zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Cian und ich...

Teil 1

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Inhaltsverzeichnis

 

„Wie hat es angefangen?“ Wie oft wurde ich gefragt, von Freunden, von meiner Familie. So oft wurde ich gebeten, diese eine Geschichte erzählen. Bislang hatte ich mich immer geweigert. Was sollte an dieser Geschichte schon besonderes sein? Doch ein ums andere Mal ging es mir durch den Kopf. Wie hatte es angefangen? Also habe ich mich hingesetzt und eine kleine Geschichte, die für mich Dreh- und Angelpunkt meines Lebens werden sollte, aufgeschrieben.

Wer ich bin? Man nennt mich „Ally“, getauft bin ich auf den Allerwelts-Namen Kai-Alexander. Mein Alter? Alt genug, um nicht mehr ganz grün hinter den Ohren zu sein. Mein Aussehen, eben das eines blonden, braun-grünäugigen, durchtrainierten Traummanns (ja ich weiß, ich bin von mir eingenommen, aber warum mit der Wahrheit hinterm Berg halten?) und ach ja… tut mir leid, werte Damenwelt, ich bin schwul!

Teil I

Gerade war ich aus Boston zurück, wo ich mich einige Jahre hin verzogen hatte (Liebeskummer sei Dank). Ich hatte nicht mal ganz ausgepackt, da stürmte meine Schwester auch schon ins Zimmer, dass sie mir ja uuuuuuunbedingt von diesem neuen suuuuupertollen Chat erzählen müsse. Sie weiß, dass ich doch sooooooo gerne Rollenspiele mache (und nein, nicht DIESE Art von Rollenspiel, auch wenn es ganz nett ist ;) ). Besonders Online-Rollenspiele, in denen mit Texten agiert wurde. Eben so eine Art Improvisations-Theater. Ich habe mich angemeldet und auch gespielt. Doch waren diese Art der Plays nicht wirklich eine Herausforderung. Ich gestehe, ich spielte sie an die Wand. Was ich suchte, waren Player, die auf meinem Level spielten.  Und ich wurde fündig. In einem Play traf ich jemand, der nicht nur ebenbürtig zu mir war, sondern mit seinen Texten regelrechte Bilder malte. Ich war fasziniert und begeistert und so ließ sich mein Charakter eben auf seinen ein. Warum auch nicht? Es war doch nur ein Play. Dachte ich. Regelmäßig spielte ich und vernachlässigte sogar meinen geliebten Sport. Statt derer gut zwanzig Kilometer lief ich nur noch fünf, statt zwei Stunden im Center zu verbringen war es nur noch maximal eine Stunde. Viel zu sehr war ich von diesem mir noch unbekannten Spieler fasziniert. Es dauerte nicht lange und wir fingen an, außerhalb der Plays miteinander zu reden. Es machte mir Spaß, mit ihm zu reden. Wir waren uns in vielen Dingen sehr ähnlich, in anderen Dingen auch das krasse Gegenteil. Er teilte aus, ich steckte ein. Ich teilte aus, er steckte ein. Ein Geben und Nehmen. Keiner steckte zurück und ich muss gestehen, das gefiel mir.

Dann kam eine Zeit, wo ich meine Sachen packen musste, es ging nach London. Meine Firma hatte mich dahin beordert. Gut, ich hatte etwas nachgeholfen, indem ich mich für den Job dort beworben hatte. Was hielt mich auch in Deutschland – von meiner Familie abgesehen? Also zog ich mit Sack und Pack nach London in die Nähe meines besten Freundes. Für ein paar Tage war ich gefrustet und überhaupt nicht ansprechbar. Rick, mein Freund aus Jugendtagen, bester Freund, Kumpel und Vater meiner Patenkinder, merkte sehr schnell, woran es lag. Er löcherte mich und ich schwöre, mein Bauch sah aus wie Schweizer Käse! Ich erzählte ihm alles und dass ich es vermisste, mit dem geheimnisvollen Unbekannten zu playen. Er zog seine Augenbraue hoch und lächelte auf eine Art, in der nicht nur Verständnis sondern auch Wissen lag. Er wusste zu dem Zeitpunkt etwas, was mir noch verborgen blieb!

Sicher, ich lenkte mich ab, versuchte nicht an den Unbekannten zu denken, aber … dieser jemand hatte sich schon längst heimlich in meine Gedanken geschlichen. Sobald ich online war, konnte ich es kaum erwarten, ihn zu treffen. Seine Worte sog ich auf, wie ein Schwamm. War er mal nicht da, war ich ungenießbar. Manches Mal kam ich mir vor, wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Aber es reichte mir nicht! Es reichte mir nicht, ihn nur zu lesen. Ich wollte wissen, wie er aussah, wie er klang, roch. Nicht nur mir ging es so, ihm auch, wie ich herausbekam. Neugierde eben oder war da doch mehr?

Ich weiß bis heute nicht, wer das Treffen vorgeschlagen hat. Letztlich ist es auch nicht mehr wichtig. Ich weiß noch, wie nervös ich war, unruhig und aufgeregt. Wie vor einem ersten Date. War es eines? Oder waren wir nur zwei Chat-Bekannte, die sich nach diesem Treffen nie wiedersehen würden? Fragen über Fragen und (noch) keine Antworten. Ich war überpünktlich vor dem kleinen Café, was wir als Treffpunkt ausgemacht hatten und rauchte eine Beruhigungszigarette. Dank seines Photos wusste ich ja, wie er aussah. Während ich so dasaß, mit meiner Zigarette in meiner Hand und vor mich hin sinnierend, wie das Treffen wohl verlaufen würde, ging er an mir vorbei. Er hatte mich nicht gesehen, wie auch, wenn ich die Sonnenbrille auf der Nase hatte? Aber ich ihn! Donnerwetter! Einiges kleiner als ich, sehr schlanke Figur und ein Hintern zum … na, vielleicht später. Ich blickte ihm hinterher und drückte meine Zigarette aus. Sammelte mich erst mal und mahnte mein Herz, erst mal aufzuhören so schnell und so laut zu schlagen. Nachher hörte das noch jemand!

Minuten vergingen, ehe ich mich aufraffte, rein zu gehen und dabei meine Sonnenbrille abnehmend. Mein Blick schweifte durch den Raum, bis er an einem schwarzen Haarschopf hängen blieb. Genüsslich musterte ich ihn und schmunzelte, als ich sah, wie viel Zucker er in seinen Kaffee schaufelte. Ich dachte nur 'Kein Wunder, dass er so ein Süßer ist.' und ging langsam auf ihn zu. Scheinbar hörte er mich nicht kommen, so sprach ich ihn mit seinem Namen an.

„Cian?“

Himmel, allein der herrlich verwunderte Blick, mit dem er mich ansah, als sei ich vom Mars, Jupiter oder sonst woher. Ich musste mir das Grinsen verkneifen, so lächelte ich nur und ich weiß um die Wirkung meines Lächelns sowie meiner Augen. Scheinbar verfehlte es auch nicht seine Wirkung, denn er wirkte wie weggetreten. Mit meiner Hand wedelte ich vor seinem Gesicht, aber auch das bekam er nicht mit, also sprach ich ihn ein weiteres Mal an.

„Du bist doch Cian, oder nicht?“

Endlich löste er sich aus seiner Starre, nickte und zog seine Beine zu sich heran, während er „Japp, setz dich.“ sagte. Noch jemand, der sich gern etwas breit machte. Ich zog mir den Stuhl heran, drehte ihn und setzte mich wie gewohnt rittlings auf den Stuhl, während ich beim Kellner ebenso einen Kaffee orderte. Doch im Gegensatz zu meinem Gegenüber trank ich ihn lieber schwarz, höchstens mit einem Löffel Zucker. Wir taxierten uns gegenseitig, suchten uns abzuschätzen, musterten uns und für meinen Teil kann ich nur sagen: was ich sah, gefiel mir ausgesprochen gut.

Irgendwie kamen wir dann ins Gespräch. Wer angefangen hatte, weiß ich nicht mehr. Ist auch nicht mehr von Bedeutung. Wir sprachen über unsere Charaktere (er hatte genauso einen Narren an denen gefressen, wie ich), philosophierten über Gott und die Welt sowie die Welt dahinter. Über den Tod. Wir hatten beide unterschiedliche Auffassungen zum Thema Tod und Wiedergeburt. Kein Wunder, er ist Heide, ich bin auf meine Art gläubig. Doch letztlich glaubt jeder an etwas, oder nicht?

Wie lange wir da gesessen haben, ist mir nicht mehr bewusst, aber es muss lange gewesen sein, denn das Personal schmiss uns regelrecht raus. Mit dem Versprechen, weiter in Kontakt zu bleiben, trennten wir uns. Zumindest, was die reale Welt anbetrifft. Sobald wir online gingen, ging es weiter.

Ich wollte es nicht wahrhaben, aber dieser kleine Kampfgnom hatte es mir angetan. Er verdrehte mir den Kopf und ich bin mir nicht sicher, ob es das war, was ich wollte oder brauchte. Klar, ihn einmal flachlegen wäre ok gewesen, aber mehr? Ich wehrte mich mit Händen und Füssen gegen das, was mir mein Herz schon leise zuflüsterte. Aber ich wollte nicht hören, so musste ich mit jemandem reden. Und mit wem hätte ich das besser gekonnt, als mit meinem besten Freund?

Noch am gleichen Abend rief ich ihn an und kaum, dass er sich gemeldet hatte, sprudelte es nur so aus mir heraus. Ich erzählte, nein, ich schwärmte von dem Typen namens Cian.

Er hörte es sich lange und geduldig an. Sein Grinsen konnte ich regelrecht hören und das einzige, was er dazu sagte war: „Ally, du bist verliebt!“ Noch bevor ich Protest einlegen konnte, hatte er auch schon eingehängt. Er kannte mich einfach zu gut! Aber war ich wirklich verliebt? Ich? Ausgerechnet ich? Der sich geschworen hatte, nach der letzten Beziehung nur noch Bettgeschichten zu haben und sich auf nichts Festes mehr einzulassen? Doch was lehrt uns das Leben? Es kommt immer anders, als man denkt.

Es war ja nicht so, als wenn er mir nicht gefallen hätte. Ich mag Männer, die kleiner sind als ich und dazu noch blaue Augen. So blau wie der Ozean tief und der Himmel weit. Männer? Japp, ich bin schwul! Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Verliebt also. Er spukte mir durch die Gedanken und so manche Nacht auch durch die Träume. Träume, die den Stempel FSK21 tragen müssten.

Doch lange sollte dieses fluffig rosa Wattegefühl nicht andauern. Wir redeten noch immer miteinander, aber er zeigte mir auch eine Seite an sich, die ich nicht einzuordnen wusste. Von jetzt auf gleich schaltete er auf egoistisches eiskaltes Arschloch um. Tja, verliebt wohl nur von einer Seite aus – von meiner. Wie sollte ich sein Gebaren auch anders deuten? Nun gut, wenn er es so haben wollte, dann bitte schön. Ich zog mich immer mehr zurück und ging mit Rick auf Parties. Andere Väter hatten bekanntlich auch hübsche Söhne. So richtig nette Häppchen fürs Bett. Doch egal mit wem ich die Liegestatt teilte, die Gedanken an ihn ließen mich nicht los. Ich hatte Sex mit anderen, doch am Ende fühlte ich mich leer. Es fehlte etwas, nein… ich wusste es mittlerweile. Er fehlte! Doch ihm das sagen? Einen Teufel würde ich tun! Nicht so, wie er sich mir gegenüber verhalten hatte.

So vergingen die Tage und irgendwann – lass es Mitte August gewesen sein – hatte ich eine Nachricht von ihm. Eine sehr lange Nachricht. Eine Nachricht über seine Gedanken, seine Gefühle. Was er für mich empfinden würde. Wie oft ich das gelesen habe, weiß ich nicht mehr. Aber ich weiß, dass es mehrfach war. Ich dachte, mich tritt ein Pferd! Wollte er mich jetzt verarschen oder was sollte das jetzt werden? Mit Gefühlen spielt man nicht! Und noch weniger mit meinen! Wie ich mich fühlte? Ich war überrascht, sehr überrascht sogar und dann auch wütend, nur um im nächsten Augenblick ein Kribbeln im Bauch zu spüren. Er empfand etwas für mich. Ich auch noch für ihn? Es brauchte ein paar Tage, bis ich mir über meine eigene Gefühlswelt klar wurde. Nachdem ich mir sicher war, texte ich ihn an, dass wir uns treffen sollten. Gleiche Zeit, gleicher Ort.

Er war zu früh, ich auch. Nur dass ich diesmal drin saß und in meinem Kaffee rührte, als er reinkam. Er sah gut aus, aber auch irgendwie übernächtigt. Er hatte die letzten Nächte wohl nicht viel an Schlaf bekommen. Ich sah ihn mit einem unergründlichen Blick an und lehnte mich zurück. Für dieses Treffen – Date wagte ich nicht mal zu denken! – hatte ich mich in Jeans und enges Shirt geworfen. Ich gebe es zu, ich mag mich gern zeigen, bin stolz auf meinen trainierten Körper! Meinen Blazer hatte ich über den Stuhl gehängt. Mit einem Nicken deutete ich ihm, dass er sich setzen sollte und das tat er auch. Wo war das Großmaul geblieben, das sooo großgetönt hat? Kleinlaut hatte er sich auf seinem Stuhl zusammengekauert, betrachtete lieber seinen Kaffee als mich. Für eine Weile ließ ich mir das Schweigen gefallen, bevor ich lautlos seufzte und ihn fragte: „Meinst du deine Nachricht ernst?“

Völlig perplex sah er mich an, wusste für einige Minuten nichts zu sagen. Ich dagegen begegnete dem Blick äußerlich ruhig, innerlich dagegen gespannt wie eine Bogensehne vor dem Abschuss. Lange brauchte ich nicht warten, denn schon fauchte er los: „Ich mache mit so etwas keine Scherze und das weißt du auch!“ Meine Augenbraue hob sich, angesichts dieser Aussage.

Also hob ich abwehrend meine Hände und seufzte innerlich. „Beruhige dich, Cian.“ Ich liebe seinen Namen! „Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Aber es ist schon etwas seltsam, sich in jemanden zu verlieben, den man erst einmal gesehen hat. Gerade du, der nicht an die Liebe auf den ersten Blick glaubt.“ Gab ich leise zu bedenken, besonders wenn man die letzten Wochen in Betracht zog. Ich wollte halt nur sicher gehen, dass das hier keine Verarsche wurde. Genau das konnte mein Herz gerade nicht gebrauchen – ich ebenso wenig.

Leicht zuckte ich zusammen, als er seine Kaffeetasse auf den Porzellanunterteller krachen ließ und aufstand. „Du hast recht, Kai. Es ist verdammt seltsam.“ Erneut seufzte ich auf. Mir sagte man ja schon Temperament nach, aber an ihm war wohl eine Diva vorbeigegangen. Er blickte mich noch mal an, drehte sich um und machte sich auf, zu gehen.

Für einen Moment war ich einfach versucht, hier sitzenzubleiben, aber wenn ich das tun würde, würde ich vielleicht DIE Chance verpassen. Was hatte ich – von meinem Herzen abgesehen – schon zu verlieren? Nicht viel.

Es ist ein Vorteil, Sport zu machen und dadurch auch den Umgang mit Hindernissen, denen auszuweichen ist, zu lernen. So war ich direkt hinter ihm an der Tür. Er wollte diese schon aufmachen, als ich ihn an der Schulter herumdrehte und nicht lange fackelte. Ich küsste ihn einfach! Er schmeckte nach Kaffee, Zigarette und irgendwas Süßem. Ein Kuss und ich war süchtig!

Nach einer gefühlten Ewigkeit löste ich mich von ihm, als er mir auch schon ein „Was soll das?“ entgegen fauchte. Statt einer Antwort drückte ich ihn nur noch enger an mich heran und küsste ihn erneut. Es gab viele Möglichkeiten miteinander zu reden, doch in diesem Augenblick bevorzugte ich die nonverbale, um Lippenbekenntnisse auszutauschen.

In diesem Augenblick war alles nur eines: Perfekt!


Versonnen blicke ich auf den Bildschirm, streiche mir über die kribbelnden Lippen, während ich mich an unsere ersten beiden Küsse erinnere. Erst jetzt werde ich gewahr wie mir jemand mit den Händen vorm Gesicht wedelt. „Woran schreibst du?“, werde ich gefragt. Die Hände nehme ich lächelnd in die meinen und sehe in blaue Augen. Dieses Blau, das mich an die Weite des Himmels und die Tiefe des Ozeans erinnert. Einen sanften Kuss auf den Ring an der rechten Hand hauchend, antworte ich: „Über Anfänge, Liebe auf den ersten Blick und Gefühle, gegen die jeder Sturm wie ein laues Lüftchen aussieht!“

Es ist kaum zu glauben, aber seit unserer ersten Begegnung sind Jahre vergangen und mittlerweile bin ich mit ihm – Cian – verheiratet. Mit einem verträumten Lächeln sehe ich ihn an. Unterdessen hat er es sich auf meinem Schoss bequem gemacht und legt mir die Arme um den Nacken, während ich die eigenen um seine Hüfte schlinge. Zum Einen um ihm Halt zu geben, zum Anderen um ihn eng an mich zu drücken.

„Hast du es jemals bereut?“, will er wissen. Automatisch hebt sich meine Augenbraue und ich sehe ihn an. Habe ich es jemals bereut? Sicher, wir kosten uns Nerven und Geduld. Manches Mal tut es weh, wenn wir getrennt sind – was mein Job eben so mit sich bringt – oder besonders wenn wir uns streiten. Kurz flackert Unsicherheit in seinem Blick auf. Lächelnd schiebe ich eine Hand in den Nacken, zieh ihn zu mir hinab und bevor ich ihn in einen innigen und zärtlichen Kuss verwickle, beantworte ich seine Frage flüsternd gegen die Lippen: „Nicht eine einzige Sekunde!“


Es gibt noch so viel zu uns, über uns zu erzählen, doch das in Teil II.

Lesemodus deaktivieren (?)