draußen genommen.

„Ich habe für uns eine Kleinigkeit besorgt und hoffe, es gefällt dir genauso gut wie mir.“

Ich öffnete die Schachtel und Fynn blieb für einen Augenblick die Luft weg. Ich hatte zwei dünne, ganz schlichte Silberringe für uns mitgebracht.

„Bist du verrückt geworden? Die kosten ein kleines Vermögen. Aber sie sind wunderschön.“

„Na, der letzte Satz rettet dich aber gerade noch.“

Wir umarmten uns und er steckte mir meinen Ring an meinen Finger und ich ihm seinen.

Das Essen, welches Maxi vorbereitet hatte war köstlich. Auch hier zeigte sich unsere große Stärke. Das Team! Jeder war für jeden da, wenn es notwendig war. Es gab keinen Egomanen, der immer nur an sich dachte. Ich bedankte mich bei Maxi für diese tolle Geste und auch Chris freute sich.

Im Anschluss daran feierten wir dann unser Wiedersehen ganz allein und ungestört im gemeinsamen Bett. Ich glaube sogar, dass Chris unsere Ringe bemerkt hatte, dennoch sagte er nichts dazu. Bestimmt wird er das bei einer anderen Gelegenheit nachholen.

Luc: Der Camaro kommt nach Hause

Papa hatte natürlich wieder alles perfekt geplant. Auch unsere Rückreise am Ende unserer Ferien in die Schweiz war vorbereitet und er war sich nicht zu schade, dafür zwei Tage seiner Zeit zu opfern.

Papa hatte uns morgens bei den Geigers abgeholt und war mit uns in die Firma gefahren. Allerdings noch nicht mit meinem Camaro. Den wollte Karl noch einmal ganz genau einstellen und auf dem Rollenprüfstand testen. Ihm waren ein paar PS abhanden gekommen, die er wiederfinden wollte.

Papa führte uns in den Prüfstandsraum und der Motor brüllte schon ordentlich. Karl saß hinter dem Steuer und sein Moterenexperte neben ihm mit dem Laptop auf dem Schoß.

Wobei ich mich schon wunderte, denn der Motor hatte ja noch keine moderne Elektronik und ich dachte eigentlich, ein Laptop würde hier nicht helfen. Ich wurde aber eines besseren belehrt, denn der Motor lief exzellent und als Karl die Zündung abstellte, begann er zu grinsen. Das war ein gutes Zeichen. So gut kannte ich ihn mittlerweile.

Stef schüttelte leicht den Kopf, denn ihm war diese Pingeligkeit immer wieder suspekt und lästig. Ich aber war neugierig, ob das Feintuning wirklich etwas gebracht hatte. Papa hatte ebenfalls die Neugier gepackt und somit schauten wir interessiert auf den Ausdruck des Leistungsdiagramms.

„Ich glaube, der Motor steht gut im Futter. Für dich als Fahranfänger ist die Leistung mehr als ausreichend. Es würde nur noch über einen Kompressor mehr Leistung möglich sein. Die 7,4 Liter Maschine ist voll ausgereizt.“

Papa lachte und legte mir seinen Arm auf die Schulter:

„Na, das ist selbst für meine Ansprüche sehr ordentlich. Du musst versprechen, dass du nicht zum Raser wirst. Diese 490 PS stehen sehr gut im Futter. Fahr bitte vorsichtig. Deine Mutter würde mich sonst erschießen, wenn das schief geht.“

„Und ich dich auch“, ergänzte Stef aus dem Hintergrund.

Stef hatte Angst um mich und ich wusste das ganz genau. Ich erwiderte meinem Vater:

„Keine Sorge, Papa. Wenn ich schnell fahren möchte, dann gehen wir beide zusammen auf die Rennstrecke. Aber nicht mit diesem Kunstwerk.“

Ich bedankte mich bei Karl und Mario für ihre ständige Unterstützung und mit Herzklopfen ging es jetzt auf die Heimreise in die Schweiz. Ich war unsicher, ob dieses alte Auto dem langen Weg gewachsen war.

Das würde Papa aber sicher auf der Fahrt genauestens testen. Ich bekam ein immer stärker werdendes Herzklopfen, als es soweit war und wir den Hof der Geigers in München verließen. Papa hatte das Dach geöffnet. Somit konnten wir uns winkend von Mario und den Geigers verabschieden.

Ich saß auf dem Beifahrersitz und Papa erklärte mir die einzelnen Schalter und Funktionen. Es waren nicht sehr viele. Bei den alten Autos war das anders als bei den heutigen Fahrzeugen. Sogar Stef schien Papas Erklärungen genau zu verfolgen.

Plötzlich fragte Papa: Na Stef, was sagst du zu diesem Kunstwerk? Es fährt sich doch toll, oder?“

Stef lächelte und legte mir seine Arme um den Hals. Ich bekam eine Gänsehaut.

„Ja, Marc. Und ich habe alles verstanden, was du erklärt hast. Ich kann also Luc beim Fahren helfen. Ich kenne jetzt alle Schalter.“

„Das ist sehr gut. Da fällt mir ein, was ist eigentlich mit deinem Führerschein? Wann möchtest du anfangen?“

„Ich weiß noch nicht. Sicher noch nicht so bald. Ich habe ja noch mehr Zeit als Luc.“

„Aber du meldest dich bitte, wenn du damit beginnen möchtest. Wir werden dann über den Ablauf sprechen. Und bevor du anfängst, dir über die Kosten Gedanken zu machen, ich habe es damals gesagt und stehe zu meinem Wort. Du bist ein Familienmitglied. Also, was das heißt, ist damit klar.“

Stef hätte vor Monaten angefangen, mit Papa zu diskutieren. Heute nickte er wortlos, weil er genau wusste, jeder Widerstand wäre zwecklos gewesen.

Auf der Autobahn Richtung Grenze fuhr Papa mit gemütlichen 130 Stundenkilometern. Die Scheiben waren oben. Dadurch konnten wir uns noch sehr gut unterhalten. Der Wind pfiff durch unsere Haare und unsere Sonnenbrillen schützten die Augen. Nur kurz vor der Grenze drückte Papa einmal das Gas ordentlich durch. Der Camaro schoss nach vorn und die 200 Km/h waren im Nu geknackt. Jetzt wurde mir bewusst, wie viel Power mein Auto hatte.

In der Schweiz galten strenge Temporegeln und wir cruisten nur über die Autobahn. Stef hatte es sich hinten gemütlich gemacht und war sogar eingeschlafen. Papa und ich hatten gute Laune und die Musik spornte uns sogar an, hin und wieder mitzusingen. Nicht schön, aber es machte Spaß.

Die restliche Fahrt verlief ohne Zwischenfälle und so kamen wir gut gelaunt bei uns zu Hause an. Meine Mutter freute sich wie immer übertrieben euphorisch und tat so, als ob wir von einer Weltraumfahrt zurückgekommen wären. -

Allerdings hatte das einen Vorteil, ich bekam mein Lieblingsessen: Lasagne. Und zwar Mamas Lasagne. Das war die beste Lasagne, die es auf der Welt gab. Sogar Papa musste zugeben, dass sie besser war, als die italienische Küche. Schließlich war Papa viele Jahre bei einem italienischen Rennstall in der Formel 1 gefahren.

Wir saßen am Tisch und sogar Leif hatte sich dieses Ereignis nicht nehmen lassen und war nach Hause gekommen.

„Na, kleiner Bruder. Hast du jetzt endlich deinen Camaro in die Heimat geholt? Er sieht echt cool aus.“

„Jetzt tu nicht so, als ob du so viel älter bist. Und ja, der Camaro ist perfekt gelaufen und dank Papa sicher in der Heimat angekommen. Und bevor du auf komische Gedanken kommst, du wirst das Auto nicht fahren. Vergiss es. Ich möchte, dass es so bleibt, wie es ist. Nämlich unversehrt.“

„Wie gut, dass das immer noch Papa entscheidet, wer welches Auto fahren darf.“

Er wusste genau, dass er mich damit in Rage brachte. Leif würde mit meinem Camaro nicht pfleglich und vorsichtig umgehen.

„Bevor du dich aufregst, Luc. Zähl bis drei und überlasse es mir, wer welches Auto fahren darf.“

Papa hatte Leifs Provokationen mitbekommen und was jetzt kam, war grandios.

„Damit du klare Verhältnisse hast, Leif. Dieses Auto ist für dich tabu. Du hast nicht das notwendige Verständnis für alte Technik und dafür ist zu viel Herzblut von allen in die Restaurierung geflossen. Also, solltest du ohne Zustimmung dieses Auto bewegen, wirst du spüren, dass dein Vater auch mal richtig sauer werden kann. Ist das angekommen?“

So eine deutliche Ansage von Papa hatte ich das letzte Mal vor Monaten gehört. Das war, als Leif einmal nach einer Party ziemlich betrunken mit dem Rad nach Hause kam. Das fand Papa überhaupt nicht witzig. Das klang vom Tonfall sehr ähnlich und Leif erstarben sämtliche Gesichtszüge. Er versuchte auch erst gar nicht, noch einen Spruch zu machen.

„Außerdem hast du ein eigenes Fahrzeug, das du bewegen kannst. Also gibt es keinen Grund den Camaro zu nehmen. Selbst Mick und Lukas haben noch keine Erlaubnis, das Auto zu fahren.“

Ui, das war aber schon sehr außergewöhnlich. Sonst duften sie nämlich bereits alle Autos und Motorräder fahren, die Papa in der Sammlung hatte. Ich sollte ihnen das persönlich erlauben, war Papas Erklärung dazu. Es sei ja schließlich mein Fahrzeug.

Nach dem Essen ließ mich Papa den Camaro in die Garage fahren. Als ich ausstieg, sagte er zu mir:

„Du hast in der kommenden Woche deine Fahrprüfung. Wenn du deinen Führerschein hast, fahren wir zusammen auf eine Rennstrecke und ich werde dir zeigen, wie man richtig mit diesem Schmuckstück fährt. Ist das ok?“

„Klasse, aber was ist mit Stef? Er soll ja später auch damit fahren.“

„Ich weiß, bei Stef werden wir etwas mehr machen. Ich werde seine Fahrausbildung unterstützen. Er traut sich noch nicht so wirklich zu, selbst zu fahren. Er soll sich bei der Fahrschule anmelden und dann werden wir zusammen mit ihm üben. Keine Sorge, er wird das ganz sicher richtig gut lernen.“

Das war wieder typisch für Papa. Er war mir erneut zwei Schritte voraus. Einfach toll, dass ich so eine Familie hatte. Ich umarmte Papa und es war mir auch kein Stück unangenehm, dass immer noch gerne zu tun.

„Passt schon, Luc. Hast du von Fynn und Dustin was gehört? Sie spielen jetzt in Kitzbühel?“

„Ja, Dustin ist nach Kitzbühel gekommen und wird ganz sicher in die Schweiz mitfahren. Fynn hat sein erstes Match sehr gut gespielt und gewonnen. Also, da läuft es richtig gut. Ich bin gespannt, wie gut sie hier spielen können. Vielleicht kann Dustin sogar hier schon wieder mitspielen, meinte Fynn.“

„Na, das hört sich doch toll an. Ich bin auch sehr neugierig, wie sie sich entwickeln. Chris schreibt mir hin und wieder Mails. Das hört sich richtig gut an.“

Ich telefonierte mit Tommy und erzählte ihm, dass mein Camaro in der Heimat angekommen war. Das führte dazu, dass innerhalb einer halben Stunde meine ganze Clique bei uns eintraf. Alle wollten sich das Wunderwerk anschauen, waren begeistert und freuten sich mit mir über das tolle Auto.

„Jetzt kannst du ja bald mit dem Auto zur Schule kommen. Dann musst du uns aber auch mal mitnehmen.“

„Ich glaube kaum, Nico, dass ich mit diesem Kunstwerk in die Schule fahre. Es dort auf den Parkplatz zu stellen, ist mir zu gefährlich.“

„Unsinn“, meldete sich Tommy, „keiner würde sich an dieses Auto trauen, weil jeder weiß, wem es gehört und dass das ein Spiel mit dem Feuer wäre.“

Wir mussten lachen, denn eigentlich hatte Tommy den Nagel auf den Kopf getroffen. Zuerst musste ich aber meinen Führerschein machen. Stef hatte ja noch etwas länger Zeit.

Meine Zeit in der Schule neigte sich auch dem Ende entgegen und danach hatte ich mit Karl Geiger den Deal gemacht, ein Duales Studium in München zu beginnen. Allerdings war mir noch nicht endgültig klar, ob ich in die kaufmännische oder technische Schiene gehen möchte. Momentan hatte eher die technische Seite die Oberhand und das Kaufmännische vielleicht später noch.

Karl hatte mir angeboten, in der Werkstatt und im Design zu arbeiten, um das Ganze richtig zu lernen. Sein größter Wunsch war, mich als Partner aufzubauen, der später einmal sein Nachfolger würde. Soweit wollte ich noch nicht planen, aber vorstellen könnte ich mir das schon. Es machte mir immer sehr viel Spaß, mit Karl und seinen Leuten zu arbeiten.

Nachdem sich unsere Freunde bis auf Nico und Tommy wieder verabschiedet hatten, gingen wir zu uns in die Wohnung. Stef hatte schon einen Gartentee vorbereitet und ich bat Nico, noch schnell zum Bäcker zu fahren und ein wenig Kuchen zu holen. Heute war ein besonderer Tag und das sollte auch mit unseren engsten Freunden gefeiert werden.

Am Kaffeetisch erzählten Stef und ich von unseren Erlebnissen aus München und erklärten ihnen unseren Plan, das „breakpoint-team“ zu uns einzuladen. Nico und Tommy waren sehr neugierig und fragten uns Löcher in den Bauch. Plötzlich klingelte es bei uns.

„Nanu? Erwartest du noch Besuch, Stef?“

„Nö, aber ich geh mal schauen.“

Stef stand auf und ging zur Tür. Wenige Augenblicke später stand er mit meinem Vater wieder bei uns im Wohnzimmer. Der hatte natürlich einen Schlüssel, aber wenn wir zu Hause waren, klingelte er immer.

„Ich habe gerade eine Email von Chris bekommen. Kitzbühel läuft gut, vor allem, seit Dustin bei ihnen ist. Warum wohl?“

Jetzt mussten wir alle lachen. Dustin als „Heilsbringer“. Allerdings könnte das für Fynn durchaus zutreffen, das konnte ich mir gut vorstellen.

„Nächste Woche spielen die drei hier in der Schweiz, ich möchte, dass wir uns dann Zeit für die vier nehmen. Plant ihr das bitte ein.“

„Papa, du weißt aber, dass ich am Montag Prüfung habe?“

„Natürlich, aber die dauert ja nicht den ganzen Tag. Außerdem darfst du ja erst nach deinem Geburtstag fahren. Das dauert also noch ein paar Wochen.“

Ich wusste jetzt, dass Papa genaue Pläne hatte. Deshalb stimmten wir sofort zu, dass wir uns um die Gäste kümmern würden.

„Ach ja, bevor ich das vergesse. Da das Turnier ja nicht hier bei uns im Ort stattfindet, fahren wir mit dem Auto. Und wenn der Zeitplan es zulässt, nehmen wir die vier für ein paar Tage im Anschluss hier auf. Das ist aber noch geheim. Also bitte kein Wort dazu zu den Jungs.“

„Hast du das mit Chris besprochen? Die haben doch bestimmt noch weitere Turniere im Anschluss geplant.“

„Natürlich, Luc. Chris hat mir gesagt, dass sie im Anschluss an dieses Turnier nach Hause fahren wollten. Also spricht nichts gegen ein paar Trainingstage hier bei uns. Allerdings werden die Jungs nicht auf dem Tennisplatz trainieren.“

Dabei grinste Papa recht breit. Das war das Zeichen, dass an dieser Stelle keine weiteren Informationen zu erwarten waren.

Chris: Kitzbühel wird zu einem Highlight

Das erste Frühstück wieder mit meiner vollen Mannschaft war sehr informativ. Ich hatte die Ringe bei Fynn und Dustin bereits gestern bemerkt, aber heute Morgen fragte ich dann nach. Sie bestätigten mir das und mehr wollte ich auch nicht wissen. Maxi freute sich ehrlich für die beiden und dann begann ich, Fynn auf sein nächstes Match vorzubereiten. Maxi sollte ihn warmspielen.

Dustin war enttäuscht, dass ich ihn das nicht übernehmen ließ, aber das war mir noch zu gefährlich. Er sollte sich langsam wieder heranarbeiten. Das wollte ich zuerst einmal selbst gesehen haben, wie weit er schon wieder war.

„Bevor wir jetzt aufbrechen, möchte ich, dass mich Dustin heute ein wenig unterstützt. Er soll die Videokamera bedienen und von euch Aufnahmen machen. Das werden wir dann beim nächsten Training in der Base besprechen. Bitte lasst euch davon nicht ablenken.“

Maxi nickte und sogar Fynn war nicht abgeneigt. Normalerweise mochte er das gar nicht, gefilmt zu werden. Vermutlich, weil Dustin die Kamera bediente, konnte er sich damit abfinden, ohne zu meckern. Das war auch mein Plan gewesen. Für Maxi war das ja eh nicht so tragisch, da er nur noch Doppel spielen musste. Im Einzel war er ja bereits ausgeschieden.

Auf der Anlage wuselten bereits überall die Helfer herum und auch einige Spieler nutzten die Trainingsplätze. Ich schickte Fynn und Maxi in die Umkleide und Dustin sollte mich begleiten. Ich zeigte ihm den Platz, von dem er das Match aufnehmen sollte.

„Glaubst du, dass Fynn erneut eine Chance hat zu gewinnen?“

„Du weißt doch, eine Chance hast du immer, so lange der Matchball nicht gespielt wurde.“

„Oh Mann, das meine ich nicht. Kann er unter normalen Umständen gewinnen?“

„Nein, eigentlich nicht. Ich bin mir aber ganz sicher, er wird alles geben. Allein, um seinem Freund zu zeigen, wie gut er geworden ist. Das Ergebnis werden wir dann sehen.“

„Doppel spielen Maxi und Fynn heute Nachmittag oder wann?“

„Korrekt. Das Feld ist ja deutlich kleiner. Sie müssen möglichst eine komplette Runde Einzel durchspielen. Daher erst heute Nachmittag.“

„Ok. Soll ich dir etwas zu trinken mitbringen. Ich hole mir ein Elektrolyt.“

„Nein, aber ein Eis kannst du mir bitte mitbringen.“

Dustin machte sich auf den Weg und währenddessen erschien Maxi mit seiner Tasche und Fynn neben ihm. Sie kamen zu mir und ich schickte sie direkt zum Einschlagen auf den Platz.

Das verlief ohne Überraschungen und nach einer Dreiviertelstunde war es genug. Wir gingen in den Players Bereich und ich ließ Fynn einige Zeit mit Dustin allein. Er sollte ein wenig abschalten. Erst eine Stunde vor Spielbeginn holte ich Fynn zu mir und wir zogen uns etwas von dem ganzen Trubel zurück.

Seine Anspannung stieg deutlich, aber es war eine deutlich veränderte Spannung. Viel positiver und offener saßen wir auf einer Bank und unterhielten uns über seinen Gegner und die Strategie. Er war bereits vollkommen auf das Match fokussiert und entsprechend kurz fiel unser Gespräch aus. Ich wollte ihn im sogenannten Tunnel belassen. Auch Dustin sollte ihn ab jetzt in Ruhe lassen. Das war Fynns Wunsch und Idee. Er war entschlossen, das Spiel gewinnen zu wollen.

Eine knappe Stunde später saß ich mit Maxi und Dustin in unserer Coachingecke und traute meinen Augen kaum. Fynn zauberte auf dem Platz. Er spielte gegen einen Gegner, der gut 200 Plätze besser stand als er. Dennoch führte Fynn deutlich mit 6:3. Ich wartete ständig auf den Einbruch von Fynn, denn dieses hohe Maß an Konzentration forderte enorm Kraft. Ob Fynn bereits genug Reserven hatte, bezweifelte ich. Allerdings musste ich das für mich behalten. Dustin war so euphorisch und feuerte seinen Freund frenetisch nach jedem Punkt an.

„Chris, Fynn kann das schaffen. Ich fühle es. Warum bleibst du so reserviert. Er braucht doch jetzt jede Unterstützung.“

Dustin war das reinste Nervenbündel. Maxi schüttelte den Kopf und wollte schon reagieren, aber ich zeigte ihm mit einer Handbewegung, dass er gar nicht reagieren sollte. Das war meine Baustelle.

„Einer muss den Überblick behalten. Und das wird noch ein ganz harter Weg.“

„Spielverderber. Du bist viel zu negativ.“

„Dustin, jetzt nimmst du dich mal etwas zurück und kommst wieder auf den Boden zurück. Fynn hat gerade den ersten Satz erkämpft und spielt sicherlich sehr gut. Allerdings kann er nicht mehr zulegen. Das ist oberstes Limit. Ich muss ruhig bleiben, damit ich das Spiel unter Kontrolle habe. Du kannst ihn gern weiter anfeuern, aber diskutieren werde ich mit dir jetzt nicht.“

Dustin schaute mich an und merkte, dass er über das Ziel hinausgeschossen war. Er wurde sogar etwas rot im Gesicht. Glücklicherweise ging das Spiel weiter und es war keine weitere Unterhaltung mehr möglich.

Dustin ließ sich allerdings nur sehr kurz bremsen. Er feuerte seinen Freund nach jedem Punkt an. Allerdings immer innerhalb des Erlaubten. Das fand ich gut. Ich brauchte nicht einmal einzugreifen. Meine Konzentration lag auf der Kommunikation mit Fynn. Er musste immer häufiger nach den Ballwechseln Luft pumpen. Ein deutliches Anzeichen von Erschöpfung. Ich versuchte, ihn dazu zu bringen, sich mehr Zeit zwischen den Ballwechseln zu nehmen.

Das Match neigte sich dem Ende zu und Maxi und Dustin waren nahezu genauso erschöpft vom Anfeuern wie Fynn auf dem Platz. Derartige Turniere forderten doch ein ganz anderes Niveau. Allerdings war ich äußerst zufrieden mit der Performance von Fynn.

Er hatte es tatsächlich geschafft, seinen Gegner niederzuringen und sogar in zwei Sätzen zu gewinnen. Dustin war jetzt nicht mehr zu halten und stürmte zur Bank. Mittlerweile hatte er gelernt, dass bei den Profiturnieren immer eine Security dafür sorgte, dass niemand den Platz betrat.

Ich brauchte einige Minuten, um mich zu sammeln und schickte Maxi auch schon vor. Er sollte nicht auf mich warten. Ich war einfach erleichtert, aber auch mit den Nerven fertig.

Langsam bewegte ich mich zur Bank, auf der Fynn immer noch mit dem Handtuch im Nacken saß. Seine Kräfte waren komplett verbraucht. Es würde sich jetzt zeigen, ob unsere Arbeit an ihrer Fitness ausreichend ist. Schließlich musste Fynn morgen erneut ein Einzel spielen, das mit Sicherheit nicht einfacher sein würde. Außerdem war auch noch ein Doppel für heute geplant.

„Chris, ich kann nicht mehr. Ich bin vollkommen platt. Das ist soviel anstrengender, als die kleineren Turniere zu spielen. Aber es fühlt sich geil an.“

Danach musste er lachen. Dustin hatte bereits die Tasche von seinem Freund genommen und wir verließen gemeinsam den Platz. Da hier mit Schiedsrichtern gespielt wurde, brauchten wir das Ergebnis nicht an die Turnierleitung zu geben.

„Ich möchte, dass du auslaufen gehst und anschließend direkt zum Physio. Er soll dich behandeln und auch massieren. Sonst wird das morgen sehr heftig.“

Fynn nickte nur kurz, trank seine Flasche noch leer und ging auslaufen. Dustin brachte seine Tasche in die Umkleide und kam zu Maxi und mir wieder nach draußen. Er machte ein nachdenkliches Gesicht.

„Warum bist du plötzlich so ernst?“, fragte ich Dustin.

„Fynn ist vollkommen fertig. Er soll nachher noch ein Doppel spielen und morgen wieder ein weiteres ganz hartes Einzel. Ich mache mir Sorgen, ob das vielleicht nicht zu viel wird.“

„Hat er dir etwas dazu gesagt oder ist das jetzt deine Meinung?“

Diese Frage hätte ich eigentlich nicht zu stellen brauchen, denn Fynn würde niemals freiwillig auf ein Match verzichten.

„Nein, du solltest das auch besser wissen, dass er kein Match freiwillig aufgeben würde.“

Ich nahm ihn in den Arm und wir machten ein paar Schritte allein über den Rasen. Maxi schaute uns hinterher, blieb aber stehen und ließ mich mit Dustin allein.

„Was schlägst du also vor?“, fragte ich Dustin.

„Ich? Ich werde dir nicht in deine Entscheidungen reinfunken. Du hast doch viel mehr Erfahrung als ich.“

„Sollst du auch gar nicht. Ich entscheide sicherlich, aber ich möchte deine Meinung und deine Ideen hören. Du kennst Fynn mindestens genauso gut wie ich. Und in diesen Dingen bist du doch viel näher dran. Er wird mir nur ungern erzählen, wenn es ihm zu viel wird.“

„Ich wäre dafür, dass Doppel zu canceln. Dann hat er mehr Zeit sich zu erholen. Was wäre, wenn er sich jetzt verletzt, weil er zu müde ist?“

„Maxi wäre bestimmt enttäuscht. Hm, aber ich verstehe deine Gedanken. Ich werde mich gleich mit Fynn unterhalten, um mir ein neues Bild von der Situation zu machen.“

Wir spazierten mit Maxi über die Anlage und mir gingen einige Gedanken durch den Kopf. Anmeldeschluss für das Doppel war erst in einer Stunde. Noch konnte ich straffrei das Doppel zurückziehen. Aber ich hatte noch eine andere Idee im Hinterkopf. Dafür musste ich aber einige Gespräche führen.

„Wenn Fynn von der Physio zurück ist, kannst du ihn bitte mal zu mir schicken. Ich möchte mit ihm sprechen.“

„Klar, mache ich. Ich möchte Maxi das Doppel nicht wegnehmen, aber ich mache mir echt Sorgen um Fynn.“

„Das weiß ich, Dustin. Und es ist ok, wenn du mir das sagst.“

Einige Minuten später stand ich mit Andreas Seppi im Players Bereich. Dort herrschte, zumindest was Zuschauer und Fans betraf, Ruhe.

Ich brauchte einen Moment Ablenkung. Mein Kopf war gestresst und ich wollte mich etwas beruhigen. Andreas fragte mich nach meinen Jungs und ich erklärte ihm die Lage. Er überlegte einen Moment und riet mir folgendes:

„Ich glaube, dass es richtig wäre, Fynn kein Doppel spielen zu lassen. Sein Akku ist leer und er wird jede Stunde ohne Belastung brauchen, um sich neu aufzuladen. Du kannst doch die Paarung noch bis zum Meldeschluss ändern.“

„Klar, aber wie? Dustin ist noch nicht wieder fit genug, um spielen zu können. Ich kann schlecht einen Spieler aus dem Hut zaubern.“

Jetzt fing Andreas an zu lachen.

„Ach Chris, ich glaube, dass du sogar zaubern könntest. Allerdings ist das nicht notwendig, weil ich für dich einen Spieler habe, der Fynn ersetzen könnte.“

„Jetzt machst du mich aber neugierig. Wer von den Profis würde mit meinen Kids spielen wollen?“

„Ach hör auf. Deine Kids sind richtig gut und das weißt du selbst. Also, ich werde mit Maxi das Doppel spielen und sei auf gute Ergebnisse gefasst. Wir rocken die Doppelkonkurrenz.“

Mit vielem hätte ich gerechnet, aber dass ein ehemaliger top zwanzig Spieler sich spontan entschied, mit einem siebzehnjährigen Nachwuchsspieler Doppel zu spielen, nein, damit konnte ich nun überhaupt nicht rechnen.

„Äh, ja. Meinst du das jetzt ernst? Du willst wirklich mit Maxi das Doppel spielen?“

„Ja, aber du solltest eine klare Entscheidung fällen und Fynn aus dem Spiel nehmen. Er würde vermutlich nicht verzichten, weil er Maxi nicht enttäuschen möchte.“

„Ja, ich weiß. Genau deshalb habe ich es auch noch nicht entschieden. Ich wollte gleich mit ihm darüber reden.“

„Gut, dann regel das und mach die geänderte Meldung. Ich bin bereit.“

Das war eine überraschende, aber auch sehr positive Entwicklung. Die Jungs hatten beim Training mit Andreas einen so guten Eindruck hinterlassen, dass sich das heute auszahlte. Jetzt musste ich das mit Fynn noch klären.

Ich bedankte mich bei Andreas und machte mich auf den Weg zu Fynn. Allerdings brauchte ich nicht weit zu gehen, denn er kam mir bereits entgegen.

„Hi Chris, Dustin hat mir gesagt, ich soll mich bei dir melden. Also, hiermit melde ich mich gehorsamst zur Stelle.“

Ich musste lachen.

„Ok, immerhin hast du deinen Humor wieder, das ist ein gutes Zeichen. Wie geht es dir nach dem harten Match?“

Ich konnte sofort erkennen, dass er auf die Frage gewartet hatte.

„Es geht. Mittlerweile wieder besser, aber direkt nach dem Match war ich vollkommen leer. Dustin meint, ich soll das Doppel absagen. Das kann ich aber Maxi nicht antun. Ich habe es ihm versprochen. Allerdings muss ich morgen wieder ein ganz hartes Einzel spielen. Ich weiß nicht was ich tun soll.“

„Gut, das kann ich verstehen, dass du Maxi nicht enttäuschen möchtest. Allerdings macht es einfach keinen Sinn, sich zu übernehmen. Das Einzel ist wichtiger und das wird Maxi sicher nachvollziehen können. Ich mache dir einen Vorschlag. Du sagst das Doppel ab und ich werde für Maxi einen Ersatzpartner organisieren. Er wird also spielen können, egal ob du spielst oder nicht. Was hältst du davon?“

„Wie soll das gehen? In einer halben Stunde ist Anmeldeschluss. Bis dahin kannst du doch keinen Spieler herbeizaubern. Dustin darf noch nicht und du wirst wohl kaum selbst spielen.“

„Wer sagt das denn? Dass ich nicht selbst spielen kann? Warum eigentlich nicht? Das wäre doch sicher eine coole Nummer. Allerdings dürfte Maxi wenig davon halten. Ich bin einfach zu schlecht.“

Fynn schaute mich an, als ob ich ein Geist wäre, fing dann aber an zu grinsen und erwiderte:

„Coole Idee, das wird bestimmt lustig. Vielleicht nicht gut für deinen Rücken, aber Maxi hätte bestimmt auch viel Spaß dabei.“

„Klar, nein, Spaß beiseite. Du wärest also einverstanden, das Doppel nicht zu spielen, wenn ich Ersatz für Maxi finden würde?“

„Ja.“

„Gut, dann kann ich dir sagen, ich habe gute Chancen, einen Ersatz zu finden. In zehn Minuten bin ich wieder da. Wir treffen uns an dem Eisstand vor Platz zwei.“

„Ok, ich sage den anderen Bescheid.“

„Danke, bis gleich.“

Mein Weg führte direkt ins Turnierbüro und ich meldete das Doppel um. Mit ein wenig Erstaunen wurde meine Meldung zur Kenntnis genommen, aber der Veranstalter wusste auch, dass ein so bekannter Spieler wie Andreas Seppi viele Zuschauer anlockte.

Jetzt kam der Moment, dass ich Maxi das erklären musste. Andreas hatte die Idee, dass er das mit mir gemeinsam Maxi verkünden würde. So könnten sie sich auch gleich ein wenig über das Match unterhalten und sich näher kennenlernen.

So gingen wir gemeinsam zum vereinbarten Treffpunkt. Maxi, Fynn und Dustin waren bereits dort und warteten auf mich.

„Hi, Andreas. Du musst erst morgen ran, oder?“

Dustin kannte Andreas ja noch nicht und entsprechend verwundert schaute er, als sein Freund das sagte. Ich stellte ihm Andreas vor und dann musste ich meine Entscheidung bekannt geben.

„So, da Fynn sehr geschafft ist und es unverantwortlich wäre, dass er heute auch noch ein Doppel spielt, habe ich mit Fynn besprochen, dass er kein Doppel mehr spielt. Aber bevor mich Maxi jetzt standrechtlich erschießen wird, ich habe einen Ersatz gefunden.“

Mit einem Lächeln zeigte ich auf Andreas. Maxi war vollkommen überrascht, starrte mich absolut ungläubig und mehr als erstaunt und verwundert an.

„Das ist nicht dein Ernst! Wie soll ich denn da das Niveau halten können? Oh man, Chris, da werde ich ja total alt bei aussehen.“

„Ähm, ja, du bist ja auch der Älteste von euch.“

Meine Antwort führte zu großer Heiterkeit und auch Dustin lachte befreit auf.

Jetzt überließ ich Andreas das Feld und ging mit Dustin und Fynn ein wenig zur Seite.

„Was machen deine Beine? Hast du dich schon etwas erholt?“

Fynn schüttelte dem Kopf.

„Nein, nicht wirklich. Mir tun alle Muskeln und Knochen weh. Am liebsten würde ich mich lang machen.“

Ich dachte einen Augenblick nach und hatte mich schnell entschieden:

„Gut. Dann geht ihr beide jetzt ins Hotel zurück. Dustin wird auf dich aufpassen, Fynn. Mach dir ein heißes Bad und leg dich hin. Ich werde mit Maxi nach dem Doppel ins Hotel kommen und nach dir schauen.“

„Meinst du nicht, wir sollten zur Unterstützung hier bleiben?“

„Nein, das ist nett gemeint und ich weiß, dass ihr ungern geht. Allerdings ist es jetzt für dich besser und wichtiger sich auszuruhen. Sollte es Probleme geben, ruft mich bitte an.“

Dustin und Fynn umarmten mich kurz, bevor sie sich auf den Heimweg machten.

Ich blieb mit Andreas und Maxi zurück. Andreas staunte über diesen Zusammenhalt, indem er anmerkte:

„Deine Jungs sind eine besondere Gruppe. Jeder trägt auch für den Anderen Verantwortung. Das imponiert mir sehr. Wie ist das für dich Maxi? Gibt es manchmal mit den Leuten Probleme, wenn sie bemerken, dass deine Freunde schwul sind?“

„Nein, bislang eher selten. In der Schule ist es manchmal schwierig, weil wir ein paar homophobe Arschlöcher haben, aber das ist mittlerweile recht gut geklärt. Meine Klasse steht klar auf der Seite von Fynn und Dustin.“

Ich ließ die beiden jetzt allein. Sie sollten sich auf ihr Doppel vorbereiten und Andreas war erfahren genug, die Vorbereitung zu übernehmen. Ich würde erst wieder kurz vor Beginn des Matches zu ihnen stoßen.

Für mich war das die Gelegenheit, etwas zu entspannen und sich in die Sonne zu setzen. Leider meldete sich bald mein Handy. Ich bekam eine Nachricht von Marc Steevens, in der er mich um einen Rückruf bei Zeit und Gelegenheit bat. Da ich noch etwas Zeit hatte, rief ich ihn an.

„Steevens.“

„Hi Marc. Chris hier. Du hast um einen Rückruf gebeten. Was liegt an?“

„Danke, dass du so schnell reagierst. Wie geht es in Kitzbühel?“

„Ich bin sehr zufrieden. Gleich spielt Maxi noch ein Doppel, dann ist heute für uns Feierabend. Fynn spielt morgen noch Einzel. Also richtig gut, meine Jungs.“

„Sehr schön. Pass mal auf, ihr seid ja bald in der Schweiz. Wir treffen uns dort. Was die Jungs noch nicht wissen sollen, ich lade euch vier Tage zu uns an den Genfer See ein. Also wenn dann das Turnier hier bei uns vorbei ist, machen wir vier Tage Urlaub, bzw. deine Jungs werden sportlich bleiben. Genau wie wir, aber anderen Sport. Du bist aber verantwortlich für eure Abläufe und deshalb möchte ich fragen, ob das überhaupt geht?“

„Äh, ok. Lass mich einen Augenblick nachdenken, aber momentan spricht nichts dagegen. Was hast du dir denn für einen Sport ausgedacht? Nicht, dass meine Jungs anschließend mehr kaputt sind als vorher.“

„Das verrate ich allerdings noch nicht. Und bitte verrate du deinen Jungs noch nichts von unserem Plan. Sie sollen sich ganz auf ihr Tennis konzentrieren. Wir treffen uns dann bei uns in der Schweiz. Details klären wir rechtzeitig. Ist das ok?“

„Ja, das ist ok. Wie geht es denn deiner Familie?“

„Ja, hier ist soweit alles bestens. Luc hat seinen Führerschein in der Theorie bestanden und darf jetzt endlich auch bald selbst fahren. Praktisch wird die Prüfung an dem Montag nach unserem Turnier sein.“

„Na das hört sich ja gut an. Fynn und Maxi haben mittlerweile auch angefangen. Allerdings haben sie im Moment wenig Zeit zum Lernen. Ich würde sagen, wir sehen uns dann bei euch in der Schweiz. Danke für die Einladung und bestell bitte an alle schöne Grüße von uns.“

Ich steckte das Handy wieder ein und blieb noch einige Minuten in der Sonne sitzen. Diese wenigen Augenblicke der Entspannung taten mir gut. Ich nahm mir die Freiheit, nicht sofort an den Platz von Maxi und Andreas zu gehen. Andreas war einer der erfahrensten Spieler auf der Tour. Ein exzellenter Doppelspieler, er sollte Maxi genug Sicherheit geben. Hier war ich nicht sofort gefragt.

Als ich mich dann etwas später auf die Tribüne gesetzt hatte, führten die beiden bereits 4:1 im ersten Satz. Erstaunlich, wie souverän Maxi sich auf dem Platz darstellte. Er konnte jederzeit mit Andreas mithalten und sie ergänzten sich fantastisch.

Es dauerte auch nicht mehr allzu lange und sie hatten ihren ersten Matchball verwandelt. Ich hatte ein ganz starkes Doppel gesehen, welchem ich auch noch mehr zutraute. Vielleicht würde es hier für die beiden noch weit gehen.

Die beiden kamen mir entgegen und waren sehr angeregt in einer Diskussion über das Match. Maxi strahlte mich an und sprühte noch voller Energie.

„Hey, du bist ja gar nicht müde. Musste Andreas allein auf dem Platz laufen?“

Beide lachten und ich war über diese Lockerheit bei beiden sehr erstaunt. Andreas schien genau die richtige Art bei Maxi getroffen zu haben.

Für heute hatten wir Feierabend. Lediglich für mich stand noch die strategische Vorbereitung für morgen auf dem Plan. Ich nutzte allerdings noch die Gelegenheit mich mit Andreas auszutauschen. Anschließend ging ich mit Maxi zurück ins Hotel.

„Und wie war das Doppel für dich? Andreas ist immer noch richtig gut, trotz der langen Verletzungspause.“

„Das ist so geil, mit ihm zu spielen. Er hat so viel Routine und kann mir immer weiterhelfen. Also nicht, dass du das falsch verstehst, du bist für uns noch wichtiger, aber auf dem Platz fühlt sich das geil an.“

„Das freut mich. Mal sehen wie das morgen weitergehen wird. Für heute ist Feierabend und wir erholen uns bis morgen. Jedenfalls so gut es geht.“

Luc: Führerschein und Besuch vorbereiten

Ich hatte heute meine theoretische Führerscheinprüfung und entsprechend früh musste ich aus dem Haus gehen. Ich war vom Unterricht für die ersten Stunden beurlaubt und Stef war allein in die Schule gefahren. Mama brachte mich zur Fahrschule und wünschte mir viel Erfolg, bevor sie wieder davon fuhr.

„Na, Luc. Heute auch bei dir der Tag der Wahrheit?“

Ich schaute mich irritiert um, aber als ich Sascha aus meiner Klasse entdeckt hatte, mussten wir beide lachen.

Wir betraten gemeinsam um kurz nach halb acht die Fahrschule und nahmen im Unterrichtsraum Platz. Nach und nach trudelten die anderen Prüflinge ein. Pünktlich um acht erschien unser Fahrlehrer mit dem Prüfer. Bis dahin hatte ich noch schnell zwei Übungsbögen gemacht und mit null Fehlern abgeschlossen. Das beruhigte mich. Jetzt wurden wir an die PCs verteilt und ich meldete mich mit meinem Namen im Programm an.

Die Aufgaben bzw. Fragen empfand ich als leicht zu lösen und entsprechend schnell war ich fertig. Ich überprüfte noch einmal alle Antworten und ging anschließend nach vorn und war gespannt auf das Ergebnis. Sofort wurden meine Antworten kontrolliert. Ein wenig aufgeregt war ich in diesem Augenblick schon. Dann sagte der Prüfer:

„Wunderbar. Das sind null Fehlerpunkte. Ich gratuliere.“

Er gab mir die Hand und ich durfte gehen. Damit hatte ich meine Theorie bestanden und machte mich direkt auf den Weg in die Schule. Allerdings hatte ich Stef noch schnell geschrieben. Ich wusste genau, dass er auf eine entsprechende Nachricht von mir warten würde. Er ging ja weiterhin auf das Internat, wo Leif auch noch war.

Passend zur ersten großen Pause traf ich an unserer Schule ein. Bevor ich das Gebäude betreten konnte, hatte mich Nico bereits entdeckt und lief auf mich zu. Seit einiger Zeit war in der Schule meine Homosexualität für die meisten Schüler überhaupt kein Problem. Sogar unsere Lehrer unterstützten unser neues Projekt.

Eine schwule Schülergruppe.

Dort konnten alle Schüler, die Fragen zu diesem Thema hatten, vertraulich hingehen und wurden von unserem Beratungslehrer oder einem von den schwulen Schülern beraten. Es gab mittlerweile einige schwule Schüler an unserer Schule. Unser Mut, damals auch unseren Rektor ins Boot zu holen, hatte sich für diese Schüler ausgezahlt. Stef unterstützte mich auch bei dieser Gruppe, wenn es zeitlich möglich war.

„Wann hast du jetzt genau deine Fahrprüfung?“

„Es bleibt bei Montag kommender Woche. Also, wenn unsere Freunde vom Breakpoint Team zu Gast sind. Ich hoffe, es wird alles klappen. Papa hat sich viel überlegt. Sonst wäre er nicht so bestimmt in seiner Planung gewesen. Außerdem hat er uns noch gar nichts verraten. Das ist immer ein gutes Zeichen.“

„Ja, es wird bestimmt wieder sehr spektakulär. Weißt du noch die Aktion damals bei Karl auf dem Flughafen? Wo er dich plötzlich mit seinem Ferrari erschreckt hatte?“

Nico erzählte immer neue Geschichten aus dieser Zeit und wir mussten beide viel lachen. Meine Güte, das war schon eine lange Zeit her. Dennoch hatte ich die Bilder noch sehr gut vor Augen.

Leider störte die Pausenklingel unsere amüsante Plauderei. Der Unterricht wartete auf mich.

Die Ferien waren erneut viel zu schnell vorübergegangen und jetzt stand ich bereits in den Vorbereitungen auf die ersten Abiturklausuren. Meine Schulzeit neigte sich dem Ende zu, auch wenn es mir schwerfiel, dies zu akzeptieren.

Ich saß in der Mathematikstunde, als es an der Tür klopfte. Unser Rektor betrat mit einem freundlichen „Guten Morgen“ den Klassenraum.

„Herr Kollege, entschuldigen Sie bitte die Störung, aber ich möchte Lucien gern aus ihrem Unterricht entführen.“

Dass Herr Steyrer vom Internat unvermittelt in den Unterricht kam, kannte ich von Stef, aber dass unser Rektor das tat, kam äußerst selten vor. Entsprechend überrascht war ich, dass er ausgerechnet mich mitnehmen wollte.

Ich stand auf und verließ mit ihm den Klassenraum.

„Sorry Lucien, ich wollte dich nicht erschrecken. Allerdings haben wir ein akutes Problem.

In der Acht haben wir einen Vorfall mit einem Schüler. Du kennst die Klasse ja bereits und wir brauchen dort deine Hilfe.“

Mittlerweile war ich in der Schülervertretung aktiv und eben auch in dem Schwulentreff.

„Um was geht es denn? Muss ja dringend sein, wenn Sie mich aus dem Unterricht holen.“

„Ja, tut mir auch leid. Ich weiß, dass ihr in der Abiturvorbereitung seid. Allerdings haben wir Anzeichen von einer Erpressung und ein Junge aus der Klasse ist seit drei Tagen verschwunden. Du kennst seinen Freund sicher. Sascha Hellwein.“

„Klar, was ist mit Sascha? Ich gebe ihm Nachhilfe.“

„Er hat sich bei mir gemeldet, dass sein Freund, Marco Studi, seit drei Tagen untergetaucht ist.“

„Ja und was soll ich jetzt machen? Vor allem sofort?“

Mittlerweile waren wir bereits auf dem Weg nach unten in die Eingangshalle. Ich wunderte mich schon sehr über dieses Verhalten und erst, als wir in das Sekretariat kamen und ich zwei Polizisten dort sah, wurde mir klar, dass die Lage wohl doch ernst war. Mein Rektor stellte mich den Beamten vor und dann gingen wir in das Zimmer des Rektors.

„Erzählen Sie doch bitte Lucien, was sich ereignet hat, dann kann er Ihnen vielleicht weitere Informationen geben.“

Einer der beiden Beamten berichtete dann von den Geschehnissen und dass Sascha ihnen von einer Auseinandersetzung mit älteren Jugendlichen erzählt hatte. Es würde um Drogen gehen, die Marco an unserer Schule verteilen sollte. Marco hatte sich jedoch geweigert und wurde immer stärker unter Druck gesetzt. Ich fragte mich natürlich sofort, mit was er denn erpresst werden konnte. Schließlich hätte er doch einfach unseren Beratungslehrer informieren können.

„Hm, nachdem Sie mir das berichten, stelle ich mir eine entscheidende Frage. Warum hat er keinen von uns ins Vertrauen gezogen. Womit ist Marco erpressbar? Hat Sascha etwas dazu gesagt?“

„Genau darum geht es, Lucien. Er hat uns kein Wort über ein Problem mit Marco erzählt. Ich denke aber, dass er uns etwas verschweigt. Wir würden dich jetzt gern bitten, mit Sascha zu sprechen. Ich weiß, dass das nicht angenehm für dich ist, allerdings haben mir zwei Mädchen aus der Parallelklasse erzählt, dass es Anzeichen gäbe für eine Beziehung zwischen Marco und einem noch jüngeren Schüler. Vielleicht ist da etwas dran und er hat jetzt Angst, dass das für ihn zu einem Problem werden könnte.“

Das waren Informationen, von denen ich noch gar nichts mitbekommen hatte. Umso erstaunter war ich. Außerdem konnte ich so eine Situation gerade jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Natürlich sagte ich aber meine Unterstützung zu. Ich wollte auf jeden Fall mit Sascha sprechen und versuchen, mehr Informationen zu erhalten.

Als sich die Beamten von uns verabschiedet hatten, stand ich noch einen Augenblick nachdenklich im Foyer meiner Schule. Es erinnerte mich an eine Geschichte, die sich vor längerer Zeit im Internat meiner Brüder zugetragen hatte. Dort hatten Mick und Lukas eine ähnliche Situation erlebt. Sie konnten das aber mit Hilfe ihres Direktors recht schnell auflösen.

Sollte ich Sascha direkt auf dieses Problem ansprechen? Oder sollte ich mich zuerst einmal generell in der Acht umhören? Ich entschied mich für die erste Variante und ging zurück in meine Klasse. Dankenswerterweise hatte Nico sich bereits um meine Sachen gekümmert. Ich bekam meinen Rucksack von ihm und er sah mir sofort an, dass es um etwas sehr Wichtiges gegangen sein musste.

In der nächsten großen Pause saßen wir auf einer Bank auf dem Schulhof. Ich hatte ihm gerade erzählt, was mir unser Rektor mitgeteilt hatte. Nico war sehr ärgerlich.

„Boah, wenn das bei uns jetzt auch beginnt mit diesen scheiß Drogen, dann wird das böse enden. Wir sollten dagegen etwas tun. Und vor allem sollten wir älteren Schüler die jüngeren beschützen und unterstützen.“

„Wir können das nicht verhindern, aber wir können unseren Mitschülern anbieten, sie zu unterstützen, wenn sie Hilfe möchten. Jetzt werde ich zu Sascha gehen und mal mit ihm sprechen. Vielleicht erzählt er mir ja etwas mehr.“

„Wann willst du das machen? Wir haben noch Unterricht, die Acht wird gleich nach der nächsten Stunde Schluss haben.“

„Ganz einfach, ich werde Sascha vor der Klasse abfangen und mit ihm reden. Du sagst unserer Physiklehrerin bitte, dass ich dann später komme.“

Nico stand von der Bank auf und ich konnte sehen, dass er diese Situation gar nicht gut fand. Ich beruhigte ihn und wir gingen wieder in den Unterricht. Während der Englischstunde hatte ich Zeit, mir eine Strategie für das Gespräch bereitzulegen. Jetzt wäre Chris bestimmt ein guter Ratgeber. Er hatte ganz sicher Erfahrungen mit solchen Dingen. Leider kam er erst in der kommenden Woche zu uns. Also musste ich erst einmal allein mit Sascha sprechen.

Nachdem die Stunde zu Ende gegangen war, hatte ich mich direkt auf den Weg zum Klassenraum der Acht gemacht. Sascha wollte gerade durch das Treppenhaus nach unten gehen, als ich ihn sah. Schnell lief ich zu ihm hin.

„Sascha, warte bitte einmal.“

Er drehte sich um und schaute mich fragend an.

„Luc? Was machst du denn hier?“

„Ich möchte mit dir etwas besprechen. Hast du ein wenig Zeit für mich?“

„Jetzt? Hm, wenn es nicht zu lange dauert. Was hast du denn so Wichtiges? Habe ich was zu befürchten? Immerhin bist du Schülersprecher.“

„Nein, keine Bange. Ich möchte mit dir über Marco sprechen. Ich habe gehört, dass er seit drei Tagen verschwunden ist.“

Sascha zuckte zusammen.

„Woher hast du davon gehört? Das sollte geheim bleiben.“

„Ist doch jetzt egal. Ich kenne Marco doch auch und vielleicht hat er größere Probleme und wir sollten ihm helfen.“

„Luc, könnten wir uns später irgendwo treffen. Ich möchte nicht in der Schule darüber reden.“

„Klar, wenn du möchtest, komm zu mir nach Hause. Da sind wir garantiert ungestört.“

„Echt jetzt? Ich soll zu dir nach Hause kommen? Ok, wann soll ich da sein?“

„Schlag mal eine Zeit vor. Wann es dir am besten passt.“

Er überlegte einen Augenblick und erwiderte:

„Sagen wir um halb sechs?“

„Ja, das ist in Ordnung. Alles klar und mach dir keinen Stress. Wir möchten helfen.“

Sascha winkte mir noch einmal kurz zu und fuhr dann mit dem Rad davon. Ich musste leider wieder in den Unterricht. Sehr nachdenklich betrat ich unseren Unterrichtsraum. Unsere Lehrerin schaute mich nur kurz an, nickte mir zu und ich nahm Platz. Nico schaute mich an. Wir konnten nicht allzu viel miteinander reden, da unsere Lehrerin das überhaupt nicht mochte. Erst nach der Stunde konnte ich ihm alles erklären. Gut fand er, dass Sascha auf ein Gespräch eingewilligt hatte. Allerdings warnte er mich:

„Aber du musst versprechen, dass du keine Alleingänge machst. Ich möchte keine Angst um dich haben müssen. Stef wäre bestimmt richtig sauer.“

„Ja, das stimmt wohl. Der würde mir wahrscheinlich den Kopf abreißen, sollte ich mich auf ein Vabanquespiel einlassen. Nein, das verspreche ich dir, dass ich mir Unterstützung hole, sollte es notwendig werden.“

Um halb fünf saß ich mit Stef bei uns zu Hause auf dem Balkon. Papa war wie so oft in der Werkstatt und bastelte an seinen Autos. Mama hatte sich mit ihrer besten Freundin zum Canasta verabredet. Also waren wir allein zu Hause, denn Leif war bei seiner Freundin.

„Sag mal Schatz, warum bist du so angespannt? Ich sehe dir an, dass du ein Problem im Kopf herumwälzt.“

„Hm, ja. Ich denke gerade über ein Problem nach. Gleich kommt Sascha zu Besuch. Das ist ein Schüler aus unserer Acht. Es gibt ein Problem in der Klasse. Ein Schüler ist seit drei Tagen vermisst und unser Rektor hat mich gebeten, mit Sascha ein Gespräch zu führen.“

„Warum das denn?“

„Naja, ich gebe Sascha Nachhilfe und wie du ja weißt, bin ich in der Schülervertretung aktiv. Vielleicht geht es da um Drogen. Wir haben ja mal ein Projekt dazu gemacht. Allerdings möchte ich, dass du gleich bei dem Gespräch dabei bist. Es könnte sein, dass Marco Studi wegen einer geheimen Beziehung zu einem anderen Jungen, erpresst wurde. Jedenfalls ist Marco seit drei Tagen untergetaucht.“

Stef bekam große Augen und als sie sofort zu schmalen Schlitzen wurden, war mir klar, Stef würde alle Hebel in Bewegung setzen, um Marco zu finden. Er kannte diese Situation einfach zu gut.

„Boah, wenn das stimmt, sollten sich die Typen, warm anziehen. Jetzt haben sie sich mit den Falschen angelegt. Soll ich etwas zu trinken oder zu essen vorbereiten?“

„Nein, lass mal. Vielleicht ist es gut, wenn wir Hunger bekommen sollten, gemeinsam in der Küche etwas zu machen. Dabei lässt es sich bestimmt gut reden.“

Stef bekam ein Lächeln ins Gesicht. Er legte mir seinen Arm um die Hüfte und flüsterte mir ins Ohr:

„Du bist einfach ein Filou. Du hast doch schon wieder einen Plan im Kopf.“

Dann küsste er mich und wir lachten herzlich über seinen Spruch.

Wir machten unsere Schulsachen fertig und dann war es auch schon Zeit. Es klingelte und ich ging zur Tür. Seitdem wir in unserer eigenen Wohnung im Haus lebten, hatten wir natürlich auch einen eigenen Eingang. Wir konnten aber auch durch unsere Wohnung über eine Treppe nach unten gehen. Meine Eltern nutzten das aber nur noch selten. Papa klingelte meistens bei uns, wenn er uns besuchen wollte.

Sascha stand etwas außer Atem vor mir und ich bat ihn herein.

„Sorry, ich bin etwas spät losgefahren. Hoffentlich bin ich nicht zu spät.“

Während ich vorweg ging, antwortete ich: „Nein, passt schon. Wir gehen am besten ins Wohnzimmer.“

Stef saß bereits auf dem Sofa und als wir den Raum betraten, stand er auf und begrüßte Sascha. Ich musste schmunzeln, weil ich doch etwas Unsicherheit bei Sascha bemerkte.

„Du weißt aber doch, dass Stef mein Freund ist?“

„Ja, schon. Allerdings wusste ich nicht, dass ihr schon zusammen wohnt.“

Wir lachten und erklärten Sascha die Situation. Das lockerte die Stimmung und dann setzten wir uns an den Couchtisch. Sascha erzählte uns die Geschichte aus seiner Sicht. Mir fehlten allerdings ein paar wichtige Bausteine. Das war so nicht logisch für mich. Sascha hinterließ den Eindruck, dass er uns eine entscheidende Information vorenthielt.

„Das ist ja alles soweit nachvollziehbar“, sagte ich, „ aber warum sollte Marco deswegen abhauen? Das macht keinen Sinn. Außerdem, was ist mit dem Gerücht, dass Marco einen deutlich jüngeren Freund hat? Woher kommt denn das?“

Jetzt erschrak Sascha. Damit hatte er nicht gerechnet, dass ich davon bereits wusste. Er wurde blass und unruhig. Stef hatte es auch bemerkt und reagierte schnell.

„Hey, das ist doch für uns kein Problem, sollte es denn tatsächlich so sein. Allerdings hilfst du Marco nicht, wenn du weiter schweigst. Wir glauben, dass Marco Hilfe benötigt oder ihm sogar etwas zugestoßen ist.“

Das half. Sascha begriff, in welcher Situation sich sein Freund befinden würde.

„Also gut, ihr habt mich überzeugt. Allerdings weiß ich auch nicht genau wo er ist. Er hat mir gesagt, dass er bei einem Freund ist. Er hat Angst, dass ihn die Dealer erwischen, weiter bedrohen und drangsalieren.“

Er wurde sehr unruhig und mir wurde die Situation unangenehm.

„Hey, ganz ruhig, Sascha. Wir verstehen die Problematik. Wir werden ihn nicht verraten, aber wir müssen wissen wo er ist. Die Eltern und die Polizei suchen ihn bereits und ich verspreche dir, dass wir ihn unterstützen, das Problem zu lösen.“

„Wie wollt ihr das machen? Wenn die Typen herausbekommen, dass Marco ausgepackt hat, ist er dran. Und sie werden es spätestens dann wissen, wenn die Polizei auftaucht.“

„Sie werden es nicht herausfinden. Ich habe bereits eine ähnliche Sache vor einiger Zeit erlebt. Damals haben Mick und Lukas so eine Sache gehabt. Da ist die Polizei auch sehr diskret vorgegangen. Glaub uns, wenn wir sagen, wir können ihm helfen.“

„Ich glaube euch ja, aber ich weiß nicht, ob Marco das auch tut. Er hat große Angst und ja, es stimmt, er hat einen Freund, der noch jünger ist. Er hat einfach Schiss, dass das herauskommt und er dann dafür auch mächtigen Ärger bekommt.“

„Ok“, sagte ich, „auch das bekommen wir hin. Kannst du bitte versuchen ihn zu überreden, mit uns Kontakt aufzunehmen? Wir werden euch helfen. Das Problem mit seinen Eltern werden wir auch versuchen zu regeln. Wir werden jedenfalls unterstützen, wo wir können.“

Sascha schien Vertrauen zu finden, er nickte und ich bekam das Gefühl, er würde es zumindest versuchen, Marko zu überreden. Er schwieg allerdings einige Augenblicke und sagte dann:

„Gut. Ich versuche es, ihn zu überreden. Soll er euch direkt anrufen oder wie?“

„Ja, kann er gerne tun. Auch herkommen wäre okay. Hauptsache, er meldet sich überhaupt.“

„Gut, ich werde es versuchen.“

„Sehr gut“, sagte Stef erleichtert.

Ich reichte Sascha meine Hand und er schlug ein. Das löste die Anspannung in mir. Ich atmete tief durch und Sascha sagte dann überraschend:

„Ich könnte gleich versuchen, ihn anzurufen. Kann ich bitte mal nach draußen gehen?“

„Hey, das wäre echt klasse. Andere Frage noch, hast du vielleicht Hunger? Wir könnten noch eine Kleinigkeit zusammen essen, wenn du möchtest.“

„Ja, schon. Allerdings nur, wenn es keine Umstände macht.“

„Geh du telefonieren und wir gehen schon mal in die Küche. Du kommst dann einfach dazu.“

Sascha verließ das Wohnzimmer und ging auf den großen Balkon, während Stef und ich in die Küche gingen.

„Denkst du, dass Marco uns glauben wird? Hoffentlich nimmt das kein böses Ende.“

„Ich hoffe es sehr, Schatz. Aber mehr können wir jetzt nicht machen. Warten wir mal ab, was Sascha jetzt erreicht.“

Wir begannen Zwiebeln zu schneiden und eine große Pfanne Bratkartoffeln zu braten. Dazu ein paar Spiegeleier und schon war innerhalb weniger Minuten ein leckeres Abendbrot zubereitet. Wir hatten Sascha fast vergessen, als er plötzlich bei uns in der Küche stand.

„Hm, das riecht aber lecker. Ihr könnt richtig kochen. Das ist cool. Ich würde das auch gern können, aber irgendwie habe ich dafür gar kein Talent.“

„Hast du das schon probiert oder wer hat das gesagt?“, fragte Stef.

„Meine Mutter hat gesagt, ich hätte kein Talent in der Küche und ich sollte das besser lassen.“

Über solche Aussagen von Eltern konnte ich mich jedes Mal aufregen. Stef wusste sofort, was zu tun war.

„Hey Schatz, lass uns das doch einfach mal ausprobieren und seiner Mutter dann das Gegenteil beweisen.“

Damit hatte mich mein Freund sofort in der Hand und ich musste lachen. Sascha freute sich über diesen Vorschlag.

„Cool, das könnten wir ja machen, wenn Marco hier ist. Er hat gesagt, wenn ihr versprecht, ihn nicht zu verpetzen, würde er sich mit euch treffen.“

„Super. Wann will er herkommen?“

„Er hat mir gesagt, dass er morgen Abend herkommen könnte. Aber nur, wenn ihr der Polizei nichts davon sagt. Er hat Angst, dass man ihm auflauert.“

Meine Güte, musste er Angst ausstehen oder ausgestanden haben. Wir sollten sehr vorsichtig sein, denn diese anderen Typen schienen echt gefährlich zu sein.

„Ich verspreche ihm, dass wir ihm helfen werden und nichts gegen seinen Willen tun werden.“

Stef war sehr clever mit seiner Aussage. Ich hatte ihn sofort verstanden und nickte ihm zu. Sascha sprach erneut mit Marco und es war damit klar, dass er uns morgen besuchen würde. Jetzt widmeten wir uns dem Essen und Sascha erzählte uns diese Geschichte aus seiner Sicht.

Es wurde doch recht spät und ich war etwas in Sorge, Sascha nach zehn Uhr noch allein nach Hause fahren zu lassen. Deshalb bat ich Papa, ihn nach Hause zu bringen. Stef und ich hatten so noch ein wenig Zeit, unsere Strategie zu besprechen.

„Denkst du, wir sollten wirklich nicht mit der Polizei zusammenarbeiten? Zumindest sollten wir dann aber deinen Papa mit ins Boot nehmen.“

Stef fühlte sich genauso unwohl wie ich. Ich war mir auch überhaupt nicht sicher mit dem, was ich tun sollte. Das kannte ich nicht von mir. Eigentlich hatte ich in den letzten Monaten selten keine Idee über das, was richtig oder falsch ist.

„Schatz, so wie du aussiehst, möchte ich, dass wir deinen Vater einweihen. Ich will diese Verantwortung nicht allein tragen.“

Ich nickte wortlos. Stef hatte recht. Ich wollte es mir nur noch nicht eingestehen. Diese Nummer entwickelte sich als etwas zu groß für uns.

Als Papa zurück kam, gingen wir nach unten und betraten das Wohnzimmer. Papa hatte es sich bereits wieder auf der Couch gemütlich gemacht.

„Hallo ihr beiden. Ich habe Sascha heile nach Hause gebracht, falls ihr das fragen wolltet.“

Er schaute uns an und innerhalb weniger Augenblicke verschwand sein Lachen aus dem Gesicht.

„Oha, ich glaube, da ist bei eurem Gespräch noch mehr passiert. Setzt euch bitte und erzählt mal.“

Stef schaute mich an und ich nahm ihn einfach an die Hand und wir setzten uns zu Papa in die Sitzgruppe.

„Ja, wie so oft erkennst du es doch sofort, wenn etwas nicht so läuft wie wir es möchten. Sascha hat uns eine Geschichte erzählt, die überhaupt nicht gut und schon gar nicht schön ist. Sein Klassenkamerad und Freund Marco ist seit drei Tagen untergetaucht. Er wurde von Drogendealern erpresst, bei uns an der Schule das Zeug zu verteilen. Jetzt hat er einfach Schiss, dass die ihm was antun. Er hat nämlich nicht mehr weitergemacht mit dem Verteilen.“

„Welche Klasse ist das denn? Sascha ist doch noch sehr jung. Vielleicht dreizehn oder vierzehn.“

„Richtig, es ist die Acht. Stef hatte mir schon vor zwei Wochen von seltsamen Dingen erzählt. Ich wollte es nicht glauben, aber ich fürchte, dass das stimmt.“

„Aber Luc, womit wird Marco denn erpressbar? Wenn er einfach aufhört, das Dreckszeug zu verteilen, müssen die Typen doch damit rechnen, dass sie auffliegen. Es sei denn, dass Marco noch etwas anderes zu verbergen hat.“

Ich schaute Stef an und er nickte mir zu.

„Wir glauben, dass es darum geht, dass Marco einen Freund aus der Sechs oder Sieben hat und mit dem eine heimliche Beziehung unterhält. Das könnte der Grund sein, warum er Angst hat. Sascha meinte nämlich, dass seine Eltern sehr gläubig seien. Deshalb würde Marco das auf keinen Fall seinen Eltern erzählen wollen.“

Stef ergänzte: „Außerdem setzen diese Typen Marco wohl ziemlich unter Druck. Wir sollten etwas tun, vor allem muss Marco geschützt werden, nur keiner weiß, wo er untergetaucht ist.“

„Nein, Schatz. Das stimmt ja nicht. Sascha weiß es, sonst hätte er Marco nicht angerufen.“

Jetzt schaute Papa sehr aufmerksam zu uns und fragte:

„Moment, heißt das, Sascha hat bislang geschwiegen? Er weiß wo Marco ist und verrät es nicht einmal Marcos Eltern? Das geht aber gar nicht. Er sollte sofort damit rausrücken, wo Marco steckt.“

„Papa, das haben wir ihm auch gesagt. Aber er hat Angst. Allerdings haben wir Sascha überzeugen können, dass Marco morgen Abend hier herkommen wird. Nur wir wissen nicht, wie wir weiter vorgehen sollen und können.“

Als Papas ernstes Gesicht sich in ein Lächeln verwandelte, wusste ich, dass er eine Idee hatte.

„Das hört sich schon viel besser an. Sascha und Marco kommen morgen Abend also her. Dann werde ich ebenfalls im Hause sein und ihr führt aber das Gespräch zuerst allein. Allerdings werdet ihr darauf bestehen, dass ihr mich einweihen müsst. Ihr sollt das auf keinen Fall allein lösen.“

Das war wieder so typisch für Papa. Ohne lange zu zögern, war ihm klar, dass er sich einmischen wird. Und mir war klar, diese Baustelle würden wir gemeinsam lösen.

Chris: Das Doppel entwickelt sich zu einer kleinen Sensation

Fynns zweites Einzel stellte sich für mich als eine wichtige Erfahrung für uns dar. Sein Gegner wäre absolut schlagbar gewesen, hätte Fynn nicht am Vortag dieses extrem anstrengende Match gehabt. Fynn hatte einfach nichts zuzusetzen und es war absolut richtig, ihn kein Doppel spielen zu lassen. Dass er nach der deutlichen Niederlage enttäuscht war, konnte ich verstehen. Dennoch war ich sehr zufrieden mit der Leistung und vor allem der Entwicklung meiner Jungs.

Das körperliche Defizit ließ sich nur mit geduldiger, harter Arbeit ausgleichen. Das ging auch nicht schneller als bei anderen Nachwuchsspielern. Dustin übernahm die erste Betreuung nach der Niederlage und ich konnte mich ganz dem Doppel von Maxi und Andreas widmen.

Dort bekam ich allerdings die Entschädigung für unsere gute Basisarbeit. Maxi steigerte sich von Spiel zu Spiel und übernahm mehr Verantwortung auf dem Platz. Er spielte sich frei und legte seine Angst ab, Fehler zu machen. Allerdings machte es ihm Andreas auch sehr einfach und ließ ihn spielen, egal ob er auch Fehler machte. Ich war sehr beeindruckt und freute mich über einen weiteren Sieg im Doppel.

In der Freude darüber, kamen mir allerdings auch Gedanken, ob Andreas beide Konkurrenzen durchspielen würde. Immerhin war er hier gesetzt und sein Ziel war, in der Einzelweltrangliste wieder nach vorn zu kommen. Er brauchte viele Matches und Punkte, nach seiner langen Verletzung.

Ich saß auf der Terrasse und hing meinen Gedanken nach, als Andreas sich zu mir setzte. Er hatte seinen Coach dabei.

„Na, wo hast du denn deine jungen Krieger gelassen? Du sitzt hier so nachdenklich. Es gibt doch gar keinen Grund unzufrieden zu sein.“

Er begann dabei zu lachen, während sein Coach sehr ruhig Platz nahm.

„Ich bin überhaupt nicht unzufrieden. Ich mache mir nur Gedanken, wie ich meine Jungs besser auf diese Art der Turniere und der gestiegenen Belastung vorbereiten kann. Letztlich sind sie noch nicht gut genug für diese Belastung.“

„Das sehe ich komplett anders.“

Erstaunt schaute ich zu seinem Coach, der dieses sehr bestimmt gesagt hatte.

„Schau mal, deine Spieler sind erst sechzehn bzw. siebzehn Jahre alt. Sie können körperlich überhaupt noch nicht austrainiert sein. Dennoch sind gerade diese Turniere so wichtig. Sie sehen, dass noch viel zu tun ist und sie sich nicht auf ihren Erfolgen ausruhen können. Du solltest nicht zweifeln, sondern sie motivieren, weiter zu arbeiten. Spielerisch haben sie bereits das Niveau. Das siehst du doch im Doppel. Maxi spielt fantastisch und braucht sich nicht hinter Andreas zu verstecken. Dort ist die körperliche Seite aber auch nicht so entscheidend.“

„Ich weiß, aber sollten sie nicht auch zwischendurch Erfolgserlebnisse haben müssen? Sie verlieren sonst die Motivation, wenn sie ständig in der ersten oder zweiten Runde verlieren.“

Andreas schüttelte den Kopf und erwiderte:

„Ich glaube, dass deine Jungs ganz genau wissen, wo sie stehen und was sie können. Und weißt du, warum ich davon so überzeugt bin?“

Ich schüttelte mit dem Kopf und zuckte mit den Schultern. Er lachte.

„Ganz einfach, weil du ihr Coach bist. Jan hatte völlig recht, dich mit dieser Aufgabe zu betrauen. Du machst alles richtig und gibst ihnen die Sicherheit. Sie vertrauen dir und das zurecht. Also gib ihnen die Zeit, die sie brauchen. Ich glaube, dass wir im Doppel noch einige Spiele gewinnen können.“

In diesem Moment kamen Maxi, Dustin und Fynn zu uns an den Tisch.

„Hier habt ihr euch versteckt. Wir haben Chris schon überall gesucht.“

Fynn stand mit seinem Freund vor unserem Tisch, während Maxi sich schon gesetzt hatte.

„Was gibt es denn so wichtiges, dass ich vermisst werde?“

„Wir möchten etwas in den Ort gehen. Wir brauchen heute ja nicht mehr zu spielen.“

Als ich Fynn und Dustin so ansah, konnte ich mir bildlich vorstellen, was sie bewegte. Ich musste lachen und ließ sie gehen. Allerdings gab ich Dustin mit auf den Weg:

„Du hast heute noch Schonzeit. Ab morgen trainieren wir wieder härter. In Genf könntest du vielleicht wieder spielen. Dafür musst du aber noch etwas zulegen.“

„Ich weiß, wir wollen heute Abend noch eine Laufeinheit machen. Fynn eher zum lockeren auslaufen, aber ich will mich testen, ob ich schon fit genug bin.“

„Laufen ist ok, testen nicht. Das ist meine Aufgabe. Dafür habe ich dich noch nicht oft genug nach der Pause auf dem Platz gesehen.“

Etwas maulend verließen die beiden dann unseren Tisch. Andreas schaute schmunzelnd hinter ihnen her.

„Du bist aber auch streng mit ihm. Warum lässt du ihn nicht einfach machen?“

„Weil ich genau weiß, dass er es zwingen möchte. Er kann sich nicht zurücknehmen, weil er glaubt, dass er sofort wieder das Leistungsniveau von seinem Freund haben muss.“

„Das ist nicht so einfach, immer für die Jungs die richtige Entscheidung zu treffen. Sie sind noch nicht so reif, dass sie das allein entscheiden können.“

Ich fühlte mich verantwortlich für die Entwicklung und die Gesundheit meiner Spieler. Das machte die Arbeit nicht immer einfach. Es bedeutete für mich hohen Druck. Sollte ich zu früh zustimmen, würde ich eine erneute Verletzung riskieren, sollte ich ihn zu lange schonen, würde wertvolle Zeit verloren gehen. Diesen Druck spürte ich in den letzten Tagen immer mehr. Es stimmte mich nachdenklich. Mir wurde klar, dass mir da die Erfahrung im Profisport fehlte.

Umso wichtiger war diese Möglichkeit, mich mit Andreas und auch mit seinem Coach auszutauschen. Nach einer halben Stunde in intensivem Gespräch spürte ich, dass meine Kräfte nachließen. Mein Akku war einfach leer.

Andreas musste sich noch auf sein Einzel vorbereiten. So nutzte ich die Zeit, um mich etwas zu entspannen. Eigentlich wollte ich mich ja nicht mehr als nötig im Ort aufhalten, aber ich brauchte jetzt die Abwechslung. Mein Kopf musste etwas anderes sehen als Tennisplätze. So

saß ich kurz darauf in einer kleinen Dorfkneipe mit Biertischgarnituren im Biergarten. Es war kaum Betrieb und entsprechend ruhig war die Atmosphäre.

Mein Latte Macchiato stand vor mir und ich hing meinen Gedanken nach, als mir plötzlich einfiel, dass wir jetzt noch einen Tag länger hier sein würden. Maxi hatte morgen noch das Halbfinale im Doppel zu spielen. Ich beschloss deshalb, Marc direkt anzurufen.

„Steevens“, meldete er sich.

„Hallo Marc, Chris hier.“

„Oh, hi Chris. Ist etwas passiert?“

„Äh ja, aber etwas Positives. Wir müssen noch einen Tag länger in Kitzbühel bleiben. Maxi spielt morgen noch Halbfinale im Doppel.“

Ich berichtete ihm von den Ereignissen und er freute sich für uns. Wir klärten die Lage dergestalt, dass wir erst morgen Abend nach Genf kommen, um dann dort mit den Vorbereitungen auf das Turnier beginnen zu können. Da in jedem Fall die Doppelkonkurrenz morgen hier zu Ende gehen würde, war Planungssicherheit für uns gegeben.

Die Zeit ohne meine Jungs war zwar schön, aber es ließ mir wiederum auch keine Ruhe. Ich hatte eine Aufgabe zu vollenden und so bezahlte ich und verließ den Garten wieder in Richtung Tennisanlage.

Andreas war mittlerweile auf Platz 3 angesetzt und ich machte mich dorthin auf den Weg. Jetzt konnte ich mal ein gutes Match ohne Stress beobachten. Keine Verantwortung für den Spieler lastete auf mir.

Interessanterweise traf ich in der Playersbox meine drei Jungs wieder. Sie waren mit dem Coach von Andreas bereits in angeregten Diskussionen, als sie mich bemerkten.

„Wo warst du denn so lange? Das Match beginnt und du bist nicht da.“

Maxi tat so, als ob einer von uns spielen würde. Entsprechend konsterniert und fragend schaute ich ihn an.

„Wo ist denn das Problem? Ich muss bei diesem Spiel nicht anwesend sein. Ich betreue Andreas doch nicht. Außerdem musste ich mal meinen Kopf abschalten. Ihr glaubt echt nicht, wie anstrengend das ist, ständig für euch verantwortlich zu sein.“

Schweigen.

An den Mienen der Jungs konnte ich jedoch erkennen, dass es ihnen unangenehm war.

Jedenfalls wechselte Dustin direkt das Thema auf sich.

„Mein Lauftest mit Fynn ist übrigens ohne Probleme gewesen. Du kannst also morgen auf dem Platz schauen, ob ich in Genf spielen kann.“

„Sehr schön. Das werden wir auch sicherlich tun. Es wäre schön, wenn du wieder mitspielen kannst.“

„Heißt das, ich darf wirklich spielen?“

„Nein, das heißt, dass ich mich freue, solltest du spielen können.“

Dustins Miene veränderte sich, aber Fynn reagierte:

„Man, Dustin. Du solltest doch wissen, dass Chris dich nicht unnötig schonen würde. Jetzt mach mal halblang und warte bis morgen. Ich bin mir sicher, dass du fit genug sein wirst.“

Dann gab er seinem Freund einen Kuss und ich musste einfach lachen. Diese trockene Ansage war so gut.

Allerdings hatte sein Kuss auch eine andere Wirkung. Wir waren ja bereits in der Playersbox und entsprechend wurden wir beobachtet. Es entstand im Umfeld eine gewisse Unruhe. Meine Jungs schienen das nicht zu bemerken. Sie reagierten jedenfalls nicht darauf. Ich schaute mich um und beobachtete die Menschen. Es gab sehr unterschiedliche Reaktionen. Ein Teil lachte und nickte den Jungs zu, während die anderen den Kopf schüttelten.

Das führte zu Unruhe auf der Tribüne und der Schiedsrichter musste um Ruhe bitten, damit das Spiel ungestört fortgesetzt werden konnte.

Ich gab Dustin und Fynn mit einem Zeichen zu verstehen, dass sie ruhig bleiben sollten.

Probleme mit der Situation konnte ich jetzt nicht gebrauchen. Meine Kräfte waren gerade nicht in bester Verfassung. Also versuchte ich eine Deeskalation. Meine Jungs hatten mich glücklicherweise verstanden und es beruhigte sich sehr schnell wieder. Das Spiel geriet wieder in den Mittelpunkt der Zuschauer.

Andreas gewann sein Spiel sehr souverän und für uns ging der Tag mit einem gemeinsamen Abendessen zu Ende. Andreas nahm sich sogar noch die Zeit mit Maxi über das Halbfinale morgen zu sprechen und eine Strategie zu erarbeiten.

Ich war heilfroh, gegen halb acht am Abend endlich im Hotel entspannen zu können. Die drei Jungs wollten noch einmal durch den Ort gehen und das war für mich auch in Ordnung.

Um schneller zur Ruhe zu kommen, machte ich einige Übungen des Autogenen Trainings und das tat mir richtig gut. Auch einen Abend nur für mich zu haben, war sehr angenehm. Sogar die Dokumentation fiel mir heute nicht sehr schwer. Ich konnte gegen 23 Uhr entspannt einschlafen, denn die drei waren pünktlich um 22 Uhr zurückgekommen.

Am nächsten Morgen spürte ich erneut leichte Rückenschmerzen, allerdings kannte ich das bestens. Bei meiner Rückenproblematik war das nichts Außergewöhnliches. Beim Duschen bemerkte ich allerdings ein leichtes Kribbeln im rechten Oberschenkel und in der rechten Unterkieferhälfte. Das ließ mich doch etwas aufmerksamer werden.

Bevor ich zum Frühstück ging, machte ich einige Übungen und das Kribbeln verschwand wieder.

Fynn und Dustin hatten schon den Schalk im Nacken, als ich den Frühstücksraum betrat. Maxi hingegen saß sehr in sich gekehrt am Tisch. Er schaute sich sehr konzentriert etwas auf seinem Handy an.

„Guten Morgen, zusammen. Bin ich so spät oder seid ihr so früh?“

„Moin, Chris. Wir sind schon länger wach. Wir haben dir auch etwas zu berichten von unserem Ausflug in die Stadt gestern.“

Ich holte mir einen Becher frischen Kaffee und setzte mich zu meinen Jungs an den Tisch. Während ich mir mein Brötchen schmierte, berichtete Fynn vom gestrigen Abend. Sie hatten in einem Jugendcafé eine Auseinandersetzung mit aggressiven, rechten Jugendlichen. Das hatte ich schon viel eher erwartet. Es gab jedoch noch ein zusätzliches Problem, denn Maxi hatten sie als Doppelpartner von Andreas erkannt.

„Sie haben euch also gedroht? Oder wie muss ich das verstehen?“

„Ja, sie haben angedroht, beim Turnier für Unruhe zu sorgen und sollten wir gewinnen, werden sie uns verprügeln.“

Ich schüttelte fassungslos den Kopf. Nun ja, ich hatte ja viel früher schon mit Problemen dieser Art gerechnet, allerdings war das hier doch starker Tobak und ich begann, mir zu überlegen, was ich tun sollte. Äußerlich blieb ich zwar ruhig, aber innerlich wurde ich sehr wütend. Auch wenn mir bewusst war, dass es sinnlos war, sich aufzuregen.

„Beunruhigt euch das sehr? Habt ihr jetzt mehr Angst? Bitte seid ehrlich.“

„Ja, diese Typen waren gefährlich und ich glaube, dass sie nicht nur gelabert haben. Denen traue ich sowas auch zu.“

Dustin war traurig, nachdem er das gesagt hatte.

„Gut, danke für die ehrliche Antwort. Maxi, wie ist das für dich? Du musst gleich mit Andreas auf den Platz.“

„Ich weiß nicht. Eigentlich fühle ich mich hier auf der Anlage sicher, aber wer weiß.“

„Möchtest du, dass ich Andreas absage und wir sofort abreisen? Die Frage geht an euch alle. Sollte jemand aus Furcht sofort abreisen wollen, werde ich das veranlassen.“

„Du willst flüchten? Vor einigen wenigen Schwachköpfen? Nein, wir bleiben und spielen. Wenn Maxi ins Finale kommen würde, wäre das eine viel bessere Antwort.“

Ich musste grinsen, denn genau das war eigentlich mein Plan. Meine Frage abzureisen, war als Provokation gedacht. Wobei ich das getan hätte, sollten sich die Jungs das wünschen.

„Genau, Fynn hat recht. Wir dürfen nicht nachgeben. Die meisten Menschen sind uns hier freundlich begegnet. Wir bleiben und spielen. Mal sehen, ob überhaupt etwas passiert.“

„Sehr gut, Maxi. Das gefällt mir gut. Also versucht euch nicht verunsichern zu lassen. Ihr seid nicht diejenigen, die nicht normal sind. Anormal sind diese geistigen U-Boote. Ich überlege mir aber einen Plan B, sollten sie tatsächlich hier auftauchen. Wenn ihr also einen von diesen Typen hier erkennen solltet, bitte sofort eine Meldung an mich.“

„Ja, Chief.“

Das kam aus einem Mund und wir mussten lachen.

„Gut, damit ist dazu alles gesagt. Aber ich bin sehr beruhigt, dass ihr mir davon erzählt habt. Jetzt lasst uns in Ruhe frühstücken und Maxi geht sich anschließend mit Andreas einschlagen. Dustin und Fynn machen mit mir eine Trainingseinheit.“

Eine Stunde später stand ich mit Fynn und Dustin auf dem Trainingsplatz und schaute mir Dustins Leistungsstand an. Das sah schon wieder gut aus und es war keine Bewegungseinschränkung mehr erkennbar. Nur bei der Fitness haperte es noch ein wenig. Allerdings wussten wir das und es war auch nicht so gravierend, dass ein Einsatz in Genf in Gefahr war.

„Los Fynn, etwas mehr Druck auf den Ball bringen, lass Dustin mal richtig laufen. Du sollst ihn nicht schonen.“

Wir arbeiteten konzentriert und so bemerkte ich gar nicht, dass Andreas bereits bei uns am Platz stand und zuschaute. Erst, als ich eine kurze Trinkpause ansagte, bemerkte ich ihn.

„Hi. Guten Morgen. Wie war euer Einschlagen? Alles gut bei dir?“

„Hi Chris. Ja, bei mir ist alles in Ordnung, aber ich frage mich, ob bei Maxi alles in Ordnung ist. Er machte viele leichte Fehler und wirkte nicht so konzentriert.“

„Puh, ich habe es befürchtet. Hast du ihm etwas dazu gesagt?“

„Nicht so direkt. Ich habe versucht, ihm Druck zu nehmen, aber er wirkte sehr angespannt. Vielleicht sollten wir noch einmal zusammen mit ihm sprechen.“

„Können wir gern machen. Wo ist er jetzt?“

„Er wollte etwas laufen gehen und dann duschen. Ich denke, er wird sich danach bei dir melden.“

Fynn und Dustin hatten unser Gespräch natürlich mitbekommen und schauten mich fragend an.

„Hey, macht euch keinen Stress. Das ist alles nicht schlimm. Los, geht wieder auf den Platz. Wir sind noch nicht fertig für heute. Ich möchte jetzt noch einen Satz sehen. Und kein Mitleid, Fynn.“

Ich zwinkerte ihm zu und er lachte wieder. Das war gut.

Andreas wartete, bis die beiden das Spiel aufgenommen hatten, dann fragte er:

„Du kennst wohl den Grund, warum Maxi sich so einen Stress macht?“

„Ja, ich denke schon.“

Ich berichtete ihm von den gestrigen Ereignissen und Andreas war sichtlich angefressen.

„Boah, was für Hohlköpfe. Die sollen mal ruhig kommen. Sie werden überrascht sein, was dann hier passieren wird. Nämlich nicht das, was sie denken. Aber wie können wir Maxi die Angst nehmen?“

„Gar nicht. Er muss uns vertrauen und dann wird er befreit sein. Er muss sich sicher sein, dass wir hinter ihnen stehen und sie schützen. Dann wird seine Leistung automatisch wieder normal werden. Ich kann dir aber nicht versprechen, ob es mir gelingen wird, dass bei ihm umgehend hinzubekommen.“

Andreas nickte und einige Sekunden später machte er einen Vorschlag:

„Wir sollten es offen besprechen. Er sollte die Angst vor mir nicht verheimlichen müssen. Vielleicht wäre es besser, wenn ich auf ihn zugehe und ihn direkt frage, warum er so durch den Wind war. Wenn er mir keine Antwort geben will, kann ich ja immer noch das Gespräch mit dir und ihm fordern. So kann ich ihm zeigen, dass ich voll hinter den dreien stehe.“

„Du weißt aber auch, dass Maxi nicht homosexuell ist. Er wurde hier mit Dustin und Fynn in einen Topf geworfen.“

„Das ist doch egal. Er fühlt sich den beiden sehr verbunden. Außerdem haben sie ihn ja auch mit bedroht.“

„Ich finde das klasse, dass du dich vor die Jungs stellst. Sollten die Deppen tatsächlich etwas machen, werden sie ihr blaues Wunder erleben. Viele Zuschauer sind uns sehr aufgeschlossen gegenüber.“

„Was denkst du über ein Presseinterview? Wenn wir ins Finale kommen, wäre das eine gute Gelegenheit, das Thema in der Öffentlichkeit zu diskutieren.“

„Ja, aber das überlasse ich den Jungs. Wenn sie das machen möchten, bin ich dabei. Allerdings, vielleicht sollte ich auch Stellung beziehen, denn es betrifft mich ja auch persönlich.“

Andreas kniff seine Augen zusammen und fixierte mich. Dann begann er zu lachen.

„Ich glaube jetzt erst recht, dass sie sich ganz sicher die falschen Opfer ausgesucht haben. Gibst du mir freie Hand mit den Jungs? Ich bespreche das mit ihnen und wir machen eine coole Aktion daraus.“

Ok, dachte ich. Was auch immer sich Andreas ausgedacht hatte, das wollte ich erleben.

Nachdem ich einen guten Satz von Dustin gesehen hatte, standen wir an der Bank zusammen. Dustin wollte von mir natürlich die Freigabe für Genf haben und entsprechend unruhig war er. Ich ließ mir damit noch etwas Zeit und wollte zuerst etwas anderes klären.

„So, das war ein guter Satz. Hat mir gefallen. Allerdings habe ich noch eine Sache, die wir besprechen müssten.“

Dustin verdrehte etwas genervt seine Augen, aber da musste er jetzt durch. Es ging eben nicht ständig nach seiner Nase.

Ich erklärte die Situation und berichtete vom Gespräch mit Andreas. In diesem Augenblick kamen Maxi und Andreas zu uns an den Platz.

„Ah, da seid ihr ja schon. Habt ihr miteinander gesprochen?“

„Ja, Chris.“, Maxi wirkte entschlossen, „Ich bin einverstanden, wenn Andreas etwas machen möchte. Wie seht ihr das?“

„Auf jeden Fall. Sollten die Deppen tatsächlich herkommen und Terror machen, werden wir ihnen entgegen treten und sie fertig machen.“

Fynn schaute erst seinen Freund und dann mich an. Dustin schien bemerkt zu haben, dass seine Aussage doppeldeutig war.

„Ähm, aber natürlich nur mit Worten. Ich mache mir damit nicht meine Finger dreckig!“

Das kam so trocken, dass wir alle in Gelächter ausbrachen. Das wiederum löste die immer noch vorhandene Spannung auf. Ein guter Zeitpunkt, denn Maxi und Andreas mussten sich langsam auf ihr Doppel vorbereiten.

Fynn: Maxi macht ernst

Meine Sorgen nach diesem Vorfall waren nicht kleiner geworden. Dass uns Chris den Rücken freihielt und sich um uns kümmerte, beruhigte ein wenig, aber ich hatte Angst vor diesen Typen.

Dustin schien das auszublenden, denn er wartete auf die Entscheidung von Chris, ob er in Genf spielen durfte oder es noch nicht reichen würde. Wir standen immer noch mit Andreas zusammen und mein Freund wurde ungeduldig. Deshalb fragte ich:

„Chris, wolltest du nicht Dustin noch etwas mitteilen?“

„Ja, aber ich bin noch nicht so senil, dass ich daran erinnert werden muss. Aber gut, ich will euch nicht länger quälen. Ich habe bereits die Meldung für Dustin bestätigt. Er kann in Genf spielen. Unter einer Bedingung.“

Der letzte Satz wäre fast im Freudenschrei von Dustin untergegangen, aber er hatte es doch noch mitbekommen.

„Ja? Welche?“, fragte mein Schatz zögerlich.

„Du sagst mir sofort Bescheid, wenn du zu kaputt bist, um weiterzuspielen. Es ist ein Test, ob dein Körper schon wieder fit genug ist. Ich erwarte keine Ergebnisse von dir. Ist das angekommen?“

„Ja, das verspreche ich dir. Ich weiß, dass du die Verantwortung hast. Allerdings freue ich mich, dass ich wieder richtig spielen darf, danke.“

Chris hatte damit auch sehr geschickt das Thema gewechselt. Ich konnte aber auch erkennen, dass er angespannter war, als wir das kannten. Diese Situation behagte ihm überhaupt nicht. Auch wenn er nach außen sehr ruhig wirkte.

Wir hatten jetzt genug Anderes zu tun, nämlich auslaufen und duschen. Dann hatte Chris uns noch eine Einheit beim Physiotherapeuten für Dustin verpasst. Somit würden wir den Beginn vom Doppel verpassen. Mir gefiel das nicht sonderlich, aber Dustin wollte ich auch nicht allein lassen. Wir hatten eh immer so wenig Zeit füreinander.

Der Physio hatte sehr gute Arbeit geleistet, denn sowohl mein Rücken als auch das Sprunggelenk von meinem Freund schmerzten nicht mehr, als wir in Richtung Platz gingen.

„Das ist schon cool, einfach einen Physio zu haben, wenn man ihn braucht. Hast du eigentlich eine Ahnung, wie das mit der Bezahlung dafür ist?“

„Ja, das stimmt. Ich fühle mich wieder viel jünger. Mein Rücken….“

Weiter kam ich nicht, denn Dustin brach in schallendes Gelächter aus. So stark lachen hatte ich ihn schon lange Zeit nicht mehr gesehen.

„Du und viel jünger fühlen, hahaha. Das ist gut. Echt jetzt.“

„Blödmann. So kann ich wenigstens auch mal wieder jünger als du sein, zumindest gefühlt.“

Er gab mir unvermittelt einen Kuss und sagte: „Du bist wirklich lustig. Dafür liebe ich dich so. Danke.“

Es war schon komisch. Noch vor wenigen Wochen wäre diese Reaktion undenkbar gewesen und jetzt störten wir uns überhaupt nicht mehr an der Umgebung. Wir wurden zwar beobachtet, aber eigentlich eher oft mit einem Schmunzeln. Das machte mir Mut, auch den Unverbesserlichen Paroli zu bieten und sich nicht mehr zu verstecken.

Als wir zusammen bei Chris und Andreas Coach ankamen, stand es bereits 4:1 für Maxi und Andreas. Das überraschte mich sehr. Eigentlich war jedes Spiel mehr ein Bonus für uns. Jetzt führte Maxi sogar im Doppelhalbfinale und spielte ein grandioses Doppel.

„Hallo ihr beiden. Alles gut geklappt bei euch?“

Chris widmete sich sofort uns, als er uns bemerkt hatte. Auch das war immer ein tolles Gefühl, jemanden zu haben, der sich für uns interessierte. Ich hatte schon häufiger ein schlechtes Gewissen, weil Chris ständig für uns da war. Allerdings gerade in den letzten Tagen wirkte Chris oft müde und angeschlagen. Das machte mir etwas Sorgen.

„Ja, Fynn fühlt sich jetzt sogar noch jünger. Hat er jedenfalls eben zu mir gesagt. Der Physio scheint Leute verjüngen zu können. Willst du da nicht auch mal hingehen?“

Boah, was war mit Dustin heute los? Er hatte selten so viel Übermut an den Tag gelegt.

Eigentlich müsste Chris ihn dafür ordentlich zusammenfalten. Ich hätte mir diesen Spruch nämlich nicht getraut. Chris schaute kurz, griff direkt zu und sagte:

„Der alte Mann zeigt dir jetzt mal, wie gut er noch zupacken kann.“

Dann kitzelte er Dustin dermaßen durch, dass der nur noch japsend auf dem Boden lag. Natürlich führte das zu erhöhter Lärmbelästigung. Glücklicherweise spielte das Doppel nicht auf dem Center Court, sondern auf Platz 4. Es waren zwar einige Zuschauer da, aber Andreas war derjenige, der von unten rief, ob wir bald fertig wären.

Chris ließ deshalb schnell von Dustin ab und wir mussten grinsen. Denn Dustin war so rot wie eine Tomate geworden.

Chris jedenfalls hatte auf seine Art und Weise klargemacht, dass er zwar fast alles mitmacht, aber nicht ungestraft. Wie dem auch sei, wir hatten unseren Spaß und sehr spaßig wurde auch das Doppel. Maxi hatte seine Angst und Spannung komplett abgelegt und spielte erneut ein grandioses Doppel mit seinem Partner. Ich fragte mich nur, wie hatte Chris das nur wieder hinbekommen. Vorhin beim Einschlagen war Maxi total verunsichert und jetzt diese Leistung.

Das Resultat war jedenfalls eine weitere Sensation. Denn Maxi stand tatsächlich im Finale der Doppelkonkurrrenz bei einem Challengerturnier. Selbst Chris gab den beiden Standing Ovations und ich konnte die Freude bei Maxi erkennen. Er strahlte über das ganze Gesicht, als ihn Andreas anerkennend umarmte. Das Halbfinale war ohne Vorkommnisse abgelaufen und ich hatte jetzt doch etwas Hoffnung, dass die Deppen uns in Ruhe lassen würden.

Leider war das zu früh gefreut, denn plötzlich standen vier böse aussehende Skinheads hinter uns und begannen, Stress zu machen. Wir wurden geschubst, die Pöbeleien waren ja schon obligatorisch. Chris blieb äußerlich ruhig, aber er begann sehr clever, sich zwischen uns und die Angreifer zu positionieren. Leider machte das die Angreifer nur noch wütender und plötzlich zog einer der vier ein Messer und stach zu. Chris sackte getroffen zu Boden und Dustin stürzte zu Chris, um ihm beizustehen. Leider drehte er dabei den Angreifern den Rücken zu. Ich dachte, jetzt würde es auch Dustin an den Kragen gehen, aber ich hatte die anderen Zuschauer unterschätzt. Plötzlich riss ein Mann dem einen Skinhead den Schlagstock aus der Hand und schlug sofort gegen den Kopf des anderen. Der sackte zu Boden und ein weiterer Angreifer wurde von zwei weiteren Zuschauern festgehalten. Die beiden anderen flüchteten.

Ich war vollkommen konsterniert. Konnte keinen klaren Gedanken fassen. Erst als Maxi neben mir auftauchte und mich festhielt, wachte ich aus meiner Schockstarre auf. Andreas hatte sich sofort zu Chris gekniet und der Turnierarzt war auch schon vor Ort. Allerdings konnte ich auf Chris Jacke einen großen Blutfleck erkennen. Mir wurde schlecht und ich hätte mich fast übergeben müssen. Allerdings hörte ich dann jemanden rufen.

„Los, ihr zwei schafft die Jungs hier weg. Einer bleibt beim Opfer und die anderen gehen bitte ins Clubhaus.“

Dann tauchte die Security auf und sperrte den Ort ab. Leider zu spät. Ich fing an zu zittern, als mich ein älterer Herr an den Arm fasste und sagte:

„Komm, wir gehen lieber ins Clubhaus. Deinem Trainer wird jetzt bestens geholfen und der Notarzt muss auch jeden Moment eintreffen.“

„Aber es muss doch jemand bei Chris bleiben. Er braucht uns jetzt.“

Ich war verzweifelt. Der Mann blieb aber ruhig und erwiderte:

„Dein Freund bleibt bei ihm. Du kannst jetzt mit mir gehen. Komm, wir stehen hier nur im Weg.“

Mir standen die Tränen im Gesicht und ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Was würde passieren, wenn Chris tödlich verletzt worden war? Ich hatte einfach nur Panik.

Maxi kam zu mir und umarmte mich ganz fest im Clubhaus. Wir wurden vom Veranstalter komplett abgeschirmt, nur Andreas tauchte nach einer gefühlten Ewigkeit bei uns auf. Ich schaute ihn fragend an, konnte aber nicht mehr sprechen. Mir fehlten die Worte. Er legte seinen Arm um Maxi und mich und sagte lächelnd:

„Es wird alles wieder gut. Der Notarzt ist jetzt da und versorgt Chris. Es ist wohl nicht ganz so schlimm. Der Arzt meinte eben, er hat zwar viel Blut verloren, aber er sei stabil. Chris hat noch mit Dustin sprechen können. Wir warten ab, was uns Dustin gleich aus dem Krankenhaus berichten wird.“

„Also fährt Dustin mit in die Klinik?“

„Genau, Fynn. Und wenn hier alles abgearbeitet ist, fahren wir auch dorthin. Vollkommen klar.“

Wir nickten stumm. Andreas blieb die ganze Zeit bei uns und auch der Turnierdirektor kümmerte sich um uns. Er verschaffte uns Ruhe.

Einige Minuten später hörten wir den Rettungswagen von der Anlage fahren. Kurz danach betraten zwei Polizeibeamte den Raum. Sie sprachen erst einige Worte mit dem Turnierleiter, um anschließend zu uns zu kommen.

Sie stellten sich kurz vor und dann wurden wir befragt.

Wir berichteten ihnen, was aus unserer Sicht passiert war und dann erwiderte der ältere der beiden:

„Wir können euch beruhigen. Eurem Trainer geht es den Umständen entsprechend gut. Außerdem haben wir mittlerweile alle vier Täter festnehmen können. Es hat genug Zeugen gegeben und ihr seid für heute entlassen. Kümmert euch um euren Trainer und macht euch nicht so viel Stress. Der Notarzt war recht positiv in seiner Prognose.“

Das ließ mir Tonnen von Steinen von der Seele fallen. Wir umarmten uns stumm und Andreas sagte:

„Leute, zieht euch jetzt um und dann fahren wir in die Klinik. Ich habe bereits einen Fahrdienst organisiert.“

Plötzlich fiel Fynn etwas ein:

„Ihr müsst doch noch das Finale spielen. Ihr könnt gar nicht mit in die Klinik fa…“

Weiter kam er nicht, denn Andreas ging energisch dazwischen:

„Wir fahren in die Klinik. Das Finale kann warten. Das ist jetzt wichtiger. Los jetzt, wir verschwinden hier.“

Er schob uns vor sich her und nach draußen. Dort passierte dann erstaunliches. Viele Menschen hatten sich vor dem Clubhaus versammelt und Applaus brandete auf, als wir das Haus mit Andreas verließen.

Eine halbe Stunde später standen wir in der Anmeldung der Klinik und fragten, wo sich Chris befinden würde. Er war immer noch in der Notaufnahme zur Untersuchung. So die Aussage der Schwester.

Andreas ging zielstrebig voraus, wir folgten ihm wortlos. Jeder von uns machte sich seine Gedanken, auch wie es jetzt weiter gehen würde.

Wir wurden von einem Assistenzarzt in den Behandlungsraum geführt. Dort lag Chris mit einer Infusion im Arm und einer genähten Wunde über dem rechten Brustkorb. Das sah für mich sehr böse aus und Chris schien auch Schmerzen zu haben. Dennoch lächelte er, als er uns erkannte.

„Schön, dass ihr alle unverletzt seid. Geht es euch gut?“

Diese Frage erschien mir wie Hohn, denn er selbst war schwer verletzt worden und wir konnten das nicht verhindern. Wir waren unverletzt und Chris wurde Opfer von geistig verwirrten Schwerverbrechern. Trotzdem waren seine Gedanken bei uns. Das machte mich sehr nachdenklich.

Dustin war die ganze Zeit bei ihm gewesen und jetzt sichtlich erleichtert, als ich wieder bei ihm war. Er umarmte und küsste mich. Es war mir egal, dass der Arzt bei uns stand. Dieser schloss die Tür und begann uns zu erklären, was genau für eine Verletzung Chris davongetragen hatte.

„Zuerst das Wichtigste. Er wird keine bleibende Schäden behalten und vollständig genesen. Es sind keine lebenswichtigen Gefäße verletzt worden. Wir haben die Wunde gereinigt und genäht. Jetzt muss sich euer Trainer ausruhen und den Blutverlust ausgleichen. Das wird etwas Zeit dauern. Wir werden ihn deshalb heute zur Beobachtung hierbehalten und erst morgen entlassen. Habt ihr noch Fragen?“

„Ja“, sagte Chris jetzt überraschend.

Alle Augen lagen auf unserem Trainer, der wieder sein Lächeln im Gesicht hatte.

„Kann ich mit den Jungs morgen in die Schweiz reisen?“

Das war nicht zu glauben. Er war gerade dem Tod von der Schippe gesprungen und dachte schon wieder an unsere Fahrt nach Genf.

Der Arzt lachte und nickte.

„Ja, ich denke schon. Allerdings nur unter einer Bedingung, Ihre Jungs müssen sich um Sie kümmern und Sie machen keine großen Sachen dort.“

„Äh, Chris. Da gibt es aber ein Problem. Wer soll das Auto fahren?“

Meine Güte, Maxi hatte recht. Chris war der einzige, der einen Führerschein hatte. Hier hatten wir ein Problem. Chris konnte mit Sicherheit noch kein Auto fahren. Jetzt war guter Rat teuer. Chris hingegen blieb für die Situation sehr entspannt.

„Warten wir doch morgen mal ab. Da fällt mir bestimmt etwas ein und sonst warten wir hier noch ein paar Tage und fahren erst nach München, wenn ich das wieder darf.“

Da machte der Arzt aber sehr klar, dass Chris, solange die Fäden nicht gezogen waren, kein Auto würde fahren können und dürfen. Damit war dieser Plan eigentlich zum Scheitern verurteilt.

Marc: Ein Drama hatte in Kitzbühel stattgefunden

Ich saß gerade beim Frühstück auf unserer Terrasse, als ich in die Zeitung schaute. Ich war mit Sabine allein im Haus, denn Luc und Stef waren in der Schule. Heute war geplant, dass wir nach Genf fahren würden, um dort Chris und seine Jungs zu treffen.

Ich las eine Überschrift und sah ein paar Bilder, die mir den Atem raubten. Dort wurde von einem Übergriff bei einem Turnier auf jugendliche Tennisspieler berichtet. Ich hatte auf einem Bild sofort Fynn erkannt, wie er von Helfern weggeführt wurde. Mir gefror das Blut in den Adern, denn dort wurde berichtet, dass ihr Trainer mit schweren Stichverletzungen ins Krankenhaus gebracht worden war.

„Schaaatz“, rief ich ins Haus, „kommst du bitte mal auf die Terrasse.“

Sabine kam sofort herunter und zu mir auf die Terrasse.

„Was ist passiert? So aufgeregt bist du doch sonst nie?“

Ich hielt ihr den Bericht hin und als sie ihn gelesen hatte, schaute sie mich fragend an.

„Sind das nicht unsere Freunde aus Halle? Sie sollten doch heute nach Genf kommen.“

„Richtig. Ich glaube, jetzt müssen wir tätig werden. Du erzählst aber unseren beiden Jungs noch nichts davon. Nur wenn sie schon etwas wissen.“

„Was hast du jetzt vor? So wie ich dich kenne, wirst du für die Jungs etwas organisieren.“

„Klar. Aber ich muss zuerst wissen, wie es Chris geht. Es scheint ihn schwer erwischt zu haben. Dann sehen wir weiter.“

Ich tippte in meinem Smartphone nach dem Kontakt von Fynn oder Dustin und wartete. Leider meldete sich nur die Mailbox. Ich schrieb ihnen eine Nachricht, bat um Rückruf und versuchte es mal bei Chris. Vielleicht konnte ich ihn ja doch erreichen. Leider gelang mir das auch nicht. Erst nach etwa dreißig Minuten meldete sich Fynn.

„Hallo Fynn. Schön, dass du zurückrufst. Wie geht es Chris?“

„Marc? Woher weißt du das denn schon wieder?“

„Na, hier gibt es auch Nachrichten und Zeitungen.“

Er lachte. Ein gutes Zeichen.

„Also, wie geht es euch und vor allem Chris?“

„Ja, uns geht es soweit gut. Gestern war es schon beschissen. Wir haben es jetzt aber ganz gut verkraftet. Chris hat uns geschützt, sonst hätte es uns getroffen. Chris geht es den Umständen entsprechend. Er wollte dich eh noch anrufen, weil wir nicht nach Genf kommen können. Chris darf mit seiner Verletzung kein Auto fahren.“

„Genau deswegen solltest du mich ja anrufen. Ich hatte mir das schon gedacht, als ich das gelesen habe. Kann ich mit Chris sprechen oder geht das noch nicht?“

„Doch, wir sind alle bei ihm im Hotelzimmer. Er wurde heute früh entlassen. Warte mal, ich gebe ihn dir.“

„Hallo Marc. Wie ich eben mitgekriegt habe, hast du bereits von den Vorfällen gehört. Unsere Anreise nach Genf wird jetzt wohl nicht mehr möglich sein. Tut mir leid, aber ich darf kein Auto fahren.“

„Hi Chris. Das wichtige zuerst. Wie schwer bist du verletzt? Hast du Schmerzen?“

„Es geht. Der Stich war zwar tief, aber es wurde nichts Wichtiges beschädigt. Ich werde es überleben.“

Also, seinen Humor hatte er noch nicht verloren, das beruhigte mich.

„Jetzt müssen aber die Jungs irgendwie nach München kommen. Von dort fliegen sie nach Genf.“

„Moment, du wirst sie begleiten. Das ist doch wohl klar.“

„Nein, ich kann auch hier bleiben und dann später nachkommen.“

Im Hintergrund hörte ich den Protest der Jungs. Mir gefiel das auch überhaupt nicht.

„Ich habe eine viel bessere Idee. Ich werde mit Karl in München telefonieren. Bleibt bitte wo ihr seid und wartet auf meinen Anruf. Ich brauche aber etwas Zeit. Das klappt schon irgendwie.“

Chris ließ sich von mir überzeugen und Fynn versprach mir, dass sie sich um Chris kümmern würden. Jedenfalls sagte er mir noch ganz deutlich, dass sie nicht ohne Chris aus Kitzbühel wegfahren würden. Ich konnte immer noch den Schock spüren, den alle erlitten hatten. Von daher war mir ganz klar, dass sie nur gemeinsam fahren würden.

Sofort nahm ich mit Karl in München Kontakt auf. Geplant war ursprünglich, dass sie nach Kitzbühel das Auto zurück nach München bringen und dann von dort nach Genf fliegen würden. Jetzt brauchten wir einen Fahrer, der sie mit dem Auto von dort nach München bringen würde. Für mich wäre es sicher auch eine Möglichkeit dahinzufliegen, aber das würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Ich telefonierte mit Karl und hatte ihm bereits die Lage erklärt, als er mir sagte:

„Meine Güte, das ist echt der Hammer. Weißt du schon wie es Chris geht?“

„Ja, er ist körperlich stabil. Wie es ihm seelisch geht, kann ich nicht beurteilen. Das wird sicher noch kommen. Deshalb sollte er so schnell wie möglich dort wegfahren. Hast du vielleicht die Möglichkeit, Mario dorthin zu schicken. Er könnte dann die vier beim Flughafen absetzen und das Auto wieder zu dir bringen. Hier würden wir uns dann um die vier kümmern.“

„Eine gute Idee, allerdings ist Mario grade unterwegs. Er ist beim TÜV. Ich organisiere das aber von hier. Ich melde mich, sobald ich das geregelt habe. Sag ihnen, sie werden heute noch abgeholt. Das verspreche ich. Kann Chris denn schon mitfahren? Oder muss er noch dort bleiben?“

„Ich vermute, dass er eigentlich noch bleiben sollte. Allerdings wäre es für ihn sicher besser, dort so schnell wie möglich zu verschwinden. Außerdem glaube ich nicht, dass die Jungs nur einen Meter ohne ihn machen werden.“

Karl lachte am anderen Ende und wir verblieben so, dass er sich bei mir meldet, sobald er alles geklärt hatte.

Chris: Glück gehabt

Nach dem ersten Schock und der sehr guten Behandlung sowohl vor Ort, als auch im Krankenhaus, befanden wir uns wieder im Hotel. Ich hatte Maxi mit Andreas auf die Anlage geschickt. Sie sollten das Doppelfinale auf jeden Fall spielen. Die Täter sollten nicht glauben, sie hätten uns eingeschüchtert und damit ihr Ziel erreicht.

Meine Schulter schmerzte sicherlich, aber viel mehr ärgerte ich mich über meinen Leichtsinn, den Tätern so gegenübergetreten zu sein. Ich hatte niemals damit gerechnet, dass sie sofort zustechen könnten. Es machte mich nachdenklich. Hatte ich leichtsinnig gehandelt oder war ich vielleicht sogar zu selbstsicher gewesen? In mir nagten Zweifel. Außerdem hatte ich jetzt mit Dustin und Fynn zwei Jungs, die sicherlich nicht gestärkt aus dieser Situation herausgingen.

Der Arzt hatte mir Schonung auferlegt. Dustin hatte mir gerade eine Fassbrause gebracht und Fynn saß mit mir am Couchtisch.

„Wollt ihr nicht zu Maxi gehen? Ich glaube, er braucht euch dort mehr. Ich soll mich ja noch schonen und damit wir so schnell wie möglich hier wegkommen, bleibe ich hier.“

Sie schauten sich unsicher an. Ich wollte, dass sie so schnell wie möglich wieder in den normalen Alltag gingen und nicht ängstlich wurden.

„Geht, ich komme gut allein klar. Und sollte ich etwas brauchen, kann ich auch im Hotel um Hilfe bitten. Los, Maxi braucht euch.“

„Meinst du denn, uns passiert dort nicht wieder etwas?“

„Nein, ihr seid dort jetzt mit Sicherheit absolut geschützt. Sobald ihr dort auftauchen werdet, wird der Veranstalter für eure Sicherheit sorgen. Dieser Vorfall wird sich nicht wiederholen. Außerdem müssen wir uns mutig bewegen, sonst hätten diese Verbrecher ja Erfolg gehabt. Das müssen wir verhindern.“

„Okay. Wir gehen, aber nur unter einer Bedingung. Du musst versprechen, uns sofort anzurufen, falls es dir schlechter geht.“

„Versprochen. Ich werde brav sein.“

Das führte dazu, dass Fynn mich am liebsten gehauen hätte. Er ließ es aber in Anbetracht der Situation und die beiden verließen lachend mein Zimmer.

Was ich nicht geahnt hatte, die Ruhe sorgte bei mir für sich verselbstständigende Gedanken. Was wäre eigentlich, wenn ich schwerer verletzt worden wäre? Sollte ich in Zukunft anders handeln? Immer wieder kreisten meine Gedanken um das Geschehen. Ich kam nicht zur Ruhe. Damit hatte ich nicht gerechnet, dass mich dieser Übergriff so belasten würde. Ich hatte geglaubt, durch meine Therapeutenerfahrung würde ich damit gut umgehen können.

Ich entschied, mich um die weitere Planung zu kümmern und telefonierte mit Thorsten in Halle. Nach meinem kurzen Bericht herrschte Schweigen am anderen Ende. Thorsten hatte zwar schon von dem Vorfall gehört, aber als ich ihm das aus meiner Sicht geschildert hatte, nahm ihn das doch mehr mit, als ich gedacht hatte. Plötzlich sagte er:

„Ich möchte, dass du vor Ort entscheidest, wie es weitergeht. Wenn ihr nach Hause fahren wollt, macht das. Aber wenn die Jungs spielen wollen, sollen sie spielen können. Ich könnte versuchen, dich dort ablösen zu lassen. Was denkst du dazu?“

„Ich glaube, ich bleibe bei den Jungs. Vielleicht hilft mir das mehr, damit klarzukommen, als nach Hause zu fahren. Aber wenn es mir schlechter gehen sollte, würde ich gern nach Hause fahren. Was für die Jungs sicher ein Problem wäre. Also lassen wir das erst einmal alles so, wie es ist.“

„Na gut. Du wirst selbst am besten wissen, was für dich richtig ist. Halte mich bitte auf dem Laufenden.“

Ich versprach ihm, alle weiteren Schritte mit ihm zu kommunizieren. Dann war das Gespräch beendet.

Meine Gedanken wurden leider nicht ruhiger. Eine innere Unruhe machte sich bei mir breit. Ich kannte diese Situation bislang nur aus meiner Arbeit. Jetzt spürte ich sie selbst. Das behagte mir überhaupt nicht. Glücklicherweise kannte ich Wege aus dieser Lage heraus. Ich zog mir vorsichtig einen anderen Trainingsanzug an und beschloss, den ärztlichen Rat nicht weiter zu befolgen und etwas für meine Seele zu tun. Das Ziel war die Tennisanlage und ich wollte beim vielleicht größten Triumph unserer noch jungen Karriere dabei sein.

Als ich wenig später die Anlage betrat, herrschte das normale Treiben. Allerdings spürte ich auch eine angespannte Stimmung. Der gestrige Vorfall war noch zu fühlen. Einige Zuschauer sprachen sogar darüber. Das Gefühl war seltsam, als ich an dem Tatort vorbei ging. Manchmal hatte ich auch das Gefühl, dass ich erkannt worden war, aber niemand traute sich mich anzusprechen. Ich wollte natürlich zum Center Court. Dort würden alle Finals gespielt werden. Noch bevor ich die Tribünen betreten konnte, wurde ich vom Turnierdirektor angesprochen und begrüßt. Er begleitete mich zur Box, wo mein Team saß, welches mich total ungläubig anschaute. Erst, als gewissermaßen die ersten Schrecksekunden vorbei waren, fingen alle an zu schmunzeln und Fynn flüsterte:

„Es geht dir wohl schon besser. Jedenfalls bist du wieder normal im Verhalten. Du bist genauso tennisverrückt wie wir. Es sieht übrigens sehr gut für Andreas und Maxi aus. Sie führen relativ deutlich mit 4:2 im zweiten Satz.“

Meine ersten Eindrücke waren gut. Maxi spielte extrem konzentriert, geradezu fokussiert nur auf den nächsten Punkt. Andreas sprach nach jedem Punkt mit ihm und Maxi schaute nicht zu den Zuschauern. Erst beim Spielstand von 5:3 wagte er einen Blick in unsere Box. Ungläubig starrte er in meine Richtung. Er hatte mich erkannt und schüttelte ganz kurz seinen Kopf, dann begann schon das nächste Spiel.

„Ich glaube, er hat dich gesehen“, flüsterte mir Fynn ins Ohr.

Ich nickte und Maxi verschlug zwei einfache Bälle. Er war nicht auf dem Platz. In mir kam sofort Unruhe auf. War es doch ein Fehler herzukommen? Maxi war verunsichert und abgelenkt. Andreas versuchte ihn wieder auf Linie zu bringen, schien aber auch ratlos. Schnell stand es 5:4 und der Gegner schlug zum 5:5 auf. Andreas schaute in unsere Richtung und als er mich erkannt hatte, schloss er für einen Moment seine Augen und schüttelte den Kopf. Er beugte sich zu Maxi hinüber und sprach mit ihm. Wir konnten es natürlich nicht verstehen, aber anhand der Reaktion von Maxi, fühlte ich mich besser. Er nickte und ein Lächeln tauchte auf seinem Gesicht auf.

Es wurde noch richtig spannend, denn es stand bald 6:6 und dann ging der Tie-Break sehr unglücklich verloren. Das hieß, der dritte Satz würde entscheiden müssen. Allerdings hatte ich ein viel besseres Gefühl, als vorhin beim Stand von 5:4. Maxi regte sich nicht auf und er gab mir sogar Zeichen.

Plötzlich vibrierte mein Handy. Auf dem Display stand: Karl Geiger. Was sollte das denn jetzt?

„Ja, Chris hier.“

„Hallo Chris, Karl Geiger. Bevor du dich wunderst, Marc hat mich angerufen und mir bereits alles berichtet. Wie geht es dir?“

„Warte bitte einen Moment. Ich sitze gerade auf der Tribüne beim Doppel Finale. Ich muss etwas abseits gehen.“

Einige Augenblicke später stand ich auf dem Rasen vor dem Platz.

„So, jetzt können wir sprechen.“

„Gut, also wie geht es dir?“

„Körperlich angeschlagen, aber es ist nichts Dramatisches. Warum rufst du mich aber wirklich an? Du hast gesagt, Marc hätte dich angerufen.“

„Richtig. Marc hat mich gebeten, für euch einen Chauffeur zu organisieren, damit ihr nach München zum Flughafen kommen könnt. Das habe ich jetzt organisiert. Mario ist bereits unterwegs und wird bald bei euch sein. Er soll das Auto nach München fahren. Dann fliegt ihr nach Genf, wo euch Marc in Empfang nehmen wird. Alles Weitere besprecht ihr dann in Genf.“

„Oh man, ihr seid ja genial. Auf diese Idee wäre ich niemals gekommen. Weil es mir nie in den Sinn gekommen wäre….“

„Lass gut sein. Marc kennt dich mittlerweile gut genug. Als du mit ihm telefoniert hattest, hat er begriffen, was Sache ist. Also Mario ruft dich an, sobald er in Kitzbühel ist, damit du ihm sagst, wo er euch treffen kann.“

„Danke, das hilft uns echt weiter. Wir werden uns melden.“

„Gern, dafür sind Freunde doch da. Wenn es brennt, löschen.“

Wir mussten lachen, denn das war genau mein Motto. Jetzt musste ich mir helfen lassen. Eine Situation, die ich seit vielen Jahren nicht mehr gekannt hatte.

Auch merkte ich jetzt meine Wunde wieder. Ich war die ganze Zeit abgelenkt gewesen und daher bemerkte ich die Schmerzen nicht, die aber leider immer noch vorhanden waren. Ich ging langsam wieder zurück zu den anderen am Platz. Mit dieser Aktion von Marc waren unsere Probleme schlagartig um einiges kleiner geworden. Das nahm mir eine Menge Druck von den Schultern. Die Jungs konnten in Genf spielen. Das war für mich das Wichtigste. Ich würde das schon irgendwie organisiert bekommen, gleichwohl ich ja nur eingeschränkt einsatzfähig war.

Als ich wieder auf die Tribüne zu den anderen kam, wurde ich neugierig beäugt und komischerweise war die Aufmerksamkeit gar nicht auf den Platz gerichtet.

„Hey, was schaut ihr mich so komisch an? Ist das Spiel nicht mehr interessant?“

„Doch, sicher. Allerdings finden wir es etwas eigenartig, dass zuerst Marc bei uns anruft und jetzt auch noch Karl Geiger. Also was läuft hier hinter den Kulissen? Und bitte keine Tricks. Du sollst dich schonen, hat dir der Arzt zur Bedingung gemacht.“

Da wir auf der Tribüne während des Matches sprachen, wollte ich nicht weiter diskutieren und bat um Ruhe und dass wir uns auf das Spiel konzentrieren sollten.

Tja, und wie es das Schicksal so wollte, vibrierte erneut mein Handy beim Spielstand von 3:4 im dritten Satz. Mein Bruder! Ausgerechnet jetzt.

„Ja?“, sagte ich leise.

„Hallo Chris. Ich möchte mich persönlich vergewissern, dass es dir gut geht. Als Thorsten mich angerufen hatte, ist mir das Herz fast stehen geblieben. Kommst du nach Hause? Oder was hast du vor?“

„Nein, ich kann hier noch nicht weg. Momentan geht es mir ganz gut. Allerdings weiß ich nicht, wie das in einigen Tagen aussehen könnte.“

Ich flüsterte, damit die Jungs nichts mitbekamen und vor allem das Spiel nicht gestört wurde.

„Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Kannst du mich heute Abend mal anrufen. Thorsten sagte, ihr fahrt erst einmal nach Genf, stimmt das?“

„Ja, es ist alles organisiert. Marc und Karl Geiger haben sich eingeschaltet und helfen uns.“

„Klasse. Sehr gut. Dann ruf mich doch bitte an, wenn ihr in Genf seid. Dann sprechen wir in Ruhe. Es tut mir gut, dich so lebendig zu hören. Ehrlich jetzt. Gundi lässt auch schöne Grüße ausrichten.“

Gundi war meine Schwägerin und zu ihr hatte ich ein besonders gutes Verhältnis.

„Danke, bitte richte ihr meine Grüße aus. Ich melde mich dann aus Genf. Jetzt will ich aber das Finale zu Ende sehen.“

„Finale? Welches Finale? Sag nicht, du bist noch auf der Anlage in Kitzbühel. Du sollst dich schonen.“

„Mensch Jan, Maxi spielt Doppelfinale und das sieht so aus, als ob er seinen ersten Titel auf der Profitour erreichen wird. Da kann ich doch nicht einfach im Hotel bleiben.“

„Doch, kannst du. Der Arzt hatte es dir gesagt. Aber ich verstehe das gut. Also pass auf dich auf.“

„Mache ich, meine Jungs werden schon dafür sorgen, dass ich keinen Unsinn mache.“

Jan musste lachen und wir beendeten das Gespräch.

Das Spiel auf dem Platz ging in die Endphase und Andreas schlug zum 5:4 auf. Dieses Spiel war sehr schnell vorbei und wir führten 5:4. Jetzt ein Break und es würde vorbei sein.

Dann kam der Matchball und Maxi machte den entscheidenden Punkt. Es war vorbei und die absolute Sensation perfekt. Wir hatten unseren ersten Titel auf der ATP-Tour erreicht. Damit konnte niemand rechnen und umso glücklicher war ich. Es fiel mir schwer, mich befreit zu freuen, denn der Schmerz in der Schulter hinderte mich daran, mit den Jungs auf den Platz zu laufen. Erst, als Fynn kurz vor der Bank stand, bemerkten sie, dass ich ihnen nicht gefolgt war. Irritiert drehten sie sich um und zögerten, aber da war Maxi bereits zu ihnen gekommen und hatte sie stürmisch umarmt. Andreas gesellte sich zu ihnen und sagte Dustin etwas in Ohr. Er nickte und löste sich aus der Traube. Er kam auf mich zu, während ich langsam in ihre Richtung kam.

„Kommst du bitte mit auf den Platz? Andreas hat mich gebeten, dich zu holen. Wir möchten bei der Siegerehrung, dass du unter uns bist. Geht das?“

„Ja, ich bin ja schon unterwegs, aber ich muss etwas vorsichtig sein Jede unkontrollierte Bewegung tut noch weh.“

Dustin nickte schweigend. Ich konnte spüren, dass er sich Sorgen um mich machte. Erst recht, als ich Fynns Gesicht auf dem Platz sah. Trotz des großen Erfolges und der Freude, wirkte er sehr nachdenklich. Die Security hatte extra für uns eine Gasse gebildet, so dass uns niemand zu nahe kommen konnte. So etwas hatten wir bisher bei keinem Turnier erlebt. Ich war erstaunt.

Auf dem Platz standen alle meine Jungs mit Andreas plötzlich vor mir in einem Halbkreis, der Turnierdirektor kam hinzu und die Repräsentanten der Sponsoren. Dustin allerdings reagierte anders als die anderen. Er kam ganz nah an mich heran, nahm meine gesunde linke Hand und hielt sie fest. Eine ungewöhnliche Reaktion. Ich war irritiert, aber ließ ihn gewähren.

Ich spürte seine Aufregung, aber es tat mir gut, meine Clique um mich zu haben. Was mich allerdings störte, war die präsente Security. Wir wurden sehr intensiv abgeschirmt. Es schien, als ob das ganz bewusst gemacht wurde.

Jetzt trat der Turnierdirektor ans Mikrofon und begann mit der Siegerehrung. Er lobte die Mitarbeiter und die Spieler für ihre sehr guten Leistungen. Er erwähnte auch den Vorfall mit den Skinheads, aber nur um anzumerken, dass Andreas dazu gleich noch mehr sagen würde. Dann übergab er an Andreas und Maxi den Pokal und die Siegerschecks.

Andreas hielt den Pokal gemeinsam mit Maxi für die Fotografen hoch, dann übergab er ihn Maxi und nahm sich das Mikrofon.

„Liebe Tennisfreunde und Spieler. Heute ist für mich ein besonderer Tag, denn nach meiner langen Verletzungspause ist es schön, wieder dabei zu sein. Leider ist am gestrigen Tag hier etwas passiert, was ich niemals wieder erleben möchte. Vier gewaltbereite Skinheads haben die Trainingsgruppe meines Doppelpartners angegriffen und ihren Trainer schwer verletzt. Er hatte sich schützend zwischen die Täter und seine Spieler gestellt. Meine Wut auf die Gesellschaft, die nach wie vor Probleme hat, anders lebende Menschen zu akzeptieren, steigt von Tag zu Tag. Es kann nicht sein, dass wir wegschauen, wenn Jugendliche sich in ihrer Rolle suchen und gefunden haben, nur weil sie schwul sind. Es darf nicht sein, dass man sich nur noch unter Polizeischutz bewegen muss, nur weil man als Junge einen anderen Jungen liebt. Ich als Tennisprofi möchte alle Kollegen aufrufen, sich zu fragen, ob wir genug getan haben, um diesen exzellenten Talenten das Tennisspielen zu erleichtern und ihre Karriere voranzubringen. Vor allem möchte ich um Toleranz bitten. Sie machen ihren Job und da spielt es keine Rolle, welche sexuelle Orientierung sie haben. Deshalb möchte ich das Preisgeld einer Jugendorganisation spenden, die sich genau um solche Jugendliche kümmert.“

Er machte eine kleine Pause und Applaus brandete auf. Jetzt nahm der Turnierdirektor die Gelegenheit wahr, klar Stellung zu beziehen.

„Lieber Andreas, lieber Maxi und liebe Freunde von euch. Ich muss mich im Namen der Zuschauer und des Teams bei euch und insbesondere bei eurem Trainer entschuldigen. Es war uns nicht gelungen, euch ausreichend zu beschützen und wir werden in Zukunft über unser Sicherheitskonzept nachdenken. Dennoch hoffe und wünsche ich mir, dass wir Euch im nächsten Jahr hier erneut als Gäste wiedersehen werden. Ich möchte die Summe, die Andreas spenden möchte, verdoppeln. Wir haben mit unseren Sponsoren gesprochen, die spontan gesagt haben, da machen wir mit. Und nun möchte ich Dustin und Fynn bitten, nach vorn zu kommen. Sie haben darum gebeten, Ihnen etwas mitteilen zu wollen.“

Was jetzt passierte, wühlte mich auf. Meine Gefühle gerieten in Unruhe, wie ich es schon sehr lange nicht mehr erlebt hatte. Dustin zog mich einfach hinter sich her und dann standen wir nebeneinander im Mittelpunkt des Geschehens. Fynn hatte sich das Mikrofon genommen und begann:

„Ich möchte an dieser Stelle nicht viel sagen, außer, dass wir sehr froh sind, unseren Trainer und Freund Chris weiterhin bei uns zu haben. Wir bedanken uns für die Anteilnahme und den Mut, den uns die meisten der Zuschauer hier geben, weiterzumachen. Chris, wir werden in Zukunft mehr auf dich aufpassen. So ein Erlebnis möchten wir nie wieder haben. Jeder von euch Zuschauern kann seinen Teil dazu beitragen, in Zukunft so etwas zu verhindern. Vielen Dank, Chris. Du hast unsere Zukunft gesichert und dein Leben und deine Gesundheit aufs Spiel gesetzt. Das können wir nicht wieder gut machen. Danke.“

Spontan brandete lauter Applaus auf. Dustin zog mich ganz nah an sich heran und ich spürte meine Betroffenheit. Es wühlte mich auf. Allerdings wollte ich jetzt die Gelegenheit nutzen, auch passende Worte zu finden. Die Jungs sollten unbedingt nach vorn schauen. Ich nahm mir das Mikrofon.

„Danke, Fynn. Deine Worte tun mir sehr gut. Dank des schnellen Eingreifens der Zuschauer konnten alle Täter festgenommen werden. Ich finde, dass das hier noch nicht genug gewürdigt wurde. Außerdem möchte ich dir, lieber Fynn, widersprechen. Ihr könnt das sehr wohl wieder gutmachen. Schaut nach vorn und arbeitet weiterhin hart. Dann wird es mir auch schneller wieder gut gehen. Ich werde dann ja schließlich weiter gebraucht. Wir dürfen diesen Deppen keine Bühne bieten, dann werden wir irgendwann eine solche Akzeptanz besitzen, dass es keinen mehr gibt, der so eine sinnlose Tat begeht. Ich hoffe, wir sehen uns im nächsten Jahr gesund hier wieder. Vielen Dank für die Anteilnahme.“

Damit endete die Siegerehrung und wir konnten uns aus dieser Menschentraube befreien. Für einen lokalen Radiosender mussten Fynn und Dustin mit Maxi und Andreas noch ein Interview geben. Ich nutzte die Zeit, mich um unsere Reise nach München zu kümmern, denn eigentlich sollte sich Mario bald melden.

Dustin: Ob uns Chris weiter begleitet?

Mein Gefühl war zweigeteilt. Dass Maxi seinen ersten Titel gewonnen hatte, löste sicherlich große Freude aus. Im Gegensatz dazu standen die Erinnerungen an den gestrigen Tag und die Folgen: Angst und Unsicherheit. Chris hatte sich deutlich verändert. Er sagte es nicht, aber mein Gefühl war eindeutig. Diese Attacke hatte genauso Spuren bei ihm hinterlassen, wie bei uns. Zusätzlich war er auch noch schwer verletzt worden. Ich wusste nicht, ob ich in der Situation noch so ruhig sein könnte. Hoffentlich würde Chris keine Probleme mit dem Erlebten bekommen. Wir brauchten ihn mehr denn je. Meine Angst war nicht kleiner geworden. Sollten Fynn und ich uns jetzt anders verhalten? Chris wollte ich nicht fragen, der hatte genug mit sich selbst zu kämpfen. Ich fühlte mich gerade nicht besonders gut.

„Woran denkst du gerade? Du bist so nachdenklich.“

Fynn stand direkt vor mir. Ich hatte mich von der großen Gruppe etwas absentiert und brauchte Ruhe zum Nachdenken.

„Kannst du denn einfach alles so ausschalten? Ich jedenfalls nicht und Chris kann es auch nicht gut gehen. Schau ihn dir doch mal an. Er sieht schon seit Tagen schlecht aus. Jetzt wird das sicher nicht besser. Er gönnt sich keine Schonung, nur weil er uns weiterbringen möchte. Ist es das wert, dass er sich für uns aufreibt? Nein, sicher nicht. Ich möchte nicht schuld daran sein, wenn Chris krank wird.“

Fynn schaute mich ratlos und mit großen Augen an.

„Schatz, ich versteh dich. Mir geht es ähnlich, aber jetzt sollten wir zusehen, dass wir zum Parkplatz kommen. Chris wartet dort bereits mit Mario auf uns. Wir müssen los, sonst verpassen wir in München den Flieger.“

Ich verstand nur Bahnhof. Mein Gesicht muss wohl entsprechend gewesen sein, aber Fynn ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und schob mich einfach vor sich her. Auf dem Parkplatz stand Andreas mit Chris am Auto. Hinter dem Steuer saß Mario, Stefs Bruder. Für mich war das alles ein wenig viel auf einmal. Chris grinste, als er uns kommen sah.

„Ah, da kommen sie ja. Andreas, vielen Dank für diese tolle Unterstützung. Wir sehen uns bestimmt wieder. Spätestens bei den Gerry Weber Open im nächsten Jahr.“

„Gerne, ich habe auch viel gelernt. Maxi, du bist dafür verantwortlich, dass sich Chris in Genf behandeln lässt und sich schont. Ansonsten wünsche ich euch eine gute Reise nach Genf und meldet euch mal.“

Mario startete den Motor und wir verließen den Ort unseres bislang größten Erfolges und gleichzeitig eines Horrorerlebnisses. Auf der Fahrt nach München hatte uns Chris erklärt, wie sich das Ganze entwickelt hatte und wieso Mario uns abholen gekommen war. Ich hatte auf der Fahrt zum ersten Mal erlebt, dass Chris geschlafen hat. Wir alle bemerkten das als etwas Besonderes und unterhielten uns leise über die neue Situation, während Chris schlief.

„Ihr müsst auf Chris aufpassen. Er würde von sich aus niemals sagen, dass er Ruhe braucht. Er erlebt gerade die schlimmsten Tage seit ganz langer Zeit. Die Verarbeitung des Angriffs wird noch kommen. Da solltet ihr aufmerksam sein.“

Mario schien Chris gut zu kennen. Wir wunderten uns, denn so oft hatten sie sich ja noch nicht gesehen. Allerdings berichtete Mario uns von seinen eigenen Erfahrungen mit seinem Bruder. Die Situationen ähnelten sich sehr. Das machte mir erneut Angst. Ich konnte kaum etwas für Chris tun. Außerdem beunruhigte mich der Vorfall auch selbst. Maxi übernahm momentan unsere Führungsrolle, die sonst Chris innehatte. Chris schien tief und fest zu schlafen.

Kurz vor München wachte er auf und hatte plötzlich ein ständiges Lächeln im Gesicht. So wie ich ihn in Erinnerung hatte, bevor der Übergriff geschehen war. Mir wurde bewusst, dass wir nicht erwarten durften, dass unsere Angst von selbst weggehen würde. Ich sollte mit Fynn in Genf darüber sprechen. Vielleicht hatte Chris auch eine Idee dazu.

Mario brachte uns direkt zum Flughafen. Wir hatten leider keine Zeit, uns noch bei Karl Geiger persönlich zu bedanken, denn sonst hätten wir unseren Flieger verpasst.

Chris ließ aber über Mario unseren Dank ausrichten und wir versprachen, uns in München zu melden, wie unser Turnier verlaufen ist.

Chris ging wieder voraus, so, wie es bislang immer war. Er hatte sich anscheinend mit dem Schlaf im Auto den Akku aufgeladen.

Als wir eingecheckt hatten, rief Chris in Halle an und besprach noch ein paar Dinge mit Thorsten. Anschließend ging es in den Flieger und ein neues Kapitel stand an. Hoffentlich würde es in der Schweiz keine unliebsamen Überraschungen geben. Ich war jedenfalls bereit, dafür zu kämpfen, dass wir weiterhin Erfolg haben würden und Chris bei uns bleibt.

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